Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch für Kinder, deren Schul- oder Berufsausbildung durch Krankheit über das 27. Lebensjahr hinaus verzögert wird

 

Leitsatz (amtlich)

Verzögert sich der Abschluß der Schul- und Berufsausbildung wegen einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus, so tritt aus diesem Grunde eine Verlängerung des Kindergeldbezuges nicht ein.

 

Leitsatz (redaktionell)

BKGG § 2 Abs 3 S 2 enthält eine erschöpfende Aufzählung der Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen ein Kind noch über das 27. Lebensjahr hinaus beim Kindergeld berücksichtigt wird.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1964-04-14

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 03.12.1976; Aktenzeichen V KGBf 3/76)

SG Hamburg (Entscheidung vom 14.05.1976; Aktenzeichen 5 KG 26/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Dezember 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im November 1974 beantragte der Kläger, ihm für seinen am 10. Mai 1947 geborenen Sohn U S (U.) Kindergeld zu gewähren, weil dieser sein Medizinstudium wegen mehrerer Hüftgelenksoperationen zweimal habe unterbrechen müssen. Durch Bescheid vom 13. Januar 1975 lehnte die Kindergeldkasse beim Arbeitsamt H den Antrag mit der Begründung ab, U. habe bereits im Mai 1974 das 27. Lebensjahr vollendet. Mit dem Widerspruch verwies der Kläger nochmals auf seine Unterlagen über die operationsbedingten Behinderungen des U. am Weiterstudium sowie darauf, daß ihm das Finanzamt seinen Sohn U. auch für 1975 als Kind in die Lohnsteuerkarte eingetragen habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. März 1975; Urteil des Sozialgerichts - SG - Hamburg vom 14. Mai 1976).

Die Berufung des Klägers, mit der er geltend machte, nachgewiesene lange Krankheitszeiten mit klar belegbaren Studiumsunterbrechungen dürften nicht schlechter behandelt werden als zB eine freiwillig vorgenommene Wohnsitzverlegung, hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 3. Dezember 1976 zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen und ausgeführt, ein Anspruch auf Kindergeld nach Vollendung des 27. Lebensjahres ergebe sich für den Kläger weder unmittelbar aus § 2 Abs 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), noch folge er aus dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) oder aus dem Gebot gleicher rechtlicher Behandlung sachlich vergleichbarer Tatbestände (Art 3 GG). Aus den Materialien des Gesetzes zur Reform der Einkommenssteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung vom 5. August 1974 ergebe sich nämlich im Zusammenhang mit dem 7. Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften, dem dienstrechtlichen Teil des Familienlastenausgleichs vom 20. Dezember 1974, daß der Gesetzgeber nicht mehr an der bis zu dieser Zeit in § 18 Abs 4 Satz 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) idF vom 5. August 1971 enthaltenen generellen Bestimmung festhalten wollte, die die Weitergewährung des Kinderzuschlages über das 27. Lebensjahr hinaus vorsah, wenn sich die Schul- oder Berufsausbildung aus einem Grunde verzögert hatte, der nicht in der Person des Beamten oder des Kindes lag. Diese Bestimmung sei durch die Verweisung auf die §§ 2 und 3 BKGG ersetzt worden. Berücksichtigte man, daß in den Fällen des § 2 Abs 3 Nr 4 BKGG zumindest eine Mitverantwortung staatlicher Stellen an der Ausbildungsverzögerung gegeben sei, während dies von einer krankheitsbedingten Verzögerung nicht gesagt werden könne, so stelle sich die Regelung des § 2 Abs 3 Nr 4 BKGG, die sicherlich auch von haushaltsmäßigen Gesichtspunkten erheblich beeinflußt worden sei, jedenfalls nicht als eine den Gleichheitsgrundsatz verletzende sachwidrige Differenzierung dar.

Der Kläger hat gegen das ihm am 4. Januar 1977 zugestellte Urteil am 1. Februar 1977 Revision eingelegt und diese am 4. Februar 1977 begründet. Er rügt eine Verletzung des § 2 Abs 3 iVm § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG. Die in § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG angeführten Gründe einer Fortzahlung des Kindergeldes über das 27. Lebensjahr hinaus könnten nicht als abschließende, ausschließliche Regelung angesehen werden; es handele sich hier vielmehr um eine beispielhafte Aufzählung, die nur Maßstabscharakter besitze. Aus § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG sei die Absicht des Gesetzgebers erkennbar, jede unverschuldete Verzögerung der Ausbildung durch Fortzahlung des Kindergeldes über das 27. Lebensjahr hinaus zu berücksichtigen, weil er nicht alle möglichen Fälle weiterer Verlängerungsgründe vollständig und lückenlos habe aufzählen können. Zu dieser Auslegung müsse man gelangen, weil es unverständlich wäre, zwar die Verzögerung der Berufsausbildung durch einen nach privatem Ermessen vorgenommenen - wenn auch beruflich motivierten - Wohnortwechsel zu berücksichtigen, dies aber bei einer unverschuldeten und unabdingbar durch Krankheit verursachten Ausbildungsverzögerung nicht zu tun. Habe der Gesetzgeber eine derart unterschiedliche Behandlung gewollt, dann müsse ihm der Vorwurf gemacht werden, die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit willkürlich verletzt und somit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen zu haben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Januar 1975 idF des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1975 und der Urteile des SG Hamburg vom 14. Mai 1976 und des LSG Hamburg vom 3. Dezember 1976 zu verurteilen, ihm für seinen Sohn U. für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis zum 31. März 1976 Kindergeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Mit dem Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig (§§ 160 Abs 1, 164, 166 SGG); sie erweist sich jedoch sachlich als nicht begründet.

Streitig ist unter den Beteiligten die Frage, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis zum 31. März 1976 der Anspruch auf Kindergeld für den in diesem Zeitraum bereits 27 Jahre alten U. deshalb zusteht, weil sich dessen Medizinstudium durch mehrere Hüftgelenksoperationen über das 27. Lebensjahr hinaus verzögert hatte. Der Senat hat dies übereinstimmend mit den Vorinstanzen verneint.

Maßgebend für den streitigen Anspruch ist § 2 Abs 3 BKGG idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1975 (BGBl I 412). Unstreitig trifft keiner der hier aufgeführten Tatbestände, die im Falle der Schul- bzw Berufsausbildung eine Gewährung des Kindergeldes über das 27. Lebensjahr hinaus erlauben, auf den vorliegenden Fall zu. Der Auffassung des Klägers, daß es sich in diesem Katalog nicht um die abschließende Aufzählung von Ausnahmetatbeständen, sondern um eine mit Maßstabscharakter ausgestattete beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Fälle handele, vermag der Senat nicht zu folgen.

§ 2 Abs 3 BKGG stellt in seinem Satz 1 den Grundsatz auf, daß in den Fällen des Abs 2 Nr 1, 2, 4 und 5 die Kinder nur so lange berücksichtigt werden, als sie noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben. Der für alle Kinder - mit Ausnahme der bei Vollendung des 27. Lebensjahres wegen Gebrechlichkeit unterhaltsunfähigen Kinder (§ 2 Abs 4 BKGG; vgl hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1977 - 8/12 RKg 7/77 -) mit der Vollendung des 27. Lebensjahres vom Gesetzgeber einheitlich festgelegte Endzeitpunkt des Anspruchs auf Kindergeld ist in Satz 2 nur für Fälle des Abs 2 Nr 1 - also nur ausnahmsweise in Fällen der Schul- oder Berufsausbildung - von den vier hier besonders aufgeführten Tatbeständen durchbrochen. Schon dieser Gesetzesaufbau erlaubt es nicht, die hier gegebenen Ausnahmetatbestände zu erweitern oder aus in ihnen gemeinsam enthaltenen Gesichtspunkten weitere Ausnahmetatbestände herzuleiten. Hätte der Gesetzgeber nämlich, wie die Revision meint, in § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG nur eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Verlängerungsfälle über das 27. Lebensjahr hinaus vorgenommen, weil es ihm unmöglich gewesen sei, alle Fälle unverschuldeter Ausbildungsverzögerung tatbestandlich zu umschreiben, so hätte sich gerade aus diesem Grunde nicht die Aufzählung, sondern die Generalklausel angeboten, zumal der Gesetzgeber eine solche auch für die ähnlichen Fallgruppen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in § 45 Abs 3 letzter Satz BVG verwendet hat. Hier ist nach Erwähnung der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung (durch den gesetzlichen Wehr- oder Zivildienst, einen auf den Grundwehrdienst anzurechnenden Wehrdienst des Soldaten auf Zeit, einen ebenfalls hierauf anzurechnenden Dienst in der Vollzugspolizei und einen vom Wehrdienst befreienden Entwicklungshilfedienst) die Generalklausel eingefügt worden, daß die Waisenrente entsprechend dem Zeitraum der nachgewiesenen Verzögerung länger gewährt wird, wenn sich die Schul- oder Berufsausbildung aus einem Grunde verzögert, den die Waise nicht zu vertreten hat. Bei dieser Gesetzesfassung kann auch die Erkrankung zwanglos zu den nicht zu vertretenden Gründen einer Ausbildungsverzögerung gerechnet werden (vgl hierzu auch die rechtsähnliche Vorschrift des § 33 b Abs 4 letzter Satz BVG und die Verwaltungsvorschrift Nr 16 Buchst d hierzu). Der Gesetzgeber hat aber nicht nur im Kindergeldrecht eine solche Generalklausel vermieden, sondern in Vervollständigung des Familienlastenausgleichs auf dem Gebiet des Dienstrechts durch das 7. Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften die bislang in § 18 Abs 4 Satz 1 BBesG enthaltene Generalklausel der Weitergewährung des Kinderzuschlags über das 27. Lebensjahr hinaus bei verzögerter Schul- oder Berufsausbildung aus einem nicht in der Person des Beamten oder des Kindes liegenden Grunde beseitigt und durch die nunmehr in § 27 Abs 1 BBesG enthaltene Verweisung auf die §§ 2 und 3 BKGG ersetzt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat. Dabei handelt es sich in § 2 Abs 3 Satz 2 BKGG um eine eng begrenzte Ausnahmeregelung, unter die der hier zu entscheidende Fall nicht einzuordnen ist.

Aber auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes erweist sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht als begründet. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die in § 2 Abs 3 Satz 2 Nrn 1 - 3 BKGG genannten Dienste nur deshalb als Verlängerungstatbestände des Kindergeldes über das 27. Lebensjahr hinaus aufgestellt worden sind, weil diese Dienste regelmäßig nicht zur Schul- oder Berufsausbildung gerechnet werden können und folglich während ihrer Ableistung Kindergeld nicht gezahlt werden kann. Diese Verlängerungstatbestände waren mithin erforderlich, um den vor dem 27. Lebensjahr eingetretenen Kindergeldausfall insoweit auszugleichen, als die Schul- oder Berufsausbildung durch einen der gesetzlich näher bezeichneten Dienste über das 27. Lebensjahr hinaus verzögert worden ist. Sie dienen im Prinzip also noch dem Grundsatz des § 2 Abs 3 Satz 1 BKGG, Kindergeld für die gesamte Dauer der Schul- und Berufsausbildung - begrenzt durch die Vollendung des 27. Lebensjahres - zu gewähren. Hiervon würde sich der vom Kläger in Anspruch genommene Tatbestand einer krankheitsbedingten Verlängerung des Kindergeldbezuges über das 27. Lebensjahr hinaus schon dadurch unterscheiden, daß dabei nicht ein vor Vollendung des 27. Lebensjahres vom Kindergeldbezug ausgenommener Zeitraum nachgeholt, sondern selbst einem bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres - auch während aller in die Ausbildung fallenden Krankheitszeiten - ununterbrochen andauerndem Kindergeldbezug noch der Zeitraum einer krankheitsbedingten Ausbildungsverzögerung hinzugerechnet würde. Eine solche Ausdehnung des Anspruchs auf Kindergeld über das 27. Lebensjahr hinaus wäre nicht mehr mit dem vom Kindergeldgesetz ersichtlich beabsichtigten Familienlastenausgleich vereinbar und würde dem Grundsatz der Gleichbehandlung - d.h. hier der gleichen Bezugsdauer - eher widersprechen.

Der Zweck des Kindergeldes besteht darin, denjenigen Personen, die anderen Personen, zu denen sie in einem gesetzlich näher umschriebenen familienrechtlichen Verhältnis stehen, kraft Gesetzes oder freiwillig Unterhalt gewähren, aus öffentlichen Mitteln einen gewissen Zuschuß zu diesem Unterhalt und damit eine finanzielle Entlastung in sehr begrenztem Umfang - weit unter der Hälfte des sozialkulturellen Unterhaltsbedarfs (vgl BT-Drucks 7/1470 S. 213) - zu gewähren. Ausgeglichen werden soll dabei die vermehrte wirtschaftliche Belastung bei der Gruppe von Personen, die Kinder heranzieht, erzieht und unterhält, im Verhältnis zu der Personengruppe, die keine Kinder unterhält und deshalb auch nicht die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen zu tragen hat (vgl Sozialgesetzbuch I § 6). Dran, daß das Aufziehen, Unterhalten und Ausbilden der Kinder durchaus unterschiedliche Belastungen verursachen kann, die sich einmal schon aus den unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten, zum anderen aber auch aus den Veranlagungen der Kinder in körperlicher, geistiger und gesundheitlicher Hinsicht ergeben, ist ein Zweifel nicht möglich. Auf einen Ausgleich dieser Unterschiede ist es dem Gesetzgeber jedoch offensichtlich nicht angekommen. Denn bei grundsätzlich gleicher Gewährungszeit und gleicher - wenn auch nach der Zahl der Kinder gestaffelter - Höhe des Kindergeldes findet ein Ausgleich zwischen Familien mit gleicher Kinderzahl in gleichem Alter nicht statt, auch nicht deshalb, weil etwa ein Kind wegen unzureichender Schulleistungen oder aus anderen in seiner Person liegenden Gründen eine längere Schul- oder Berufsausbildung benötigt.

Eine Ausnahme von diesem Prinzip stellen nur § 2 Abs 2 Nr 3 und Abs 4 BKGG dar. Hier läßt der Gesetzgeber eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung, die mit Unterhaltsunfähigkeit verbunden ist, genügen, um das Kindergeld über das 18. bzw über das 27. Lebensjahr hinaus zu gewähren. Damit ist - ähnlich wie im Falle des § 2 Abs 2 Nr 5 BKGG beim Haushaltführenden - ein von der Regel abweichender körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand Anknüpfungspunkt einer Verlängerung des Kindergeldes über das 18. bzw 27. Lebensjahr hinaus, sofern er zum Verlust der Unterhaltsfähigkeit führt. Unter Berücksichtigung des im § 1 des Schwerbehindertengesetzes vom 29. April 1974 (BGBl I 1005) definierten Begriffs des Schwerbehinderten ergibt sich daraus, daß die zur Unterhaltsunfähigkeit führende Erwerbsbehinderung, welche auf einer Abweichung vom körperlichen, geistigen oder seelischen Regelzustand beruht, also eine qualifizierte Form der Erkrankung, als Leistungsgrund zu berücksichtigen ist. Es muß sich dabei, wie dem § 1 des Schwerbehindertengesetzes zu entnehmen ist, um eine nicht nur vorübergehende Behinderung der Erwerbsfähigkeit handeln und diese Behinderung muß die Fähigkeit ausschließen, sich selbst zu unterhalten.

Im Gegensatz zur Auffassung der Revision kann mithin nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den Fall der Erkrankung im Kindergeldrecht nicht bedacht habe. Er hat die Erkrankung vielmehr bei der hier interessierenden Gruppe der in Schul- oder Berufsausbildung befindlichen Kinder zunächst insofern mit berücksichtigt, als die Schul- oder Berufsausbildung bei einer vorübergehenden Erkrankung nicht unterbrochen und deshalb das Kindergeld auch während der Zeiten solcher Erkrankungen gezahlt wird (vgl hierzu die ähnliche Regelungen beim Kinderzuschuß und bei der Waisenrente betreffenden Urteile des BSG vom 4. Mai 1965 - 11/1 RA 214/62 - SozR Nr 16 zu § 1267 RVO; Urteil vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 479/68 - BSGE 32, 120 = SozR Nr 42 zu § 1267 RVO und Urteil vom 27. Juni 1973 - 5 RKn 34/71 - SozR Nr 34 zu § 1262 RVO). Es gilt der Grundsatz, daß während der Schul- oder Berufsausbildung - bis zu ihren zeitlichen Höchstgrenzen - eine vorübergehende Erkrankung die Ausbildung und damit auch den Kindergeldbezug nicht unterbricht. Eine nicht nur vorübergehende körperliche, geistige oder seelische Erkrankung, die mit dem Verlust der Unterhaltsfähigkeit verbunden ist, bildet dagegen einen eigenen Kindergeldbezugstatbestand, der keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt, sofern er einen anderen Kindergeldbezugstatbestand ablöst oder sich zumindest unmittelbar an ihn angeschlossen hat. Es soll die aus der zeitlich nicht absehbaren Unterhaltsunfähigkeit folgende weitaus stärkere Belastung der Unterhaltspflichtigen über die sonst geltenden zeitlichen Grenzen hinaus durch die zeitlich nicht begrenzte Weitergewährung des Kindergeldes zum Teil ausgeglichen werden.

In dieses System der Berücksichtigung von Erkrankungen bei der Kindergeldgewährung paßt eine Verlängerung des Kindergeldbezuges über die gesetzlich vorgesehenen Altersgrenzen hinaus wegen einer in die Bezugszeit fallenden vorübergehenden Erkrankung, die zur Verzögerung des Ausbildungsabschlusses geführt hat, nicht. Denn es würde über den betragsmäßig und zeitlich pauschalierten Beitrag zu den Unterhalts- und Ausbildungskosten hinausgehen, wenn vorübergehende Erkrankungen, die nicht zur Unterbrechung des Kindergeldbezuges geführt haben, und auch an seinem zeitlichen Ende nicht eine Unterhaltsunfähigkeit für unabsehbare Zeit bewirken, im Einzelfall eine Verlängerung der Kindergeldbezugsdauer auslösen würden. Wegen der pauschalen Konzeption des Familienlastenausgleichs, insbesondere wegen der nach Ablauf der Kindergeldbezugszeit auftretenden Schwierigkeiten des Nachweises lange Jahre zurückliegender Krankheitszeiten und wegen des insoweit erforderlichen Verwaltungsaufwandes ist für Fälle vorübergehender Erkrankungen während der Regelbezugszeiten nach Ausschöpfung der vollen Kindergeldbezugszeit eine weitere Entlastung nicht vorgesehen. Mit dieser Abgrenzung hat der Gesetzgeber nach der Auffassung des Senats eine sachlich vertretbare Differenzierung vorgenommen, die weder dem Schutz der Familie noch dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit widerspricht und auch die durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gezogenen Grenzen nicht überschreitet (vgl hierzu BVerfGE 29, 51, 56; 31, 212, 218; 36, 230, 235).

Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, daß § 2 Abs 3 Nr 4 BKGG von dem oben dargestellten System des Familienlastenausgleichs insofern abweicht, als er - beschränkt auf die Fälle der Ausbildungsverzögerung durch Studienplatzmangel und Wohnsitzwechsel - die Möglichkeit einer Verlängerung des Kindergeldbezuges über die Höchstaltersgrenzen hinaus trotz vorangegangener durchgehender Kindergeldgewährung eröffnet. Die Bestimmung ist durch das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I 1769, 1864) in das BKGG eingefügt worden. Nach der Begründung hierzu (vgl BT-Drucks 7/2032 S. 8 zu Nr 2 Abs 3) sollte sie sich an die Ausnahmeregelung des damals noch geltenden § 18 Abs 4 BBesG anlehnen, welcher die Weitergewährung des Kinderzuschlages über das 27. Lebensjahr hinaus vorsah, wenn die Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung aus einem Grunde erfolgt war, der nicht in der Person des Beamten oder des Kindes lag. Die Anlehnung an diese Regelung hatte indes nicht ihre Übernahme zur Folge. Denn anstelle der eben erwähnten generellen Regelung hat der Gesetzgeber hier die speziellen Tatbestände des § 2 Abs 3 Nr 4 BKGG treten lassen; im übrigen ist auch die erwähnte Regelung des § 18 Abs 4 BBesG aF, wie oben bereits erwähnt, durch das Gesetz vom 20. Dezember 1974 aufgehoben und durch eine in § 27 Abs 1 BBesG enthaltene Verweisung auf die §§ 2 und 3 BKGG ersetzt worden (vgl nunmehr § 40 Abs 2 und 3 BBesG).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Privilegierung der in § 2 Abs 3 Nr 4 bezeichneten Tatbestände - gemessen am System des Kindergeldrechts - Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes begegnet. Denn selbst wenn das anzunehmen wäre, könnte daraus doch bei der exzeptionellen Ausgestaltung der Vorschrift nicht gefolgert werden, daß auch andere vom Kindergeldberechtigten bzw vom Kind nicht zu vertretende Ausbildungsverzögerungen eine Gewährung des Kindergeldes über das 27. Lebensjahr hinaus zur Folge haben müssen (vgl BVerfGE 18, 288, 301; 22, 349, 360; 23, 1, 10; 37, 217, 260). Der vom Kläger verfolgte Anspruch fände demnach in § 2 Abs 3 Nr 4 BKGG auch dann keine rechtliche Stütze, wenn die gegen die Vorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen würden.

Die Vorinstanzen haben mithin den Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach Vollendung des 27. Lebensjahres seines Sohnes zu Recht verneint; die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652539

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