Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrtkosten bei Genesungskur

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist der Versicherungsfall unter der Herrschaft des bis 1974-09-30 geltenden Rechts eingetreten und die Gewährung einer einmaligen Leistung - hier: Genesungskur - in dieser Zeit erfolgt, außerdem der Bewilligungsbescheid bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts bindend geworden, dann beurteilt sich die Rechtswidrigkeit eines Bescheides nach altem Recht, weil eine abgeschlossene Regelung eines Einzelfalls noch nach früherem Recht erfolgt ist. Daran ändert nicht, daß die faktische Abwicklung der Leistung erst später durchgeführt wurde (- hier Kur nach dem 1974-09-30 -). Anders wäre die Rechtslage lediglich dann zu beurteilen, wenn sich das Gesetz rückwirkende Kraft beilegen würde.

 

Normenkette

RVO § 194 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 187 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 20.05.1976; Aktenzeichen L 5 K 30/75)

SG Koblenz (Entscheidung vom 24.09.1975; Aktenzeichen S 2 K 30/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 1976 und des Sozialgerichts Koblenz vom 24. September 1975 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Fahrkosten anläßlich einer Genesungskur.

Der Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse gegen Krankheit versichert. Im Mai 1974 beantragte er bei der Beklagten für seine Ehefrau eine Festigungskur (Genesungskur). Mit Bescheid vom 14. Juni 1974 bewilligte die Beklagte die Genesungskur, die sodann in der Zeit vom 7. Oktober bis zum 1. November 1974 in St. P durchgeführt wurde. Der Bescheid besagt, daß die Kasse die Kosten der Genesungskur voll übernimmt, daß Aufwendungen für die An- und Abreise jedoch zu Lasten des Berechtigten gehen. Ein Rechtsbehelf wurde nicht eingelegt.

Nach Durchführung der Kur beantragte der Kläger, ihm die Kosten für die An- und Abreise sowie für den Gepäcktransport in Höhe von insgesamt 201,60 DM zu erstatten. Er verwies auf die Vorschriften des inzwischen in Kraft getretenen Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG). Die Beklagte lehnte den Antrag ab, der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das SG hat ihm die Leistung zugesprochen (Urteil vom 24. September 1975). Die zugelassene Berufung der Beklagten an das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz blieb ohne Erfolg (Urteil vom 20. Mai 1976): Die von der Beklagten im Zusammenhang mit ihren Versicherungsbedingungen aufgestellten Richtlinien für Festigungskuren entsprächen nicht mehr den gesetzlichen Bestimmungen. Der durch das RehaAnglG mit Wirkung ab 1. Oktober 1974 in die Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgenommene § 194, der die Übernahme von Reise- und Gepäcktransportkosten vorschreibe, gelte auch für Genesungskuren, selbst wenn die Vorschrift des § 187 Nr 2 RVO nicht geändert worden sei. Der Beklagten sei es zwar gestattet, Voraussetzungen und Umfang der Fürsorge für Genesende durch die Satzung als Mehrleistung zu regeln, diese Ermächtigung finde aber ihre Grenzen in den gesetzlichen Bestimmungen, im vorliegenden Fall an § 194 RVO. Wenn die Beklagte eine Genesungskur als Leistung gewähre, müsse sie die generellen Leistungsvorschriften beachten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie ist der Auffassung, daß der Ehefrau des Klägers eine Mehrleistung nach § 187 Nr 2 RVO gewährt worden sei. Solche Mehrleistungen gingen über den Rahmen der Regelleistungen hinaus und seien deshalb vom Gesetzgeber der autonomen Regelung durch die Kasse überantwortet worden. Die Ermächtigung gestatte es der Kasse, durch ihre Satzung den Umfang der Mehrleistung zu bestimmen, lediglich hinsichtlich der Höchstgrenzen gebiete § 179 Abs 3 RVO einen Rahmen. Es sei der Kasse unbenommen, Mehrleistungen in beschränktem Umfang zuzubilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 1976 und des SG Koblenz vom 24. September 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend. Durch das RehaAnglG sei der Unterschied zwischen Regel- und Mehrleistungen beseitigt worden, jedenfalls soweit er Fahrkosten betreffe. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, daß die Rentenversicherungsträger ebenfalls Fahrkosten übernähmen, das RehaAnglG beabsichtige aber gerade, die bisher bestehenden Unterschiede der verschiedenen Rehabilitationsleistungen zu beseitigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Beklagte hatte dem Kläger für seine Ehefrau eine Genesungskur gewährt. Rechtsgrundlage des Bewilligungsbescheids vom 14. Juni 1974 waren die Versicherungsbedingungen der Beklagten, die nach § 7 ihrer Satzung Bestandteil dieser Satzung sind. Es bedarf keiner Prüfung der Frage, ob der Kläger zur Gruppe der versicherungspflichtigen oder der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder der Beklagten gehört - Feststellungen darüber sind nicht getroffen worden -, weil beiden Gruppen gleicherweise Familienhilfe für die unterhaltsberechtigten Ehegatten zusteht, und zwar werden ihnen Kuren sowie sonstige Maßnahmen der Krankheitsverhütung und Genesendenfürsorge unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie Mitgliedern gewährt. Der Anspruch auf derartige Maßnahmen für Mitglieder ist durch Richtlinien geregelt, und diese sehen vor, daß die Kasse die Kosten der Festigungskuren übernimmt, die Aufwendungen für die An- und Abreise jedoch zu Lasten des Mitglieds gehen. Der Inhalt des Bewilligungsbescheids der Beklagten vom 14. Juni 1974 hat diesen Satzungsbestimmungen Rechnung getragen. Er hat auch im Einklang mit den zu jener Zeit geltenden gesetzlichen Vorschriften gestanden, denn nach § 187 Nr 2 RVO aF konnte die Satzung Fürsorge für Genesende, namentlich durch Unterbringung in einem Genesungsheim, bis zur Dauer eines Jahres nach Ablauf der Krankenhilfe gestatten. Mit dieser Vorschrift war der Kasse die Ermächtigung eingeräumt, durch Satzungsbestimmungen Genesendenfürsorge als Mehrleistung iS des § 179 Abs 3 RVO zu gewähren. Damit waren die Ausgestaltung und der Umfang der Mehrleistung der Kasse zur autonomen Regelung überantwortet, weil § 179 RVO lediglich eine Höchstbegrenzung festlegt (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl, Stand: Januar 1978, § 179, Anm 4, S 17/228).

Das LSG hat zwar nicht festgestellt, wann der Versicherungsfall - die Kurbedürftigkeit - für die von der Beklagten bewilligte Leistung eingetreten ist, aber es steht außer Zweifel, daß er spätestens bei Erlaß des Bewilligungsbescheids gegeben war. Da der Versicherungsfall unter der Herrschaft des bis zum 30. September 1974 geltenden Rechts eingetreten ist und die Gewährung einer einmaligen Leistung - einer Genesungskur - betraf und da zudem der Bewilligungsbescheid bindende Wirkung erlangte (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), liegt dem Rechtsstreit ein unter der Geltung des damaligen Rechts abgeschlossener Sachverhalt zugrunde, der auch, wie bereits dargelegt, jener Rechtslage voll entsprach. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung der Rechtsfrage, ob der durch das RehaAnglG eingeführte § 194 RVO die Krankenkasse generell verpflichtet, auch für Genesungskuren nach § 187 Nr 2 RVO aF die vollen Reisekosten zu übernehmen, weil die Vorschrift keine Anwendung findet. Das RehaAnglG hat in § 9 Abs 1 Vorschriften über Voraussetzungen, Art und Umfang der Rehabilitationsleistungen getroffen, in § 10 die medizinischen Leistungen des näheren beschrieben und dazu in § 12 Nr 4 bestimmt, daß als ergänzende Leistungen die erforderlichen Reisekosten übernommen werden sollen. Diese Regelung gilt für Leistungen, bei denen der Versicherungsfall ab 1. Oktober 1974 eintritt (vgl § 45 Abs 1 RehaAnglG); ob sie auch dann Geltung zu beanspruchen hätte, wenn wenigstens die Bewilligung der Leistung nach dem 1. Oktober 1974 erfolgt wäre, bedarf hier keiner Entscheidung, weil ein solcher Sachverhalt nicht vorliegt. Das RehaAnglG legt sich mit Ausnahme der hier nicht eingreifenden Vorschrift des § 45 Abs 2 keine Rückwirkungskraft bei. Die Tatsache allein, daß die Kurzeit der Ehefrau des Klägers infolge der starken Belegung der Kurplätze erst wenige Tage nach Inkrafttreten des RehaAnglG beginnen konnte, betrifft zwar die faktische Abwicklung der Leistung, ändert aber nichts daran, daß der Leistungsantrag, die rechtlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung und der Eintritt der Bindungswirkung des Verwaltungsakts unter vorherigem Recht abgeschlossen waren (vgl BSG, Urteil vom 7. Dezember 1977 - 1 RA 7/77). Unter diesen Umständen bestand für die Beklagte auch kein Anlaß, auf den Antrag des Klägers hin von der Bindungswirkung des Bescheids vom 14. Juni 1974 abzugehen und nach Inkrafttreten des RehaAnglG einen neuen Bescheid anderen Inhalts zu erlassen. Demgemäß war die Beklagte nicht verpflichtet, dem Kläger Reisekosten zu erstatten. Da der angefochtene Bescheid und der Widerspruchsbescheid dieser Rechtslage entsprechen, waren auf die Revision der Beklagten die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655269

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