Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Luftangriff. Kausalität

 

Orientierungssatz

1. Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

2. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthaltes in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet, erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls iS des § 542 RVO.

3. Unfallversicherungsschutz ist bei Unfällen in sogenannten Betriebslagern im allgemeinen nicht gegeben, wenn der Unfall sich während der arbeitsfreien Zeit ereignet hat.

 

Normenkette

RVO § 542; SozSichAbkZVbg BEL 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.05.1970)

 

Tenor

Die Revisionen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 1970 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger zu 2) ist belgischer Staatsangehöriger und wohnt in Belgien. Er war während des 2. Weltkrieges als zwangsverpflichteter Arbeiter bei der Firma R Maschinenfabrik und Eisengießerei AG beschäftigt. Er wohnte in einem Gemeinschaftslager, das von 8 R Firmen des gleichen Industriezweiges für die bei ihnen beschäftigten Fremdarbeiter anteilmäßig unterhalten wurde. Das Lager, ein umgebauter Tanzsaal einer Gastwirtschaft, war von der R Maschinenfabrik etwa 2 km entfernt. Bei einem Luftangriff auf die Stadt R am Abend des 6. Januar 1945, einem Sonnabend, wurde das Gemeinschaftslager zerstört. Der Kläger zu 2) erlitt bei dem Angriff schwere Verletzungen im Gesicht und an den Augen, die zum Verlust des linken Auges und zu einer fast völligen Erblindung des rechten Auges führten.

Wegen der Folgen des Unfalls erhält der Kläger zu 2) vom belgischen Staat seit dem 1. Januar 1954 eine Rente.

Im Jahre 1957 beantragte das belgische Ministerium für Volksgesundheit und Familie bei der Beklagten unter Hinweis auf das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen, wegen der Unfallfolgen eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger zu 2) habe im Zeitpunkt seiner Verletzung nicht unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Unfälle in Lagern, die von staatlichen oder kommunalen Stellen oder von mehreren Unternehmern erstellt worden seien und in denen Arbeiter ohne Rücksicht auf ihre Betriebszugehörigkeit aus verschiedenen Unternehmen zusammengefaßt würden, könnten nicht als Arbeitsunfälle entschädigt werden. Vielmehr sei der Aufenthalt in diesen Lagern dem privaten Bereich zuzurechnen.

Die Kläger haben Klage erhoben. Sie haben eine schriftliche Erklärung des Zeugen H vom 5. Dezember 1967 überreicht, aus der sich ergibt, daß das Lager durch die Inhaber der R Maschinenfabrik und Eisengießerei unterhalten worden sei und alle Lagerinsassen in der Fabrik beschäftigt gewesen seien.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage ua mit der Begründung abgewiesen: Der Verletzte habe im Zeitpunkt des Unfalls keine versicherte Tätigkeit ausgeübt oder sich auf dem Wege von oder zu seiner Arbeitsstätte befunden. Er habe auch nicht in einem versicherten Betriebslager im Sinne des Rundschreibens des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - gewohnt. Es stehe fest, daß es sich um ein Gemeinschaftslager von 8 R Firmen gehandelt habe, das etwa 2 km von der R Maschinenfabrik und Eisengießerei entfernt gewesen sei. In diesem Fall sei die Verbindung des Lagers zur Betriebsstätte so locker, daß ein Lagerunfall nicht als Arbeitsunfall behandelt werden könne.

Die Kläger haben Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Gemeinschaftsunterkunft sei im betrieblichen Interesse errichtet und unterhalten worden, so daß der Kläger zu 2) bei seinem Aufenthalt in diesem Lager in jedem Fall unter Versicherungsschutz gestanden habe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Das schädigende Ereignis habe den Kläger zu 2) nicht bei Verrichtung der versicherten Beschäftigung während der Arbeitszeit am Ort der versicherten Tätigkeit oder auf dem Weg zu oder von der Arbeit betroffen. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt im Lager und der betrieblichen Tätigkeit sei nicht gegeben. Auch für zwangsverpflichtete Fremdarbeiter habe entsprechend den Vorschriften der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung Versicherungsschutz regelmäßig nur bei der Arbeit und auf dem Weg von der Unterkunft zur Arbeitsstätte und zurückbestanden. Eine besondere betriebsbezogene Verknüpfung zwischen dem Aufenthalt im Lager und der versicherten betrieblichen Tätigkeit sei nicht vorhanden. Allein der Umstand, daß der Kläger zu 2) in einem Lager und nicht in einer privaten Unterkunft gewohnt habe, rechtfertige nicht schon die Annahme, daß die Lagerunterbringung wesentlich aus betrieblichen Gründen erfolgt sei. Unabhängig davon, daß die lagermäßige Unterbringung der ausländischen Arbeitskräfte in erster Linie aus staatlichen Erwägungen heraus durchgeführt worden sei, könne unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) eine betriebsbedingte Notwendigkeit der Lagerunterbringung in Ratingen nicht angenommen werden. Die Arbeitsstätte des Klägers zu 2) habe im Stadtbereich gelegen, so daß die Lage des Arbeitsplatzes eine Lagerunterbringung nicht erforderlich gemacht habe. Versicherungsschutz für den Kläger zu 2) könne auch nicht aus dem Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. April 1944, das durch den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 29. Juni 1944 nicht zu einer verbindlichen Auslegungsregel werde, hergeleitet werden.

Ein im betrieblichen Interesse errichtetes Lager im Sinne des Rundschreibens liege nicht vor. Es seien in der Unterkunft Beschäftigte verschiedener Firmen untergebracht gewesen. Das Lager habe sich außerdem weder auf der Betriebsstätte oder einem anderweitigen Fabriksgelände, noch in unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte befunden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und es wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des LSG seien nicht die Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (EWG-VO Nr. 3) anzuwenden, sondern das Allgemeine Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (Allgemeines Abkommen) sowie die Dritte Zusatzvereinbarung (3. ZV) zu diesem Abkommen. Bei dem Allgemeinen Abkommen stehe die Wiedergutmachung für die bei ihrem Arbeitseinsatz während des Krieges verletzten und die Hinterbliebenenentschädigung für die bei diesem Einsatz getöteten belgischen Arbeiter im Vordergrund, während die EWG-VO Nr. 3 die arbeitsrechtlichen und versicherungsrechtlichen Beziehungen der Wanderarbeitnehmer im Interesse einer ungehinderten Fluktuation schützen wolle. Zwischen dem Aufenthalt des Klägers zu 2) in dem Lager in R und seiner Tätigkeit in der Firma R Maschinenfabrik und Eisengießerei AG habe ein enger betrieblicher Zusammenhang bestanden. Der Kläger zu 2) sei für Zwecke der Arbeitsleistung dort untergebracht und in dem Lager erhöhten Gefahren ausgesetzt gewesen. Das LSG habe übersehen, daß eine Möglichkeit zur privaten Unterbringung der ausländischen Arbeitskräfte nicht bestanden habe und es somit nicht auf die Nähe des Lagers zu einer Ortschaft ankommen könne. Ebenso sei nicht beachtet worden, daß Kriterien der Entscheidungen des RVA nicht die Lagerunterbringung außerhalb von Ortschaften, sondern die lagermäßige Zusammenfassung der Arbeitskräfte überhaupt und die damit verbundene erhöhte Unfallgefahr gewesen seien. Im übrigen lasse sich der Unfall des Klägers zu 2) sehr wohl bei verständiger Würdigung der Verhältnisse und bei einer geboten erscheinenden extensiven Auslegung unter die Fälle einordnen, die von dem vom Reichsverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in dem Runderlaß vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - aufgestellten Richtlinien erfaßt würden. Das RVA habe darüber hinaus einen Unterschied darin gesehen, ob der Versicherte in einer Wohnbaracke aus Bequemlichkeit im eigenen Interesse oder im Interesse des Betriebes gewohnt habe. Der Aufenthalt des Klägers zu 2) in dem Lager habe dem betrieblichen Interesse seines Arbeitgebers ohne Rücksicht darauf gedient, ob der Arbeitseinsatz staatlich gelenkt, die Lagerunterbringung staatlich angeordnet und die Zuweisung der Arbeitskräfte an einem bestimmten Betrieb nicht allein vom Willen der Betriebsleitung abhängig gewesen sei. Es sei schon vom RVA betont worden, daß die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Lösung vom Betrieb durch eigenwirtschaftliche Handlungen nur mit Einschränkungen für Lagerunfälle gelten könnten. In diesem Zusammenhang sei auf die Rechtsprechung des RVA und des Bundessozialgerichts (BSG) zu Unfällen bei Geschäfts- und Dienstreisen hinzuweisen. Bei solchen Unfällen werde wegen des betriebsbedingten Aufenthalts ein innerer Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis auch außerhalb der eigentlichen Diensttätigkeit eher zuerkannt als am Wohn- oder Betriebsort. In diesen Fällen sei - anders als im häuslichen Bereich - auf eine Abgrenzung des Versicherungsschutzes nach räumlichen Merkmalen zu verzichten. Nach dem Sinn und Zweck des internationalen Vertragswerks mit Belgien sei im Anschluß und in Erweiterung der angeführten Rechtsprechung der Lagerunfall eines belgischen Arbeitnehmers als Arbeitsunfall anzusehen. Die gegenteilige Feststellung würde zu dem Ergebnis führen, daß ein deutscher Kostenträger, der für die Folgen des Unfalls vom 6. Januar 1945 einzutreten hätte, überhaupt nicht vorhanden wäre. Ein Anspruch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) komme nicht in Betracht, da der Kläger zu 2) als Ausländer, der außerhalb des Bundesgebietes wohne, nicht unter den vom BVG erfaßten Personenkreis falle.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 1970 und des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. Juni 1969 sowie des Bescheides der Beklagten vom 12. September 1967 zu verurteilen, dem Kläger zu 2) für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 6. Januar 1945 Verletztenrente als Vollrente von diesem Zeitpunkt an zu zahlen und dem Beklagten aufzuerlegen, den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten für 3 Instanzen zu erstatten,

hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils der Berufungsinstanz an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Die Befugnis des Königreichs Belgien, - hier neben dem Kläger zu 2) als Verletzten - mit der Klage die Ansprüche des Verletzten geltend zu machen, ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 der Dritten Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 - Allgemeines Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl 1963 II 404 - 3. ZV), in der Fassung des Art. 5 des Zusatzprotokolls vom 10. November 1960 (abgedruckt bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, Teil X - Belgien - S. 46, 48). Nach dieser Vorschrift kann das Königreich Belgien, das dem Verletzten nach belgischen Rechtsvorschriften wegen der Folgen des Unfalls eine Rente zahlt, die Feststellung der Leistungen - aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung - betreiben und Rechtsmittel einlegen. Die 3. ZV ist ungeachtet der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG-VO Nr. 3) weiterhin anwendbar, da sie im Anhang D zu dieser Verordnung als weitergeltend aufgeführt ist (vgl. Art. 6 Abs. 2 Buchst. e der EWG-VO Nr. 3).

Die Klagen sind nicht begründet. Dem am Abend des 6. Januar 1945 bei einem Luftangriff in Deutschland verletzten Kläger zu 2) steht ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu. Der Kläger zu 2) hat keinen Arbeitsunfall im Sinne der deutschen Rechtsvorschriften erlitten.

Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt sind, ist nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu beurteilen. Sowohl nach der EWG-VO Nr. 3 (vgl. Art. 12 Abs. 1) als auch nach dem deutsch-belgischen Allgemeinen Abkommen (vgl. Art. 5 Abs.1 unterliegen die Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in dem sie beschäftigt sind oder waren. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Verletzte zu dem in Art. 4 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 3 aufgeführten Personenkreis gehört - den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist dies nicht zu entnehmen - und daher die EWG-VO Nr. 3 mit der in ihren Anhang D aufgenommenen 3. ZV (vgl. Art. 5 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3) oder ob das Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV anzuwenden ist. Maßgebend dafür, ob der Verletzte bei seiner Tätigkeit während des 2. Weltkrieges in Deutschland zu dem in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall versicherten Personenkreis gehört hat und die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen, sind die Vorschriften, die im Unfallzeitpunkt in Kraft waren: §§ 537 bis 541, 542 der Reichsversicherungsordnung idF des 6. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (6. ÄndG) - RGBl I 107 - (RVO aF) sowie die seinerzeit geltenden Sondervorschriften (z.B. die Notdienst-VO vom 15. Oktober 1938 - RGBl I 1441 -). Dies entspricht dem aus sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen in der deutschen Sozialversicherung bestehenden Grundsatz, daß für Ansprüche aus Versicherungsfällen vor Inkrafttreten neuen Rechts die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften anzuwenden sind, sofern das neue Recht sich nicht ausdrücklich rückwirkende Kraft beilegt (vgl. BSG 22, 63, 65; 23, 139, 140 ff; 24, 88, 89 jeweils mit weiteren Nachweisen). Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 241 - (UVNG) gilt gemäß Art. 4 § 1 nur für Arbeitsunfälle, die sich nach seinem Inkrafttreten ereignen; die in Art. 4 §§ 2 ff UVNG geregelten Ausnahmen greifen hier nicht ein.

Mit Recht hat das LSG den Verletztenrentenanspruch nicht schon mit der Begründung als ausgeschlossen erachtet, daß der Verletzte als Zwangsverpflichteter belgischer Staatsangehöriger bei seiner Tätigkeit in Deutschland dem Unfallversicherungsschutz nicht unterlegen habe. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war der Verletzte während des 2. Weltkrieges zur Arbeit in Deutschland zwangsverpflichtet worden. Er gehörte im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses dem in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis an. Es kann dahinstehen, ob der Kläger zu 2) nach der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 (RGBl I 206) dienstverpflichtet oder aufgrund der Notdienst-VO zu Notdienstleistungen herangezogen wurde. Für dieses einem Arbeitsverhältnis entsprechende Beschäftigungsverhältnis galten die allgemeinen Vorschriften über Sozialversicherung (vgl. RAM Bescheid vom 23.7.1940 - AN S. 266; § 2 Abs. 2 der Dienstpflicht-DurchführungsVO vom 2.3.1939 - RGBl I 403; § 3 der 2. DurchführungsVO zur NotdienstVO vom 10. Oktober 1939 - RGBl I 2018 -; Knoll, Die Berufsgenossenschaft 1944, 28, 30). § 1 Abs.2 der VO vom 13. Februar 1939 (aaO) und § 1 Abs. 4 der NotdienstVO, der eine Dienstverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte ausschloß, ist außer Kraft gesetzt worden durch die Anordnung Nr. 10 des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ... vom 22. August 1942 (RABl 1942, 382) i.V.m. der 6. VO des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich (MBN) vom 6. Oktober 1942 (VOBl des MBN 1942, 1059).

Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF sind jedoch, wie das LSG im Ergebnis mit Recht angenommen hat, nicht gegeben. Es fehlt an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall.

Allerdings entfällt der Versicherungsschutz nicht schon deshalb, weil die Kriegsgefahr, von welcher der Verletzte betroffen wurde, als eine allgemein wirkende Gefahr - wie z.B. Erdbeben, Überschwemmungen und sonstige Naturkatastrophen - anzusehen wäre, die wegen eines nur rein zufälligen Zusammentreffens mit der betrieblichen Tätigkeit den für einen Arbeitsunfall erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nicht begründen würde (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 480 r, vgl. auch BSG 23, 79, 81 sowie Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., geschichtliche Entwicklung, S. 82). Bei den im 2. Weltkrieg von den Luftangriffen der Alliierten auf Deutschland ausgehenden Bedrohungen handelte es sich nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht schlechthin um solche allgemein wirkende Gefahren, obwohl die Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Laufe des Krieges immer mehr verstärkt worden sind. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, daß schädigende Ereignisse durch Kriegseinwirkungen (§ 1 des BVG) rechtlich zugleich Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO sein können (§ 54 BVG; vgl. BSG 23, 79, 81). Bei Unfällen infolge von Kriegseinwirkungen ist deshalb stets im Einzelfall zu prüfen, ob zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

Der Kläger zu 2) ist von dem Luftangriff am Sonnabend, dem 6. Januar 1945, außerhalb seiner Arbeitszeit betroffen worden. Es kann zugunsten der Kläger unterstellt werden, daß das Lager in Ratingen, wie die Revision geltend macht, als Gemeinschaftsunterkunft im betrieblichen Interesse errichtet war und die hierfür vom Reichsverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Rundschreiben vom 13. Juli 1944 - RV 117/44 - für erforderlich erachteten Voraussetzungen vorlagen (vgl. auch die Zustimmung des RAM vom 29. Juni 1944). Dies allein reicht jedoch nicht aus, den Versicherungsschutz für alle Unfälle zu begründen, die sich in der Unterkunft ereignen. Nicht jeder Unfall, den ein Beschäftigter während des Aufenthaltes in einer im betrieblichen Interesse erstellten Gemeinschaftsunterkunft erleidet, erfüllt die Voraussetzungen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind auch in sogenannten Betriebslagern die rein eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, bei denen die Verfolgung persönlicher Interessen derart im Vordergrund steht, daß die Beziehung zu dem Beschäftigungsunternehmen bei der Bewertung der Unfallursachen als rechtlich unwesentlich ausgeschieden werden muß. Der Beschäftigte kann auch in einem Betriebslager privaten Verrichtungen nachgehen, die in keiner näheren Beziehung zur versicherten Tätigkeit stehen. Maßgebend ist somit auch bei Unfällen in Gemeinschaftslagern, die im betrieblichen Interesse errichtet sind, ob zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der Tätigkeit im Unternehmen ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. RVA in EuM 46, 5, 7; RVA in BG 1944, 20; Brackmann aaO, S. 486 a; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand: Juni 1971, Kennzahl 123, S. 2/3). Im Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 13. Juli 1944 werden Personen bei ihrem Aufenthalt in einem im betrieblichen Interesse errichteten Wohnlager ebenfalls nicht schlechthin als versichert angesehen. Es wird auch hier zwischen dem unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich und der betrieblichen Sphäre unterschieden. Unfallversicherungsschutz ist bei Unfällen in sogenannten Betriebslagern im allgemeinen nicht gegeben, wenn der Unfall sich - wie hier - während der arbeitsfreien Zeit ereignet hat. Die Eigenart der Unterbringung kann allerdings dazu führen, daß auch Handlungen, die an sich der privaten Sphäre des Versicherten zuzurechnen sind, als solche betriebsbezogener Art anzusehen sind (Lauterbach aaO, § 548 Anm. 36; Podzun aaO, S. 5 zu 5). Das RVA ging davon aus, daß sich die Unfallversicherung der Arbeiter, die in einem Betriebslager untergebracht waren, auf Unfälle erstreckte, welche sich bei eigenwirtschaftlichen Handlungen während des Aufenthalts im Lager ereigneten, wenn der Unfall auf die besonderen Verhältnisse des Lagers zurückzuführen war (RVA in BG 1944, 114). Diese Auffassung kommt auch in früheren Entscheidungen des RVA (vgl. EuM 45, 2, 3; 46, 5, 6, 7) zum Ausdruck. In beiden Fällen ist der Versicherungsschutz bejaht worden, weil der Unfall durch die Beschaffenheit der im betrieblichen Interesse errichteten Wohngelegenheit oder Gemeinschaftseinrichtung oder durch besondere mit der Gemeinschaftsunterbringung verbundene Gefahren verursacht worden war. Durch solche Gefahren ist der Unfall des Klägers zu 2) indessen nicht wesentlich beeinflußt worden. Die Verletzung durch Fliegerbomben ist - auch in ihrer Schwere - nicht auf die Art der Unterbringung zurückzuführen. Eine betriebsbezogene erhöhte Unfallgefahr ist hier nicht gegeben, denn das Lager ist bei einem allgemeinen Luftangriff auf Ratingen zerstört worden. Beherrschende Ursache für die Verletzungen des Klägers zu 2) waren unter den gegebenen Umständen Kriegsereignisse. Die Gefahren der versicherten Tätigkeit treten auch bei der Unterbringung in einer im betrieblichen Interesse errichteten Gemeinschaftsunterkunft jedenfalls dann hinter die von derartigen Luftangriffen ausgehende Gefahrenlage zurück, wenn sie den Beschäftigten bei der Verrichtung privater Dinge betrifft.

Die zwangsweise Dienstverpflichtung des Verletzten rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Zwangsverpflichtung aus den besetzten belgischen Gebieten nach Deutschland ist nicht dem Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen. Die Gefahrenlage, in die der Verletzte durch die Zwangsverpflichtung gekommen ist, gehört nicht zu den Risiken, die der Arbeitgeber und damit die gesetzliche Unfallversicherung zu tragen haben. Arbeitspolitische Maßnahmen des Staates, wie sie die Zwangsverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte während des 2. Weltkrieges darstellen, bewirken - ohne entsprechende gesetzliche Regelung - für sich allein nicht ohne weiteres eine Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes auf den gesamten Aufenthalt des Beschäftigten.

Das deutsch-belgische Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV sieht keine Wiedergutmachungsleistungen vor, es stellt vielmehr eindeutig darauf ab, ob nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung ein Anspruch besteht. Es bezweckt - wie bei zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen üblich - die Gleichbehandlung von belgischen und deutschen Staatsangehörigen und beruht daher im wesentlichen auf den gleichen Grundsätzen, die in den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 enthalten sind. Es liegen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Vertragsstaaten bei Abschluß des Allgemeinen Abkommens und der 3. ZV übereinstimmend davon ausgegangen sind, die im 2. Weltkrieg aus arbeitspolitischen Gründen von den zuständigen deutschen Stellen möglicherweise vertretene, mit den Rechtsvorschriften der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Einklang stehende und deshalb unbeachtliche Auffassung, Fliegerschäden seien bei lagermäßig untergebrachten Ausländern allgemein als Arbeitsunfälle zu werten, zur Grundlage ihrer Vereinbarung zu machen.

Aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung steht dem Verletzten sonach eine Entschädigung nicht zu. Der Senat verkennt nicht, daß nach § 7 Abs. 2 BVG eine Leistungsverpflichtung der Versorgungsverwaltung nach dem BVG daran scheitert, daß der Verletzte nach den Rechtsvorschriften des Königreichs Belgien über Entschädigungsrenten für zivile Opfer des Krieges 1940 - 1945 und ihrer Hinterbliebenen vom 15. März 1954 wegen des in Deutschland erlittenen Unfalls in Belgien einen Versorgungsanspruch hat und keine diese Vorschrift ausschließende zwischenstaatliche Vereinbarung besteht. Ein Entschädigungsanspruch für die Folgen der Zwangsmaßnahmen könnte den belgischen Opfern des nationalsozialistischen Regimes in Fällen der vorliegenden Art nur durch besondere Regelungen eingeräumt werden, etwa durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung, wie sie für die aus den belgischen Ostkreisen stammenden Kriegsopfer, die zum Dienst in der deutschen Wehrmacht zwangsweise verpflichtet worden sind, mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Kriegsopferversorgung vom 21. September 1962 (BVBl 1964, 63 ff) abgeschlossen worden ist.

Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 114 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) war nicht erforderlich.

Da Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts selbst dann nicht gegeben sind, wenn die 3. Zusatzvereinbarung als Bestandteil der EWG-VO Nr. 3 auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. b Abs. 3 des EWG-Vertrages nicht in Betracht (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -). Ein Anlaß zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des in Art. 52 Abs. 2 des Allgemeinen Abkommens genannten Schiedsgerichts besteht schon deswegen nicht, weil dieses nur auf Verlangen eines Vertragsstaates tätig werden kann und ein entsprechender Antrag nicht vorliegt.

Das LSG hat somit zu Recht die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649767

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