Entscheidungsstichwort (Thema)
Hauterkrankung als Berufskrankheit. Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit
Orientierungssatz
1. Für eine Berufskrankheit mit tätigkeitsbezogenem Merkmal genügt es, daß von der Vielzahl der Tätigkeiten eines Versicherten diejenigen unterlassen werden, von denen die Gefahr für eine Verschlimmerung oder Wiedererkrankung ausgeht. Sie brauchen dem Arbeitsplatz nicht das bestimmende Gepräge gegeben zu haben (vgl BSG 1981-12-15 2 RU 65/80 = BSGE 53, 17).
2. Mit dem tätigkeitsbezogenen einschränkenden Tatbestandsmerkmal soll ua erreicht werden, daß auch in Zukunft die Gefahr eines Wiederauflebens oder der Verschlimmerung der Berufskrankheit möglichst vermieden wird. Dieses Anliegen des Verordnungsgebers darf grundsätzlich nicht durch eine weite Auslegung des tätigkeitsbezogenen Merkmals umgangen werden.
Normenkette
RVO § 551 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO Anl 1 Nr 5101 Fassung: 1976-12-08
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 20.10.1982; Aktenzeichen L 3 U 932/80) |
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 11.06.1980; Aktenzeichen S 4 U 82/77) |
Tatbestand
Der Kläger leidet an einer beruflich erworbenen Sensibilisierung gegenüber Kaliumdichromat, Holzteer und Steinkohlenteer. Die Beteiligten streiten darüber, ob er Ansprüche wegen einer Hautkrankheit als Berufskrankheit (BK) nach Nr 5101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968 in der Fassung der Verordnung (VO) zur Änderung der Siebenten Berufskrankheiten- Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3329 -BKVO-) hat.
Bis zum 30. Juni 1977 arbeitete er als Betonfachwerker. Seit dem 4. Juli 1977 ist er als angelernter Arbeiter bei dem Entwässerungsamt der Landeshauptstadt Wiesbaden beschäftigt. Auf dieser Arbeitsstelle kommt er nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) in gewissem Umfange mit Stoffen in Berührung, in denen Kaliumdichromat enthalten ist.
Durch Bescheid vom 26. Juli 1977 lehnte die Beklagte, der der kürzlich erfolgte Arbeitsplatzwechsel des Klägers verborgen geblieben war, die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche mit der Begründung ab, die Hauterkrankung habe nicht zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Entschädigung der Hauterkrankung des Klägers als BK verurteilt (Urteil vom 11. Juni 1980). Angesichts der Art der Erkrankung, so ist in dem Urteil ausgeführt, müsse als Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit im Sinne des Gesetzes angesehen werden, daß in der neuen Beschäftigung kaum noch ein konkretes Risiko bestehe und der Kläger und sein Arbeitgeber bestrebt seien, Kontakt mit gefährdenden Tätigkeiten zu vermeiden.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten war erfolgreich. Das LSG hat entschieden, daß die Entschädigungspflicht für eine Hauterkrankung als BK die Aufgabe sämtlicher schädigender Tätigkeiten voraussetze, so daß schon die Verrichtung solcher Arbeiten in nur geringem Umfange zur Verneinung einer BK führe (Urteil vom 20. Oktober 1982). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er vertritt die Auffassung, der Bescheid vom 26. Juli 1977 entbehre der notwendigen Bestimmtheit, weil die damals schon ausgeübte Tätigkeit des Klägers beim Entwässerungsamt in der Begründung außer acht gelassen worden sei. Im übrigen sei angesichts der Sensibilität gegenüber Kaliumdichromat eine Vermeidung von Kontakten mit diesem Stoff praktisch nicht möglich. Die Entscheidung des LSG führe im Ergebnis zu einer vom Verordnungsgeber nicht gewollten ungleichen Behandlung von Facharbeitern und ungelernten Arbeitern. Der Kläger habe darüber hinaus den Nachweis erbracht, daß er sich auf dem jetzigen Arbeitsplatz so verhalten könne, daß eine Gefährdung tatsächlich nicht bestehe; denn krankhafte Veränderungen an seiner Haut seien seit Juli 1977 nicht mehr aufgetreten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 1980 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die vom Kläger gerügte Nichtbeachtung seiner neuen Tätigkeit im angefochtenen Bescheid beruhe darauf, daß ihr der Arbeitsplatzwechsel verborgen geblieben sei. Im übrigen sei das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die mögliche Schädigung am neuen Arbeitsplatz zur Verneinung des geltend gemachten Anspruchs führen müsse.
Der Beigeladene beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 1980 zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis in eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) erklärt.
Der Versicherungsfall sei am 30. Juni 1977 eingetreten, als der Kläger die Tätigkeit bei seiner früheren Arbeitgeberin aufgegeben habe. Auf eine bloße abstrakte Gefährdung in der neuen Tätigkeit komme es nicht an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Bei ihm liegt, wie das LSG mit zutreffenden Gründen entschieden hat, keine BK im Sinne von Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO vor.
Nach § 551 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO sind schwere und wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, eine BK. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil der Kläger nicht alle gefährdenden Tätigkeiten aufgegeben hat.
Das Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung hat ua den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihm gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (s ua BSGE 10, 286, 290; BSG SozR 5677 Anl 1 Nr 46, Nr 8; BSG, Urteil vom 11. Februar 1981 - 2 RU 25/79 - und Urteil vom 31. März 1981 - 2 RU 81/80 -). Bei dieser Zweckbestimmung ist entscheidend, daß die wegen der berufsbedingten Erkrankung objektiv notwendige Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich verwirklicht ist. Hierzu genügt allerdings nicht, daß lediglich diejenige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird, welche die BK herbeigeführt oder verschlimmert hat. Mit dem tätigkeitsbezogenen einschränkenden Tatbestandsmerkmal soll ferner erreicht werden, daß auch in Zukunft die Gefahr eines Wiederauflebens oder der Verschlimmerung der BK möglichst vermieden wird. Dies hat der Verordnungsgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er auch das Unterlassen solcher Tätigkeiten verlangt, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können (BSGE 40, 66, 71; 41, 211, 212; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 492 g). Der Versicherungsträger ist regelmäßig nur in den Fällen zur Entschädigung verpflichtet, in denen Gefahren für die BK jedenfalls durch die Ausübung einer Tätigkeit nicht - mehr - drohen.
Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen, gegen die zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind, kommt der Kläger bei seiner seit dem 4. Juli 1977 ausgeübten Tätigkeit ua mit Kalk, Zement, Mörtel und Bindemitteln in Berührung, also mit Stoffen, welche Kaliumdichromat enthalten. Damit ist das Risiko erneuter Sensibilisierung gegeben. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ist demgemäß mit eben jenen Gefahren belastet, deren Ausschluß Voraussetzung für das Bestehen einer BK nach Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO ist. Hieran ändert nichts, daß es bisher nicht zu einer Verschlimmerung der Hauterkrankung des Klägers gekommen ist. Die hier maßgebende Vorschrift gebietet für die Zukunft das Vermeiden jeder Gefährdung.
Soweit die Revision vorbringt, der Kläger sei für die Tätigkeit beim Entwässerungsamt als tauglich angesehen worden und habe demzufolge davon ausgehen können, daß die neue Arbeit nicht hautschädigend sei, handelt es sich um neues Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht beachtet werden darf (§ 163 SGG). Das LSG hat keine Feststellungen getroffen, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dem Kläger sei von hierzu besonders fachkundiger Seite angeraten worden, die Tätigkeit beim Entwässerungsamt wegen ihrer fehlenden Gefährlichkeit für die Erkrankung seiner Haut aufzunehmen (vgl hierzu BSGE 40, 66, 71, 72). Vielmehr ist den Akten der Beklagten zu entnehmen, daß dem Kläger die Schädlichkeit der Arbeit mit Beton und seiner Elemente bereits vor Erteilung des angefochtenen Bescheides bekannt war. Nach wie vor arbeitet er ua mit Fertigbeton und Mauermörtel (Auskunft der Arbeitgeberin vom 3. Juli 1981 gegenüber dem LSG).
Die Revision meint, es sei für den Kläger angesichts der Art seiner Erkrankung praktisch nicht möglich, eine Tätigkeit ohne Gefahr für seine Haut auszuüben. Daher dürfe das tätigkeitsbezogene Merkmal in Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO nicht zu eng ausgelegt werden. Diese Auffassung vermag der Senat nicht zu teilen. Wie der Senat bereits unter Hinweis auf Geschichte und Zweck dieses Merkmals entschieden hat, genügt es für eine BK mit tätigkeitsbezogenem Merkmal, daß von der Vielzahl der Tätigkeiten eines Versicherten diejenigen unterlassen werden, von denen die Gefahr für eine Verschlimmerung oder Wiedererkrankung ausgeht. Sie brauchen dem Arbeitsplatz nicht das bestimmende Gepräge gegeben zu haben (BSGE 53, 17). Im Gegensatz zu früheren Definitionen der Hauterkrankung als BK ist weder ein Wechsel des Berufs oder der beruflichen Beschäftigung noch die Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit Voraussetzung für die Leistungspflicht des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung (zur Geschichte der Hautkrankheit als BK siehe insbesondere BSGE 53, 17, 18; SozR 2200 § 551 Nr 10; Brackmann, aaO, § 492 c I ff). Damit ist an die Stelle des Berufsschutzgedankens, so wie er dem tätigkeitsbezogenen Merkmal früher in starkem Maße anhaftete, immer mehr der Wille zur Gesundheitsvorsorge getreten. Das hat einerseits zur Folge, daß dem Versicherten nur noch in dem medizinisch notwendigen Rahmen eine Aufgabe gefährlicher Tätigkeiten - ggf ohne Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel - zugemutet wird, bedeutet aber andererseits - hierauf hat das LSG schon ausführlich hingewiesen -, daß das genannte Anliegen des Verordnungsgebers grundsätzlich nicht durch eine weite Auslegung des tätigkeitsbezogenen Merkmals umgangen werden darf. Ob und wann ggfs die strengen Anforderungen des Verordnungsgebers auch bei einem - zeitweiligen - Verbleiben am gefährlichen Arbeitsplatz erfüllt sein können, bedarf hier jedenfalls keiner Entscheidung. Der vorliegende Sachverhalt ist nicht so gestaltet, daß die Rechtsprechung des BSG (BSGE 10, 286, 291; 41, 211, 212, 213; Urteil vom 31. März 1981 aaO; Brackmann, aaO, S 492 g I) zur Frage der Zumutbarkeit der Berufsaufgabe Anwendung finden könnte. Im übrigen trifft die Annahme der Revision nicht zu, die vom LSG vorgenommene Auslegung des tätigkeitsbezogenen Merkmals in Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO führe zu einer unterschiedlichen Behandlung von Facharbeitern und ungelernten Arbeitern. Vielmehr ist deren Gleichbehandlung gerade dadurch erreicht worden, daß beide unabhängig von ihrer beruflichen Stellung den Schutz der BKVO genießen, wenn sie denjenigen Teil ihrer Beschäftigung unterlassen, von welchem eine Gefahr für eine Hauterkrankung ausgeht oder ausgehen könnte. Sollte der Kläger denjenigen Teil seiner Tätigkeit endgültig aufgeben, von welchem allein noch eine Gefahr ausgeht, darf ihm die begehrte Leistung jedenfalls nicht (mehr) aus den Gründen des angefochtenen Bescheides vorenthalten werden.
Der angefochtene Bescheid ist nicht wegen des fehlenden Bezuges auf die derzeit ausgeübte Tätigkeit des Klägers beim Entwässerungsamt unbestimmt und rechtswidrig. Von dem am 4. Juli 1977 vollzogenen Arbeitsplatzwechsel hatte die Beklagte keine Kenntnis, zumal da der Kläger in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 29. Juni 1977 diese unmittelbar bevorstehende Veränderung unerwähnt gelassen hatte.
Die Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen