Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. abhängige Beschäftigung selbständige Tätigkeit als Hebamme
Orientierungssatz
Der Anwendungsbereich des § 16 FRG erstreckt sich nur auf eine abhängige Beschäftigung; eine selbständige Tätigkeit als Hebamme wird von § 16 FRG nicht erfaßt, und zwar auch dann nicht, wenn für eine solche selbständige Tätigkeit nach Bundes- oder Reichsrecht "Versicherungspflicht besteht oder bestanden hat".
Normenkette
FRG § 16 Fassung: 1960-02-05
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.01.1964) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.05.1962) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, geboren am 15. August 1892 in L, war vom 1. Januar 1925 bis 30. September 1939 in L Krs. R (Galizien), später in J und vom 1. Januar 1942 bis 15. Januar 1945 im deutschen Krankenhaus in P (ehemaliges Generalgouvernement) als Hebamme tätig. Von 1945 bis 1947 wurde sie im Lager S in Polen interniert, wo sie sich in ihrem Beruf und als Krankenschwester betätigte. Nach ihrer Entlassung ging sie in die sowjetisch besetzte Zone, wo sie vom 5. Juli 1949 bis 31. Juli 1952 versicherungspflichtig beschäftigt war. Ab 1. August 1952 bis 30. Juni 1956 bezog sie Altersrente. Am 26. Juni 1956 zog sie in die Bundesrepublik.
Mit Bescheid vom 21. Januar 1961 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ab, weil mit den 37 Monaten sowjetzonaler Beiträge die erforderliche Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt sei.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe Versicherungszeiten, die die Klägerin in ihrer Heimat in Polen zurückgelegt habe, zu Unrecht nicht berücksichtigt. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf verurteilte die Beklagte am 23. Mai 1962, der Klägerin die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Juli 1956 zu gewähren: Die Zeiten vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 1939 und vom 1. Februar 1943 bis 15. Januar 1945 seien als Beitragszeiten anzurechnen; nach § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) sei die vor der Vertreibung verrichtete Beschäftigung der Klägerin im "Vertreibungsgebiet" Polen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -) einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, für die Beiträge entrichtet sind, gleichzusetzen. Es sei unerheblich, ob die Klägerin als Hebamme selbständig oder abhängig tätig gewesen sei; nach § 2 Nr. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) unterlägen auch selbständige Hebammen der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung; die Klägerin habe deshalb die Wartezeit erfüllt.
Die Beklagte erkannte nunmehr die Zeit vom 1. Januar 1942 bis 15. Januar 1945, in der die Klägerin bei dem deutschen Krankenhaus in P als Hebamme beschäftigt war, als Beitragszeit an und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 7. November 1962 aus diesen Beiträgen und den sowjetzonalen Beiträgen von je 37 Monaten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 120,60 DM ab 1. Juli 1956.
Im übrigen, d. h. soweit die Beklagte verurteilt worden war, auch die Zeit vom 1. Januar 1925 bis 30. September 1939 als Beitragszeit anzurechnen, legte sie Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen ein; sie machte geltend, § 16 FRG sei für die Zeit vom 1. Januar 1925 bis 30. September 1939, in der die Klägerin als selbständige Hebamme tätig gewesen sei, nicht anzuwenden.
Das LSG Nordrhein-Westfalen entschied mit Urteil vom 15. Januar 1964: "Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des SG Düsseldorf vom 23. Mai 1962 abgeändert. Die Klage wird insoweit abgewiesen, als mit ihr die Anrechnung der Beschäftigung der Klägerin vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 1939 als versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 16 FRG begehrt wird." Das LSG führte aus, die Klägerin sei in der Zeit vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 1939 in Polen als selbständige Hebamme tätig gewesen; diese Zeit dürfe nicht nach § 16 FRG als Beitragszeit angerechnet werden, weil der Begriff "Beschäftigung" im Sinne dieser Vorschrift eine wirtschaftlich und persönlich abhängige Tätigkeit voraussetze. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Klägerin legte Revision ein. Sie beantragte,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 23. Mai 1962 zurückzuweisen.
Sie rügte, das LSG habe § 16 FRG unrichtig angewandt.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist nach §§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist allein, ob bei der Berechnung der Rente der Klägerin wegen Berufsunfähigkeit (seit 1.7.1956) ihre Tätigkeit als Hebamme in G (Polen) vom 1. Januar 1925 bis 30. September 1939 als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG zu berücksichtigen ist.
Das LSG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin in der streitigen Zeit nicht zu den nach polnischem Sozialversicherungsrecht versicherungspflichtigen Angestellten gehört und daß sie auch keine Beiträge zu einem Rentenversicherungsträger geleistet hat; es hat ferner festgestellt, daß die Klägerin damals keine abhängige Arbeit verrichtet, sondern eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat. Diese Feststellungen sind von der Revision nicht angegriffen.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Zeit, in der die Klägerin als selbständige Hebamme in Polen tätig gewesen ist, nicht als "anrechnungsfähige Beschäftigungszeit" (Beitragszeit) im Sinne des § 16 FRG zu berücksichtigen ist, weil die in § 16 FRG bestimmte Gleichstellung "einer Beschäftigung" mit "einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes, für die Beiträge entrichtet sind", eine abhängige Beschäftigung voraussetzt. Diese Rechtsauffassung hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 25. Mai 1965 - 1 RA 245/62 - vertreten und eingehend begründet. Der 1. Senat hat u. a. ausgeführt: "Unter Beschäftigung ist nach der Terminologie der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze stets eine abhängige zu verstehen; der Gegensatz ist die selbständige Tätigkeit (vgl. z. B. § 15 FRG, § 25 Abs. 2 und 3 AVG). Sinn und Zweck der Regelung sind die Gleichstellung der in bestimmten Vertreibungsgebieten nicht versichert gewesenen Vertriebenen mit den einheimischen Versicherten; von diesen Vertriebenen sollen aber nur diejenigen in die Rentenversicherung eingegliedert werden, die vorher unselbständig beschäftigt waren (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl. S. 51 Anm. 2 zu § 16 FRG mit den dort angeführten Gesetzesmaterialien und S. 52 Anm. 6). Auch die Art und Weise, mit der das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) die durch das bis dahin geltende Fremdrentenrecht gelösten und noch offengelassenen Probleme regelt, spricht für diese Auslegung des § 16 FRG. Das FANG rechnet nämlich die Zeiten reichsgesetzlicher Rentenversicherung außerhalb des Bundesgebietes wie Zeiten der Bundesversicherung an (Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Nr. 1, Art. 4 Nr. 1 FANG), behandelt Zeiten fremder Rentenversicherungen so, als ob sie im Geltungsbereich des FRG zurückgelegt worden wären (§§ 15, 17 Abs. 1 FRG) und beschränkt sich im übrigen darauf, Zeiten unselbständiger Beschäftigung in bestimmten Vertreibungsgebieten (§§ 16, 17 Abs. 2 FRG) oder in bestimmten Beschäftigungsverhältnissen (Art. 6 §§ 18 bis 23 FANG) wie versicherte oder nachversicherte Zeiten zu behandeln. Diese das gesamte Fremdrentenrecht beherrschende Begrenzung auf tatsächliche Versicherung oder abhängige Beschäftigungsverhältnisse läßt es nicht zu, § 16 FRG im Wege lückenfüllender Auslegung auch auf nichtversicherte Tätigkeiten auszudehnen, und zwar selbst nicht insoweit, als sie in der Rentenversicherung der Bundesrepublik und vorher in der reichsgesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen wären." Der erkennende Senat hält diese Auslegung, bei der sowohl der Wortlaut des § 16 FRG als auch der Sinn der Vorschrift berücksichtigt ist, für richtig. Der Anwendungsbereich des § 16 FRG erstreckt sich hiernach nur auf eine abhängige Beschäftigung; eine selbständige Tätigkeit, wie sie die Klägerin in der streitigen Zeit im "Vertreibungsgebiet" ausgeübt hat, wird von § 16 FRG nicht erfaßt, und zwar auch dann nicht, wenn für eine solche selbständige Tätigkeit nach Bundes- oder Reichsrecht "Versicherungspflicht besteht oder bestanden hat" (vgl. auch Gesamtkommentar zur RVO, 2. Bd., FRG, Stand 1.8.1962, Anm. 7 zu § 16 FRG). Die Anrechnung der streitigen Zeit als Beitragszeit nach § 16 FRG ist auch nicht deshalb geboten, weil die Klägerin, hätte sie "im Reichsgebiet" eine Tätigkeit als frei praktizierende Hebamme mit Niederlassungserlaubnis ausgeübt, versicherungspflichtig gewesen wäre (§ 4 Nr. 3 AVG aF) und weil auch nach geltendem Recht selbständige Hebammen versicherungspflichtig sind (§ 2 Nr. 5 AVG nF). Der 1. Senat hat in seinem Urteil vom 25. Mai 1965 bereits dargelegt, daß die Regelung des § 16 FRG, obwohl sie von den Betroffenen als eine gewisse Härte empfunden werden kann, nicht dem Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes widerspricht; der Ausgleich des Schadens der Vertriebenen, und zwar auch soweit er die Sicherung ihres Alters betrifft, ist auf sehr verschiedene Weise in den verschiedensten Gesetzen geregelt worden, der Gesetzgeber hat für die nähere Gestaltung dieses sozialen Ausgleichs einen weiten Spielraum gehabt. Der erkennende Senat folgt auch insoweit der Rechtsauffassung des 1. Senats; diese Rechtsauffassung verdient um so mehr Beachtung, als es der Gesetzgeber auch in dem Gesetz zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) bei der bisherigen Fassung des § 16 FRG hat bewenden lassen.
Das LSG hat danach die Rechtslage zutreffend beurteilt.
Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen