Leitsatz (amtlich)
1. Die Frist von drei Monaten, innerhalb deren der letzte Einkommensteuerbescheid vorzulegen ist, um eine Beitragsbefreiung nach dem KGG zu erzielen (KGG § 11 Abs 1 S 4), ist eine Ausschlußfrist; sie wird nicht durch das allgemeine Vorbringen gewahrt, es bestehe keine Beitragspflicht.
2. Der Beitrag zur Familienausgleichskasse wird in dem auf das Geschäftsjahr (RVO § 164) folgenden Kalenderjahr fällig (KGG §§ 35 Abs 1, 29; RVO § 731).
Leitsatz (redaktionell)
Ein pensionierter Beamter, der jetzt als Rechtsanwalt tätig ist, ist nach dem KGG beitragspflichtig, auch wenn er nicht freiwillig bei einer Berufsgenossenschaft versichert ist und nicht selbst in den Genuß von Kindergeld kommen kann.
Normenkette
RVO § 731 Fassung: 1924-12-15, § 164 Fassung: 1924-12-15; KGG § 11 Abs. 1 S. 4, § 29 Fassung: 1954-11-13, § 35 Abs. 1 Fassung: 1954-11-13
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. Juni 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger hat sich nach seiner Pensionierung als Finanzbeamter 1955 als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht niedergelassen; er beschäftigt keine Angestellten. Mit Bescheiden vom 2. Dezember 1959 forderte die Beklagte von ihm Unternehmerkopfbeiträge für die Jahre 1956, 1957 und 1958 sowie für das Jahr 1959 einen Beitragsvorschuß an. Gegen diese Bescheide erhob er Klage mit der Begründung, er gehöre keiner Berufsgenossenschaft (BG) an und sei auch nicht freiwillig versichert. Als Ruhestandsbeamter sei er von dem Bezug von Kindergeld ausgeschlossen; es dürften daher von ihm keine Beiträge erhoben werden, zumal das Kindergeldgesetz (KGG) auch verfassungswidrig sei. Die Beitragsforderung von 1956 sei verjährt bzw. verwirkt. Mit einem weiteren Bescheid vom 13. Juni 1960 setzte die Beklagte den Beitrag für 1959 endgültig fest und forderte einen Beitragsvorschuß für 1960 an. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab, wobei es auch den Bescheid vom 13. Juni 1960 als Gegenstand des Verfahrens ansah. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Vorbringens wies er darauf hin, einer Beitragsfestsetzung dürfe nur sein Einkommen aus freiberuflicher Tätigkeit zugrunde gelegt werden, nicht aber seine Pension. Das Einkommen aus seiner Anwaltstätigkeit habe 1955/56 und 1959 weniger als DM 4 800,- betragen. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung durch Urteil vom 22. Juni 1961 zurück: Das KGG sei nicht verfassungswidrig. Der Kläger müsse Beiträge zur Familienausgleichskasse (FAK) zahlen, weil er berechtigt sei, sich bei einer BG freiwillig zu versichern (§ 10 Abs. 1 KGG); es sei nicht erforderlich, daß er Mitglied sei. Unerheblich sei auch, daß er als pensionierter Beamter nicht in den Genuß von Kindergeld kommen könne. Denn es ergebe sich aus der Solidarität bestimmter Berufsgruppen, daß sie die Mittel für die übrigen Angehörigen dieser Berufsgruppe aufbringen müßten; dieser Gedanke lasse auch die Heranziehung solcher Angehörigen der Berufsgruppe zu Beitragsleistungen zu, denen persönliche Vorteile nicht erwachsen könnten. Ob das Einkommen des Klägers 1955 und 1959 weniger als DM 4 800,- betragen habe, sei unerheblich. Denn der Kläger habe nicht innerhalb der Frist von einem bzw. drei Monaten seinen Einkommensteuerbescheid der Beklagten vorgelegt (§ 11 Abs. 1 KGG). Die Beitragsforderung sei weder verjährt noch verwirkt. Das LSG ließ die Revision zu.
Gegen das am 27. Juli 1961 zugestellte Urteil legte der Kläger am 15. August 1961 Revision ein und begründete sie am 21. September 1961.
Er trägt im wesentlichen vor: Das KGG sei verfassungswidrig. Eine Belastung der Selbständigen mit Beiträgen sei nur zulässig, wenn sie auch für Kindergeld empfangsberechtigt seien; dies sei bei ihm nicht der Fall. Er sei pensionierter Beamter, beschäftige keine Angestellten und sei auch nicht bei einer BG versichert. Sein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit betrage weniger als DM 4 800,- bzw. DM 6 000,- im Jahr. Er habe mit der Verneinung jeglicher Beitragspflicht auch geltend gemacht, daß er wegen seines Einkommens von der Beitragsleistung befreit sei. Es sei zweifelhaft, ob die Frist, innerhalb deren der Einkommensteuerbescheid vorzulegen sei, eine Ausschlußfrist sei. Zum mindesten müsse eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen ihrer Versäumung gewährt werden. Die Beitragsforderungen seien auch verjährt bzw. verwirkt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 22. Juni 1961, das Urteil des SG Berlin vom 25. November 1960 sowie die Bescheide der Beklagten vom 2. Dezember 1959 und 13. Juni 1960 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet.
Zunächst kann der Kläger nicht damit gehört werden, das KGG verstoße gegen das Grundgesetz. Der Senat hat bereits in mehreren Urteilen (vgl. BSG 6, 213; 6, 238) diese Frage verneint, desgleichen das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 10. Mai 1960 (BVerfGE 11, 105). Es ist nach diesen Urteilen nicht zu beanstanden, daß nur die Unternehmer zur Beitragsleistung herangezogen werden, desgleichen nicht, daß auch solche Unternehmer beitragspflichtig sind, die selber nicht in den Genuß des Kindergeldes kommen können.
Der Kläger ist zwar pensionierter Beamter. Er ist aber bezüglich seiner Rechtsanwaltspraxis als Unternehmer anzusehen. Denn er betreibt diese Praxis für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko (§ 29 KGG, § 633 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Als Unternehmer ist der Kläger nach § 10 Abs. 1 KGG beitragspflichtig, weil er für sich als Selbständigen Beiträge zu der BG aufzubringen hätte, wenn er versichert wäre. Es genügt dabei, wie der Senat in seinem Urteil vom 21. November 1960 (SozR KGG § 10 Nr. 2) ausgesprochen hat, daß er die Möglichkeit hat, sich freiwillig bei einer BG zu versichern. Es wird nicht verlangt, daß er zwangsweise oder freiwillig versichert ist.
Es kann dahinstehen, ob das Einkommen des Klägers in einzelnen Jahren die in § 11 Abs. 1 KGG genannte jährliche Freigrenze von 4 800,- DM bis 31. Dezember 1957 oder von 6 000,- DM seit 1. Januar 1958 nicht überschreitet, wobei es nach dem Urteil des Senats vom 25. Oktober 1961 - 7 RKg 6/60 - nur auf das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit ankommt. Denn der Kläger kann sich auf diese Beitragsbefreiung nicht berufen, weil er nicht, wie es § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG erfordert, innerhalb von drei Monaten nach der Beitragsanforderung der Beklagten den letzten Einkommensteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Finanzamts über die Nichtveranlagung zur Einkommensteuer vorgelegt hat. Maßgebend ist dabei die Fassung des KGG, die im Dezember 1959 galt, als die zuerst angefochtenen Bescheide erlassen wurden, da bei der Anfechtung eines Verwaltungsaktes die Form- und Fristvorschriften zu beachten sind, die im Zeitpunkt seines Erlasses gelten, und zwar auch dann, wenn sich der Bescheid auf eine zurückliegende Zeit bezieht, in der eine andere Frist für die Vorlage der Einkommensbelege gegolten hat. Die Vorlage der Einkommensteuerbelege innerhalb von drei Monaten soll dazu dienen, der FAK möglichst schnell die Prüfung zu ermöglichen, ob der Betreffende wegen seines Einkommens beitragspflichtig ist oder nicht. Es wird dabei nicht nur verlangt, daß das Einkommen angegeben, sondern auch, daß es belegt wird. Es genügt deshalb nicht ein entsprechendes Vorbringen, vielmehr ist eine weitere Handlung, die Vorlage der Einkommensbelege, erforderlich. Schon aus diesem Grunde reicht die allgemeine Darlegung, es bestehe keine Beitragspflicht, nicht aus, um diese Voraussetzung der Beitragsfreiheit zu erfüllen, weil auf diese Weise die Beklagte keine Möglichkeit zur Prüfung hat. Selbst wenn sich dann im Laufe des späteren Verfahrens herausstellt, daß das Einkommen die in § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG bezeichneten Grenzen nicht überschreitet, ist das Verhalten der Beklagten nicht mißbräuchlich, wenn sie sich auf die Nichtvorlage innerhalb der im Gesetz angegebenen Frist beruft, weil der Kläger ihr die rechtzeitige Prüfung unmöglich gemacht hat, ob überhaupt Beitragspflicht besteht. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall von dem dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zugrunde liegenden (BSG 14, 246), in dem ausgesprochen ist, daß der Ablauf einer Frist in den Fällen nicht zu beachten ist, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind; überdies betrifft diese Entscheidung das Leistungs- und nicht das Beitragsrecht.
Das LSG hat ferner mit Recht angenommen, daß die Beitragsforderung für 1956 nicht verjährt ist, obwohl die Anforderung erst 1959 erfolgte. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 KGG verjährt der Anspruch auf Beitragsrückstände (sofern sie nicht absichtlich hinterzogen sind) in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit. Fällig wird der Beitrag für das Geschäftsjahr (das mit dem Kalenderjahr zusammenfällt - § 29 KGG, § 164 RVO -) erst nach dessen Abschluß, also im folgenden Kalenderjahr. Denn erst dann lassen sich jeweils die Aufwendungen übersehen, welche die FAK für das abgelaufene Jahr zu machen hat und nach denen sich der endgültige Beitrag richtet. Nicht entscheidend ist, daß Vorschüsse für das laufende Geschäftsjahr erhoben werden können, maßgebend für die Fälligkeit ist vielmehr, wann der endgültige Beitrag gefordert werden kann (ebenso Witting-Meier, Kindergeldhandbuch, § 35 KGG Anm. 3; Lauterbach-Wickenhagen, Die Kindergeldgesetzgebung, § 35 KGG Anm. 4). Da der Beitrag für 1956 erst 1957 festgesetzt werden konnte und 1959 angefordert wurde, ist er nicht verjährt.
Schließlich ist auch eine Verwirkung der Beitragsforderungen zu verneinen. Zwar kennt auch die Sozialversicherung das Rechtsinstitut der Verwirkung. Eine solche kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte während einer längeren Zeitspanne dem anderen gegenüber untätig gewesen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, auf Grund deren sein Verhalten als Verstoß gegen Treu und Glauben empfunden wird (BSG 7, 199). Derartige Umstände hat das LSG aber nicht festgestellt, sie sind auch vom Kläger nicht vorgetragen worden.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund des § 193 SGG.
Fundstellen