Leitsatz (amtlich)
Einem Verfolgten des Nationalsozialismus (NVG § 1), der wegen seiner politischen Haltung sein Arbeitsverhältnis aufgeben mußte, können Zeiten einer etwaigen Arbeitslosigkeit, die nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft - also nach Mai 1945 - liegen, nicht mehr als Zeiten einer erzwungenen Arbeitslosigkeit und damit als Ersatzzeiten in den Rentenversicherungen (NVG § 3 Abs 1) angerechnet werden.
Normenkette
NVG § 3 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Dezember 1957 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Gewährung weiterer Steigerungsbeträge zum Ruhegeld des verstorbenen Ehemanns der Klägerin nach dem "Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung" vom 22. August 1949 ( VerfolgtenG ).
Der Ehemann der Klägerin wurde im März 1883 geboren und ist im März 1957 gestorben. Während seines Berufslebens war er als kaufmännischer Angestellter in der Tschechoslowakei, zuletzt als Direktor der S-AG. in A tätig und bei der Allgemeinen Pensionsanstalt in P versichert. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Oktober 1938 mußte er wegen seiner politischen Haltung sein Arbeitsverhältnis aufgeben; Versicherungsbeiträge wurden für ihn bis einschließlich Mai 1940 entrichtet. Anschließend erhielt er von der Allgemeinen Pensionsanstalt eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Nach dem Kriege zog er in die Bundesrepublik nach Hessen. Er besaß die deutsche Staatsangehörigkeit und war sowohl als Flüchtling als auch als Verfolgter im Sinne des § 1 VerfolgtenG anerkannt (Bescheid des Regierungspräsidenten in D vom 10.4.1953). Vom 1. Juli 1950 an, dem Monat nach dem Zuzug in die Bundesrepublik, bis zu seinem Tode bezog er ein Ruhegeld aus der Rentenversicherung der Angestellten, das zunächst von der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Hessen festgesetzt und später von der Beklagten übernommen wurde. Bei der Berechnung des Ruhegeldes wurden für die Zeit von Juni 1940 bis Mai 1945 Steigerungsbeträge auf Grund des § 4 Abs. 1 VerfolgtenG gewährt (Bescheid der LVA. Hessen vom 17.6.1953). Der Ehemann der Klägerin erstrebte jedoch darüber hinaus die Anrechnung von Steigerungsbeträgen nach dem VerfolgtenG auch für die Zeit nach dem Zusammenbruch des Reichs bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahrs, das heißt für die Zeit von Juni 1945 bis März 1948. Er machte geltend, daß er ohne die erzwungene Lösung seines Arbeitsverhältnisses bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres im Dienst geblieben wäre und Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hätte. Die Beklagte ist dagegen der Ansicht, daß das VerfolgtenG nicht gestatte, Zeiten der Arbeitslosigkeit, die nach dem 8. Mai 1945 liegen, rentensteigernd anzurechnen; im übrigen sei der Versicherte während dieser Zeit auch nicht arbeitslos gewesen, weil er Rente bezogen und sich nicht um Arbeit bemüht habe. Die Klägerin setzt das Verfahren, das noch von dem Versicherten eingeleitet worden ist, fort.
Das Sozialgericht Speyer wies die Klage ab (Urteil vom 11.10.1956); das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz bestätigte diese Entscheidung; es ließ die Revision zu (Urteil vom 4.12.1957).
Die Klägerin legte gegen das ihr am 9. Januar 1958 zugestellte Urteil des LSG. am 1. Februar 1958 Revision ein und begründete sie am 26. Februar 1958. Sie beantragte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, auch für die Zeit von Juni 1945 bis März 1948 Steigerungsbeträge anzurechnen. Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Der Versicherte hatte als heimatvertriebener Deutscher aus seinen Beiträgen, die er zur tschechoslowakischen Pensionsversicherung geleistet hat, auf Grund des "Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes" vom 7. August 1953 (FremdRG) einen Anspruch auf Ruhegeld gegen die Beklagte und im Rahmen dieses Gesetzes als anerkannter Verfolgter des Nationalsozialismus auch einen Anspruch auf die Vergünstigungen des VerfolgtenG (§§ 1, 2, 17 Abs. 6 FremdRG). Die Klägerin darf das Verfahren fortsetzen (§ 65 AVG).
Nach § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 VerfolgtenG werden Verfolgten des Nationalsozialismus in den Rentenversicherungen für die Zeiten der durch die erzwungene Aufgabe des Arbeitsverhältnisses hervorgerufenen Arbeitslosigkeit Steigerungsbeträge gewährt, wenn die Versicherung vorher bestanden hat. Das LSG. hat nicht geprüft, ob der Versicherte in der streitigen Zeit überhaupt arbeitslos war. Eine Arbeitslosigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VerfolgtenG setzt u. a. die Arbeitsfähigkeit des Versicherten voraus (vgl. BSG. Urteil vom 26.6.1959 - 1 RA 118/57). Ob diese bei dem Ehemann der Klägerin in jener Zeit vorlag, ist deshalb zweifelhaft, weil dieser bereits seit 1940 Rente wegen Berufsunfähigkeit bezog und sich Arbeitsfähigkeit und Berufsunfähigkeit gegenseitig ausschließen können. Die Prüfung braucht jedoch nicht nachgeholt zu werden, weil auch aus anderen Erwägungen heraus kein Anspruch auf die Steigerungsbeträge besteht.
Nach den genannten Vorschriften dürfen einem Verfolgten Zeiten einer Arbeitslosigkeit nur dann rentensteigernd angerechnet werden, wenn sie auf der erzwungenen Aufgabe des Arbeitsverhältnisses beruhen. Es muß also zwischen der Verfolgungsmaßnahme und der Arbeitslosigkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. In den Rentenversicherungen ist der ursächliche Zusammenhang zwischen einem bestimmten Ereignis und einer Folge nur ausnahmsweise zu berücksichtigen (vgl. z. B. § 1263 a RVO a. F., § 28 AVG n. F.), in der Regel kommt es in diesen Versicherungszweigen nicht auf die Art der Verursachung an. Ist aber - wie im vorliegenden Rechtsstreit - der ursächliche Zusammenhang einmal zu prüfen, so sind dabei, wie das Bundessozialgericht (BSG.) bereits klargestellt hat, die Grundsätze zu verwerten, die dazu im übrigen Sozialrecht, z. B. in der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung, entwickelt worden sind (BSG., Sozialrecht, § 1263 a RVO a. F. Bl. A a 5 Nr. 5). Nach diesen ist der ursächliche Zusammenhang dann gegeben, wenn das vom Gesetz bestimmte Ereignis die wesentlich mitwirkende Ursache für die tatbestandsmäßige Folge darstellt. Es genügt also nicht, daß das in Betracht kommende Ereignis nur irgendwie den Erfolg ausgelöst hat. Es kommt auf die Wesentlichkeit der Mitverursachung durch einen bestimmten Umstand an; eine nur lose Verbindung des Erfolges mit diesem reicht nicht aus (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 5. Aufl., S. 680 b).
Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und der erzwungenen Aufgabe des Arbeitsverhältnisses muß während der gesamten Zeit, für die zusätzliche Steigerungsbeträge nach dem VerfolgtenG beansprucht werden, bestanden haben, nicht nur zu Beginn der Arbeitslosigkeit. Vor der Gewährung eines Steigerungsbetrags muß für jeden Monat der Arbeitslosigkeit geprüft werden, ob sie noch auf der politisch bedingten Entlassung beruhte. Einen Endtermin, bis zu dem hin Zeiten der Arbeitslosigkeit als Verfolgungszeiten berücksichtigt werden dürfen, nennt das VerfolgtenG nicht. Für die politischen Emigranten hat der Gesetzgeber später einen Tag (31. Dezember 1949) bestimmt, von dessen Ablauf an die Zeiten eines weiteren Auslandsaufenthalts nicht mehr als Ersatzzeiten nach dem VerfolgtenG anzurechnen sind (vgl. § 17 Abs. 5 FremdRG, § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG n. F.). Dieser Stichtag bezieht sich nach dem Wortlaut der erwähnten Vorschriften eindeutig auf den durch nationalsozialistische Maßnahmen herbeigeführten Aufenthalt im Ausland und nicht, wie die Klägerin annimmt, auch auf Zeiten der erzwungenen Arbeitslosigkeit (vgl. Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zum 4. und 5. Buch der RVO, 6. Aufl., § 1251 Anm. 19). Diese enden einmal mit dem Wegfall der Arbeitslosigkeit als solcher und zum anderen - beim Weiterbestehen der Arbeitslosigkeit - auch mit dem Verlust des Zusammenhangs zwischen der Arbeitslosigkeit und der Verfolgungsmaßnahme. Die Arbeitslosigkeit beruht im letzteren Fall nicht mehr auf der erzwungenen Aufgabe des Arbeitsverhältnisses. Die Lösung der Arbeitslosigkeit von ihrer ursprünglichen Ursache vollzog sich bei Verfolgten in der Regel mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach dieser Zeit war eine frühere Entlassung aus politischen Gründen nicht mehr bestimmend für eine etwa fortbestehende Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit eines Verfolgten hatte nunmehr nicht länger ihre wesentliche Ursache in den früheren Gründen; sie beruhte, wenn sie überhaupt noch vorlag, wenn also Arbeitswille und Arbeitsfähigkeit tatsächlich vorhanden waren, auf anderen - vielleicht wirtschaftlichen - Gründen oder auf den besonderen Verhältnissen der Nachkriegszeit, von denen Verfolgte und Nichtverfolgte in gleicher Weise betroffen wurden. Die Verfolgten wurden bevorzugt eingestellt und in Arbeitsverhältnisse vermittelt; eine Berücksichtigung der früheren Entlassung zu Ungunsten des Stellenbewerbers war schlechthin undenkbar. Etwaige Benachteiligungen von Deutschen in Ausland richteten sich gegen alle dort wohnenden deutschen Staatsangehörigen; sie waren allgemeine Auswirkungen des verlorenen zweiten Weltkrieges. Die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit einmal durch eine Verfolgungsmaßnahme ausgelöst worden war, wirkte neben den neuen Ursachen nur noch unwesentlich weiter und reicht nicht aus, um im Sinn des Sozialrechts einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden für die Zeit nach Mai 1945 zu bejahen. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben es deshalb mit Recht abgelehnt, Steigerungsbeträge nach § 4 Abs. 1 VerfolgtenG für die später liegenden Zeiten anzurechnen (im Ergebnis ebenso: Pauli, DAngVers. 1956 S. 194).
Dieses Ergebnis widerspricht nicht - wie die Revision annimmt - den Grundsätzen des allgemeinen Entschädigungsrechts. Die Prinzipien dieses Rechtsgebiets müssen auch nach der Ansicht des erkennenden Senats bei der Anwendung des VerfolgtenG berücksichtigt werden (vgl. BSG. Urteil vom 26.6.1959 - 1 RA 118/57). Im Entschädigungsrecht wird gleichfalls fortlaufend ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verfolgungsmaßnahme und dem Verfolgungsschaden verlangt (Blessin-Wilden, Bundesentschädigungsgesetz § 1 Anm. 3). Bei Schäden aus einer Berufsverdrängung wird dieser Zusammenhang verneint, wenn trotz des Wegfalls der ursprünglichen Behinderung keine Tätigkeit aufgenommen wird (Oberlandesgericht Hamburg, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1956 S. 261).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen