Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitsloser ist wegen der besonders gearteten dienstrechtlichen Natur des Beamtenverhältnisses nicht verpflichtet, eine ihm vom Arbeitsamt angebotene Beamtenstelle anzunehmen. Das Angebot einer solchen Stelle ist kein Arbeitsangebot im Sinne des AVAVG 1927 § 90 (AVAVG § 78).

 

Normenkette

AVAVG § 90; AVAVG 1927 § 90; AVAVG § 78 Fassung: 1957-04-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger war bis Mai 1945 Berufssoldat, zuletzt Leutnant. Sodann war er bis zum 31. Dezember 1954 als Angestellter tätig. Vom 8. Januar 1955 an wurde ihm Arbeitslosenunterstützung (Alu) bewilligt. Zu dieser Zeit war der Kläger Beamter z.Wv. mit einem Unterbringungsschein nach Besoldungsgruppe A 5 b. Am 8. Juni 1955 bot ihm das Arbeitsamt (ArbA.) eine freie Stelle als Steuerwachtmeister bei einem Finanzamt an; nach Ablauf einer Probezeit sollte die Übernahme in das bayerische Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfolgen. Der Kläger lehnte die Annahme dieser Stelle ab, weil es sich um einen beruflichen Rückschritt handele. Das ArbA. verhängte daraufhin mit Bescheid vom 4. Juli 1955 eine Sperrfrist von sechs Wochen. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 19. August 1955 zurückgewiesen. Auf Klage hob das Sozialgericht (SG.) die Bescheide auf (Urteil vom 29.11.1955).

Das Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 22. Oktober 1958 zurück. Es war der Ansicht, das Angebot einer Beamtenstelle sei kein Arbeitsangebot im Sinne des § 90 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) a.F. Die Arbeitsvermittlung und damit auch der Begriff des Arbeitsangebotes umfasse nicht die Begründung von Beamtenverhältnissen. Arbeitsvermittlung sei nur eine Tätigkeit, die dazu diene, zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeiter oder Angestellten Beziehungen herzustellen, die zum Zustandekommen eines arbeitsrechtlichen Arbeitsverhältnisses führen sollten. Bei einem Beamtenverhältnis handele es sich nicht um ein solches Arbeitsverhältnis, vielmehr um ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis. Es werde durch einen einseitigen hoheitlichen Verwaltungsakt begründet, setze eine Reihe unabdingbarer persönlicher Eigenschaften des Anzustellenden voraus und lege ihm weitgehende Verpflichtungen auf, die auf dem freien Arbeitsmarkt nicht üblich seien. Revision wurde zugelassen.

Gegen das am 28. Januar 1959 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 21. Februar 1959 Revision ein und begründete das Rechtsmittel am 24. April 1959, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 28. April 1959 verlängert worden war. Sie ist der Auffassung, auch die unberechtigte Ablehnung einer angebotenen Beamtenstelle könne die Verhängung einer Sperrfrist nach sich ziehen, da das Angebot einer entlohnten Beschäftigung in einem weisungsgebundenen Abhängigkeitsverhältnis genüge. Die Rechtsfolgen des § 90 AVAVG a.F. ergäben sich allein aus dieser Vorschrift und nicht auch aus den Vorschriften über die Arbeitsvermittlung, wie schon das Reichsversicherungsamt (RVA.) entschieden habe. Die Reichsversicherungsordnung (RVO) rechne auch die Beamten den gegen Entgelt beschäftigten Arbeitnehmern und Angestellten zu und unterstelle sie grundsätzlich der Versicherungspflicht (§§ 165 ff. RVO). Der Annahme, daß es sich bei dem Angebot einer Beamtenstelle um ein Arbeitsangebot handele, stehe nicht entgegen, daß das Beamtenverhältnis durch Hoheitsakt begründet wird. Auch nach § 10 des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter (SchwBG) werde ein Arbeitsverhältnis durch Hoheitsakt begründet. Der Ausschluß von Beamtentätigkeiten bei der Anwendung des § 90 AVAVG a.F. ließe sich mit dem Begriff der Arbeitswilligkeit nicht vereinen. Die §§ 90 ff. AVAVG a.F. seien auch bei der Arbeitslosenhilfe anwendbar, in deren Genuß ehemalige Beamte ebenfalls kommen können. Es wäre daher unlogisch, wollte man wegen des verschuldeten Verlustes einer Beamtenstelle keine Sperrfrist verhängen. Auch aus § 90 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 AVAVG a.F. könne nicht gefolgert werden, daß nur privatrechtliche Arbeitsverhältnisse gemeint seien, obwohl nur bei diesen von tariflichen Bedingungen die Rede sein könne und nur innerhalb dieser Streik und Aussperrung möglich seien. Die in dieser Vorschrift genannten Gründe stellten in der Formulierung nur auf die typischen Arbeitsverhältnisse ab, ohne dabei andere auszuschließen. Der Kläger habe keinen berechtigten Grund gehabt, die ihm angebotene Stelle abzulehnen. Auch nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes (G 131) fallenden Personen sei ein Beamter verpflichtet, vorübergehend ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Grundgehalt zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen LSG. vom 22. Oktober 1958 und des SG. Augsburg vom 29. November 1955 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger stellt keinen Antrag.

II.

Die Revision ist vom LSG. zugelassen worden und daher statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

Zu Recht ist das LSG. davon ausgegangen, daß die Weigerung des Klägers, eine Beamtenstelle als Justizwachtmeister anzunehmen, nicht als Weigerung der Annahme einer Arbeit im Sinne des § 90 AVAVG a.F. angesehen werden kann. Arbeitsangebote im Sinne dieser Vorschrift sind nur solche, die auf das Zustandekommen eines arbeitsrechtlichen Arbeitsverhältnisses, nicht aber solche, die auf die Begründung eines Beamtenverhältnisses gerichtet sind. Das ergibt sich aus dem engen Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bzw.-verweigerung und der vorrangigen Aufgabe der beklagten Bundesanstalt, nämlich der Arbeitsvermittlung. Nach § 131 AVAVG a.F. wird Arbeitslosigkeit in erster Linie durch Vermittlung von Arbeit verhütet und beendigt. Diesem Hauptzweck des Gesetzes dient auch das Arbeitsangebot im Sinne des § 90 AVAVG a.F. Ein Angebot, das nicht zum Zwecke der Vermittlung gemacht wird, kann daher nicht als wirksames Arbeitsangebot angesehen werden (vgl. Buchwitz, Soziale Sicherheit, 1955 S. 317/318). Zwar hat das frühere RVA. mehrfach entschieden, daß die Rechtsfolgen des § 90 AVAVG a.F. sich nur nach dieser Vorschrift richten und daß aus den §§ 58, 62 AVAVG a.F. versicherungsrechtlichen Folgen - insbesondere in Bezug auf die berechtigten Gründe zur Ablehnung eines Arbeitsangebotes - nicht gezogen werden könnten (RVA. GE 3219, AN. 1928 S. 268; GE 4077, AN. 1931 S. 235). In den vom RVA. entschiedenen Fällen handelt es sich aber jeweils um Zuweisungen von Beschäftigungen auf Grund eines Arbeitsvertrages, nicht um eine Vermittlung in Beamtenstellen. Es war damals über die Streitfrage zu entscheiden, ob einem gelernten Arbeiter die Stelle eines ungelernten Arbeiters entgegen § 58 AVAVG a.F. zugewiesen werden dürfe (GE Nr. 3219) und ob ein tariflich gebundener Arbeitnehmer ein Arbeitsangebot, das nicht tariflich zulässigen Bedingungen entsprach (§ 62 AVAVG a.F.), ablehnen dürfe (GE Nr. 4077). Im vorliegenden Falle handelt es sich jedoch nicht um die Frage, ob und welche versicherungsrechtlichen Folgen aus einem Arbeitsangebot im Hinblick auf die Vermittlungsvorschriften gezogen werden können, sondern darum, ob ein solches Arbeitsangebot überhaupt vorliegt. Das Angebot einer Beamtenstelle hält sich nicht im Rahmen der Normen über die Arbeitsvermittlung; denn es ist nicht auf Arbeitsvermittlung gerichtet und hat damit ein anderes Ziel, als es ein rechtlich relevantes Arbeitsangebot hat. Arbeitsvermittlung im Sinne des AVAVG war und ist nur eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, arbeitsuchende Arbeitnehmer mit Arbeitgebern zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zusammenzuführen. Diese Definition des Begriffs der Arbeitsvermittlung, die nunmehr im Gesetz niedergelegt ist (§ 37 AVAVG n.F.), muß auch für die Zeit vor Inkrafttreten der neuen Fassung des AVAVG zugrunde gelegt werden; denn der Gesetzgeber hat insoweit nur die von Rechtslehre und Rechtsprechung entwickelte Begriffsbestimmung übernommen (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, Bundestagsdrucksache 1274, 2. Wahlperiode, S. 105). Dieser Begriff der Arbeitsvermittlung läßt deutlich erkennen, daß Bemühungen zur Begründung von Beamtenverhältnissen nicht darunter fallen, da das Beamtenverhältnis nicht dem Arbeitsrecht angehört, sondern, wie das LSG. richtig ausgeführt hat, ein hoheitliches Dienst- und Treueverhältnis ist. Aus diesem Grunde ist auch die Umdeutung eines (nichtigen) Beamtenverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne nicht möglich (vgl. Bundesarbeitsgericht - BAG -, Urteil vom 8.12.1959 in MDR 1960 S. 258). Das Beamtenverhältnis wird nicht durch Arbeitsvertrag, sondern durch hoheitsrechtlichen Verwaltungsakt begründet; die bestehenden Rechte und Pflichten sind hoheitlicher Natur. Zwar kann nach § 10 SchwBG auch ein Arbeitsverhältnis durch Hoheitsakt begründet werden. Dieses Arbeitsverhältnis ist aber ein privatrechtliches Schuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aus dem sich dann die einzelnen privatrechtlichen Rechte und Pflichten ergeben (vgl. Grömiger, Schwerbeschädigtengesetz, § 10 Anm. 8; Becker, Schwerbeschädigtengesetz, § 10 Anm. 1 und 12; Sellmann, Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter, § 10 Anm. 14; Zigan, Kommentar zum Schwerbeschädigtengesetz, § 10 Anm. 16; Willrodt-Gotzen, Schwerbeschädigtengesetz, § 10 Anm. 18). Demgegenüber ist das gesamte Beamtenverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur. Für Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis sind nicht die Arbeitsgerichte zuständig, während auch für Klagen aus dem nach § 10 SchwBG begründeten Arbeitsverhältnis diese Zuständigkeit gegeben ist. Das Beamtenverhältnis unterscheidet sich von dem Arbeitsverhältnis durch die persönlichen Voraussetzungen, die bei dem Anzustellenden vorliegen müssen und die auf dem freien Arbeitsmarkt nicht üblich sind. Im Falle des Klägers, dem eine Stelle als bayerischer Staatsbeamter angeboten worden ist, sind es insbesondere die in den Art. 5 und 6 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) vom 28. Oktober 1946 genannten persönlichen Voraussetzungen. Dem Beamten werden besondere Pflichten auferlegt, die in einem Arbeitsverhältnis nicht ohne weiteres gegeben sind, so z.B. die in den Art. 15 ff. BayBG festgelegten dienstlichen und außerdienstlichen Verpflichtungen. Er hat nach Art. 22 Abs. 2 BayBG kein Streikrecht und ist verpflichtet, auf Verlangen unter Umständen eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst zu übernehmen (Art. 25 BayBG). Die Arbeitszeit und der Urlaub des Beamten werden nicht durch Einzel- oder Tarifvertrag geregelt, sondern durch Rechtsnorm. Ein Beamter ist verpflichtet, auch über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn es notwendig ist (Art. 31 BayBG). Er kann angewiesen werden, während der dienstfreien Zeit seine Wohnung nicht zu verlassen (Art. 33) und seine Wohnung innerhalb bestimmter Entfernung von der Dienststelle zu nehmen (Art. 34 BayBG). Er kann innerhalb des Dienstbereichs seiner Ernennungsbehörde versetzt werden und muß sich der Disziplinarhoheit seines Dienstherrn unterwerfen. Aus allen diesen Besonderheiten des Beamtenverhältnisses ergibt sich, daß es nicht zu den Arbeitsverhältnissen im Sinne der Vermittlung zu zählen ist. Es ergibt sich daraus aber auch, daß es sich bei dem Angebot einer Beamtenstelle nicht um ein Arbeitsangebot im Sinne des § 90 AVAVG handeln kann, und es dürfen einem Arbeitslosen keine nachteiligen versicherungsrechtlichen Rechtsfolgen erwachsen, wenn er sich den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht unterwerfen will. Mit Rücksicht auf die besonders geartete dienstrechtliche Natur des Beamtenverhältnisses ist daher ein Arbeitsloser nicht verpflichtet, eine ihm vom ArbA. angebotene Beamtenstelle anzunehmen, genau so wenig, wie er verpflichtet ist, eine Beschäftigung als Selbständiger zu übernehmen (RVA. GE 4434, AN. 1932 S. 395).

Daß die RVO die Beamten zu den gegen Entgelt beschäftigten Arbeitnehmern und Angestellten zählt, steht dieser Auffassung nicht entgegen; denn dort ist die Interessenlage eine andere. Während es bei den Vorschriften der §§ 165 ff. RVO darum geht, bestimmten Personengruppen den sozialen Schutz zu gewähren, handelt es sich bei den §§ 90 ff. AVAVG a.F. darum, ob versicherungsrechtlich nachteilige Folgen aus dem Verhalten eines Arbeitslosen gezogen werden können. Daher sind die Versicherungspflicht und -freiheit ohne Bedeutung für den Begriff des Arbeitsangebotes (vgl. RVA. GE 4327, AN. 1932 S. 102).

Ob der schuldhafte Verlust einer Beamtenstelle und damit die schuldhafte Herbeiführung der Leistungsvoraussetzungen für die Arbeitslosenhilfe etwa zur Verhängung einer Sperrfrist berechtigt, braucht in diesem Zusammenhang nicht entschieden zu werden. Des weiteren ist es ohne Bedeutung, daß die frühere Tätigkeit als Beamter einer entlohnten Beschäftigung für die Arbeitslosenhilfe gleichsteht (vgl. § 145 Abs. 1 Nr. 4 b AVAVG n.F., § 141 a Abs. 1 Nr. 4 b AVAVG a.F. in Verbindung mit § 3 der Fünften Verordnung zur Durchführung des AVAVG vom 22.5.1958 - BGBl. I S. 377 -), da dort nur die frühere Tätigkeit als Beamter von Bedeutung ist und daraus nicht geschlossen werden kann, es müsse auch das Angebot einer Beamtenstelle angenommen werden.

An dem Charakter des Angebots einer Beamtenstelle ändert im vorliegenden Falle auch die Tatsache nichts, daß der Kläger als Beamter z.Wv. nach dem G 131 verpflichtet war, wieder eine Tätigkeit als Beamter aufzunehmen. Denn das G 131 regelt insoweit nur die Rechtsbeziehungen zwischen den Unterbringungsbehörden und den Beamten z.Wv. Daher ist ein Beamter z.Wv. nur verpflichtet, eine ihm durch die Unterbringungsbehörde angebotene Beamtenstelle anzunehmen, nicht auch eine solche, die das ArbA. angeboten hat (vgl. Anders, Gesetz zu Art. 131 GG § 20 Anm. 3 und § 22 Anm. 2). Bei der unberechtigten Ablehnung eines von der Unterbringungsbehörde gemachten Angebots treten nach dem G 131 selbständige nachteilige Rechtsfolgen für den Beamten ein.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 102

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