Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung
Orientierungssatz
Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Eine solche Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung liegt zB vor, wenn das Gericht ohne wohlerwogene oder stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch die Sachverständigen hinweggeht und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzt.
Normenkette
SGG §§ 128, 162 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 15. Juni 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger leistete während des zweiten Weltkrieges vom 24. Februar 1943 an Wehrdienst, geriet im September 1944 in französische Kriegsgefangenschaft und wurde aus dieser am 17. September 1947 dienstunfähig entlassen.
Bei der vorläufigen Feststellung der Versehrtenstufe durch die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern, Abt. für KB, ärztlicher Dienst, in München am 2. Februar 1948 wurde wegen "Epicondylitis rechter Ellenbogen nach Unfall, Minderung der groben Kraft im rechten Arm, Kehlkopf-Rachenkatarrh, beginnendem Myocardschaden, hypermotorischer Gastro-Enteritis, geringer Bronchitis, WDB wahrscheinlich", eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. (Versehrtenstufe II) angenommen. Hierauf gestützt, beantragte der Kläger am 11. Februar 1948 die Gewährung von Rente. Mit Benachrichtigung vom 2. November 1948 teilte die LVA dem Kläger mit, daß er vom 1. Dezember 1948 an auf seine KB-Rente einen laufenden Vorschuß von DM 25,-- monatlich erhalte; Gesundheitsstörungen (als Schädigungsfolgen) waren in dieser Benachrichtigung nicht angeführt.
Nach Durchführung einer Badekur in der Versorgungs-Kuranstalt Bad Kissingen in der Zeit vom 13. April bis 11. Mai 1951 wurde der Kläger am 7. März 1952 versorgungsärztlich (durch einen Facharzt für Orthopädie, einen Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenleiden und einen Facharzt für innere Krankheiten) untersucht. Auf Grund dieser umfassenden Untersuchung kam der Internist Dr. von H... zu der Beurteilung, daß beim Kläger Traumafolgen am rechten Ellenbogen nicht vorhanden seien; die Beschwerden bei Fettleibigkeit (ohne Anhalt für eine Erkrankung des Herzens oder des Kreislaufs), eine Osteochondritis dissecans am rechten Ellenbogen und Anzeichen nervöser Übererregbarkeit seien anlagebedingt, und für eine Gastroenteritis bestehe kein Anhalt. Dagegen sei ein Polyp am linken Stimmband Schädigungsfolge, ohne daß diese eine MdE bedinge. Mit Bescheiden vom 31. Oktober 1952 nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erkannte daraufhin das Versorgungsamt (VersorgA) München I beim Kläger "Stimmbandpolyp links (ohne Erwerbsminderung), hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG und des § 1 BVG", als Schädigungsfolge an; die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen wurde abgelehnt. Dabei wurde Rente nach einer MdE um 30 v.H. nur für die Zeit vom 1. Februar 1948 bis 31. März 1952 gewährt, eine Rentenvorschußüberzahlung von DM 559,-- wurde bis auf weiteres gestundet.
Mit der zum Bayerischen Oberversicherungsamt (OVA) München eingelegten Berufung, die als Klage auf das Sozialgericht (SG) München übergegangen ist, hat der Kläger in der Berufungsbegründung vom 21. März 1953 neben dem Stimmbandpolypen links "Herzleistungsminderung und Gastritis" als weitere Schädigungsfolgen geltend gemacht und die Gewährung einer entsprechenden Rente begehrt; in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 10. Dezember 1954 hat er beantragt,
"1.) ihm vom 1. Februar 1948 bis 1. Februar 1952 Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren,
2.) die Arthrosis deformans und die Herzleistungsminderung, beide im Sinne der Verschlimmerung, anzuerkennen und über den 31. März 1952 hinaus Rente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren".
Mit Urteil vom 10. Dezember 1954 hat das SG "den Beklagten für verpflichtet erklärt, beim Kläger als weitere Schädigungsfolge die einfache Verschlimmerung "arthrotischer Veränderungen an der Wirbelsäule" anzuerkennen und ihm Rente nach einer MdE um 50 v.H. vom 1. Februar 1948 bis 31. März 1952 zu gewähren". Von da an betrage die MdE durch WDB unter 25 v.H.. Im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil des SG hat der Kläger unter Vorlage eines Gutachtens des Internisten Dr. B... in München (vom 24. August 1957) Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) in München eingelegt und die zusätzliche Anerkennung einer Magenerkrankung und eines Herzleidens sowie die Gewährung einer Rente beantragt. Das LSG hat gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Dr. B... eingeholt und diesen zu den Fragen Stellung nehmen lassen, ob beim Kläger - wehrdienstbedingt - ein Herz- und ein Magenleiden bestehe, ob - bejahendenfalls - diese Leiden durch den Wehrdienst hervorgerufen oder verschlimmert worden seien, und wie hoch die MdE zu schätzen sei. Zu denselben Fragen - unter Einschluß einer Tracheitis und einer Laryngitis - hat das LSG sodann noch von Amts wegen ein Gutachten der Medizinischen Poliklinik der Universität München (vom 5. Dezember 1960) mit Zusatzgutachten der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke (vom 30. Juni 1960) und der Orthopädischen Poliklinik (vom 20. August 1960) eingeholt, nach denen sich für das Vorliegen einer organischen Herzerkrankung kein Anhalt fand, das Bestehen einer Tracheitis und einer Laryngitis ausgeschlossen wurde und orthopädischerseits ein Ursachenzusammenhang zwischen Wehrdienst oder Kriegsgefangenschaft und den bestehenden Veränderungen an der Lendenwirbelsäule, am rechten Ellenbogengelenk und an der Halswirbelsäule verneint wurde. Dagegen wurde von den Gutachtern das Bestehen einer Gastroduodenitis beim Kläger festgestellt, für diese der Ursachenzusammenhang im Sinne der Entstehung bejaht und dafür die MdE mit 20 v.H. geschätzt.
Mit Schriftsatz vom 20. Februar 1961 hat sich daraufhin der Beklagte bereiterklärt, neben dem bereits anerkannten Stimmbandpolypen links noch eine Gastroduodenitis im Sinne der Verschlimmerung - ohne Zuerkennung einer Rente - als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Für den Fall der Ablehnung dieses Vergleichsvorschlags durch den Kläger lege er Anschlußberufung ein und beantrage,
"1.) das Urteil des SG München vom 10. Dezember 1954 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen,
2.) die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen."
Der Kläger hat den Vergleichsvorschlag des Beklagten - unter Vorlegung eines erneuten Gutachtens des Dr. B... (vom 25. Januar 1961) - abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 15. Juni 1961 hat der Kläger sein Berufungsbegehren auf das Magenleiden beschränkt und beantragt, dieses als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung anzuerkennen und ihm eine Rente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren. Das LSG hat mit Urteil vom 15. Juni 1961 auf die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung des Beklagten das Urteil des SG München vom 10. Dezember 1954 aufgehoben; es hat den Beklagten unter Abänderung der Bescheide des VersorgA München vom 31. Oktober 1952 verurteilt, als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung "Gastroduodenitis" anzuerkennen und von der Rückforderung des Vorschußüberempfanges von DM 559,-- abzusehen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.
Das LSG hat u.a. ausgeführt: Außer dem Stimmbandpolypen links und einem Magenkatarrh (Gastritis) seien Schädigungsfolgen beim Kläger nicht festzustellen. Nach der aus zahlreichen Gutachten bekannten herrschenden ärztlich-wissenschaftlichen Meinung handele es sich beim Magenkatarrh um eine anlagebedingte Gesundheitsstörung, die ohne bestimmbare äußere Ursache zumeist im mittleren Lebensalter erstmals bemerkbar werde. Deshalb könne das Magenleiden des Klägers auch nur im Sinne der Verschlimmerung anerkannt werden, zumal eine bestehende vegetative Dystonie das Leiden noch besonders begünstige. Die Auffassung des Dr. B..., ein nur verschlimmertes Leiden habe nach der Heimkehr des Klägers abklingen müssen, gehe fehl, denn der schubweise immer wiederkehrende Verlauf gastritischer Erkrankungen entspreche einer allgemeinen ärztlichen Erfahrung. Für eine Rentengewährung sei vorliegend kein Raum, denn nach dem Gutachten der Medizinischen Poliklinik der Universität München entspreche der Gesamtbefund des Klägers nur einer MdE um 20 v.H., hiervon könne bei der nur im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennenden Gesundheitsstörung ein 10 v.H. nicht übersteigender Anteil als Schädigungsfolge angesehen werden. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen dieses ihm am 4. Juli 1961 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juli 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 21. Juli 1961, Revision eingelegt. Mit dem - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 4. Oktober 1961 - am 3. Oktober 1961 eingegangenen Schriftsatz vom 29. September 1961 hat er die Revision begründet. Er rügt die Verletzung der §§ 103, 128 SGG und macht geltend, nach den ihm vorliegenden Gutachten des Dr. B... und der Medizinischen Poliklinik der Universität München habe das LSG zu einer Anerkennung der bestehenden Gastroduodenitis im Sinne der Entstehung kommen müssen. Es habe diesen Gutachten zu Unrecht nicht folgen zu können geglaubt, weil der Magenkatarrh "im allgemeinen" eine anlagebedingte Gesundheitsstörung sei. Dabei habe es aber verkannt und damit das ihm an sich zustehende freie Beweiswürdigungsrecht in prozessual unzulässiger Weise überschritten, daß es sich vorliegend nicht um die Beurteilung der Kausalitätsfrage hinsichtlich der Entstehung "eines" (abstrakten) Magenkatarrhs, sondern um das Magenleiden des Klägers im konkreten Falle handele. Das Berufungsgericht habe jedenfalls nicht dargetan, woraus es seine medizinische Sachkenntnis zur Beurteilung des Magenleidens des Klägers hergeleitet habe, denn auf eine den vorliegenden Gutachten entgegenstehende Auffassung eines medizinischen Sachverständigen habe es sich nicht berufen. Darin sei eine Verletzung des § 128 SGG zu erblicken. Im übrigen sei das LSG, wenn es schon der medizinischen Beurteilung in den ihm vorliegenden Gutachten nicht habe folgen wollen, im Rahmen seiner ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gehalten gewesen, noch ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich liege noch eine Verletzung des § 128 SGG deshalb vor, weil das LSG seine Auffassung auch darauf stütze, daß die Entstehung des Magenleidens durch eine vegetative Dystonie besonders begünstigt werde, und dazu festgestellt habe, daß eine solche beim Kläger in starkem Maße vorhanden sei; es komme jedoch nicht darauf an, ob jetzt beim Kläger eine vegetative Dystonie, durch die das Magenleiden unterhalten werde, bestehe, sondern darauf, ob eine solche bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Magenleidens, nämlich während des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft, bestanden habe und danach als mögliche Ursache in Betracht komme; zu einer derartigen Annahme biete aber das Beweisergebnis keinen Anhalt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, als der Beklagte auf die Berufung nicht zur Anerkennung von "Gastroduodenitis" als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung und zur Gewährung einer entsprechenden Rente verurteilt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 15. Juni 1961 als unzulässig zu verwerfen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, das es ohne Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften zustande gekommen ist.
Auf den Schriftsatz des Klägers vom 29. September 1961 und auf den des Beklagten vom 8. November 1961 wird verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher. Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Der Kläger hat als wesentliche Verfahrensmängel gerügt, daß das LSG gegen die Vorschriften der §§ 103, 128 SGG verstoßen habe. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine vom Kläger erhobene Rüge durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG im SozR SGG § 162 Bl. Da 36 Nr. 122).
Im vorliegenden Falle hat das LSG, wie der Kläger zutreffend gerügt hat, den § 128 SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat (BSG 2, 236, 237). Eine solche Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung liegt zB vor, wenn das Gericht ohne wohlerwogene oder stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch die Sachverständigen hinweggeht und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzt (BSG im SozR SGG § 128 Bl. Da 1 Nr. 2). Denn auch wenn die Äußerungen der Sachverständigen - als Gehilfen des Richters - bei der Urteilsfindung dem Ganzen in freier Beweiswürdigung unter- und einzuordnen sind, darf die besondere Bedeutung der Sachverständigengutachten nicht verkannt werden, weil gerade auf dem medizinischen Sachgebiet dem Gericht die genauen Sachkenntnisse fehlen. Im vorliegenden Falle hat das LSG bei Würdigung der ihm vorliegenden medizinisch-wissenschaftlichen Beweisunterlagen von seinem freien Ermessen nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Weise Gebrauch gemacht. Es hat geglaubt, den Gutachten des Dr. B... und der Medizinischen Poliklinik der Universität München nicht folgen zu können, ohne daß es sich dabei auf die diesen Gutachten entgegenstehende Auffassung eines anderen, zur Frage der Entstehung oder Verschlimmerung der beim Kläger festgestellten Gastroduodenitis gehörten ärztlichen Sachverständigen stützen konnte. Denn von den außer Dr. L... und den Ärzten der Medizinischen Poliklinik der Universität München im Laufe des Verfahrens zu Worte gekommenen Ärzten hat keiner zur Frage der Gastroduodenitis des Klägers als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung oder der Verschlimmerung Stellung genommen. Der Versorgungsarzt Dr. von H... (Gutachten vom 7. März 1952) hat ausgeführt, daß für eine bestehende Gastroenteritis kein Anhalt bestehe; Dr. K... (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 14. März 1960) hat lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Magenleiden des Klägers und dem Wehrdienst angenommen, während der Oberregierungs-Medizinalrat Dr. L... (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 24. April 1961) nur darauf hingewiesen hat, daß sich auch durch die letzten Ausführungen des Dr. B... (im Gutachten vom 25. Januar 1961) an der bisherigen Stellungnahme der Versorgungsärzte - sowohl hinsichtlich der Zusammenhangsfrage als auch hinsichtlich der Höhe der MdE - nichts ändere. Selbst der vom Gericht des ersten Rechtszuges gehörte Gerichtsarzt Dr. Sch... hatte Beschwerden des Klägers von Seiten des Magens zwar für glaubhaft gehalten, für den "nachweisbaren Blähungszustand des Darmes einen Zusammenhang mit WD-Schädigungen" aber ausgeschlossen. Demgegenüber haben Dr. B... und die Ärzte der Medizinischen Poliklinik der Universität München die ihnen gestellte Frage, ob es sich bei dem Magenleiden des Klägers um eine Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung oder der Verschlimmerung handele, eindeutig und klar dahingehend beantwortet, daß für die bestehende Gastroduodenitis des Klägers ein Ursachenzusammenhang im Sinne der Entstehung angenommen werden müsse. Dr. B... hat dazu näher ausgeführt: "Wenn auch Magenleiden im allgemeinen durch die besondere Anlage der organischen Verhältnisse bedingt sind, so wird man im vorliegenden Falle nicht ohne weiteres von einem anlagebedingten Magenleiden sprechen können, denn vor seiner Gefangenschaft war er vollständig gesund und hat erst während der Gefangenschaft unter den bekannten Belastungen und Ernährungsverhältnissen leben müssen, die mit Wahrscheinlichkeit die Magenkrankheit entstehen ließen. Von einer anlagebedingten Erkrankung, die durch die Gefangenschaft verschlimmert sein könnte, kann man aber auch nicht sprechen, da sonst zumindest nach einigen Jahren eine Besserung hätte eintreten müssen. Wir finden aber hier immer das gleiche Krankheitsbild, das wahrscheinlich durch die Gefangenschaftsverhältnisse entstanden ist". Die Gutachter der Medizinischen Poliklinik der Universität München haben ihre Auffassung wie folgt begründet: "Die Diskussion der Zusammenhangsfrage setzt eine eingehende Betrachtung der Ätiologie und Pathogenese der Gastritisentstehung voraus. Im Gegensatz zur Magengeschwürskrankheit, bei der konstitutionelle Faktoren die Hauptursache bei der Auslösung des Krankenbildes darstellen, wird bei der Gastritis eine rein anlagebedingte Entstehung des Leidens fast durchwegs abgelehnt (Konjetzny, Hafter). Es hat sich gezeigt, daß vielfältige exogene oder endogene Schädigungen, wie zB grobe unverdauliche Kost, zu kalte oder zu heiße Speisen, Alkohol- oder Kaffeeabusus, Bakterientoxine, infektiös-toxische Erkrankungen, eine Gastritis verursachen können. Im vorliegenden Falle des Untersuchten ist festzuhalten, daß Herr D... vor Einziehung zur Wehrmacht nie magenkrank war und die ersten Beschwerden von Seiten des Magens laut Angaben des Untersuchten während des Wehrdienstes bzw. der Gefangenschaft auftraten. Da bereits acht Wochen nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft eine Gastritis röntgenologisch nachgewiesen wurde, ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß dieses Leiden während des Wehrdienstes bzw. der Gefangenschaft ausgelöst wurde".
Wie der Kläger zutreffend rügt, hat das LSG - trotz seiner Auseinandersetzung mit diesen Sachverständigengutachten im angefochtenen Urteil - die Regeln der Beweiswürdigung verletzt und die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten, wenn es die ihm "aus zahlreichen Gutachten bekannte ärztlich-wissenschaftliche Meinung" über den Magenkatarrh als anlagebedingte Gesundheitsstörung, "die ohne bestimmbare äußere Ursache zumeist im mittleren Lebensalter erstmals bemerkbar werde", an die Stelle der Auffassung der ärztlichen Sachverständigen gesetzt hat, die, anders als etwa in einer allgemeinen Abhandlung über die Gastroduodenitis und ihre Ursachen, gerade die beim Kläger bestehende Gastroduodenitis und ihre Ursachen beurteilt haben. Denn aus den Gutachten des Dr. B... und der Ärzte der Medizinischen Poliklinik der Universität München ist ersichtlich, daß diesen Gutachtern hinreichend bekannt war und daß sie auch nicht verkannt haben, daß "Magenleiden im allgemeinen durch die besondere Anlage der organischen Verhältnisse bedingt sind" (Dr. B... im Gutachten vom 28. Oktober 1959); sie haben aber auch, und das ist vorliegend bedeutsam, dargelegt, warum sie gerade im Falle des Klägers geglaubt haben, von einem anlagebedingten und deshalb durch Wehrdienst oder Kriegsgefangenschaft nur verschlimmerten Magenleiden nicht sprechen zu können und das bestehende Magenleiden als durch Wehrdienst oder Kriegsgefangenschaft hervorgerufen ansehen zu müssen.
Die Überschreitung der Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung durch das LSG stellt eine Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG dar und macht deshalb die Revision des Klägers statthaft.
Die Revision ist auch begründet, da das angefochtene Urteil auf diesem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG beruht. Denn es besteht die Möglichkeit, daß das Berufungsgericht anders entschieden hätte, wenn von ihm die Grundsätze der Beweiswürdigung verfahrensrechtlich einwandfrei beachtet und durchgeführt worden wären. Das angefochtene Urteil mußte deshalb aufgehoben werden. Dabei war eine eigene Entscheidung des Senats, insbesondere auch wegen der unerörtert gebliebenen Rüge einer weiteren Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG und der einer mangelhaften Sachaufklärung, nicht möglich.
Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen