Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. April 1996 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. August 1995 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Kindergeld (Kg) für die Tochter S (S) des Klägers, im Klage- und Berufungsverfahren noch für die Zeiträume vom 1. Oktober 1992 bis zum 30. April 1993 und vom 1. Juni 1993 bis zum 30. September 1993, im Revisionsverfahren nur noch für den letztgenannten Zeitraum.
Der Kläger, Beamter des beklagten Landes, bezog 1992 Kg in Höhe von insgesamt 140 DM monatlich für seinen Sohn J und seine Tochter S (geboren 1969). S studierte an der Universität Göttingen englische und deutsche Philologie für das Lehramt an Gymnasien. In der Zeit vom 1. Oktober 1992 bis zum 30. September 1993 ließ S sich beurlauben. Sie absolvierte bis Mitte Mai 1993 an einer Schule in Irland ein (entgeltliches) Praktikum als „assistant teacher”, assistierte dann noch (unentgeltlich) bis Anfang Juni 1993 bei den Abschlußprüfungen dieser Schule und bereitete sich anschließend bis Ende September 1993 auf ihre anglistische Examensarbeit vor. Die Universität hat das allen Anglistikstudenten empfohlene, in der Praktikumsordnung aber nicht vorgeschriebene Auslandspraktikum als Ersatz für das von Lehramtsstudenten nachzuweisende vierwöchige deutsche Schulpraktikum anerkannt.
Der Beklagte hob die 1988 ausgesprochene Bewilligung des Kg für S mit Wirkung ab 1. Oktober 1992 zunächst ganz auf (Bescheid vom 1. September 1992, Ergänzungsbescheid vom 19. März 1993; Widerspruchsbescheid vom 2. April 1993). Zur Begründung führte der Beklagte aus, die von S während der beiden Urlaubssemester ausgeübte Tätigkeit einer Lehrassistentin an einer ausländischen Schule gehöre weder zur Berufsausbildung noch zu den Voraussetzungen für die Zulassung zur Abschlußprüfung. Mit Blick auf die Anerkennung des Auslandspraktikums als Ersatz für das vierwöchige deutsche Schulpraktikum bewilligte der Beklagte dem Kläger nur Kg für S für den Monat Mai 1993. Die Fortzahlung des Kg für S in den Folgemonaten bis zur Wiederaufnahme des Studiums am 1. Oktober 1993 wurde aber erneut abgelehnt, da S sich in dieser Zeit nicht in Berufsausbildung befinde. Zudem liege hier auch keine berücksichtigungsfähige Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten vor (Bescheid vom 31. März 1993; Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1993). Ab Oktober 1993 bezog der Kläger auch für S wieder Kg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. August 1995). Im Urteilstenor und in den Entscheidungsgründen finden sich keine Ausführungen zur Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung. In der beigefügten Rechtsmittelbelehrung heißt es, das Urteil könne mit der Berufung angefochten werden. Die entsprechend dieser Rechtsmittelbelehrung eingelegte Berufung des schon damals anwaltlich vertretenen Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) angesichts eines Wertes des Beschwerdegegenstands von nur 770 DM (Kg von je 70 DM für 11 Monate) zwar für unzulässig erachtet, die Berufung aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache selbst zugelassen. In der Sache hat das LSG der Klage für die Monate Juni bis September 1993 stattgegeben, da S in dieser Zeit trotz formaler Beurlaubung vom Studium ihre Berufsausbildung fortgesetzt habe. Hilfsweise könne auch die Überbrückungsregelung des § 2 Abs 2 Satz 5 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) herangezogen werden, die im vorliegenden Fall die Zeit zwischen dem Ende der Berufsausbildung in Irland (Anfang Juni 1993) und der Fortsetzung des Studiums in Göttingen (1. Oktober 1993) als für den Kg-Anspruch unschädlich erscheinen lasse. Für die Zeit von Oktober 1992 bis April 1993 habe der Beklagte das Kg für S hingegen zu Recht versagt, da S sich zwar auch in Irland in Berufsbildung befunden habe, sie aber anspruchsausschließende monatliche Bruttobezüge von umgerechnet mehr als 750 DM erhalten habe (Urteil vom 11. April 1996).
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht der Beklagte geltend, das LSG hätte die Berufung nur dann selbst zulassen dürfen, wenn der Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben hätte. Die Berufung des Klägers sei daher zu verwerfen. Hilfsweise rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG sowie des § 2 Abs 2 Satz 5 BKGG. Die Zeit von Juni bis September 1993 habe weder der Berufsausbildung gedient noch erfülle sie die Voraussetzungen des Überbrückungstatbestandes.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 11. April 1996 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 24. August 1995 zu verwerfen,
hilfsweise
in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt den zusprechenden Teil des angegriffenen Urteils und vertritt die Ansicht, bei der Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes seien auch die wirtschaftlichen Folgen der kindergeldrechtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Allein durch die Notwendigkeit, daß er seine Tochter für die Zeiten ohne Kg-Bezug privat gegen das Risiko der Krankheit habe versichern müssen und dafür Beiträge von mehr als 1.000 DM gezahlt habe, die im Fall des Erfolgs der Klage zurückgezahlt würden, ergebe sich ein Wert der Beschwer von mehr als 1.700 DM. Die Berufung sei daher auch ohne Zulassungsentscheidung zulässig gewesen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG war als unzulässig zu verwerfen. Das LSG durfte über die Berufung nicht sachlich entscheiden, weil der für eine schon von Gesetzes wegen zulässige Berufung erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands nicht erreicht, eine Zulassung der Berufung durch das SG nicht erfolgt und die vom LSG im Berufungsverfahren vorgenommene Zulassung rechtswidrig war. Durch die Verwerfung der Berufung insgesamt als unzulässig wird der Kläger nicht zusätzlich beschwert. Soweit das LSG seine Berufung teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat, bedeutet die Verwerfung nur eine sachliche Richtigstellung des Tenors.
Die Statthaftigkeit der Berufung ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3 S 12; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 163 RdNr 5 mwN). Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 SGG in der seit dem 1. März 1993 geltenden Fassung bedarf die Berufung nur dann keiner besonderen Zulassungsentscheidung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM übersteigt oder wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Gemäß Art 14 Abs 1, Art 15 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) findet diese Vorschrift hier Anwendung. Die mündliche Verhandlung, auf die das erstinstanzliche Urteil ergangen ist, hat am 24. August 1995 und somit nach dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften stattgefunden.
Der Kläger ist durch das erstinstanzliche Urteil nicht in dem von § 144 Abs 1 SGG vorausgesetzten Maß beschwert. Bei uneingeschränktem Erfolg seiner Klage hätte ihm eine Kg-Nachzahlung für S in Höhe von 770 DM zugestanden. Darauf hat das LSG zutreffend hingewiesen. Etwaige wirtschaftliche oder rechtliche Folgewirkungen der Kg-Entschei-dung, wie zB die Nachzahlung des nach dem Wegfall des Kg-Bezuges für S gesenkten Ortszuschlages bei der Beamtenbesoldung oder die in Aussicht gestellte Erstattung von Beiträgen für eine private Krankenversicherung, sind bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstands nicht zu berücksichtigen, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11). Die demnach erforderliche Zulassung der Berufung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluß des SG oder des LSG (§ 145 SGG) liegt nicht vor. Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist weder dem Tenor noch den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils zu entnehmen. Die Anfügung der bei zulässiger Berufung üblichen Rechtsmittelbelehrung durch das SG genügt nicht den Anforderungen an eine positive Entscheidung über die Zulassung der Berufung (BSGE 5, 92, 95; BVerwGE 71, 73, 76; siehe auch die Nachweise bei Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 144 RdNr 40). Das SG hat sich über die Zulässigkeit der Berufung keine Gedanken gemacht oder geirrt und deshalb von einer eigenen Zulassungsentscheidung positiver oder negativer Art im Urteil abgesehen. Die Zulassung der Berufung ist erst im Berufungsurteil ausgesprochen worden. Diese Entscheidung des LSG ist indes rechtswidrig und für das Revisionsgericht schon mangels einer § 160 Abs 3 SGG vergleichbaren Vorschrift nicht bindend. Für eine Zulassung des Rechtsmittels fehlt dem Berufungsgericht im Berufungsverfahren die Entscheidungsmacht. Eine unzulässige Berufung ist nach § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen. Die Möglichkeit, die Berufung gegen ein – ansonsten nicht anfechtbares – erstinstanzliches Urteil nachträglich zuzulassen, ist nach § 144 Abs 1 Satz 1, § 145 Abs 4 Satz 1 SGG auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde beschränkt. In diesem Sinne hat bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu der dem § 158 Satz 1 SGG entsprechenden Vorschrift des § 125 Abs 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung entschieden (BVerwGE 71, 73; BVerwG, Buchholz 312, EntlG Nr 53). Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat sich dieser Rechtsprechung mit Urteil vom 19. November 1996 – 1 RK 18/95 – (SozR 3-1500 § 158 Nr 1) angeschlossen (dafür auch Zeihe, NVwZ 1995, 560; aM Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 144 RdNr 45). Der erkennende Senat ist dieser Rechtsauffassung gefolgt (Beschluß vom 6. Februar 1997 – 14/10 BKg 14/96 – SozR 3-1500 § 144 Nr 11) und hält hieran fest. Es kommt nicht darauf an, ob Zulassungsgründe vorliegen und erkannt werden oder nicht. Das Gebot des § 158 Satz 1 SGG, unzulässige Berufungen zu verwerfen, läßt Ausnahmen nicht zu. Es ist wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit auch unzulässig, die ausdrückliche Berufung eines rechtskundig vertretenen Beteiligten als Nichtzulassungsbeschwerde auszulegen oder in eine solche umzudeuten. Für eine Entscheidungskompetenz des LSG über die Zulassung im bereits laufenden Berufungsverfahren sprechen auch keine verfassungsrechtlichen Gründe. Zwar wird bei bestimmten Fallgestaltungen aus verfassungsrechtlichen Gründen auch da eine Zulassungskompetenz des Rechtsmittelgerichts angenommen, wo eine solche nach dem Gesesetzeswortlaut nicht vorgesehen ist. Wenn die einschlägige Prozeßordnung eine Überprüfung der Zulassungswürdigkeit in allen Fällen anordnet, darf die Überprüfung nicht daran scheitern, daß das Vordergericht den Streitgegenstand als zulassungsfrei, das Rechtsmittelgericht aber als zulassungspflichtig einordnet (BVerfGE 66, 331, 336; BGHZ 90, 1; 98, 41). Eine solche prozeßrechtliche Situation ist aber zumindest in sozialgerichtlichen Verfahren, auf die das SGG in seiner ab 1. März 1993 geltenden Fassung anzuwenden ist, nicht gegeben. Die in § 145 SGG vorgesehene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eröffnet die Möglichkeit, den Fehler des SG (fehlerhafte Unterlassung der Zulassung) auf dem prozeßrechtlich dafür vorgesehenen Weg zu korrigieren. Die Einräumung eines weiteren Rechtsbehelfs ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Gesichtspunkte der „Prozeßökonomie” allein rechtfertigen es nicht, von im Interesse der Rechtsklarheit zwingend gebotenen Formvorschriften abzuweichen. Die unrichtige Belehrung des SG über das zutreffende Rechtsmittel führt nur dazu, daß die gewöhnlichen Rechtsmittelfristen nicht gelten (§ 66 Abs 2 SGG).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG mußte daher als unzulässig verworfen werden (§ 158 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen