Leitsatz (amtlich)
Auch ein Auslandsrentner kann einen Zuschuß zu seinem Krankenversicherungsbeitrag (RVO § 381 Abs 4), sofern dieser nicht schon wegen der Höhe der Versicherungsprämie zu gewähren ist, nur beanspruchen, wenn seine Krankenversicherung im Kern der Vollversicherung eines Inlandsrentners vergleichbar ist, also mindestens Leistungen bei ambulanter ärztlicher Behandlung und bei Krankenhauspflege umfaßt. Eine lediglich "angemessene" Krankenversicherung genügt nicht.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, die in den USA lebt und seit Januar 1970 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Witwenrente bezieht, fordert vom Tage des Rentenantrags an (12. Januar 1970) einen Zuschuß zu ihren Krankenversicherungsbeiträgen (§ 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist sie in der gesetzlichen Krankenversicherung (KrV) der USA (Medicare) und in zwei Zusatzversicherungen (Blue Cross und Blue Shield) versichert. Ihr Versicherungsschutz umfaßt ambulante und stationäre ärztliche Behandlung, jedoch keine zahnärztliche Behandlung und keine Versorgung mit Medikamenten außerhalb des Krankenhauses. An monatlichen Beiträgen zahlte sie Anfang 1970 für Medicare, soweit nicht deren Leistungen - wie Krankenhausbehandlung - beitragsfrei gewährt werden, 4 $ und für die Zusatzversicherungen 5,50 $, umgerechnet zusammen 34.77 DM. Da dieser Betrag den damals von der Beklagten nach § 381 Abs. 4 RVO gewährten Beitragszuschuß (39 DM) nicht erreichte und nach Ansicht der Beklagten auch keine Krankheitskosten-Vollversicherung bestand, lehnte sie den Antrag der Klägerin auf Zahlung eines Beitragszuschusses ab (Bescheid vom 3. März 1971). Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt, die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das LSG hielt den Versicherungsschutz der Klägerin zwar nicht, wie das SG, für eine Vollversicherung, jedoch für eine "angemessene" und deshalb ausreichende Versicherung (Urteil vom 27. Oktober 1971).
Die Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision die unrichtige Anwendung des § 381 Abs. 4 RVO; dieser erfordere nicht nur einen "angemessenen", sondern aus Gründen der Gleichbehandlung von pflicht- und freiwillig versicherten Rentnern einen vollen Versicherungsschutz. Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Klage abzuweisen.
Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision und meint, ihre in den USA gezahlten Beiträge entsprächen "so gut wie möglich" einer deutschen Vollversicherung.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des LSG ist im Ergebnis richtig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können auch Rentner, die im Ausland wohnen und dort gegen Krankheit versichert sind, einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO erhalten, selbst wenn dies in zwischen- oder überstaatlichen Regelungen nicht ausdrücklich vorgesehen ist (BSG 31, 288). Auslandsrentnern darf mithin der Beitragszuschuß nicht allein wegen ihres Wohnsitzes versagt werden. Andererseits dürfen sie, wenn der Gedanke der Gleichstellung mit den Inlandsrentnern gewahrt bleiben soll, diesen gegenüber nicht privilegiert werden. Das gilt insbesondere für die Voraussetzungen, unter denen der Beitragszuschuß zu gewähren ist. Wer als Auslandsrentner einen Beitragszuschuß wie ein Inlandsrentner beansprucht, hat deshalb grundsätzlich die gleichen Bedingungen zu erfüllen, die das Gesetz auch sonst für die Gewährung des Beitragszuschusses vorschreibt.
Nach § 381 Abs. 4 RVO erhalten Rentenberechtigte, die nicht zu den in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bezeichneten Personen gehören, d. h. die nicht pflichtversicherten Rentner, auf Antrag zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag einen Zuschuß, wenn sie nachweisen, daß sie als freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (Satz 1). Den gleichen Anspruch haben Rentenempfänger, die bei einem privaten Versicherungsunternehmen gegen Krankheit versichert sind (Satz 2).
Mit Rücksicht auf den engen Sinnzusammenhang beider Sätze ("Den gleichen Anspruch ...") hat der Senat seit der in BSG 23, 42 abgedruckten Entscheidung stets daran festgehalten, daß privatversicherte Rentner nur dann einen Anspruch auf einen Beitragszuschuß haben, wenn bei ihnen "etwa der gleiche Versicherungsschutz" besteht wie bei den in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten Rentnern. Deshalb sei der Abschluß einer sog. Vollversicherung in der Form zu fordern, daß Versicherungsschutz sowohl für ambulante wie für stationäre Behandlung bestehe (aaO S. 43). Teilversicherungen, insbesondere sog. Krankenhauskosten- oder Krankenhaustagegeldversicherungen, seien nicht ausreichend.
Diese Grundsätze hat der Senat - im Sinne des Gleichstellungsprinzips - auch auf Auslandsrentner angewendet, es bei ihnen allerdings wegen der Schwierigkeiten, die der Abschluß einer "Vollversicherung" im Ausland häufig bereitet, und aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für ausreichend gehalten, daß ihre Versicherungsprämien in etwa dem Betrag entsprechen, den privatversicherte Inlandsrentner durchschnittlich für ihre Krankenversicherung aufwenden (BSG 27, 129, 131; 31, 289, 293; Urteil vom 16. Juli 1971, 3 RK 1/71). Liegen die zuletzt genannten Voraussetzungen nicht vor, dann bleibt es bei der allgemeinen Regel. Auch bei einem Auslandsrentner begründet mithin der Abschluß einer bloßen Teilversicherung noch keinen Anspruch auf einen Beitragszuschuß.
Das LSG hat gegen diese Rechtsprechung Bedenken erhoben, und zwar, soweit es sich um die Methode des Prämienvergleichs handelt, vor allem deshalb, weil dadurch viele Auslandsrentner namentlich in den USA, die bei gleichen Beiträgen, aber früherem Rentenbeginn einen Beitragszuschuß hätten beanspruchen können, nach der inzwischen erfolgten Änderung des Wechselkurses von Dollar und Deutscher Mark und wegen einer stark unterschiedlichen Entwicklung der Versicherungsprämien im In- und Ausland von der Gewährung des Beitragszuschusses ausgeschlossen würden. Auch die Forderung nach einer Vollversicherung sei bei Auslandsrentnern nicht gerechtfertigt, da sie die besondere Lage dieses Personenkreises, der nicht in den Genuß der Pflichtversicherung der Rentner komme, nicht hinreichend berücksichtige. Bei ihnen müsse der Abschluß einer "angemessenen" Krankenversicherung genügen.
Diese Bedenken greifen nicht durch. Daß die Methode des Prämienvergleichs, für sich allein angewendet, nicht in allen Fällen zu voll befriedigenden Ergebnissen führen würde, mag zutreffen, ist jedoch kein Grund, sie überhaupt abzulehnen, nachdem sich die Verwaltungspraxis der Versicherungsträger auf sie eingestellt und sie sogar, wenigstens bei der Beklagten, noch insofern vereinfacht hat, als der Beitragszuschuß immer schon dann gewährt wird, wenn ihn der Prämienaufwand der Höhe nach erreicht. Auch der Senat hält diese - weitere - Vereinfachung im Sinne einer generalisierenden Betrachtungsweise für zulässig, zumal sich die fraglichen Werte (Höhe des durchschnittlichen Prämienaufwandes einerseits, des Beitragszuschusses andererseits) im Laufe der Jahre offenbar weitgehend genähert haben und die genaue Feststellung des Prämiendurchschnitts nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu bereiten scheint. Im übrigen läßt sich ein großer eil der vom LSG erwähnten Härten und Unbilligkeiten, soweit sie nicht ohnehin nur vorübergehender Natur waren, durch eine sinnvolle Anpassung des Begriffs der "Vollversicherung" an die besonderen Verhältnisse der Auslandsrentner vermeiden.
Nicht für gangbar hält der Senat allerdings den vom LSG beschrittenen Weg, diesen Begriff durch den einer "angemessenen" Krankenversicherung zu ersetzen. Dem stehen nicht nur prinzipielle Bedenken entgegen - von einer im wesentlichen gleichen Behandlung der Inlands- und der Auslandsrentner könnte dann nicht mehr die Rede sein -, das Merkmal "angemessen" ist auch in sich zu unbestimmt, um eine auch nur einigermaßen berechenbare, gleichförmige Rechtsanwendung zu gewährleisten. Objektive Kriterien für die Angemessenheit eines Versicherungsschutzes hat das LSG in seinem Urteil nicht angegeben und sind nicht erkennbar. Die Frage müßte deshalb jeweils von Fall zu Fall entschieden werden, was zu einer weitläufigen und letztlich unbefriedigenden Kasuistik führen würde. Ob eine Krankenversicherung "angemessen" ist, wäre schließlich nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse des jeweiligen Landes und der persönlichen Lebensumstände des einzelnen Versicherten zu beurteilen; damit würden aber Versicherungsträge und Gerichte in vielen Fällen vor kaum überwindbare Ermittlungsschwierigkeiten gestellt werden.
Ist demnach auch bei Auslandsrentnern grundsätzlich an der Forderung nach Abschluß einer "Vollversicherung" festzuhalten, so darf dieser Begriff doch nicht in der engen Bedeutung verstanden werden, die ihm der Gesetzgeber in dem - durch das Finanzänderungsgesetz 1967 eingefügten - § 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO gegeben hat. Danach kann sich ein Rentner von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht nur befreien lassen, wenn er für sich und seine familienhilfeberechtigten Angehörigen Vertragsleistungen erhält, die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe entsprechen Wenn hier an eine private Krankenversicherung des Rentners besonders hohe Anforderungen gestellt werden - selbst seine Angehörigen müssen in den Versicherungsschutz einbezogen sein - so erklärt und rechtfertigt sich das daraus, daß ohne die Befreiung nach § 173 a RVO der umfassende Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen würde, den aufzugeben der Gesetzgeber dem Rentner in seinem eigenen Interesse und dem seiner Angehörigen nur bei Abschluß einer in etwa gleichwertigen Privatversicherung hat gestatten wollen. Da für Rentner, die im Ausland leben, die gesetzliche Krankenversicherung nicht Platz greift (BSG 32, 174), für sie also eine Befreiung von der Versicherungspflicht (mit allen damit verbundenen Nachteilen) nicht in Betracht kommt, kann für sie auch nicht der enge Vollversicherungsbegriff des § 173 a Abs. 1 RVO gelten.
Bei ihnen muß es vielmehr genügen, daß ihre private Versicherung - für sich allein oder in Verbindung mit anderen, möglicherweise beitragsfreien Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen - im wesentlichen die Leistungen bietet, die ihrer Art nach freiwillig versicherten Rentnern in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zustehen, die mithin im Kern der Vollversicherung eines Inlandsrentners noch vergleichbar ist. Die Krankenversicherung eines Auslandsrentners braucht also nicht sämtliche Leistungen vorzusehen, die für eine im Inland geschlossene Vollversicherung erforderlich wären. Wenn sie andererseits ihre Vergleichbarkeit mit einer solchen nicht ganz verlieren soll, muß sie sowohl für den Fall der ambulanten wie den der stationären Behandlung Vorsorge treffen und außerdem in jedem der beiden Fälle die Leistungen bereitstellen, die für die deutsche gesetzliche KrV begriffswesentlich sind, nämlich ärztliche Behandlung und Krankenhauspflege. Eine vergleichbare Versicherung liegt deshalb nicht mehr vor, wenn entweder nur Leistungen in einem der beiden Bereiche - bei ambulanter oder bei stationärer Behandlung - gewährt werden, oder wenn zwar Leistungsansprüche in beiden Bereichen bestehen, diese das Krankheitsrisiko jedoch nicht in seinem Kern abdecken.
Der Versicherungsschutz, den die Klägerin als Mitglied der gesetzlichen KrV der USA (Medicare) in Verbindung mit ihren privaten Zusatzversicherungen (Blue Cross und Blue Shield) genießt, genügt noch den genannten Erfordernissen. Ihre Medicare-Versicherung übernimmt die Kosten der Pflege in einem Krankenhaus oder Pflegeheim für eine bestimmte Dauer und mit bestimmten Selbstbeteiligungsbeträgen (Medicare Teil A: Hospital Insurance), ferner - auch insoweit nach Abzug bestimmter Selbstbeteiligungsbeträge - die Kosten ambulanter und stationärer ärztlicher Leistungen (Medicare Teil B: Medical Insurance), jedoch nicht die Kosten von Zahnbehandlungen und von Medikamenten, die nicht in einem Krankenhaus oder Pflegeheim verabreicht werden (vgl. zur gesetzlichen KrV in den USA: Teich, Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1972, 313; Neumueller, Die Praxis 1970, 541, 552 ff und 1971, 433, 450 ff). Durch Zusatzversicherungen der Klägerin werden nach Feststellung der Vorinstanzen die Medicare-Leistungen hinsichtlich ihrer Dauer und der Höhe der Selbstbeteiligung ergänzt bzw. verbessert, jedoch keine der Art nach neuen Leistungen gewährt. Der Versicherungsschutz, der der Klägerin hiernach bei ambulanter und bei stationärer Behandlung zusteht, deckt im wesentlichen die Krankheitsrisiken, gegen die ein Rentner auch in Deutschland gesichert sein muß, um als "vollversichert" zu gelten. Daß die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit Medikamenten außerhalb der stationären Behandlung und auf Erstattung der Kosten für Zahnbehandlungen hat, kann angesichts ihres sonstigen Versicherungsschutzes hingenommen werden, zumal insoweit selbst bei pflichtversicherten Inlandsrentnern teilweise noch Leistungslücken (vor allem bei Zahnersatz) bestehen.
Ist die Klägerin somit als ausreichend versichert anzusehen, dann braucht nicht entschieden zu werden, ob der Klaganspruch auch wegen der Höhe ihres Prämienaufwandes begründet wäre.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG, das sich im Ergebnis als richtig erweist, ist zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen