Leitsatz (amtlich)
Eine Witwe, deren erster Ehemann an den Folgen einer Schädigung im Sinne des BVG gestorben war, hat nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes keinen Rechtsanspruch auf Witwenbeihilfe nach BVG § 44 S 4, wenn ihr zweiter Ehemann schon vor dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (1950-10-01) gestorben ist.
Leitsatz (redaktionell)
Übergeht ein Ablehnungsbescheid vorgetragene rechtserhebliche Tatsachen, die den Antrag anderweit begründen könnten, so kann das SG ohne Verfahrensmangel jene Tatsachen behandeln und berücksichtigen, auch wenn kein entsprechender weiterer Verwaltungsakt voranging.
Normenkette
BVG § 44 S. 4 Fassung: 1950-12-20
Tenor
1. Unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Dezember 1954 und des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 1954, soweit dieses der Klage stattgegeben hat, wird die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin war nach ihren Angaben seit 11. Juni 1913 in erster Ehe mit ... verheiratet, der im ersten Weltkrieg als Soldat am 5. November 1914 in Frankreich gefallen sei. Am 22. Oktober 1919 heiratete sie in zweiter Ehe den Kriegsbeschädigten .... Dieser starb am 21. Dezember 1944 an Lymphogranulomatose. Am 25. September 1950 stellte die Klägerin auf Grund des Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juni 1950 (VOBl. für GroßBerlin I S. 318) (KVG) beim Versorgungsamt ... "Antrag auf Gewährung von Versorgung von Witwen". Sie gab dabei die Personalien, die Verwundung und den Tod ihres zweiten Ehemannes an. Im übrigen erwähnte sie: "Ich habe meinen Mann als Kriegerwitwe geheiratet".
Das Versorgungsamt hat den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Dezember 1951 abgelehnt, da der Tod ihres zweiten Ehemannes nicht Schädigungsfolge im Sinne des § 1 KVG und des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei. Auf die Erklärung der Klägerin, daß sie sich als Kriegerwitwe zum Zweitenmal verheiratet habe, ist das Versorgungsamt nicht eingegangen. Das Landesversorgungsamt ... hat den Einspruch der Klägerin am 16. März 1953 mit derselben Begründung zurückgewiesen.
Am 2. April 1953 erhob die Klägerin beim VersGer . ... Klage gegen das Land ... mit dem Antrag, eine Entscheidung zu treffen, die es ihr "als doppelte Kriegerwitwe" ermöglicht, in einigermaßen erträglichen Verhältnissen ihr Leben zu fristen. In der Begründung hat sie angegeben: "Mein erster Mann ist im Krieg gefallen, durch meine Wiederverheiratung entfiel ich der Hinterbliebenenversorgung und nun im zweiten Falle werden mir diese Schwierigkeiten bereitet". In der mündlichen Verhandlung vor dem SGer . Berlin hat sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihr Witwenrente, hilfsweise Witwenbeihilfe zu gewähren, da ihr erster Ehemann gefallen sei. Sie führte aus, sie habe nach seinem Tode bis zu ihrer Wiederverheiratung Witwenrente bezogen und 1922 eine Heiratsabfindung von 1500.- Mark erhalten.
Zum Nachweis ihrer Angaben hat die Klägerin vorgelegt: die beglaubigte Abschrift einer Sterbeurkunde über den Tod ihres zweiten Ehemannes, einen weißen Ausweis "für Empfänger von Versorgungsrenten", ausgestellt vom Versorgungsamt ... unter der Nr. 47644 ohne Angabe des Namens des Berechtigten, ferner Bestätigungen von Bekannten ihres zweiten Ehemannes über dessen Verwundung. Über ihre erste Ehe und den Tod ihres ersten Ehemannes hat die Klägerin keine Urkunden beigebracht.
Das SGer . Berlin hat durch Urteil vom 27. Juli 1954 den Beklagten verurteilt, der Klägerin "eine Witwenbeihilfe in der Höhe, in der sie der Witwe eines Beschädigten, der Pflegezulage bezogen hat, zustehen würde" zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage zurückgewiesen, da die Erkrankung des zweiten Ehemannes an Lymphogranulomatose nicht Schädigungsfolge sei. Das SGer . Berlin hat die Verurteilung des Beklagten damit begründet, daß die §§ 44, 48 BVG hinsichtlich der Dauer der zweiten Ehe und des Zeitpunktes des Todes des zweiten Ehemannes keine Beschränkung enthielten. Die Witwe eines Beschädigten, der infolge einer Schädigung im versorgungsrechtlichen Sinne gestorben ist, sei der Witwe eines Beschädigten, der Pflegezulage bezogen hat, mindestens gleichzustellen. Nach dem Urteil des SGer . steht der Klägerin die Witwenbeihilfe in derselben Höhe zu wie der Witwe eines Pflegezulageempfängers. Das SGer . hat von einer ziffermäßigen Feststellung abgesehen und nur in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß der Anspruch erst vom Inkrafttreten des BVG an (1. Oktober 1950) begründet sei.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und beantragt, die Klage abzuweisen. Neben sachlichen Einwänden gegen den streitigen Anspruch selbst brachte er vor, das Sozialgericht habe durch die Verurteilung zur Gewährung einer Beihilfe einen Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde vorweggenommen, da das Versorgungsamt hierüber noch nicht entschieden habe.
Das Landessozialgericht (LSGer.) hat durch Urteil vom 17. Dezember 1954 die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Es hat die tatsächlichen Feststellungen des Sozialgerichts übernommen. Für den Anspruch auf Witwenbeihilfe nach dem Tode des zweiten Ehemannes auf Grund des § 44 Satz 4 BVG kommt es nach Auffassung des LSGer. nicht auf den Zeitpunkt des Todes an. Der Gebrauch der Gegenwarts- oder Vergangenheitsform ("stirbt", "ist gestorben") sei im Bundesversorgungsgesetz nicht systematisch durchgeführt. Aus der Fassung des § 44 BVG könne man keine zeitliche Beschränkung entnehmen. Das Gericht des ersten Rechtszuges habe seine Befugnisse nicht überschritten. Es habe eine den Verwaltungsbehörden zunächst zustehende Entscheidung über die Witwenbeihilfe nach dem ersten Ehemann treffen dürfen, weil die Klägerin schon in ihrem Antrag vom 5. September 1950 zum Ausdruck gebracht hatte, daß sie als Kriegerwitwe ihren zweiten Ehemann geheiratet habe. Da die Verwaltungsbehörde auf dieses Vorbringen nicht eingegangen ist, sei ihr Bescheid nur unvollständig begründet.
Gegen dieses dem Beklagten am 13. Januar 1955 zugestellte Urteil, in welchem die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen wurde, hat der Beklagte mit Schreiben vom 19. Januar 1955, eingegangen am 21. Januar 1955, Revision eingelegt mit dem Antrag, "unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen die Entscheidung des SGer . Berlin vom 24. April 1954 stattzugeben." In der mündlichen Verhandlung beantragte er, falls dem Antrag der Klägerin stattgegeben werden sollte, hilfsweise, die Entscheidung des Großen Senats herbeizuführen. Die am 18. Februar 1955 eingegangene Revisionsbegründung rügt:
1. Es liege kein Antrag der Klägerin auf Witwenbeihilfe nach dem ersten Ehemann vor. Das Urteil enthalte eine Verpflichtung zur Leistung, obwohl noch kein Verwaltungsakt erlassen und kein Vorverfahren durchgeführt worden sei.
2. Das LSGer. habe die Angaben der Klägerin über ihre erste Ehe und den Tod ihres ersten Ehemannes ohne Unterlagen und ohne Nachforschungen als richtig unterstellt. Die Behauptung der Klägerin, sie habe eine Heiratsabfindung erhalten, könne nicht stimmen, da eine Heiratsabfindung erst durch das Reichsversorgungsgesetz (RVG) mit Wirkung ab 1. April 1920 eingeführt worden sei. Vorher habe es nach dem Militärhinterbliebenengesetz von 1907 (MHG O7) nur eine Zuwendung als Härteausgleich gegeben.
3. Witwenbeihilfe nach § 44 Satz 4 BVG könne nur gewährt werden, wenn die Witwe eine Heiratsabfindung nach Satz 1 erhalten habe. Eine solche Abfindung hätte nur denjenigen Witwen, die sich nach dem 30. September 1950 wiederverheiratet haben, gewährt werden können. Entsprechend der Gegenwartsform des Zeitwortes im Satz 4 des § 44 ("stirbt") müsse verlangt werden, daß der zweite Ehemann erst nach dem Inkrafttreten des BVG (1. Oktober 1950) gestorben ist. Außerdem müsse der erste Ehemann Rente eines Erwerbsunfähigen oder Pflegezulage bezogen haben.
Die Klägerin hat beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie führt aus, sie habe spätestens im Verfahren vor dem Sozialgericht ihren Versorgungsantrag auch auf den Tod ihres ersten Ehemannes gestützt. Begründete Einwendungen gegen ihre Glaubwürdigkeit könnten nicht erhoben werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG), sie mußte auch Erfolg haben.
Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist eine Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein. Hieraus ist zu folgern, daß mit der Klage - sofern sie sich nicht gegen die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes richtet - ein Anspruch grundsätzlich nur verfolgt werden kann, wenn er auch schon Gegenstand des vorher erlassenen Verwaltungsaktes war. Im vorliegenden Falle liegt ein solcher Verwaltungsakt vor, nämlich der Bescheid vom 7. Dezember 1951, der nur in der Begründung unvollständig ist. Dieser Bescheid lehnt die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung überhaupt ab. In der Begründung hat das Versorgungsamt nur die Ursache des Todes des zweiten Ehemannes berücksichtigt. Es hat dagegen die Ausführungen der Klägerin, daß sie ihren zuletzt verstorbenen Ehemann als Kriegerwitwe geheiratet habe, übergangen. Jenes Vorbringen hätte dem Versorgungsamt Anlaß geben können und müssen, den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob die von der Klägerin behauptete Tatsache, nämlich der Tod des ersten Ehemannes infolge Dienstbeschädigung, geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch zu rechtfertigen. Das Gericht des ersten Rechtszuges war daher nicht verpflichtet, abzuwarten, ob und wann die Verwaltungsbehörde zu dem Vorbringen der Klägerin hinsichtlich des Todes ihres ersten Ehemannes in einem neuen förmlichen Bescheid Stellung nahm. Der Verwaltungsbehörde ist auf jeden Fall in beiden Rechtszügen das rechtliche Gehör in vollem Umfange gewährt worden. Der Angriff der Revision, der darauf zielt, das Urteil des LSGer. deshalb aufzuheben, weil ein Bescheid über den vom Ableben des ersten Ehemanns hergeleiteten Versorgungsanspruch nicht erteilt worden sei, ergibt hiernach nicht, daß das Verfahren des LSGer. an einem wesentlichen Mangel leidet.
Bei der materiell-rechtlichen Beurteilung des Anspruches auf Witwenbeihilfe, der nach geltendem Recht in § 44 BVG geregelt ist, mußte zunächst die geschichtliche Entwicklung in Betracht gezogen werden.
Nach dem Militärhinterbliebenengesetz vom 17. Mai 1907 (RGBl. S. 214) gab es eine Witwenbeihilfe als Versorgung nach dem Tode des zweiten Ehemannes nicht (vgl. § 30). Ebensowenig kannte das am 1. April 1920 in Kraft getretene Gesetz über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädigung (Reichsversorgungsgesetz) vom 12. Mai 1920 (RGBl. I S. 989) eine Versorgung nach dem Tode des zweiten Ehemannes (vgl. §§ 39, 101).
Erst durch das gemäß Art. XI am 1. Januar 1923 in Kraft getretene Gesetz zur Abänderung des Reichsversorgungsgesetzes und anderer Versorgungsgesetze vom 22. Juni 1923 (RGBl. I S. 513) ist eine Witwenbeihilfe als Versorgung einer zum zweiten Male Witwe gewordenen Frau, und zwar als Kannleistung eingeführt worden. Art. I Nr. 21 Buchstabe d dieses Gesetzes hat die Einfügung folgenden Satzes in § 39 Abs. 1 angeordnet: "Stirbt innerhalb von zehn Jahren nach der Wiederverheiratung der Ehemann, so gelten die Vorschriften über die Witwenbeihilfe (§ 40) entsprechend". Im § 40 war die Gewährung einer Witwenbeihilfe als Kannleistung für die bedürftige Witwe eines Rentenempfängers vorgesehen, der nicht an den Folgen einer Dienstbeschädigung gestorben ist. Durch Art. I Nr. 4 des Vierten Gesetzes zur Abänderung des Reichsversorgungsgesetzes vom 8. Juli 1926 (RGBl. I S. 398), in Kraft getreten nach Art. II mit der Verkündung am 13. Juli 1926, sind in § 39 die Worte "innerhalb von zehn Jahren" gestrichen worden.
Nach § 110 des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes vom 26. August 1938 (RGBl. I S. 1077) (WFVG), das sich im allgemeinen auf die nach dem 30. September 1938 aus der Wehrmacht ausgeschiedenen Soldaten und auf die Hinterbliebenen der nach dem 30. September 1938 gestorbenen ehemaligen Soldaten erstreckt (§§ 197, 198) konnte der Witwe nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes ein widerruflicher Unterhaltsbeitrag nach dem Ermessen der Verwaltungsbehörde gewährt werden.
In § 44 Satz 2 BVG in der ursprünglichen Fassung vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) ist erstmals ein Rechtsanspruch auf Witwenbeihilfe nach dem Tode des zweiten Ehemannes eingeführt worden. In der Regierungsvorlage (Bundestagsdrucksache Nr. 1333, 1. Wahlperiode 1949) entsprach § 43 Satz 2 dem § 44 Satz 2 des Gesetzes mit dem Unterschied, daß dort, wie die Verweisung auf § 47 des Entwurfs ergab, nur eine Kannleistung vorgesehen war. In den Verhandlungen des 26. Ausschusses des Bundestags zu § 43 des Entwurfs (Protokoll der 31. Sitzung am 27. September 1950) ist die Frage, ob der zweite Ehemann vor oder nach einem bestimmten Stichtag gestorben sein müsse, damit die Witwenbeihilfe bewilligt werden kann, nicht erörtert worden. Durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862) sind die Sätze 2 und 3, die sich auf Satz 1 (Heiratsabfindung) beziehen, neu eingefügt worden. Der bisherige Satz 2 hat hierbei inhaltlich unverändert die Stellung als Satz 4 erhalten. Er lautet:"Stirbt nach der Wiederverheiratung der Ehemann, so gelten die Vorschriften über die Witwenbeihilfe (§ 48) entsprechend". Die Witwenbeihilfe nach § 48 wird - im Gegensatz zum alten Recht (§ 40 RVG) - als Pflichtleistung gewährt.
Alle Versorgungsgesetze sind von dem Grundsatz beherrscht, daß die Witwenrente längstens bis zur Wiederverheiratung der Witwe gewährt wird (vgl. § 30 Abs. 1 MHG 07, § 39 RVG, §§ 114, 115 WFVG, Art. 1 KBLG in Verb. mit § 588 RVO, § 20 KVG, § 44 BVG), da im allgemeinen der zweite Ehemann ihr gegenüber unterhaltspflichtig ist und die Gesetzgebung davon ausgeht, daß dadurch der Verlust des früheren Ernährers ausgeglichen ist. § 44 Satz 4 BVG hat den Zweck, die Witwenversorgung, die einer Frau bis zu ihrer Wiederverheiratung zustand und auch weiterhin zugestanden haben würde, wenn sie sich nicht wiederverheiratet hätte, nach dem Tode des zweiten Ehemannes dem Grunde nach, wenn auch in verminderter Höhe, wieder aufleben zu lassen. Wenn die Witwe bis zu ihrer Wiederverheiratung Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung hatte und der Träger der Versorgungslasten infolge ihrer Wiederverheiratung von einer Versorgungspflicht befreit wurde, so ist es folgerichtig und billig, daß die Entlastung wieder aufhört, wenn der Grund der Befreiung später wegfällt. Da das Bundesversorgungsgesetz der zum Zweitenmal Witwe gewordenen Frau einen Rechtsanspruch auf Beihilfe einräumt, muß verlangt werden, daß sie auch zur Zeit ihrer Wiederverheiratung einen Anspruch auf Witwenrente hatte; denn die Gewährung einer Versorgung nach dem Tode des zweiten Ehemannes ist nur deshalb eine Rechtspflicht des Staates, weil die Witwe durch ihre Wiederverheiratung das Recht auf Versorgung wegen des Todes ihres früheren Ernährers verloren hat. Auf die persönlichen Verhältnisse des zweiten Ehemannes und auf die Ursachen seines Todes kommt es nicht an. Der Versorgungsgrund für die Gewährung einer Witwenbeihilfe ist also nicht der Tod des zweiten Ehemannes, sondern die Schädigung, an deren Folgen der erste Ehemann gestorben ist.
Das Bundesversorgungsgesetz regelt die Versorgung aller Personen, die durch militärischen oder militärähnlichen Dienst eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, und die Versorgung ihrer Hinterbliebenen. Hierbei kommt es anders als bei früheren Versorgungsgesetzen (§ 92 Abs. 2 RVG a. F. = § 101 Abs. 2 RVG in der Fassung vom 1. April 1939, § 1 Altrentnergesetz, §§ 1, 2 Wehrmachtsversorgungsgesetz, §§ 197 bis 200 WFVG), grundsätzlich nicht mehr auf den Zeitpunkt der Schädigung an. Das BVG enthält in § 1 keine Vorschrift, wonach der militärische oder militärähnliche Dienst nach oder vor einem bestimmten Termin beendet sein muß, damit das Gesetz Anwendung finden kann. Auch die gesetzliche Erläuterung des Begriffs "militärischer Dienst" in § 2 Abs. 1 BVG enthält keine Zeitbestimmung hinsichtlich des geleisteten Dienstes. Dieser Grundsatz wird dadurch nicht berührt, daß durch gesetzliche Fristen (§§ 56, 57 Abs. 2, 58 Abs. 2, 59 Abs. 2, 62 Abs. 4, 86 Abs. 2 BVG) der Geltendmachung von Ansprüchen aus Anlaß einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung bestimmte Grenzen gezogen sind. Deshalb müssen in den Kreis der nach § 44 Satz 4 BVG versorgungsberechtigten Witwen grundsätzlich auch solche Witwen einbezogen werden, deren erster Ehemann schon vor dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (1. Oktober 1950), z. B. im ersten Weltkrieg, gefallen oder an einer Dienstbeschädigung gestorben ist.
Für die Auslegung des materiellen Rechts gilt im allgemeinen der Grundsatz, daß die Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Entstehung eines Anspruchs knüpft, während der zeitlichen Geltungsdauer des Gesetzes verwirklicht sein müssen (vgl. Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 14. Auflage, § 62 S. 222 ff; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Auflage, § 6 S. 23; Art. 60 EG zur RVO).
Nach dem eindeutigen, aus den §§ 1, 84, 85 BVG erkennbaren Zweck der neuen bundeseinheitlichen Kriegsopferversorgung können jedoch die "Schädigung" im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes und ihre Folgen, Gesundheitsstörung oder Tod des Beschädigten, schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sein. Diese Ausnahme war notwendig, weil das Bundesversorgungsgesetz die älteren Versorgungsgesetze aufhebt (§ 84), also nicht etwa die Versorgung nach früherem Recht fortführt, sondern neue Tatbestände aufstellt (§§ 1 bis 5), welche die alleinige Grundlage für die Versorgung vom Inkrafttreten des Gesetzes an sind. Deshalb ist ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG grundsätzlich auch dann begründet, wenn der Beschädigte vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (1. Oktober 1950) gestorben ist. Dasselbe gilt nach richtiger Auffassung (Bayer. LV Amt vom 23.10.1951, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1952, Teil B S. 82 = Breith. 1952 S. 709, im Gegensatz zur grundsätzlichen Entscheidung des Bayer. LSGer. Nr. 101, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1953, Teil B S. 169 = Breith. 1954 S. 88 und RVGer. Bd. 7 S. 225 zu § 36 Abs. 1 Satz 2 RVG) beim Tode des Beschädigten an einem anerkannten Versorgungsleiden (§ 38 Abs. 1 Satz 2 BVG) und für den Anspruch auf Witwenbeihilfe beim Tode des Empfängers der Rente eines Erwerbsunfähigen oder einer Pflegezulage (§ 48 Abs. 1 BVG). Auch für den Anspruch der rentenberechtigten Witwe auf Heiratsabfindung (§ 44 Satz 1 BVG) kommt es nicht darauf an, wann ihr Ehemann gestorben ist.
Zum Unterschied von dem eigentlichen Versorgungsgrund (Gesundheitsstörung oder Tod infolge einer Schädigung) müssen dagegen andere Ereignisse, die einen Anspruch auf eine Versorgungsleistung nach dem Bundesversorgungsgesetz auslösen, im allgemeinen unter der zeitlichen Herrschaft dieses Gesetzes eingetreten sein, z. B. die Wiederverheiratung der rentenberechtigten Witwe als Voraussetzung für den Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 Satz 1 BVG. Hat sich die Witwe vor dem 1. Oktober 1950 wiederverheiratet, so kann sie eine Abfindung nur nach den damals geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften erhalten (vgl. RVGer. Bd. 2 S. 274 zu § 39 Abs. 1 RVG; Urteil des BSGer . vom 24.8.55 - 9 RV 184/55).
Ebenso verhält es sich mit dem Tode des zweiten Ehemannes als Anspruchsvoraussetzung für die Witwenbeihilfe nach § 44 Satz 4 BVG. Ist der zweite Ehemann vor dem 1. Oktober 1950 gestorben, so konnte die Witwe eine Witwenbeihilfe nur nach früherem Versorgungsrecht erhalten. Einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe gab es vorher nicht. Erst das BVG hat einen neuen Anspruch auf Witwenbeihilfe geschaffen. Daher steht ein solcher Rechtsanspruch nur denjenigen Witwen zu, deren zweiter Ehemann frühestens am 1. Oktober 1950 gestorben ist. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes beabsichtigt, so hätte er ausdrücklich vorschreiben müssen, daß Satz 4 auch dann gilt, wenn der Ehemann, mit dem sich die Witwe wiederverheiratet hatte, vor dem 1. Oktober 1950 gestorben ist. Da dies nicht geschehen ist, hat eine Witwe, die sich wiederverheiratet hat, die damals Anspruch auf Witwenrente nach versorgungsrechtlichen Vorschriften hatte und die dann wieder Witwe geworden ist, nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes keinen Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 44 Satz 4 BVG, wenn dieser Ehemann schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (1. Oktober 1950) gestorben ist.
Das hier aus dem Zusammenhang der Einzelvorschriften des Bundesversorgungsgesetzes gefundene Auslegungsergebnis steht nicht im Widerspruch zu der Absicht des Gesetzgebers, soweit sie aus den Materialien erkennbar ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die für § 44 im Entwurf vorgesehene Kann-Vorschrift durch die Beschlußfassung des 26. Ausschusses des Bundestages zu § 48 des Gesetzes (§ 47 des Entwurfs) in eine Muß-Vorschrift umgewandelt worden ist, ohne daß die Rückwirkung jenes Beschlusses auf § 44 erörtert wurde. Dies erklärt sich daraus, daß in § 44 hinsichtlich der Art und Höhe der Beihilfe auf § 48 verwiesen wird und daß die bereits abgeschlossenen Verhandlungen zu § 44 bei der Beratung des § 48 nicht mehr aufgenommen wurden. Die Erörterungen über § 48 bezogen sich nur auf die Anspruchsvoraussetzungen für Witwenbeihilfe beim Tode eines Empfängers der Rente eines Erwerbsunfähigen oder einer Pflegezulage und auf die Normierung der Rechtsfolgen dieses Tatbestandes.
Die Regelung, daß die neue Vorschrift des § 44 BVG nicht auch die Fälle umfaßt, in denen der zweite Ehemann vor dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes gestorben ist, und daß den auf älteren Vorschriften beruhenden Kann-Leistungen durch § 84 BVG die Rechtsgrundlage entzogen wurde, ist unbefriedigend. Allerdings ist in Nr. 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 48 vorgesehen, daß Witwen, die sich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes wiederverheiratet haben und deren Ehe durch den Tod des zweiten Ehemannes innerhalb von zehn Jahren gelöst worden ist, im Falle des Bedürfnisses eine Beihilfe im Wege des Härteausgleichs (§ 89) erhalten können. Dadurch wird der Kreis derjenigen Witwen, die einmal rentenberechtigt waren, in mehrere Gruppen aufgeteilt, die nach dem Tode des zweiten Ehemannes rechtlich verschieden behandelt werden. Diese Ungleichheit zu beseitigen, ist eine Aufgabe der Gesetzgebung, nicht der Rechtsprechung.
Nach der Auffassung des Senats kommt es nicht entscheidend darauf an, daß, worauf die Revision Gewicht legt, das Zeitwort "sterben" im ersten Halbsatz des § 44 Satz 4 BVG in der Gegenwartsform steht. Mag auch diese sprachliche Fassung allein den Revisionsangriff nicht rechtfertigen, so muß dennoch gegenüber der Begründung des angefochtenen Urteils betont werden, daß es sprachlich richtig war, eine Bedingung, die unter der zeitlichen Herrschaft des Gesetzes eintreten muß, in die Gegenwartsform zu setzen, die auch die Zukunft einschließt. So ist es auch in § 36 Abs. 5 und 6, § 37 Abs. 1 geschehen ("Stirbt ein Beschädigter - Rentenempfänger ...") im Gegensatz zu § 1 Abs. 5, § 38 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1, § 49 Abs. 1 BVG ("Ist der (ein) Beschädigte(r) ... gestorben"). Die Gegenwartsform im Satz 2 des § 38 Abs. 1 ("wenn ein Beschädigter ... stirbt") durchbricht nicht die sprachliche Systematik des Gesetzes, obwohl diese Vorschrift, wie oben ausgeführt, auch für Todesfälle vor dem 1. Oktober 1950 gilt. Denn es handelt sich hier um die Anordnung einer gesetzlichen Vermutung, die aufs engste zu dem vorausgehenden Satz 1 gehört und die auf die Ursächlichkeit des Gestorbenseins, von dem dort die Rede ist, sich bezieht.
Obwohl aus dem Zeitpunkt des Todes des zweiten Ehemannes folgt, daß das Urteil des LSGer. auf einer unrichtigen Anwendung des § 44 BVG beruht und die Revision allein schon deshalb begründet ist, soll nicht unerwähnt bleiben, daß im übrigen der Auslegung des § 44 durch den Revisionskläger nicht zuzustimmen ist. Der Senat kann der Revisionsbegründung darin nicht folgen, daß § 44 Satz 4 BVG auch nur dann anwendbar sei, wenn die Witwe nach dem Inkrafttreten des BVG wieder geheiratet und eine Heiratsabfindung nach Satz 1 erhalten habe. Im Satz 4 bezeichnet die "Wiederverheiratung" - anders als im Satz 1 - nicht ein anspruchbegründendes Ereignis, sondern einen Zustand in der Person der zum Zweitenmal Witwe gewordenen Frau und die Eigenschaft des "Ehemannes" als zweiten Ehemannes. Fiele nur die Wiederverheiratung - nicht auch der Tod des Ehemannes - in die Zeit vor dem 1. Oktober 1950, so wäre dies kein Hindernis dafür, daß ein Anspruch nach Satz 4 entstehen konnte (and. Ans. Schönleiter, Kommentar zum BVG, Erläuterung 2 zu § 44 und Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des BVersorgRechts , Erläuterungen zu § 44 BVG, 13. Erg.Lief.). Diese Rechtsauffassung steht im Einklang mit der Verwaltungsübung der älteren Zeit, nachdem durch die 1. Novelle zum Reichsversorgungsgesetz (s.oben) die Witwenbeihilfe als Versorgung nach dem Tode des zweiten Ehemannes zum ersten Male in das Versorgungsrecht eingeführt worden war. Die ergänzenden Vollzugsvorschriften zu diesem, am 1. Januar 1923 in Kraft getretenen Änderungsgesetz (RVBl. 1923 S. 462 Nr. 986) haben zu § 39 RVG n. F. ausdrücklich bestimmt, daß die Witwenbeihilfe auch dann gewährt werden kann, wenn die Wiederverheiratung vor dem 1. Januar 1923 stattgefunden hat. Der Zeitpunkt der Wiederverheiratung hat für den Anspruch auf Witwenbeihilfe nur mittelbar Bedeutung, nämlich insofern, als die Frage, ob die Witwe in diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Witwenrente nach versorgungsrechtlichen Vorschriften hatte, nach dem damaligen Recht zu beurteilen ist. Der Anspruch auf Witwenbeihilfe setzt nicht voraus, daß die Witwe eine Heiratsabfindung erhalten hat. Weder gibt der Wortlaut des Gesetzes einen Hinweis für ein solches Erfordernis, noch ist ein einleuchtender Grund ersichtlich, aus dem die Versorgung der Witwe für die Zukunft davon abhängig sein soll, daß sie von einem früheren Recht, für einen Anspruch auf Witwenrente mit einer einmaligen Zahlung sich abfinden zu lassen, Gebrauch gemacht hat.
Im übrigen könnte das angefochtene Urteil selbst dann nicht aufrecht erhalten werden, wenn der Anspruch auf Witwenbeihilfe dem Grunde nach gerechtfertigt wäre. Denn er bestünde nicht in der Höhe, in der er der Klägerin vom Sozialgericht zugesprochen wurde Der zweite Halbsatz von Satz 4 in § 44 BVG schreibt die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften über die Witwenbeihilfe (§ 48) vor. Die unmittelbare Anwendbarkeit bezieht sich nur auf diejenigen Rechtsfolgen, welche eintreten, wenn die im ersten Halbsatz normierten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Die Revision folgert daher zu Unrecht aus Satz 4, der erste Ehemann der Witwe müßte Empfänger der Rente eines Erwerbsunfähigen oder einer Pflegezulage gewesen sein. In den Fällen des § 44 Satz 4 und des § 48 Abs. 1 sind zwar die Anspruchsvoraussetzungen jeweils verschieden, die Rechtsfolgen aber annähernd gleich. Hinsichtlich der Person des ersten Ehemannes ist es allerdings erforderlich, daß sein Tod die Folge einer Schädigung gewesen ist, nicht aber, daß er zu Lebzeiten Empfänger der Rente eines Erwerbsunfähigen oder einer Pflegezulage war.
Da nach dem zweiten Halbsatz des Satzes 4 in § 44 hinsichtlich der Rechtsfolgen, d. h. der Bemessung der Versorgungsleistungen, die Vorschriften über die Witwenbeihilfe (§ 48) entsprechend gelten, darf die Witwenbeihilfe zwei Drittel der Rente (§§ 40, 41) nicht übersteigen. Für eine Erhöhung der Witwenbeihilfe auf den vollen Betrag der Rente wie beim Tod eines Pflegezulageempfängers nach § 48 Abs. 1 ist im Falle des § 44 Satz 4 überhaupt kein Raum, da es auf die persönlichen Verhältnisse des zweiten Ehemannes und die Ursache seines Todes nicht ankommt.
Die weitere Rüge der Revision, das LSGer. habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, brauchte nicht mehr geprüft zu werden. Die Feststellung der Vorinstanzen, daß die Klägerin in erster Ehe mit ... verheiratet war und daß dieser im Jahre 1914 als Soldat gefallen ist, rechtfertigt nicht den mit der Klage geltend gemachten Anspruch.
Da das angefochtene Urteil des LSGer. und das Urteil des SGer ., soweit es der Klage stattgab, auf einer unrichtigen Anwendung des § 44 Satz 4 BVG beruhen, waren sie insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen