Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Kausalität. Fliegerangriff

 

Orientierungssatz

1. Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl BSG 1972-01-21 2 RU 32/71 = SozR Nr 32 zu § 548 RVO).

2. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthalts in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls iS des § 542 RVO. Das Aufsuchen des Luftschutzkellers während der Freizeit ist nicht dem betrieblichen Bereich zuzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 542; SozSichAbkZVbg BEL 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.04.1970)

SG Augsburg (Entscheidung vom 02.02.1968)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. April 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der belgische Staatsangehörige A T (T.) war während des zweiten Weltkrieges als dienstverpflichteter Arbeiter in Deutschland beschäftigt. Seit Ende 1942 arbeitete er in dem Bekleidungswerk H W in F und wohnte in einer Gemeinschaftsunterkunft, die etwa 500 m von der Betriebsstätte entfernt lag. Es handelte sich um Barackenräume der Gastwirtschaft A, die von der Firma W gemietet und zu Wohnzwecken umgebaut worden war. In dem Lager wohnten nur Ausländer, die in dem Bekleidungswerk W arbeiteten. Sie standen nicht unter Bewachung. Am 26. November 1944, einem arbeitsfreien Sonntag, wurde T. nach einem Luftangriff auf dem Hof vor dem Wohnlager tot aufgefunden. Vermutlich hatte er den 70 m entfernten Luftschutzkeller aufsuchen wollen.

Die in Belgien wohnhaft gewesene Witwe des T., die später wieder geheiratet hat und inzwischen verstorben ist, erhielt vom Königreich Belgien wegen des Todes ihres ersten Ehemannes eine Rente.

Im Oktober 1965 beantragte das Königreich Belgien unter Bezugnahme auf das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen, wegen des tödlichen Unfalls vom 26. November 1944 eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Durch Bescheid vom 14. Dezember 1966 lehnte die Beklagte den Antrag auf Entschädigung ab, weil der Unfall nicht mit der Berufsarbeit in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden habe; das Wohnlager der Firma W sei nicht auf der Betriebsstätte oder in ihrer unmittelbaren Nähe errichtet worden.

Die hierauf vom Königreich Belgien mit dem Ziel erhobene Klage, die Beklagte zur Zahlung der Witwenrente zu verurteilen, die der Witwe T. zugestanden hätte, hat das Sozialgericht (SG) Augsburg durch Urteil vom 2. Februar 1968 abgewiesen, da T. nicht einem Arbeitsunfall im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlegen sei.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung durch Urteil vom 8. April 1970 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Nach dem deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen seien die Vorschriften der RVO in der vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetztes (UVNG) geltenden Fassung für die Beurteilung des streitigen Witwenrentenanspruchs maßgebend. Erlasse des Reichsarbeitsministers (RAM) und Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften seien für die Gerichte nicht bindend, da sie nicht die Wirkung einer materiellen Rechtsnorm hätten. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Unterkunft, in der T. gewohnt habe, ein Lager im Sinne des Erlasses des RAM vom 29. Juni 1944 gewesen sei. Rechtserheblich sei allein, daß T. nicht bei der Arbeit und nicht durch eine betriebliche Einrichtung, sondern an einem arbeitsfreien Sonntag einer Gefahr erlegen sei, der er ebenso wie die Zivilbevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Durch die Zwangsverpflichtung des T. erhalte der Unfall keinen betriebsbezogenen Charakter. Das Unternehmen W sei an der Ursache der Schädigung nicht rechtlich erheblich beteiligt gewesen. Ein deutscher Versicherter hätte bei der gegebenen Sachlage ebenfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Auch in den bilateralen Vereinbarungen seien Rechtsgrundlagen für die Entschädigung von dienstverpflichteten Arbeitern für Schädigungen allgemeiner oder kriegsbedingter Art nicht enthalten. Auf die vom Kläger beantragte Vernehmung des Zeugen F zur Frage der Lage des Wohnlagers im Verhältnis zur Betriebsstätte komme es nicht an. Die in das Wissen des Zeugen gestellten Tatsachen seien nicht rechtserheblich.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und begründet es wie folgt: Die Wohnbaracke, in der T. während seines Aufenthalts in Deutschland gewohnt habe, sei als Lager im Sinne des Erlasses des RAM vom 29. Juni 1944 und des Rundschreibens des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - anzusehen. Damit seien die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Ereignisses vom 26. November 1944 als Arbeitsunfall gegeben. Die Übung der deutschen Berufsgenossenschaften sei auch dahin gegangen, Lagerunfälle unter den in dem Rundschreiben RV 117/44 angeführten Voraussetzungen als Arbeitsunfälle zu entschädigen. Eine solche zum Gewohnheitsrecht erhobene Übung sei den Vertragsstaaten bei Abschluß des Sozialversicherungsabkommens bekannt gewesen. Folglich habe es dem Willen der Vertragsstaaten entsprochen, die Entschädigung derartiger Lagerunfälle den Versicherungsträgern aufzuerlegen. Aber auch wenn ein solches Gewohnheitsrecht nicht bestanden haben sollte, müsse in Anlehnung an die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zum Versicherungsschutz bei Dienst- und Geschäftsreisen ein Arbeitsunfall bejaht werden. Unter diesem Aspekt könne es keinen Unterschied ausmachen, daß T. am Sonntag während seiner Freizeit im Lager gewesen und bei dem Luftangriff nach draußen geeilt sei, um den neben dem Lager befindlichen Luftschutzkeller zu erreichen. T. sei während seines gesamten Lageraufenthalts einem erhöhten Gefahrenbereich ausgesetzt gewesen und müsse den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch genießen, wenn er zur Erhaltung seines Lebens den Weg vom Lager zum Schutzraum angetreten habe. Sinn und Zweck der internationalen Verträge erforderten es, im Anschluß und in Erweiterung der angeführten Rechtsprechung einen wesentlichen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des T. und dem Unfall anzunehmen. Die gegenteilige Feststellung würde zu dem Ergebnis führen, daß ein deutscher Kostenträger, der für die Folgen des Unfalls einzutreten hätte, nicht vorhanden sei, da Ausländer, die außerhalb des Bundesgebietes wohnten, nach § 7 des Bundesversorgungsgesetztes (BVG) keinen Anspruch auf Versorgung hätte. T. habe als im Reichsgebiet beschäftigter Ausländer auch keinen Anspruch auf Fürsorge und Versorgung nach der Personenschädenverordnung gehabt. Daraus sei zu folgen, daß mit dem deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen eine Wiedergutmachung des Schadens beabsichtigt gewesen sei, der den belgischen Arbeitnehmern während ihrer Dienstverpflichtung in Deutschland zugefügt worden sei. Es verstoße gegen die ratio des internationalen Abkommens, wenn der Unfall eines belgischen Arbeitnehmers in einem Wohnlager vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und damit von jeder Entschädigungspflicht eines deutschen Kostenträgers ausgenommen würde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und des Bescheides der Beklagten vom 14. Dezember 1966 zu verurteilen, für die Zeit vom 26. November 1944 bis zum 31. Dezember 1955 Hinterbliebenenentschädigung nach dem am 26. November 1944 verstorbenen A T zu gewähren,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung der Vorinstanzen für zutreffend und macht geltend: Die Unfälle der belgischen Fremdarbeiter im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland während des zweiten Weltkrieges seien vom Königreich Belgien und der Bundesrepublik in ihren internationalen Vereinbarungen übereinstimmend den Regeln der seinerzeitigen deutschen Unfallversicherung unterstellt worden. Die belgischen Fremdarbeiter seien somit unfallversicherungsrechtlich nicht anders zu behandeln als deutsche und sonstige inländische Unfallverletzte nach der RVO. Der Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung trete nur ein, wenn ein Unfall in einer rechtlich wesentlichen Beziehung zu dem versicherten Betrieb stehe. Unfälle bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, insbesondere während der Freizeit und außerhalb der Betriebsstätte (von Wegeunfällen abgesehen) seien immer unversichert gewesen. Wenn zugunsten der belgischen Fremdarbeiter mit Rücksicht auf ihr Zwangsarbeitsverhältnis eine Ausnahme gemacht würde, käme man zu dem von den Vertragsstaaten nicht beabsichtigten Ergebnis, daß die deutschen Unfallversicherungsträger letztlich keine Unfallentschädigung, sondern Wiedergutmachung zu gewähren hätten. Die im Interesse des totalen Krieges von der Reichsführung seinerzeit gemachten Ausnahmen, gelegentlich in ähnlichen Fällen entgegen dem damals wie heute geltenden Unfallversicherungsrecht Entschädigungen zu gewähren, könnten der Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden. Die in der Rechtsprechung zum Unfallversicherungsschutz bei Dienst- und Geschäftsreisen entwickelten Grundsätze seien nicht entsprechend anwendbar. Die belgischen Opfer der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft seien nicht wie Betriebsreisende nur vorübergehend außerhalb ihres gewöhnlichen Wohnsitzes tätig gewesen, sondern zu einem lange dauernden Aufenthalt nach Deutschland gebracht worden.

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Ein Witwenrentenanspruch aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung ist für die Witwe des am 26. November 1944 bei einem Luftangriff in Deutschland ums Leben gekommenen belgischen Staatsangehörigen A T (T.) nicht entstanden. Auf den Kläger - Königreich Belgien -, der nach belgischen Rechtsvorschriften an die Witwe wegen des Todes ihres Ehemannes eine Rente gezahlt hat, sind infolgedessen Ansprüche nicht übergegangen (vgl. Art. 7 Abs. 3 der Dritten Zusatzvereinbarung - 3.ZV - zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 - Allgemeines Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 - BGBl 1963 II 404 -).

Die Frage, ob die Voraussetzungen für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Witwenrente erfüllt sind, ist nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu beurteilen. Sowohl nach der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWGVO Nr. 3 - vgl. Art. 12 Abs. 1) als auch nach dem deutschbelgischen Allgemeinen Abkommen (vgl. Art. 5 Abs. 1) unterliegen die Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in welchem sie beschäftigt sind oder waren. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die EWG-VO Nr. 3 (vgl. Art. 4) mit der in ihren Anhang D aufgenommenen 3. ZV (vgl. Art. 6 Abs. 2 Buchst. e, Art. 5 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3) oder ob das Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV anzuwenden ist.

Die Gewährung einer Witwenrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung setzt voraus, daß der Tod des Versicherten durch einen Arbeitsunfall verursacht worden ist.

Der Verunglückte gehörte zwar bei seiner Beschäftigung während des 2. Weltkrieges in Deutschland zu dem Kreis der gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Er war aufgrund eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des - im Unfallzeitpunkt geltenden und daher hier maßgebenden - § 537 Nr. 1 RVO idF des 6. Gesetzes über Änderung in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (6. ÄndG) - RGBl I 107 - (RVO aF) tätig. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF sind jedoch, wie die Instanzgerichte mit Recht angenommen haben, nicht gegeben. Es fehlt an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall.

Allerdings entfällt der Versicherungsschutz nicht schon deshalb, weil die Kriegsgefahr, von welcher der Verunglückte betroffen wurde, als eine allgemein wirkende Gefahr - wie zB Erdbeben, Überschwemmungen und sonstige Naturkatastrophen - anzusehen wäre, die wegen eines nur rein zufälligen Zusammentreffens mit der betrieblichen Tätigkeit den für einen Arbeitsunfall erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nicht begründen würde (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S.480 r; vgl. auch BSG 23, 79, 81 sowie Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Geschichtliche Entwicklung, S. 82). Bei den im 2. Weltkrieg von den Luftangriffen der Alliierten auf Deutschland ausgehenden Bedrohungen handelte es sich nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht schlechthin um solche allgemein wirkende Gefahren, obwohl die Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Laufe des Krieges immer mehr verstärkt worden sind. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, daß schädigende Ereignisse durch Kriegseinwirkungen (§ 1 BVG) rechtlich zugleich Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO sein können (§ 54 BVG; vgl. BSG 23, 79, 81). Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist deshalb stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 1972 - 2 RU 32/71 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Nach den für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist der Verunglückte am 26. November 1944, einem für ihn arbeitsfreien Sonntag, auf dem Hof vor dem Wohnlager von einem Luftangriff betroffen und tödlich verletzt worden, als er vermutlich im Begriffe stand, den 70 m entfernten Luftschutzkeller aufzusuchen. Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß die Barackenräume, in welchen T. zusammen mit anderen, ebenfalls in dem Bekleidungswerk W beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern wohnte, als Gemeinschaftsunterkünfte im betrieblichen Interesse errichtet waren und, wie die Revision geltend macht, die hierfür vom Reichsverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Rundschreiben vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - für erforderlich erachteten Voraussetzungen vorlagen (vgl. auch die zustimmende Äußerung des RAM vom 29. Juni 1944). Dies allein reicht jedoch nicht aus, den Versicherungsschutz für alle Unfälle zu begründen, die sich in der Unterkunft oder in deren unmittelbarer Umgebung ereignen. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthalts in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind auch in sogenannten Betriebslagern die rein eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, bei denen die Verfolgung persönlicher Interessen derart im Vordergrund steht, daß die Beziehung zu dem Beschäftigungsunternehmen bei der Bewertung der Unfallursachen als rechtlich unwesentlich ausgeschieden werden muß. Der Beschäftigte kann auch in einem Betriebslager privaten Verrichtungen nachgehen, die in keiner näheren Beziehung zur versicherten Tätigkeit stehen. Maßgebend ist somit auch bei Unfällen in Gemeinschaftslagern, die im betrieblichen Interesse errichtet sind, ob zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der Tätigkeit im Unternehmen ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. RVA in EuM 46, 5, 7; RVA in BG 1944, 20; Brackmann, aaO S. 486 a; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand: Juli 1971, Kennzahl 123, S. 2/3). Im Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 wird ebenfalls nicht schlechthin bei jedem Aufenthalt in einem im betrieblichen Interesse errichteten Wohnlager Versicherungsschutz angenommen. Es wird auch hier zwischen dem unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich und der betrieblichen Sphäre unterschieden. Unfallversicherungsschutz ist bei Unfällen in sogenannten Betriebslagern im allgemeinen nicht gegeben, wenn der Unfall sich - wie hier - während der arbeitsfreien Zeit ereignet hat. Die Eigenart der Unterbringung kann allerdings dazu führen, daß auch Handlungen, die an sich der privaten Sphäre des Versicherten zuzurechnen sind, als solche betriebsbezogener Art anzusehen sind (Lauterbach, aaO, § 548 Anm. 36; Podzun, aaO S. 5 zu 5). Das RVA ging davon aus, daß sich die Unfallversicherung der Arbeiter, die in einem Betriebslager untergebracht waren, auf Unfälle erstreckte, welche sich bei eigenwirtschaftlichen Handlungen während des Aufenthalts im Lager ereigneten, wenn der Unfall auf die besonderen Verhältnisse des Lagers zurückzuführen war (RVA in BG 1944, 114). Diese Auffassung kommt auch in früheren Entscheidungen des RVA (vgl. EuM 45, 2, 3; 46, 5, 6, 7) zum Ausdruck. In beiden Fällen ist der Versicherungsschutz bejaht worden, weil der Unfall durch die Beschaffenheit der im betrieblichen Interesse errichteten Wohngelegenheit oder Gemeinschaftseinrichtung oder durch besondere mit der Gemeinschaftsunterbringung verbundene Gefahren verursacht worden war. Durch solche Gefahren ist der Unfall des T. indessen nicht wesentlich beeinflußt worden. Die Verletzung durch Fliegerbomben im Bereich des Lagers ist - auch in ihrer Schwere - nicht wesentlich auf die Art der Unterbringung zurückzuführen. Die Verpflichtung, den Luftschutzraum aufzusuchen, ist nicht als eine besondere, mit der Unterbringung verbundene Gefahr anzusehen. Beherrschende Ursache für den Tod des Verunglückten waren unter den gegebenen Umständen Kriegsereignisse. Die Gefahren der versicherten Tätigkeit treten auch bei der Unterbringung in einer im betrieblichen Interesse errichteten Gemeinschaftsunterkunft jedenfalls dann hinter die von derartigen Luftangriffen ausgehende Gefahrenlage zurück, wenn sie den Beschäftigten bei der Verrichtung privater Dinge betrifft.

Das Aufsuchen des Luftschutzkellers während der Freizeit ist nicht dem betrieblichen Bereich zuzurechnen. Dem Interesse des Arbeitgebers daran, die Arbeitskraft des Beschäftigten zu erhalten, kommt gegenüber dem persönlichen Interesse des Beschäftigten, sich durch Aufsuchen des Luftschutzkellers vor gesundheitlichem Schaden zu bewahren, keine unfallversicherungsrechtlich wesentliche Bedeutung zu (vgl. BSG 9, 222, 225, 226). Daran ändert nichts, daß T. nach den damaligen Vorschriften verpflichtet war, einen Schutzraum aufzusuchen. Die Verpflichtung galt für die gesamte Bevölkerung, sie bestand nicht wesentlich im betrieblichen Interesse.

Die zwangsweise Dienstverpflichtung des Verletzten rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Zwangsverpflichtung aus den besetzten belgischen Gebieten nach Deutschland ist nicht dem Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen. Die Gefahrenlage, in welche die Arbeitnehmer durch die Zwangsverpflichtung gekommen sind, gehört nicht zu den Risiken, die der Arbeitgeber und damit die gesetzliche Unfallversicherung zu tragen haben. Arbeitspolitische Maßnahmen des Staates, wie sie die Zwangsverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte während des 2. Weltkrieges darstellen, bewirken - ohne entsprechende gesetzliche Regelung - für sich allein nicht ohne weiteres eine Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes auf den gesamten Aufenthalt der Beschäftigten.

Das deutsch-belgische Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV sieht keine Wiedergutmachungsleistungen vor, es stellt vielmehr eindeutig darauf ab, ob nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung ein Anspruch besteht. Es bezweckt - wie bei zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen üblich - die Gleichbehandlung von belgischen und deutschen Staatsangehörigen und beruht daher im wesentlichen auf den gleichen Grundsätzen, die in den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 enthalten sind. Es liegen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Vertragsstaaten bei Abschluß des Allgemeinen Abkommens und der 3. ZV übereinstimmend davon ausgegangen sind, die im 2. Weltkrieg aus arbeitspolitischen Gründen von den zuständigen deutschen Stellen möglicherweise vertretene, mit den Rechtsvorschriften der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Einklang stehende und deshalb unbeachtliche Auffassung, Fliegerschäden seien bei lagermäßig untergebrachten Ausländern allgemein als Arbeitsunfälle zu werten, zur Grundlage ihrer Vereinbarung zu machen.

Aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung stand der Witwe sonach eine Entschädigung nicht zu. Der Senat verkennt nicht, daß nach § 7 Abs. 2 BVG eine Leistungsverpflichtung der Versorgungsverwaltung nach dem BVG daran scheitert, daß der Witwe nach den Rechtsvorschriften des Königsreichs Belgien wegen des Todes ihres Ehemannes in Belgien ein Versorgungsanspruch zuerkannt worden ist und keine diese Vorschrift ausschließende zwischenstaatliche Vereinbarung besteht. Ein Entschädigungsanspruch für die Folgen der Zwangsmaßnahmen könnte den belgischen Opfern des nationalsozialistischen Regimes in Fällen der vorliegenden Art nur durch besondere Regelungen eingeräumt werden, etwa durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung, wie sie für die aus den belgischen Ostkreisen stammenden Kriegsopfer, die zum Dienst in der deutschen Wehrmacht zwangsweise verpflichtet worden sind, mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Kriegsopferversorgung vom 21. September 1962 (BVBl 1964, 63 ff) abgeschlossen worden ist.

Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 114 Abs. 2 SGG war nicht erforderlich. Da Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts selbst dann nicht gegeben sind, wenn die 3. ZV als Bestandteil der EWG-VO Nr. 3 auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. b Abs. 3 des EWG-Vertrages nicht in Betracht (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -). Ein Anlaß zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des in Art. 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens genannten Schiedsgerichts besteht schon deswegen nicht, weil dieses nur auf Verlangen eines Vertragsstaates tätig werden kann und ein entsprechender Antrag nicht vorliegt.

Das LSG hat somit zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649773

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