Leitsatz (amtlich)
1. Hat eine Krankenkasse die einer anderen Krankenkasse obliegende gesetzliche Leistung (Familienhilfe) erbracht, so hat sie einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen nach den Grundsätzen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag. Im Streitfall ist der Sozialrechtsweg gegeben.
2. Sind sowohl der Vater, der die Vaterschaft anerkannt hat, als auch die so sind im Falle der Mutter nach ihrer Lebensstellung die mit der Sorge für die Person des Kindes verbundenen Dienstleistungen persönlich zu bewirken pflegt. Leistungspflichtig ist in solchen Fällen die Krankenkasse, die zuerst in Anspruch genommen wird RVO § 205 Abs 4.
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist anerkannten Rechts, daß Rechtsgestaltungen verschiedenster Art dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht gemeinsam sind.
2. Bringt die Regelung des Privatrechts einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, der für das öffentliche Recht gleichfalls gilt, so darf sie zur Ausfüllung einer Lücke ursprünglich privatrechtlichen Bereich hinaus auch im öffentlichen Recht Platz (vergleiche RGZ 95, 144, 146 und RGZ 107, 189, 190).
Allerdings ist die "entsprechende" Anwendung privatrechtlicher Vorschriften nur unter Beachtung der Grenzen und Erfordernisse zulässig, die sich aus den Wesensmerkmalen des Wesensmerkmalen des öffentlichen Rechts ergeben (RGZ 97, 43, 44).
Normenkette
SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 205 Abs. 4 Fassung: 1930-07-26; BGB § 683 Fassung: 1896-08-18, § 1707 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Schleswig vom 16. September 1955 und des Sozialgerichts Schleswig vom 26. Mai 1955 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 270,- DM zu zahlen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
M P. ist das uneheliche Kind der Köchin M P. und lebt bei seiner Mutter in H. Der landwirtschaftliche Gehilfe H W. in Bad O hat die Vaterschaft für M P. anerkannt. Die Mutter des Kindes ist bei der beklagten Betriebskrankenkasse, sein Vater bei der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse pflichtversichert.
Das Kind Michael P. befand sich vom 7. Oktober bis zum 11. November 1953 in Krankenhausbehandlung im Kreiskrankenhaus S in Bad O, wodurch Kosten in Höhe von DM 270,- entstanden sind. Die von dem Krankenhaus in Anspruch genommene beklagte Krankenkasse lehnte die Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, bei Familienhilfe-Leistungen für uneheliche Kinder sei in erster Linie die Krankenkasse des Vaters zuständig. Die daraufhin zur Zahlung aufgeforderte Klägerin beglich die Rechnung des Krankenhauses, vertrat jedoch die Auffassung, die Beklagte sei sowohl nach § 205 Abs. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) - als zuerst in Anspruch genommene Krankenkasse - als auch nach dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 24. April 1942 (AN. 1942 S. 287) leistungspflichtig. Sie erhob beim Sozialgericht (SG.) Schleswig Klage mit dem Antrag,
die Beklagte zur Erstattung der für M P. aufgewendeten Krankenhauskosten an die Klägerin zu verurteilen.
Mit Urteil vom 26. Mai 1955 hat das SG. die Klage abgewiesen; die Berufung wurde zugelassen. Es hat § 205 Abs. 4 RVO nicht für anwendbar erachtet, weil bei Leistungen von Familienhilfe für uneheliche Kinder nicht mehrere Krankenkassen nebeneinander gleichrangig verpflichtet seien, vielmehr der Vater in erster Linie für den Unterhalt des unehelichen Kindes aufzukommen habe und deshalb die Krankenkasse des Vaters zur Leistung verpflichtet sei. Soweit Erlasse des Reichsarbeitsministers etwas anderes bestimmten, hätten sie nicht die Rechtslage ändern, sondern nur im Hinblick auf künftige Rechtsänderungen Verwaltungsanordnungen treffen wollen.
Auch die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig billigte in seinem Urteil vom 16. September 1955 im wesentlichen die Auffassung des SG.: Der Vater des unehelichen Kindes sei vor der Mutter unterhaltsverpflichtet und deshalb § 205 Abs. 4 RVO unanwendbar. Diese Rechtslage habe auch Artikel 3 Grundgesetz (GG) nicht geändert, da die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder denen der ehelichen Kinder erst angepasst werden sollen (Art. 6 Abs. 5 GG); insoweit noch vorhandene Ungleichheiten stünden demnach nicht in Widerspruch zum GG. Die Erlasse des früheren Reichsarbeitsministers zur Frage der Kassenzuständigkeit bei unehelichen Kindern hätten als Verwaltungsanordnungen die durch § 205 RVO gegebene Rechtslage unberührt gelassen.
Mit der vom LSG. zugelassenen Revision hat die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Schleswig vom 16. September 1955 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die für die Krankenhausbehandlung des Kindes Michael P. in der Zeit vom 7. Oktober bis 11. November 1953 aufgewendeten Kosten in Höhe von DM 270,- zu ersetzen.
Sie rügt Verletzung des § 205 RVO. Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters des unehelichen Kindes schließe einen Unterhaltsanspruch dieses Kindes gegen seine Mutter nicht aus. Aus der getrennten Aufzählung der unehelichen Kinder eines Versicherten, der seine Vaterschaft anerkannt habe, und einer Versicherten in Nr. 4 und 5 des § 205 Abs. 2 RVO könne entgegen der Auffassung des Reichsversicherungsamts (RVA.) in der GE Nr. 4940 (AN. 1936 S. IV 36) nicht geschlossen werden, daß bei unehelichen Kindern im Sinne der Nr. 4 die Krankenkasse des Vaters in erster Linie zur Gewährung der Familienhilfe an das uneheliche Kind verpflichtet sei; eine solche gegenseitige Ausschließung der Rechtsfolgen der einzelnen Tatbestände des § 205 Abs. 2 RVO sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Habe das uneheliche Kind einen Unterhaltsanspruch sowohl gegen seinen Vater als auch gegen seine Mutter, so sei nach § 205 Abs. 4 Satz 2 RVO die Kasse leistungspflichtig, die zuerst in Anspruch genommen werde.
Die beklagte Krankenkasse hat beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
II.
1.) Zutreffend ist das LSG. davon ausgegangen, daß für den vorliegenden Rechtsstreit der Sozialrechtsweg gegeben ist. Daß in § 149 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) "von Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeiten zwischen ... Körperschaften des öffentlicher Rechts" im Zusammenhang mit der Berufungsfähigkeit dieser Streitigkeiten die Rede ist, besagt zwar noch nicht, daß für alle Streitigkeiten dieser Art der Sozialrechtsweg offen ist. Ebensowenig kann die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs schon daraus gefolgert werden, daß § 54 Abs. 5 SGG die Klage auf Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann zuläßt, wenn- wie im vorliegenden Fall - ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Frage, ob der Sozialrechtsweg gegeben ist, entscheidet sich vielmehr nach § 51 SGG. Hiernach ist insbesondere Voraussetzung, daß es sich um eine "öffentlich-rechtliche Streitigkeit" (§ 51 Abs. 1 SGG) handelt, d. h. daß der Klageanspruch einem Rechtsverhältnis entspringt, das dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist (vgl. BSG. 2 S. 53 (54)). Für die Einordnung des mit der Klage verfolgten Ersatzanspruches in den bürgerlich-rechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Bereich kommt es allein auf den öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Charakter des zwischen den beiden Krankenkassen bestehenden Rechtsverhältnisses an.
Gegen die öffentlich-rechtliche Natur dieses Rechtsverhältnisses bestünden keine Bedenken, wenn die Klägerin einen auf der öffentlich-rechtlichen Institution der Sozialversicherung beruhenden und daher in der RVO geregelten Ersatzanspruch hätte. So hat die RVO im einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen Versicherungsträger eines Versicherungszweiges denen eines anderen Versicherungszweiges zum Ersatz von Aufwendungen verpflichtet sind (vgl. §§ 1509, 1509 a, 1510 Abs. 2, 1518 Abs. 2, 1519 Abs. 2 und 3, 1524, 1525). Das gleiche gilt für die Beziehungen der Versicherungsträger zu "anderen Verpflichteten" im Sinne der Überschrift des Zweiten Abschnittes des Fünften Buchs der RVO (Nichtversicherungsträgern), z. B. Fürsorgeverbänden (§§ 1531 RVO ff.). Soweit es sich jedoch um den Streit mehrerer Versicherungsträger des gleichen Versicherungszweiges darüber handelt, wer von ihnen an den Versicherten zu leisten hat, ist zwar in der Unfallversicherung vorgesehen, daß der Versicherungsträger dem Berechtigten eine vorläufige Fürsorge zuwendet (§ 1735 RVO) und der Streit über die Leistungspflicht somit nicht auf dem Rücken des Versicherten, sondern unmittelbar zwischen den in Frage kommenden Leistungsverpflichteten "im Spruchverfahren", also nunmehr vor den Sozialgerichten (§ 213 SGG) ausgetragen wird (§ 1738 RVO). Da eine derartige Regelung für den Bereich der Krankenversicherung in der RVO fehlt und der Ausnahmecharakter der klar auf die Unfallversicherung abgestellten Vorschriften der §§ 1735, 1738 RVO es nicht zuläßt, sie entsprechend auf den Streit mehrerer Krankenversicherungsträger zu übertragen, findet der Ersatzanspruch der Klägerin in Vorschriften der RVO keine Stütze.
Nach der älteren Rechtsprechung des Reichsgerichts wären in Fällen der vorliegenden Art, in denen eine Person des öffentlichen Rechts für eine andere Person des öffentlichen Rechts deren öffentlich-rechtliche Geschäfte besorgt, die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag anzuwenden mit der Folge, daß der Anspruch des auftragslosen Geschäftsführers auf Ersatz seiner Aufwendungen nach §§ 679, 683 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen wäre (vgl. RGZ. 92 S. 197 (198), RGZ 108, S. 391, (394), JW. 1923 S. 78, Nr. 6 (mit weiteren Nachweisen)). Indessen hat das Reichsgericht es späterhin abgelehnt, diesen Grundsatz unterschiedslos auf alle Rechtsgebiete zu erstrecken, und die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs nach der besonderen gesetzlichen Regelung des Einzelfalles beurteilt (vgl. RGZ. 133 S. 244 (246); 159, S. 141 (143)). In der Tat kommt es entscheidend darauf an, welcher Art das Geschäft ist, das eine Krankenkasse ohne Auftrag für die andere besorgt; denn eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann sich sowohl hoheitlich als auch auf dem Boden des Privatrechts betätigen. Die auftragslose Geschäftsführung einer Krankenkasse kann somit nur dann als öffentlich-rechtlich angesehen werden, wenn sie hoheitlichen Charakter trägt, wie er besonders klar in der Vornahme von Verwaltungsakten zutage tritt. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch keinen Verwaltungsakt erlassen, sondern eine Schuld beglichen. Bei solchen Handlungen, die sowohl dem öffentlichen wie auch dem privaten Recht zugerechnet werden können, erschließt sich die Natur der Geschäftsführung erst aus dem Zusammenhang, in dem die - für sich genommen -- indifferente Handlung steht. Eine Zahlung bekommt in diesem Zusammenhang ihr Gepräge erst durch den Zahlungsgrund (vgl. Hamann in NJW 1955 S. 481 (483); Tiedau in DÖV 1952 S. 164 (167)). Zu dem durch das öffentliche Recht festgelegten Aufgabenbereich einer Krankenkasse gehört die Gewährung von Familienhilfe an Versicherte unter den in § 205 RVO festgelegten Voraussetzungen. Hat eine Krankenkasse unter diesem Gesichtspunkt die Forderung eines Krankenhauses wegen der Krankenhauspflege des unehelichen Kindes eines Versicherten erfüllt, um nicht das Krankenhaus entgelten zu lassen, daß unter den in Frage kommenden Versicherungsträgern Streit über die Leistungsverpflichtung besteht, so hat sie nicht als Privatperson, sondern im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreises gehandelt. Demgemäß ist auch das daraus entstehende Rechtsverhältnis zu der Krankenkasse, von der als eigentlich zur Leistung verpflichteten Kasse Ersatz verlangt wird, als öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag zu deuten. Ein sich aus einem solchen Rechtsverhältnis ergebender Streit ist eine "öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung" (§ 51 Abs. 1 SGG), für die der Sozialrechtsweg gegeben ist.
2.) Die Revision der Klägerin ist begründet.
Daß die auftragslose Geschäftsführung der Klägerin öffentlich-rechtlicher Natur ist, verbietet nicht die entsprechende Anwendung von Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag. Es ist anerkannten Rechts, daß Rechtsgestaltungen verschiedenster Art dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht gemeinsam sind. Bringt die Regelung des Privatrechts einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, der für das öffentliche Recht gleichfalls gilt, so darf sie zur Ausfüllung einer Lücke des positiven öffentlichen Rechts herangezogen werden. Als Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung greifen diese Rechtsgrundsätze über den ursprünglich privatrechtlichen Bereich hinaus auch im öffentlichen Recht Platz (vgl. RGZ. 95 S. 144 (146); 107 S. 189 (190); Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. S. 57; s. a. Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil d. bürgerl. Rechts, 14. Aufl., S. 140 Anm. 12). Allerdings ist die "entsprechende" Anwendung privatrechtlicher Vorschriften nur unter Beachtung der Grenzen und Erfordernisse zulässig, die sich aus den Wesensmerkmalen des öffentlichen Rechts ergeben (RGZ. 97 S. 43 (44)).
Hiernach bestehen keine Bedenken, § 683 in Verbindung mit § 679 BGB auf den vorliegenden Fall der auftragslosen Geschäftsführung der Klägerin für die Beklagte anzuwenden. Daß ein der Geschäftsführung entgegenstehender Wille des Geschäftsherrn nicht in Betracht kommt, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt werden würde (§ 679 BGB), ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, dessen Anwendung im Bereich der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag in besonderem Maße geboten ist. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß die Erfüllung der durch Gesetz und Satzung den Krankenkassen auferlegten Pflichten im öffentlichen Interesse liegt. Verkennt eine zuerst in Anspruch genommene Krankenkasse einem Versicherten gegenüber ihre Leistungsverpflichtung und kommt an ihrer Stelle eine andere Krankenkasse dieser Verpflichtung nach, so entspricht diese "vorläufige Fürsorge" (§ 1735 RVO für den Bereich der Unfallversicherung) dem öffentlichen Interesse. Allein der Streit zwischen den Versicherungsträgern darüber, wer von ihnen zur Leistung verpflichtet ist, darf nicht dazu führen, daß Leistungsverpflichtungen nicht mit der gerade in der Krankenversicherung in der Regel gebotenen Beschleunigung erfüllt werden. In entsprechender Anwendung von §§ 679, 683 BGB hat daher die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse gegen die beklagte Betriebskrankenkasse einen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen, wenn die Beklagte verpflichtet war, die Kosten der Krankenhauspflege für das Kind Michael P. zu tragen.
Diese Verpflichtung besteht nach § 205 Abs. 4 Sätze 1 und 2 RVO; denn die bei der beklagten Krankenkasse pflichtversicherte Köchin P. hatte gegen diese für ihr "unterhaltsberechtigtes Kind" einen Anspruch auf Krankenpflege (§ 205 Abs. 1 RVO in Verbindung mit Ziff. II Nr. 1 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2.11.1943 (AN. 1943 S. II 485)). Mit Recht ist das LSG. davon ausgegangen, daß die Erlasse des Reichsarbeitsministers vom 24. November 1938 (AN. 1938 S. IV 480), vom 31. Januar 1940 (AN. 1940 S. II 68) und vom 24. April 1942 (AN. 1942 S. II 287) betr. die Familienhilfe für uneheliche Kinder die durch § 205 RVO gegebene Rechtslage nicht geändert haben. Aus diesen Erlassen ergibt sich nur, daß der Reichsarbeitsminister die Frage der Familienhilfe für uneheliche Kinder kraft Gesetzes so geregelt sieht, wie es das RVA. in seiner GE Nr. 4940 (AN. 1936 S. IV 36) zum Ausdruck gebracht hat, daß er diese Regelung aber für unbefriedigend hält und deshalb im Vorgriff auf eine beabsichtigte Rechtsänderung Verwaltungsanordnungen trifft. Die Grundlage für die Erlasse vom 31. Januar 1940 und vom 24. April 1942 bildete der sog. "Führererlass" vom 28. August 1939 (RGBl. I S. 1535), der den Obersten Reichsbehörden hinsichtlich der ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften des öffentlichen Rechts auch Weisungsbefugnis erteilte (Abschn. V Abs. 1 des Erl.). Eine Ermächtigung zur Rechtsetzung enthält der "Führererlaß" nicht. Die auf Grund der Weisungsbefugnis dieses Erlasses erteilten Anordnungen waren ihrer Natur nach Dienstbefehle (vgl. OVG. Lüneburg vom 18.6.1952 in Entsch. der OVG. e Münster und Lüneburg Bd. 6 S. 272 (278)), die die Gerichte nicht binden. Bei der Auslegung des § 205 RVO hatte das RVA in der GE Nr. 4940 (a. a. O.) aus dem Umstand, daß § 205 Abs. 2 RVO die unehelichen Kinder unter zwei Nummern (Nr. 4 und 5) - und nicht wie die ehelichen Kinder unter einer Nummer (Nr. 1) - aufgeführt hat, den Schluß gezogen, bei der Gewährung von Familienhilfe seien zweierlei Arten unehelicher Kinder zu unterscheiden. Es hatte weiterhin angenommen, daß die beiden Tatbestände der Nummern 4 und 5 in § 205 Abs. 2 RVO und die hieraus abgeleiteten Ansprüche nicht nebeneinander bestehen könnten, sondern in der Reihenfolge der gesetzlichen Aufzählung einander ausschlössen. Da der Vater des unehelichen Kindes vor der Mutter unterhaltspflichtig sei (§ 1709 Abs. 1 BGB), habe allein die Kasse einzutreten, der der Vater angehöre, wenn die Voraussetzungen des § 205 Abs. 2 Nr. 4 RVO vorlägen; nur wenn diese Voraussetzungen, zu denen auch die Versicherteneigenschaft des Vaters gehöre, nicht gegeben seien, bestehe in zweiter Linie eine Leistungspflicht der Krankenkasse der Mutter nach § 205 Abs. 2 Nr. 5 RVO.
Diese - auch vom Berufungsgericht geteilte - Auffassung kann für das heute geltende Recht nicht mehr aufrechterhalten werden. Für die Meinung des RVA., in erster Linie sei die Krankenkasse des Vaters zur Gewährung von Familienhilfe verpflichtet, ist, wie die Begründung der GE Nr. 4940 erkennen läßt, die Parallelität der Regelung des § 1606 Abs 2 Satz 2 und des § 1709 Abs. 1 BGB von Bedeutung gewesen: Vor Inkrafttreten des GG war sowohl bei ehelichen als auch bei unehelichen Kindern der Vater vor der Mutter unterhaltspflichtig. Nachdem die ungleiche Haftung der beiden Elternteile gegenüber ihren ehelichen Kindern (§ 1606 Abs. 2 BGB) auf Grund des Art. 3 Abs. 2 in Verb. mit Art. 117 Abs. 1 GG durch eine gleichrangige Haftung ersetzt worden ist, ist ein tragender Gedanke für die dem alten Unterhaltsrecht entsprechende Beurteilung der Leistungspflicht der Krankenkassen für uneheliche Kinder weggefallen. Hiervon abgesehen ist die Auffassung des RVA. auch schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der von ihm aus der getrennten Erwähnung der unehelichen Kinder in Nr. 4 und 5 des § 205 Abs. 2 RVO gezogene Rückschluß auf die Priorität der Leistungsverpflichtung der Krankenkasse des Vaters nicht begründet erscheint. Die Vorschrift des § 205 Abs. 2 RVO hat allein die Bedeutung, erschöpfend aufzuzählen, welche Personen als "Kinder" im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift gelten sollen. Sowenig die aufeinanderfolgende Anführung der "ehelichen Kinder", der "für ehelich erklärten Kinder" und der "an Kindesstatt angenommenen Kinder" (§ 205 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 RVO) eine Differenzierung der Ansprüche auf Familienhilfe zuläßt, sowenig kann aus der getrennten Aufzählung der unehelichen Kinder in § 205 Abs. 2 RVO eine Rangordnung der Ansprüche in dem Sinne abgeleitet werden, daß der Anspruch gegen die Krankenkasse der Mutter nur subsidiär gegeben ist. Maßgebend für die Leistungsverpflichtung der Krankenkasse ist nicht Abs. 2, sondern Abs. 1 des § 205 RVO. Hiernach wird darauf abgestellt, ob es sich um ein Kind eines Versicherten handelt - nur insoweit ist die Aufzählung in § 205 Abs. 2 RVO von Bedeutung - und ob dieses Kind unterhaltsberechtigt ist. Sind diese Voraussetzungen sowohl im Fall Nr. 4 als auch im Fall Nr. 5 des § 205 Abs. 2 RVO erfüllt, so haben Vater und Mutter des unehelichen Kindes Anspruch auf Familienhilfe. Daß der gleiche Versicherungsfall mehrere Ansprüche begründet, wird in § 205 Abs. 4 RVO als mögliches Ergebnis der gesetzlichen Regelung der Abs. 1 bis 3 des § 205 RVO ausdrücklich vorausgesetzt. Weder aus der Wortfassung noch aus dem Zusammenhang und Zweck dieser Vorschrift kann somit entnommen werden, daß die Ansprüche des versicherten Vaters und der versicherten Mutter eines unehelichen Kindes auf Familienhilfe einander ausschließen (so auch LSG. Celle vom 8.1.1957 in Breithaupt 1957 S. 396 (398)).
Im vorliegenden Fall hatte auch die Mutter des unehelichen Kindes Anspruch auf Familienhilfe; denn das Kind war ihr gegenüber unterhaltsberechtigt. Der in § 205 RVO verwendete Begriff der Unterhaltsberechtigung ist dem bürgerlichen Recht entnommen und deshalb nach dessen Vorschriften zu bestimmen (vgl. GE des RVA. Nr. 4940, a. a. O.). In welchem Umfange Unterhaltsansprüche bestehen, ist für den Anspruch auf Krankenhilfe bei Erkrankung unehelicher Kinder nach § 205 Abs. 1 RVO ohne Bedeutung. Insbesondere stellt das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht darauf ab, von welchem Elternteil der Unterhalt überwiegend zu leisten ist; soweit ausnahmsweise der überwiegende Unterhalt Anspruchsvoraussetzung ist, hebt § 205 RVO (vgl. Abs. 2 Nr. 6) dies ausdrücklich hervor.
Das uneheliche Kind hat nach Maßgabe des § 1708 BGB einen Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater in Höhe "des gesamten Lebensbedarfs"; der Vater ist nach § 1709 Abs. 1 BGB vor der Mutter unterhaltspflichtig. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Vorschrift des § 1709 Abs. 1 BGL stehe nicht in Widerspruch zum GG; Art. 6 Abs. 5 GG über die Gleichstellung der ehelichen und unehelichen Kinder sei nicht unmittelbar anwendbares Recht, sondern Programmsatz. Diese Frage kann hier ebenso dahingestellt bleiben wie die nach der Verfassungsmäßigkeit des § 1708 BGB etwa unter dem Gesichtspunkt, ob der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 GG) das geltende Recht dahin gewandelt habe, daß auch die Mutter unter bestimmten Voraussetzungen zur Deckung des Lebensbedarfs ihres unehelichen Kindes verpflichtet sei. Selbst wenn man die Unterhaltsregelung der §§ 1708, 1709 BGB als unverändert gültig ansieht, ist die Mutter des unehelichen Kindes diesem gegenüber zu Unterhaltsleistungen jedenfalls beim Vorliegen solcher sozialen Verhältnisse verpflichtet, wie sie in dem hier zu entscheidenden Fall und in zahlreichen anderen Fällen aus dem Lebenskreis der Versicherten gegeben sind. Die Mutter hat nach § 1707 Satz 2, 1. Halbsatz BGB das Recht und die Pflicht; für die Person des Kindes zu sorgen. Für die materiellen Aufwendungen, die die Erfüllung dieser Pflicht mit sich bringt, hat grundsätzlich der Vater aufzukommen (§ 1708 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Begrenzung der Unterhaltspflicht des Erzeugers auf den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt hat jedoch notwendig zur Folge, daß die Mutter des unehelichen Kindes, wenn das in ihrem Lebenskreise üblich und sie dazu imstande ist, dem Kinde die notwendigen Dienstleistungen persönlich gewähren muß, d. h. daß sie in diesem Rahmen unterhaltspflichtig ist (BGHZ. 8 S. 374 (377)). Die vertretbaren Dienstleistungen der Mutter - nicht etwa die mütterliche Sorge als solche, die nur einen immateriellen Wert darstellt - sind somit nach der neueren Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt, ein Teil der Unterhaltslast. Ist die Geldrente, zu der der Vater des unehelichen Kindes im Unterhaltsprozeß verpflichtet wird oder sich freiwillig verpflichtet, verhältnismäßig niedrig und deshalb - wie die Erfahrung zeigt - häufig zur Deckung des gesamten Lebensbedarfs des Kindes nicht ausreichend, so gewinnt der Anspruch des Kindes auf die sich aus der Sorgepflicht ergebenden Dienstleistungen der Mutter besonderes Gewicht. Aber auch von diesem Umstand abgesehen ist das uneheliche Kind immer schon dann seiner Mutter gegenüber unterhaltsberechtigt, wenn die Mutter - wie es die Regel bildet - die mit der Personensorge zusammenhängenden Verpflichtungen selbst zu erfüllen hat.
Sind somit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienkrankenpflege gleichermaßen sowohl gegen die Krankenkasse des Vaters als auch gegen die Krankenkasse der Mutter erfüllt, so hängt die Leistungspflicht der einen oder anderen Krankenkasse nach § 205 Abs. 4 Satz 2 RVO davon ab, welche Krankenkasse zuerst in Anspruch genommen worden ist. Das Krankenhaus, in das Michael P. eingewiesen wurde, hat unter Berufung auf das Versicherungsverhältnis der Mutter des Michael P. bei der beklagten Krankenkasse zunächst diese zur Abgabe der üblichen Verpflichtungserklärung aufgefordert. Zwar ist nicht ersichtlich, ob Frau P. das Krankenhaus zur Geltendmachung ihres Anspruchs auf Krankenhilfe ermächtigt hat. Da die Kindesmutter aber der Inanspruchnahme der Beklagten nicht widersprochen und zudem auch die von der Beklagten gestellten Rückfragen erschöpfend beantwortet hat, kann unbedenklich ihr Einverständnis mit der Inanspruchnahme der Beklagten angenommen werden.
Die beklagte Krankenkasse hätte somit die Kosten des Krankenhausaufenthalts des Michael P. tragen müssen, und der Anspruch der klagenden Krankenkasse auf Ersatz ihrer Aufwendungen dafür, daß sie anstelle der Beklagten die Kosten des Krankenhausaufenthalts getragen hat, ist begründet. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben; der Klage ist stattzugeben (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen