Leitsatz (amtlich)
Den freiwillig gegen Krankheit versicherten Rentnern ist von den Trägern der Rentenversicherung der in RVO § 381 Abs 4 S 1 erwähnte Durchschnittsbetrag der Beiträge für die Pflichtversicherten ohne Rücksicht darauf zu zahlen, wie hoch ihr eigener Beitrag zur gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung ist.
Leitsatz (redaktionell)
Zu den privaten Versicherungsunternehmen iS des RVO § 381 Abs 4 S 2 ist auch die "Krankenversorgung der Bundesbeamten" zu rechnen.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1956-06-12, S. 2 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. April 1960 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der 1886 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Mai 1954 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Ruhegeld. Seit dem 1. August 1955 ist er bei der "Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten", einer versicherungsmäßig betriebenen Sozialeinrichtung der Deutschen Bundesbahn, freiwillig gegen Krankheit versichert. Dort betrug sein Beitrag zunächst 4,80 DM monatlich, seit dem 1. April 1958 ist er auf 10,-- DM monatlich erhöht.
Die Beklagte gewährte ihm seit dem 1. August 1956 auf Grund des an diesem Tage in Kraft getretenen § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes über Krankenversicherung der Rentner vom 12. Juni 1956 einen Beitragszuschuß zu seinem Ruhegeld in Höhe der tatsächlichen bezahlten Krankenversicherungsbeiträge, d.h. zunächst in Höhe von 4,80 DM und ab 1. April 1958 in Höhe von 10,-- DM monatlich.
Der Durchschnitt der von den Rentenversicherungsträgern für die gegen Krankheit pflichtversicherten Rentner nach §§ 381 Abs. 2, 385 Abs. 2 RVO gezahlten Krankenversicherungsbeiträge betrug im Jahre 1956 monatlich 10,40 DM, im 1. Halbjahr 1957 monatlich 11,50 DM und im 2, Halbjahr 1957 monatlich 13,-- DM. Seitdem ist er laufend weiter gestiegen, und zwar bis Ende 1960 auf 18,50 DM monatlich. Im 1. Halbjahr 1961 wird er voraussichtlich 20,40 DM betragen (vgl. DAngVers 1961, 31).
Anträge des Klägers, ihm die vollen in § 381 Abs. 4 RVO erwähnten Pauschbeträge zu zahlen, wurden von der Beklagten abgelehnt. Dagegen erhob er mit Erfolg Klage vor dem Sozialgericht (SG) Speyer. Durch Urteil vom 21. Oktober 1958 wurde die Beklagte verurteilt, dem Kläger rückwirkend ab 1. August 1956 den Beitragszuschuß gemäß § 381 Abs. 4 RVO in der jeweiligen Höhe des Durchschnittsbetrages zu gewähren, der den von dem Rentenversicherungsträger für die Pflichtversicherten zur Verfügung gestellten Beiträgen entspricht. Zur Begründung führte das SG aus, nach § 381 Abs. 4 Satz 2 RVO erhielten Empfänger von Renten und Hinterbliebenenrenten aus den Versicherungen der Arbeiter und der Angestellten, die bei einem privaten Versicherungsunternehmen gegen Krankheit versichert sind, auf ihren Antrag von dem zuständigen Träger der Rentenversicherung (RentV) zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag einen Betrag, der dem Durchschnitt der von den Rentenversicherungsträgern für die Pflichtversicherten zur Verfügung gestellten Beiträge entspricht. In dem Gesetz finde sich keine Bestimmung darüber, daß dieser Zuschuß nur bis zur Höhe des tatsächlichen Kassenbeitrages zu gewähren sei. In der freiwilligen privaten Krankenversicherung (KrV) liege der Beitrag meistens sogar höher als der Pauschbetrag gemäß § 381 Abs. 2 und 4 RVO. Wenn der Krankenversicherungsbeitrag einmal niedriger sei, so beruhe dies in der Regel darauf, daß das freiwillige Mitglied nur teilweise versichert sei, d.h. einen gewissen Prozentsatz der Arzt- und Arzneikosten selbst zu tragen habe. Mit Rücksicht hierauf sei es nur billig, einem solchen Rentner den jeweiligen vollen Durchschnittsbetrag zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 13. April 1960 das Urteil des SG Speyer vom 21. Oktober 1958 auf und wies die Klage ab. Es war der Auffassung, nach § 381 Abs. 4 RVO habe der Rentenversicherungsträger nur einen Zuschuß "zu" einem zu zahlenden Beitrag zu leisten. Der Zuschuß könne somit schon dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht höher sein als der Beitrag selbst. Diese aus dem Gesetzeswortlaut zu entnehmende Auslegung sei auch gerechtfertigt. Es sei beabsichtigt gewesen, alle Rentner für den Fall der Krankheit ausreichend zu versorgen. § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO in der Fassung des Gesetzes über die KrV der Rentner (KVdR) vom 12. Juli 1956 trage diesem Gedanken durch eine weitgehende Zwangsversicherung der Rentner Rechnung. Die nicht unter jene Vorschriftenfallenden Rentner sollten nach § 381 Abs. 4 RVO durch einen Ausgleichsbetrag geschützt werden. Dieser stehe aber nicht allen nicht krankenversicherungspflichtigen Rentnern zu, sondern nur denjenigen, die nachweisen, daß sie als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen oder der privaten KrV angehören. Hieraus ergebe sich, daß der Ausgleichsbetrag ausschließlich zur Bestreitung der Krankenversicherungsbeiträge dienen und zum Eingehen einer freiwilligen KrV anregen solle. Der Ausgleichsbetrag solle dagegen nicht der unkontrollierbaren und dem Belieben des einzelnen überlassenen privaten Kapitalansammlung für einen Krankheitsfall dienen.
Gegen das ihm am 14. Mai 1960 zugestellte Urteil, in welchem die Revision zugelassen worden ist, hat der Kläger am 9. Juni 1960 Revision eingelegt und diese am 29. Juni 1960 begründet. Er hält die vom LSG vertretene Auslegung des § 381 Abs. 4 RVO nicht für richtig. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes hätten die Träger der RentV für die freiwillig gegen Krankheit versicherten Rentner die gleichen Beiträge aufzubringen wie für die pflichtversicherten. Das bedeute, daß es sich bei den Pauschalbeträgen des § 381 Abs. 4 RVO um Beträge handele, die der Rentner stets dann erhalte, wenn er überhaupt Beiträge - gleich in welcher Höhe - für seine freiwillige KrV leiste. Somit dürfe die Höhe des ihm für seine KrV zustehenden Zuschusses nicht von der Höhe des tatsächlichen bezahlten Beitrages abhängig gemacht werden.
Der Kläger und Revisionskläger beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 13. April 1960 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Speyer vom 21. Oktober 1958 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
da das angefochtene Urteil richtig sei. Jeder über den eigenen Krankenversicherungsbeitrag des Versicherten hinaus geleistete Betrag würde nicht mehr zu dem Krankenversicherungsbeitrag geleistet, sondern eine zusätzliche Leistung zur Rente sein. Das habe der Gesetzgeber nicht beabsichtigt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist begründet.
Nach § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO erhalten Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente oder einer Hinterbliebenenrente aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder der Angestellten erfüllen, aber nicht zu den in § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO bezeichneten Personen gehören, auf ihren Antrag von dem zuständigen Träger der RentV "zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag einen Betrag, der dem Durchschnitt der von den Rentenversicherungsträgern für die Pflichtversicherten zur Verfügung gestellten Beiträge entspricht, wenn sie nachweisen, daß sie als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen KrV versichert sind". Nach Satz 2 dieses Absatzes haben den gleichen Anspruch Empfänger von Renten und Hinterbliebenenrenten aus den Versicherungen der Arbeiter und der Angestellten, die bei einem privaten Versicherungsunternehmen gegen Krankheit versichert sind. Dabei ist das Wort "privat" nicht im Hinblick auf die Rechtsform des Versicherungsunternehmens zu verstehen, sondern allein als Unterscheidung gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern aufzufassen (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 381 RVO Anm. 5 S. 769). Zu den privaten Versicherungsunternehmen ist deshalb auch die "Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten", bei der der Kläger versichert ist, zu rechnen (vgl. Bescheid des BAM vom 1. Februar 1957 - DOK 1957, 116 -).
§ 381 Abs. 4 ist erst bei der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der RVO (Gesetz über Krankenversicherung der Rentner, BGBl I 500) am 19. April 1956 eingefügt worden. Er hatte sich wegen der Beschränkung der Krankenversicherungspflicht der Rentner als notwendig erwiesen. Während nach dem bisherigen Recht alle Rentner der gesetzlichen KrV angehörten, haben die neuen Bestimmungen eine Aufteilung des bisher versicherten Personenkreises der Rentner gebracht. Nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO werden nur noch die dort bezeichneten Personen für den Fall der Krankheit versichert, die "während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen KrV versichert waren"; nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO sind ferner pflichtversichert bestimmte Hinterbliebene der in § 165 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Personen. Für diese Pflichtversicherten tragen die Rentenversicherungsträger die Beiträge (§ 381 Abs. 2 i.V.m. § 385 Abs. 2 RVO). Die übrigen Rentner können sich lediglich freiwillig versichern, und zwar entweder (zB nach § 176 Abs. 1 Nr. 4 oder nach § 313 RVO) in der gesetzlichen KrV oder bei einem privaten Versicherungsunternehmen. Diesen Rentnern sollten nach dem Änderungsantrag bei der Dritten Lesung, um dem Gleichheitsgrundsatz zu genügen, etwa die gleichen Ansprüche gegen den Rentenversicherungsträger gegeben werden, die krankenversicherungspflichtige Rentenberechtigte neben ihrer Rente haben (vgl. die Ausführungen der Abgeordneten Kalinke, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stengr . Berichte Bd. 29 S. 7277 und 7348).
Aus dieser Entstehungsgeschichte sowie aus dem Wortlaut des § 381 Abs. 4 RVO kann entgegen der Auffassung des LSG nicht gefolgert werden, daß der den freiwillig versicherten Rentnern zu zahlende Zuschuß niemals den tatsächlich bezahlten Krankenversicherungsbeitrag übersteigen dürfe. Die zur Begründung dieser Ansicht vorgebrachte Auslegung überzeugt nicht. Eine solche einengende Interpretation ergibt sich weder daraus, daß es in der genannten Vorschrift heißt, der freiwillig versicherte Rentner erhalte "zu" seinem Krankenversicherungsbeitrag eine bestimmte Leistung, noch daraus, daß er "einen" Betrag erhält, der dem bereits mehrfach erwähnten Durchschnittsbetrag entspricht. Wäre eine Begrenzung der erörterten Art beabsichtigt gewesen, hätte es viel näher gelegen, zu bestimmen, daß der freiwillig versicherte Rentner einen Zuschuß "bis zur Höhe" des Durchschnittssatzes erhält. Das ist indes nicht geschehen. Vor allem aber spricht gegen die vom LSG vertretene Auffassung der Relativsatz des § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO, wonach - ohne Einschränkung - ein Betrag zu zahlen ist, "der dem Durchschnitt der von den Rentenversicherungsträgern für die Pflichtversicherten zur Verfügung gestellten Beiträge entspricht". Somit muß bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift stets der Durchschnittssatz gezahlt werden. Dafür spricht außerdem der Sinn und Zweck des Gesetzes. Zwar ist zuzugeben, daß bei den in der gesetzlichen KrV freiwillig versicherten Rentnern die Gewährung des Durchschnittssatzes unter Umständen im Ergebnis einer gewissen Erhöhung der Rente gleichkommen kann, sofern nämlich der freiwillig gezahlte Beitrag (für den im wesentlichen ein gleicher Versicherungsschutz gewährt wird wie bei den pflichtversicherten Rentnern) niedriger ist als der Durchschnittssatz, Die sich hieraus möglicherweise ergebenden Bedenken können indes nicht für die bei einem privaten Versicherungsunternehmen gegen Krankheit Versicherten gelten. Diese müssen in der Regel einen Teil der ihnen bei einer Erkrankung entstehenden Kosten selbst tragen. Vor allem bestehen hier im allgemeinen ungünstigere Regelungen über die Aussteuerung bei länger andauernden Krankheiten als in der gesetzlichen KrV. Deshalb erscheint es durchaus sinnvoll, diesen besonderen Verhältnissen in der privaten KrV dadurch Rechnung zu tragen, daß den Rentnern bei niedriger Beitragszahlung und entsprechend geringem Versicherungsschutz auch der den Beitrag übersteigende Durchschnittssatz der Beiträge für Pflichtversicherte voll gezahlt wird. Da aber nach dem Sinn und der insoweit eindeutigen Fassung des § 381 Abs. 4 RVO die freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse und die bei einem privaten Versicherungsunternehmen Versicherten hinsichtlich der Höhe der von den Rentenversicherungsträgern an sie zu zahlenden Beiträge gleichgestellt sein sollen, ist somit allen freiwillig versicherten Rentnern als Zuschuß zu ihrer KrV stets der volle Durchschnittssatz zu gewähren.
Einer solchen Auslegung des Gesetzes steht die Fassung des § 381 Abs. 3 RVO, wonach der Betrag "zu" dem Krankenversicherungsbeitrag zu zahlen ist, nicht entgegen. Diese Vorschrift darf nicht dahin verstanden werden, daß der Betrag den tatsächlich gezahlten Beitrag niemals übersteigen dürfe. Vielmehr weist jene Formulierung lediglich auf den Zweck der Leistung hin, dem bereits durch das Bestehen einer freiwilligen KrV des Rentners Genüge getan ist, ohne daß es noch auf die Höhe des von ihm zu zahlenden Beitrages ankäme. Dieses Ergebnis verdient gegenüber der vom LSG und auch im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Heyn, Zeitschrift für Versicherungswesen 1960, 70 und 745) um so mehr den Vorzug, als sie - neben einer Belastung - auch eine Entlastung der Rentenversicherungsträger insofern bedeutet, als nunmehr nicht in jedem einzelnen Falle die Höhe der jeweils gezahlten freiwilligen Beiträge geprüft und überwacht werden muß. Mithin steht nach der Auffassung des Senats allen gegen Krankheit freiwillig versicherten Rentnern stets der in § 381 Abs. 4 Satz 1 genannte Durchschnittssatz zu.
Nach alledem war auf die Revision des Klägers das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen