Leitsatz (amtlich)
Die Arbeitslosmeldung in AVAVG 1927 § 141a Abs 2 ist grundsätzlich die gleiche wie in AVAVG 1927 § 141a Abs 1 Nr 4, nämlich diejenige, die die Unterstützung in Lauf gesetzt hat. Ausnahmsweise kann auf eine frühere Meldung ohne Unterstützungsantrag dann zurückgegriffen werden, wenn in der Zwischenzeit Arbeitslosigkeit fortbestanden hat und die neue Meldung nur eine Wiederholung der alten darstellt.
Normenkette
AVAVG § 141a Abs. 2 Fassung: 1956-04-16; AVAVG 1927 § 141a Abs. 2 Fassung: 1956-04-16; AVAVG § 141a Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1956-04-16, § 145 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. November 195 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin war bis Februar 1945 in ihrer Heimat Stettin als Verkäuferin und Stenotypistin tätig. Sie ist Vertriebene und wohnte nach ihrer Flucht in Kleve, Kreis Norderdithmarschen. Am 26. November 1949 meldete sie sich arbeitslos und stellte am 28. November Antrag auf Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu). Vom 29. November 1949 an bezog sie Alfu bzw. später Arbeitslosenhilfe (Alhi). Seitdem hat sie nur gelegentlich bei Erntearbeiten geholfen, und zwar im Höchstfalle bis zu einer Beschäftigungsdauer von sieben Wochen. Mit Bescheid vom 17. September 1956 wurde ihr der Anspruch auf Alhi mit Wirkung vom 30. September 1956 entzogen, weil sie innerhalb des letzten Jahres vor der letzten Arbeitslosmeldung nicht mindestens zehn Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden habe und daher die Voraussetzungen für eine Weiterbewilligung nach § 141 a Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF nicht erfülle. In ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe sich bereits im Jahre 1946 arbeitslos gemeldet, aber wegen der ungünstigen Lage ihres Wohnortes ohne ihr Verschulden keine Beschäftigung finden können. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 16. Oktober 1956 zurückgewiesen. Die Vergünstigung des § 141 a Abs. 2 sei nicht anwendbar; maßgebend für die darin vorgesehene Zweijahresfrist sei die Arbeitslosmeldung von 1949, die den Unterstützungsantrag in Lauf gesetzt habe, nicht aber eine etwaige vom Jahre 1946.
Das Sozialgericht (SG) Schleswig wies mit Urteil vom 22. Januar 1957 die Klage ab.
Das Landessozialgericht (LSG) - in der Besetzung mit einem Landessozialgerichtsrat als Vorsitzendem, einem Amtsgerichtsrat und einem Sozialgerichtsrat als weiteren Berufsrichtern und zwei Landessozialrichtern - hob mit Urteil vom 1. November 1957 das erstinstanzliche Urteil sowie die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin über die Gewährung der Alhi für die Zeit nach dem 30. September 1956 einen neuen Bescheid zu erteilen. Es führte zur Begründung aus, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für den Bezug von Alhi über den 30. September 1956 hinaus. Nach § 141 a Abs. 2 AVAVG aF gelte bei Vertriebenen die "kleine Anwartschaft" als erfüllt, wenn sie innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Arbeitslosmeldung im Geltungsbereich des Gesetzes Aufenthalt genommen haben und ohne ihr Verschulden eine Anwartschaft nicht erfüllen konnten. Die hier in Frage kommende Arbeitslosmeldung sei die vom Frühjahr 1946 gewesen. Zwar sei bei einer wirksamen Arbeitslosmeldung im Sinne dieser Vorschrift erforderlich, daß sie in Zusammenhang mit einem Unterstützungsantrag stehe, dies sei aber bei der Klägerin der Fall; denn der von der Klägerin am 28. November 1949 gestellte Unterstützungsantrag stehe noch in Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung vom Frühjahr 1946. Seit dieser Zeit sei die Klägerin unverändert arbeitslos geblieben und habe sich nicht von dem Wunsche entfernt, wieder Arbeit zu erhalten. Sie habe jede Gelegenheit benutzt, um tätig zu sein, und teilweise auch Beschäftigungen von nicht unwesentlicher Dauer (bis zu sieben Wochen) ausgeübt. Sie sei also, auch wenn sie sich nicht der Meldekontrolle unterzogen habe, arbeitslos geblieben. Daher sei die Arbeitslosmeldung der Klägerin vom 26. November 1949 weder als erste noch als neue Arbeitslosmeldung zu werten; sie stelle lediglich eine Dokumentation des bereits jahrelang bestehenden Zustandes der Arbeitslosigkeit dar. Die Klägerin habe auch ohne ihr Verschulden die "kleine Anwartschaft" nicht erfüllen können. Somit lägen alle Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi über den 30. September 1956 hinaus vor. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 6. März 1958 zugestellte Urteil am 2. April 1958 Revision ein und begründete sie am 2. Mai 1958. Sie trägt vor, aus dem Zusammenhang zwischen § 141 a Abs. 2 AVAVG und Abs. 1 Nr. 4 ergebe sich, daß die Zweijahresfrist von der letzten Arbeitslosmeldung, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht, zurückgerechnet werden muß. Eine frühere Arbeitslosmeldung verliere ihre Wirksamkeit, wenn die dem Arbeitsamt mitgeteilte Tatsache, nämlich daß der sich Meldende arbeitslos sei und den Willen habe, eine Arbeitnehmertätigkeit aufzunehmen, nicht mehr fortbestehe. Nach Beendigung einer Zwischenbeschäftigung, während der der Arbeitslose nicht mehr arbeitslosegewesen sei, müsse erneut eine Arbeitslosmeldung erfolgen. Diese sei dann jeweils die letzte Arbeitslosmeldung.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischer LSG vom 1. November 1957 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Schleswig vom 22. Januar 1957 zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Schleswig zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch Zulassung statthafte (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.
Was zunächst die formale Seite betrifft, so haben an der mündlichen Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist, als Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ein Amtsgerichtsrat und ein Sozialgerichtsrat mitgewirkt. Der Senat ist damit nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat des LSG nicht zulässig ist (BSG 9, 11; 11, 22). Die Beklagte hat diesen Verfahrensmangel jedoch nicht gerügt. Das Bundessozialgericht (BSG) kann ihn nicht von Amts wegen berücksichtigen (BSG Urteile vom 28. Juli 1961 - 8 RV 145/59 - und 25. August 1961 - 2 RU 259/58 -). Nach diesen Urteilen, denen sich der Senat anschließt, ist auch bei einer zugelassenen Revision die Frage der Besetzung nur zu prüfen, wenn hierzu ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt ist. Die fehlerhafte Besetzung des LSG steht daher einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.
Materiell konnte der Revision der Erfolg nicht versagt werden, weil der vom LSG festgestellte Sachverhalt nicht zu der Entscheidung ausreicht, ob der Klägerin ein Anspruch auf Alhi über den 30. September 1956 hinaus zusteht. Auf den Fall findet das AVAVG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 16. April 1956 (BGBl I 243), in Kraft seit dem 1. April 1956 (Art. III § 5 des Gesetzes), Anwendung (vgl. Art. II § 1 Nr. 2). Danach hat Anspruch auf Alhi u.a., wer - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - innerhalb eines Jahres vor der letzten Arbeitslosmeldung, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht, entweder Arbeitslosenunterstützung (Alu) bezogen oder mindestens zehn Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat (§ 141 a Abs. 1 Nr. 4 a und b AVAVG). Diese Voraussetzung gilt bei Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen im Sinne der §§ 1 bis 3 des Bundesvertriebenengesetzes als erfüllt, wenn sie innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Arbeitsmeldung im Geltungsbereich des Gesetzes Aufenthalt genommen haben ... und ohne ihr Verschulden die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 4 nicht erfüllen konnten (§ 141 a Abs. 2 AVAVG). Die Klägerin hat innerhalb der Jahresfrist des Abs. 1 Nr. 4 weder Alu bezogen noch mindestens zehn Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden. Sie kann daher die Alhi nur unter den Voraussetzungen des § 141 a Abs. 2 erhalten, müßte also innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Arbeitslosmeldung in den Westen gekommen sein. Für den Rechtsstreit ist die Frage entscheidend, welche Arbeitslosmeldung für die Berechnung des Zweijahreszeitraumes maßgebend ist, die von 1946 - daß sie erfolgt ist, hat das LSG bindend festgestellt - oder die von 1949. Der Senat ist grundsätzlich der Auffassung, daß es sich im Abs. 2 ebenso wie im Abs. 1 Nr. 4 um die letzte Arbeitslosmeldung handelt, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht. Zwar ist in Abs. 2 die Arbeitslosmeldung nicht näher bezeichnet, wie dies in Abs. 1 N. 4 der Fall ist, in dem zusätzlich die Worte "vor der letzten Arbeitslosmeldung, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht" enthalten sind. Aber gerade aus diesem Fehlen einer näheren Bezeichnung in Verbindung mit dem Zusammenhang, der zwischen beiden Absätzen besteht, ergibt sich, daß es sich bei "der Arbeitslosmeldung" des Abs. 2 ebenfalls um die letzte Arbeitslosmeldung handeln muß, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht. Abs. 2 des § 141 a enthält nur einen Ersatztatbestand für die in Abs. 1 Nr. 4 geforderte Leistungsvoraussetzung des Alubezuges bzw. der zehnwöchigen Beschäftigung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vor dieser Arbeitslosmeldung. Hätte der Gesetzgeber bei der Regelung des Ersatztatbestandes eine andere Arbeitslosmeldung gemeint als die in dem dadurch ersetzten Tatbestand, dann hätte er dies ausdrücklich bestimmen müssen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigen keine andere Auslegung. Es sollte zugunsten der Vertriebenen eine Ausnahmevorschrift geschaffen werden, und zwar insoweit, als sie für eine gewisse Zeit nach ihrer Übersiedlung Alubezug oder Beschäftigung noch nicht nachzuweisen brauchten. Denn der Gesetzgeber ging davon aus, daß die in Abs. 2 genannten Personen in vielen Fällen nicht in der Lage sein würden, eine Beschäftigung, wie sie Abs. 1 Nr. 4 b fordert, in angemessener Zeit zu finden. Darum wird ihnen für eine gewisse Zeit vor der Arbeitslosmeldung, nämlich für zwei Jahre, durch Abs. 2 eine Vergünstigung gewährt. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn diese Personen erst innerhalb der zwei Jahre vor der Arbeitslosmeldung, die eine Unterstützung auslöst, herübergekommen sind. Befinden sie sich schon länger hier, so entfällt der Anlaß zu der Vergünstigung. Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Während nach dem Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 1274, § 141 b) die Voraussetzungen des § 141 a Abs. 1 Nr. 4 für alle Vertriebenen als erfüllt gelten sollten, ohne daß eine Einschränkung durch die weitere Voraussetzung der Aufenthaltnahme im Bundesgebiet innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Arbeitslosmeldung vorgesehen war, hat der Ausschuß für Arbeit in seinem ersten schriftlichen Bericht (vgl. BT-Drucks. 2101) diese weitere Voraussetzung vorgeschlagen, weil nur so die Besserstellung gegenüber der einheimischen Bevölkerung gerechtfertigt sei. Daher ist grundsätzlich die Arbeitslosmeldung im Sinne des Abs. 2 die gleiche wie die in Abs. 1, nämlich diejenige, die den Unterstützungsantrag ausgelöst hat.
Dieses Ergebnis schließt jedoch die Möglichkeit nicht aus, ausnahmsweise auch auf eine nicht mit dem Unterstützungsantrag verbundene frühere Meldung zurückzugreifen. Dies muß dann als zulässig gelten, wenn in der Zwischenzeit Arbeitslosigkeit laufend fortbestanden hat und die neue Meldung nur eine Wiederholung der alten darstellt. Es wird dabei nicht immer zu verlangen sein, daß der Fortbestand der Arbeitslosigkeit dem Arbeitsamt erkennbar war; es genügt, wenn der Arbeitslose auf Grund des Verhaltens des Arbeitsamtes überzeugt sein durfte, das Arbeitsamt sehe ihn auch weiter als arbeitslos an und er brauche in der Folgezeit nichts zu veranlassen. Dann wurde die Wirkung der Arbeitslosmeldung weiterbestehen, nämlich die Anzeige über Eintritt oder Bestehen von Arbeitslosigkeit und die Bekundung der Bereitschaft, eine Arbeitnehmertätigkeit aufzunehmen. Von Bedeutung wäre demgemäß im vorliegenden Falle vor allem, was der Klägerin bei ihrer Meldung vom Arbeitsamt im Jahre 1946 erklärt wurde und warum sie damals keinen Antrag auf Unterstützung gestellt bzw. warum das Arbeitsamt sie nicht dazu veranlaßt hat. Desweiteren müßte geklärt werden, ob die Klägerin in der Zwischenzeit - wenn auch nur vorübergehend - eine Arbeit aufgenommen hat, durch welche die alte Arbeitslosmeldung gegenstandslos geworden ist, oder ob sie auf Grund ihrer Belehrung durch das Arbeitsamt annehmen konnte, sie brauche bei kurzen Beschäftigungen die Arbeitslosmeldung nicht zu wiederholen. War wirklich die Klägerin seit 1946 ununterbrochen arbeitslos oder konnte sie auf Grund ihrer ersten Meldung annehmen, das Arbeitsamt sehe sie trotz Nichtgewährung von Unterstützung auch für die Folgezeit als arbeitslos an, so stellt die Meldung von 1949 nur eine Wiederholung derjenigen von 1946 dar; die Voraussetzungen der Alhi nach § 141 a Abs. 2 AVAVG aF wären dann insoweit erfüllt.
Da tatsächliche Feststellungen fehlen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Für seine neue Entscheidung sei das LSG darauf hingewiesen, daß es für den Fall einer Zubilligung von Alhi über den 30. September 1956 hinaus genügt, den Entziehungsbescheid aufzuheben. Für eine Klage auf Weiterzahlung der Alhi fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil mit der Aufhebung des Entziehungsbescheides der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wieder in Kraft tritt (vgl. Urteile des Senats vom 21. April 1961 - 7 RAr 39/59 und 7 RAr 37/60).
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen