Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Auswirkungen bei Überleitung eines Anspruchs auf Stammrecht
Leitsatz (amtlich)
Hat der Sozialhilfeträger einen etwaigen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auf sich übergeleitet, ist er zu dem Rechtsstreit notwendig beizuladen, in dem sich der Arbeitslose gegen die nach der Überleitung ausgesprochene rückwirkende Entziehung der Arbeitslosenhilfe wendet.
Orientierungssatz
Der Übergang eines Anspruchs des Sozialhilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht", dieses verbleibt dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen, und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1; BSHG § 90 Abs 2 Halbs 1
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 22.11.1979; Aktenzeichen V ARBf 72/78) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 27.06.1978; Aktenzeichen 2 AR 572/77) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) und gegen die Rückforderung der ihm für die Zeit vom 16. November bis 13. Dezember 1976 gezahlten Alhi.
Der Kläger löste im Juli 1972 sein Arbeitsverhältnis. Nach Ablauf einer Sperrzeit erhielt der Kläger Arbeitslosengeld (Alg); seit dem 14. August 1973 bezog er (mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und ein Heilverfahren) Anschlußarbeitslosenhilfe.
Nachdem die Beklagte bereits mit bindendem Bescheid vom 17. September 1976 den Eintritt einer Sperrzeit vom 20. Juli bis 16. August 1976 festgestellt hatte, übersandte sie am 3. November 1976 dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag. Der Kläger stellte sich am 15. November 1976 bei dem Arbeitgeber vor. Zu einer Einstellung kam es nicht. Für die Zeit vom 13. bis 19. Januar 1977 gewährte die Freie und Hansestadt Hamburg dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt; mit Schreiben vom 19. Januar 1977 zeigte die Stadt der Beklagten die Überleitung des Anspruchs auf Alhi an.
Mit Bescheid vom 2. März 1977 hob die Beklagte die Alhi- Bewilligung ab 4. November 1976 auf, da eine zweite Sperrzeit eingetreten sei; mit einem weiteren Bescheid vom 2. März 1977 forderte die Beklagte die dem Kläger für die Zeit vom 4. November bis 13. Dezember 1976 gezahlte Alhi in Höhe von 641,20 DM zurück; sie setzte diesen Betrag von einer dem Kläger im März 1977 überwiesenen Nachzahlung ab. Widerspruch und die vom Sozialgericht (SG) verbundenen Klagen hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 7. und 15. Juni 1977; Urteil vom 27. Juni 1978). Erfolglos blieben auch die Anträge des Klägers vom 27. April und 1. Dezember 1977 auf Alg bzw Alhi (Bescheid vom 9. August 1977; Bescheid vom 5. April 1978, Widerspruchsbescheid vom 5. September 1978).
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 22. November 1979 die Berufung des Klägers zurückgewiesen, nachdem die Beklagte die Bescheide vom 2. März 1977 dahin abgeändert hatte, daß die Alhi erst mit Wirkung vom 16. November 1976 erlischt und die Rückforderung sich entsprechend ermäßigt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Berufung, die Alhi für die Zeit vom 16. November 1976 bis zum 16. Januar 1977 und die Rückforderung betreffe, sei zulässig aber unbegründet. Der Alhi-Anspruch sei nach § 119 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erloschen, da der Kläger nach dem Bescheid vom 17. September 1976 am 15. November 1976 erneut Anlaß für den Eintritt einer vierwöchigen Sperrzeit gegeben habe. Der Kläger habe an diesem Tag das Arbeitsangebot abgelehnt. Hierfür habe er keinen wichtigen Grund gehabt.
Der Kläger sei vor der Ablehnung des Arbeitsangebots über die Rechtsfolgen der Ablehnung durch einen vorgedruckten Hinweis auf das Merkblatt für arbeitslose Arbeitnehmer anläßlich des Vermittlungsvorschlags ausreichend belehrt worden. Zwar sei der Postsendung das Merkblatt nicht beigefügt gewesen; der Kläger habe das Merkblatt jedoch besessen. Eine Konkretisierung der möglichen Ablehnungsgründe, wie sie der Kläger wünsche, um ihn von jeder Unsicherheit zu befreien und seine Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber zu stärken, sei nicht erforderlich. Das Arbeitsangebot selbst sei hinreichend bestimmt gewesen. Es sei nicht erforderlich, daß das Arbeitsamt alle wesentlichen Bedingungen selbst nenne; es genüge, wenn dem Arbeitslosen eine eigene Prüfungsmöglichkeit an Ort und Stelle eröffnet werde.
Der Kläger rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision die unrichtige Anwendung des § 119 AFG. Er macht geltend, durch das Arbeitsangebot und die Aushändigung des Merkblattes nicht ausreichend auf die Rechtsfolgen der Arbeitsablehnung hingewiesen worden zu sein. § 119 AFG erfordere eine individuelle Belehrung. Die Beklagte kenne die beruflichen Verhältnisse der Arbeitslosen und die Einzelheiten des Stellenangebotes. Daher sei sie in der Lage, ein zuverlässiges Urteil über die Zumutbarkeit des Angebotes abzugeben. Mit der Weitergabe des Angebots müsse sie daher dem Arbeitslosen mitteilen, ob und ggf welche wichtigen Ablehnungsgründe in Betracht kämen. Hierdurch werde die Verhandlungsposition des Arbeitslosen gestärkt, der sich darüber klar werden könne, was er zu tun habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide der Beklagten vom 2. März 1977 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. und 15. Juni 1977, geändert durch Bescheid vom 22. November 1979, aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des LSG sei zutreffend. Nach Maßgabe der Urteile des erkennenden Senats BSGE 44, 71 = SozR 4100 § 119 Nr 3 und BSGE 47, 101 = SozR 4100 § 119 Nr 5 sei das Arbeitsangebot im vorliegenden Fall ausreichend bestimmt gewesen, weil es alle Angaben enthalten habe, deren der Kläger bedürfe, um sich über die zulässigen Ablehnungsgründe schlüssig zu werden. Es sei auch eine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung erteilt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen vermag.
Bei einer zugelassenen Revision sind, bevor sachlich- rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt.
Der Kläger hat mit seiner Revision zwar keinen Verfahrensmangel gerügt, das Revisionsgericht hat jedoch solche Mängel, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, von Amts wegen zu berücksichtigen. Zu diesen von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängel zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (seit BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 ständige Rechtsprechung; BVerwG Buchholz 310 § 65 VwGO Nr 31). SG und LSG ist entgangen, daß an dem Rechtsstreit, soweit dieser die Aufhebung der Alhi- Bewilligung ab 16. November 1976 betrifft, der Sozialhilfeträger, der dem Kläger in der Zeit vom 13. bis 19. Januar 1977 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt und mit Schreiben vom 19. Januar 1977 der Beklagten die Überleitung des Anspruchs auf Alhi in Höhe der Aufwendungen nach § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angezeigt hat, derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann und der Sozialhilfeträger deshalb gemäß § 75 Abs 2 SGG insoweit notwendig zum Rechtsstreit beizuladen ist.
Mit der schriftlichen Anzeige an den Drittschuldner bewirkt der Träger der Sozialhilfe, daß ein Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn für die Zeit übergeht, für die dem Hilfeempfänger die Hilfe ohne Unterbrechung gewährt wird (§ 90 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BSHG). Der Übergang erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht"; dieses verbleibt vielmehr dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen, und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann (BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200; 50, 64, 66; Urteil des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 -). Die schriftliche Anzeige ist ein Verwaltungsakt, der mit unmittelbarer Rechtswirkung zum Anspruchsübergang führt, sofern er nicht nichtig ist (BVerwG Buchholz 454.71 § 3 II. WoGG Nr 1). Die Überleitung sagt nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel; der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert, dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger (BVerwGE 34, 219; BSGE 41, 237, 238 - SozR 5910 § 90 Nr 2). Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt (BSG aaO); hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht (BSG aaO; SozR Nr 36 zu § 148 SGG; vgl ferner SozR Nr 18, 19, 20 und 27 zu § 146 SGG).
Die erst nach der Überleitungsanzeige ausgesprochene Aufhebung der bisherigen Alhi-Bewilligung rückwirkend ab anfangs 4. November 1976, später ab 16. November 1976, die mit dem Verlust der erworbenen Anwartschaft auf Arbeitslosenhilfe verbunden ist, betrifft mithin den Alhi-Anspruch auch, soweit er infolge der Überleitung auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen ist; denn die Entziehung sollte der Weitergewährung der Alhi, dh auch der Leistungen ab 13. Januar 1977, den Boden entziehen. Damit greift jegliche gerichtliche Entscheidung über die hier ua streitige Anfechtung des Entziehungsbescheids vom 2. März 1977 idF des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 1977 und der Abänderung durch die Erklärung der Beklagten vom 22. November 1979 in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Ist der Träger der Sozialhilfe mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch dem Träger der Sozialhilfe gegenüber nur einheitlich ergehen kann, muß dieser zu dem Rechtsstreit beigeladen werden, wie umgekehrt der Hilfeempfänger, dem trotz der Überleitung das "Stammrecht" verblieben ist, zu dem Rechtsstreit des Sozialhilfeträgers beizuladen ist, in dem dieser den übergeleiteten Anspruch vor dem SG geltend macht (vgl Urteil des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 -). Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten der Alhi unzulässig sind (§ 168 SGG), führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des LSG Stellung zu nehmen vermag. Das gilt auch hinsichtlich der Entscheidung des LSG zur Rückforderung. Zwar ist das Verfahren des LSG insoweit nicht zu beanstanden; doch ist für die Rückforderung die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides vorgreiflich.
Das LSG, das wegen der hier anstehenden Fragen auf die Urteile des Senats vom 21. Juli 1981 in den Sachen 7 RAr 1/80, 7 RAr 2/80 und 7 RAr 37/80 hingewiesen wird, wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen