Entscheidungsstichwort (Thema)
Bruttobezüge iS des § 2 Abs 2 S 2 BKGG. Fahrgeld. rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung. Ermessensausübung. atypischer Fall. Tariferhöhung
Orientierungssatz
1. Fahrgeld ist zu den "Bruttobezügen" iS von § 2 Abs 2 S 2 BKGG zu rechnen.
2. Der Begriff der "Bruttobezüge" ist mit dem Begriff des "Arbeitsentgelts" iS des § 14 Abs 1 SGB 4 gleichzusetzen.
3. Im Falle des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 kann eine Atypik insbesondere dann gegeben sein, wenn der Kindergeldberechtigte die Leistung gutgläubig angenommen und gutgläubig verbraucht hat. Dies kann angenommen werden, wenn er von der rückwirkenden Tariferhöhung bis zum Verbrauch des Kindergeldes nichts erfahren haben sollte oder wenn er das von der Ausbildungsfirma gezahlte Fahrgeld wegen der seinem Sohn monatlich entstehenden Fahrtkosten als Fahrtkostenerstattung angesehen haben sollte. Allerdings darf die Atypik nicht allein darin gesehen werden, daß die Ausbildungsvergütung erst aufgrund einer rückwirkenden Tariferhöhung den Grenzwert des § 2 Abs 2 S 2 BKGG überschritten hat. Tariferhöhungen werden häufig auch für einen bereits zurückliegenden Zeitraum vereinbart. Wie die Regelung in § 48 Abs 1 S 3 SGB 10 zeigt, hatte der Gesetzgeber gerade auch solche Veränderungen für die Vergangenheit im Auge.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 2 S 2; SGB 10 § 48 Abs 1 S 2 Nr 3; SGB 4 § 14 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 16.02.1988; Aktenzeichen L 3 Kg 23/87) |
SG Stade (Entscheidung vom 14.05.1987; Aktenzeichen S 6 Kg 28/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit die Bewilligung von Kindergeld für die Vergangenheit aufheben und von dem Kläger Leistungen zurückfordern darf.
Der Kläger bezog aufgrund interner Weiterbewilligungsverfügung der Beklagten ab August 1984 ua unter Berücksichtigung seines Sohnes Sven, geb. November 1964, Kindergeld. Sven befand sich von August 1982 bis zum 12. Juli 1985 in einer Berufsausbildung zum Maschinenschlosser bei der L. -K. GmbH in Z. . Nach Abschluß der Ausbildung stellte die Beklagte fest, daß die Ausbildungsfirma dem Sohn des Klägers aufgrund einer rückwirkend ab 1. April 1984 geltenden Tariferhöhung von August 1984 bis einschließlich März 1985 monatlich 753,-- DM und ab 1. April 1985 monatlich 763,-- DM gezahlt hatte. Diese Beträge enthielten jeweils ein "Fahrgeld" von monatlich 51,-- DM, das nach entsprechendem Steuerabzug mit der Ausbildungsvergütung ausgezahlt worden war. Ferner ermittelte die Beklagte, daß eine Schüler-Monatskarte zum Besuch der Berufsschule in Buxtehude, die Sven während seiner Berufsausbildung besucht hatte, monatlich 53,-- DM kostete. Mit Bescheid vom 3. Februar 1986 wurden die Bewilligung des Kindergeldes, soweit sie auf der Berücksichtigung des Sohnes Sven beruhte, für die Zeit von August 1984 bis Juni 1985 aufgehoben und Leistungen in Höhe von 2.640,-- DM vom Kläger zurückgefordert. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In der streitigen Zeit habe kein Anspruch auf Kindergeld für Sven bestanden, weil die Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis den Grenzbetrag von 750,-- DM (§ 2 Abs 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes -BKGG-) überschritten hätten. Das an den Auszubildenden monatlich gewährte "Fahrgeld" von 51,-- DM gehöre nämlich zu diesen Bruttobezügen. Der in § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG verwendete Begriff "Bruttobezüge" sei gleichzusetzen mit dem Begriff "Arbeitsentgelt" iS des § 14 Abs 1 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IV). Bruttobezüge seien danach diejenigen Bezüge, die auch die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge und den Steuerabzug bildeten. Laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu den Löhnen oder Gehältern gewährt würden, seien nur dann nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie lohnsteuerfrei seien (§ 1 der Arbeitsentgeltverordnung -ArEV-). Das dem Sohn des Klägers gezahlte "Fahrgeld" werde zu Recht mit den Bruttobezügen versteuert. Es handele sich um eine pauschalierte zusätzliche Zuwendung, die unabhängig von den tatsächlich entstandenen Aufwendungen gewährt werde. Die Auszubildenden erhielten kein gesondertes "Fahrgeld". Vielmehr werde ihnen die gleiche Leistung wie den übrigen Arbeitnehmern gewährt, obwohl sie möglicherweise zusätzlich einmal in der Woche den Weg zur Berufsschule mit einer Strecke von ca 30 km zwischen Zeven und Cuxhaven zurücklegen und hierfür ua 53,-- DM für eine Monatskarte aufwenden müßten. Da das "Fahrgeld" unabhängig davon gezahlt werde, ob der Mitarbeiter oder Auszubildende zu Fuß gehe oder das Fahrrad benutze, bestehe kein Bezug zu den tatsächlichen Aufwendungen, so daß das "Fahrgeld" nicht als lohnsteuerfreie Zahlung behandelt werden könne.
Die Beklagte habe die Bewilligung des Kindergeldes auch rückwirkend ab August 1984 aufheben dürfen, da von diesem Zeitpunkt an ein den Grenzwert in § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG übersteigendes Einkommen erzielt worden sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob und wann der Kläger Kenntnis davon erhalten habe, daß die Ausbildungsvergütung seines Sohnes mit dem "Fahrgeld" die maßgebliche Grenze überschritten habe. Es seien auch keine Gesichtspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagte von der rückwirkenden Aufhebung ganz oder teilweise habe absehen können oder müssen. Denn es handele sich nicht um einen sog atypischen Fall der rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung. Die getroffene Entscheidung sei deshalb gem § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) rechtmäßig. Die Rückforderung der im streitigen Zeitraum erfolgten Überzahlung von Kindergeld iHv 2.640,-- DM rechtfertige sich aus § 50 Abs 1 SGB X.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, bei der Anwendung des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG müßten die tatsächlichen Aufwendungen für die Monatskarten berücksichtigt werden. Es handele sich um Werbungskosten iS des Lohnsteuergesetzes. Sie seien deshalb vom ausgezahlten Betrag abzusetzen. Dann ergebe sich aber, daß die monatliche Ausbildungsvergütung seines Sohnes während der streitigen Zeit jeweils unter 750,-- DM gelegen habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 16. Februar 1988 sowie das Urteil des SG Stade vom 14. Mai 1987 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 1986 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, der Kläger habe die Feststellung des LSG, daß das seinem Sohn Sven gezahlte "Fahrgeld" zu Recht vom Arbeitgeber als lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtiges Entgelt behandelt worden sei, nicht angegriffen. Seine Ansicht, zumindest in Höhe der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten sei das "Fahrgeld" gleichwohl deshalb steuerfrei, weil es im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs steuermindernd geltend gemacht werden könne, sei demgegenüber unerheblich. Denn der Gesetzgeber habe bei Schaffung der Einkommensgrenze des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG ausdrücklich auf die aus dem Ausbildungsverhältnis erzielten Bruttobezüge abgestellt und somit die je nach den persönlichen Verhältnissen des einzelnen Auszubildenden unterschiedlichen steuerlichen Abzugsbeträge bewußt außer acht gelassen. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Brutto- anstelle einer Nettogrenze sei im Rahmen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsfreiraums auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im übrigen habe sich der Kläger in der Revisionsbegründung auf die Behauptung neuer, revisionsrechtlich unbeachtlicher Tatsachen beschränkt und auf seinen Vortrag vor dem LSG verwiesen. Insoweit beständen bereits Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision ist zulässig. Der Kläger hat zwar in seiner Revisionsbegründung zum größten Teil nur den schon vom LSG festgestellten Sachverhalt wiederholt und die Entscheidungsgründe zusammenfassend wiedergegeben. Aus seinen - wenn auch knappen - Ausführungen wird aber deutlich, daß er das angefochtene Urteil insoweit für fehlerhaft hält, als es ohne Einschränkung das Sven gezahlte "Fahrgeld" zu den "Bruttobezügen" iS von § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG rechnet. Der Kläger hat seine materiell-rechtliche Auffassung auch durch den Hinweis auf die Möglichkeit, daß tatsächliche Fahrtkosten im Lohnsteuerjahresausgleich berücksichtigt werden können, begründet. Damit genügt die Revisionsbegründung den nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG zu stellenden Anforderungen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5, 12 und 20).
Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, da über den geltend gemachten Anspruch aufgrund der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen noch nicht abschließend entschieden werden kann.
Zu Recht hat das LSG allerdings angenommen, daß das dem Sohn des Klägers gezahlte "Fahrgeld" von monatlich 51,-- DM zu den "Bruttobezügen" iS von § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG zu rechnen ist und daß durch die rückwirkende Tariferhöhung eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs 1 SGB X eingetreten ist, die grundsätzlich die Aufhebung der Kindergeldbewilligung rechtfertigt.
Dadurch, daß die Ausbildungsfirma dem Sohn des Klägers neben der Ausbildungsvergütung ein "Fahrgeld" gezahlt hat, durfte Sven, der im streitigen Zeitraum bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte, ab August 1984 nach § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG nicht mehr kindergeldrechtlich berücksichtigt werden. Die genannte Vorschrift, die nicht gegen das Grundgesetz (GG) verstößt (BSG SozR 5870 § 2 Nr 46), schließt nämlich Kinder, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden und denen aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge iH von wenigstens 750,-- DM monatlich zustehen, von der Berücksichtigung als Kinder iS des Kindergeldes aus. Entgegen der Auffassung des Klägers gehört das gezahlte "Fahrgeld" in voller Höhe zu den Bruttobezügen.
Der Begriff der "Bruttobezüge" ist mit dem Begriff des "Arbeitsentgelts" iS des § 14 Abs 1 SGB IV gleichzusetzen. § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG enthält zwar keine Definition des Begriffs "Bruttobezüge". Es ist lediglich bestimmt, daß Ehegatten- und Kinderzuschläge sowie einmalige Zuwendungen außer Ansatz bleiben. § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG wurde zusammen mit dem § 39 Abs 3 Satz 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), § 1262 Abs 3 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) mit Wirkung ab 1. Juli 1976 durch das Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3091) in das Gesetz eingefügt (vgl Art 17 § 1 Nr 7 und § 2, Art 44 Nr 1 HStruktG). Wie sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl BT-Drucksache 7/4243, Seite 7 zu Art 17, Seite 15 zu Art 42b) ergibt, soll sich die Grenze von 750,-- DM im Interesse der Verwaltungsvereinfachung auf die Bruttovergütung beziehen. Deshalb ist es - abgesehen davon, daß die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis bezogen werden muß - gerechtfertigt, als "Bruttobezüge" diejenigen Bezüge anzusehen, die auch die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge und für den Steuerabzug bilden (Urteil des erkennenden Senats vom 24. September 1986 - 10 RKg 9/85 -, BSG SozR 5870 § 2 Nr 47 unter Hinweis auf die Urteile des 1. und 11. Senats des BSG in SozR 2200 § 1262 Nrn 13 und 19). Die Einfügung des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG und der entsprechenden für den Kinderzuschuß geltenden Vorschriften beruht auf der Erwägung, daß in Ausbildung stehende Kinder, die mit der ihnen zustehenden Ausbildungsvergütung ihren Unterhaltsbedarf selbst decken können, beim Familienlastenausgleich nicht mehr als Kinder berücksichtigt werden sollen (vgl BT-Drucksache aaO). Deshalb kann der für den Wegfall des Kinderzuschusses und des Kindergeldes maßgebliche Grenzwert von 750,-- DM nur nach einheitlichen Kriterien bestimmt werden. Die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zu den Vorschriften über den Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung sind daher auch für das Kindergeldrecht maßgebend, so daß im Rahmen des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG jedenfalls auf den in § 14 Abs 1 SGB IV definierten Begriff des Arbeitsentgelts abzustellen ist (BSG SozR 5870 § 2 Nr 47).
Nach § 14 Abs 1 SGB IV iVm der aufgrund des § 17 SGB IV ergangenen ArEV vom 6. Juli 1977 (BGBl I 1208) sind laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, grundsätzlich nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind (§ 1 ArEV).
Die Beteiligten gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, daß das dem Sohn des Klägers neben der eigentlichen Ausbildungsvergütung gezahlte "Fahrgeld" einen Bruttobetrag darstellt, der steuerpflichtig ist und auch der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterliegt. Die Ausbildungsfirma gewährt das "Fahrgeld" jedem Auszubildenden und Mitarbeiter ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Fahrtkosten. Auch derjenige, der in unmittelbarer Nähe des Betriebes wohnt und für den Weg zum Betrieb keine Aufwendungen hat, erhält ein "Fahrgeld". Anders als bei der Fahrgelderstattung für tatsächlich entstandene Fahrtkosten, die nach Abschnitt 24 Abs 26 Satz 1 der Lohnsteuerrichtlinien nicht steuerpflichtig ist (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 47), gehört das gewährte "Fahrgeld" nicht zu den steuerfreien Einkünften; es ist deshalb Teil des Arbeitsentgelts iS von § 14 Abs 1 SGB IV und fällt damit unter den Begriff "Bruttobezüge" iS von § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG. Dem steht nicht entgegen, daß der Sohn des Klägers - wie die Revision geltend macht - im Lohnsteuerjahresausgleich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Ort der Berufsschule geltend machen kann und daß diese dann von dem zu versteuernden Betrag abgezogen werden. Eine solche Möglichkeit besteht dagegen nicht bei der Feststellung der "Bruttobezüge" im Kindergeldrecht. Durch den Lohnsteuerjahresausgleich werden die absetzbaren Teile der steuerpflichtigen Einkünfte nicht steuerfrei, sondern gehören weiterhin zu den steuerpflichtigen Einkünften und damit zum Bruttoeinkommen, das lediglich iH der tatsächlichen Aufwendungen bei der Berechnung der Jahressteuer unberücksichtigt bleibt. Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG auf die Bruttobezüge abgestellt (vgl BT-Drucksache 7/4243 Seite 15 zu Art 42b). Andernfalls müßten die Kindergeldkassen in jedem Einzelfalle überprüfen, welche tatsächlichen Aufwendungen Auszubildende für den Weg zwischen Betrieb und Wohnung oder zwischen Wohnort und dem Ort der Berufsschule haben. Das aber soll gerade vermieden werden. Es ist nicht zu verkennen, daß mit der gesetzlichen Regelung Härten im Einzelfall verbunden sein können. Dies durfte der Gesetzgeber aber hinnehmen, um sein Ziel zu erreichen, einerseits die Anspruchsvoraussetzungen klar erkennbar und andererseits die Entscheidung von Kindergeldanträgen im Rahmen der Massenverwaltung so einfach wie möglich zu gestalten.
Da die Ausbildungsvergütung - aufgrund der rückwirkenden Tariferhöhung - zusammen mit dem von der Ausbildungsfirma gezahlten "Fahrgeld" in der Zeit von August 1984 bis 31. März 1985 monatlich 753,-- DM und ab 1. April 1985 monatlich 763,-- DM betrug, ist eine wesentliche Änderung seit der schon vor Beginn der Ausbildung erfolgten Bewilligung des Kindergeldes eingetreten. Denn nunmehr steht der Kindergeldgewährung die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG entgegen.
Ob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes auch vom Zeitpunkt der eingetretenen Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X aufheben durfte, weil aus dem Ausbildungsverhältnis Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall des Anspruchs geführt haben würde, läßt sich noch nicht entscheiden.
Zwar ist in dem angefochtenen Urteil als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zu Recht der 1. August 1984 angenommen worden. Denn als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs 1 Satz 3 SGB X). Wenn das LSG auch nicht festgestellt hat, wann die Tarifvertragsparteien die Tariferhöhung beschlossen haben, so geht aus den Feststellungen aber hervor, daß die Beklagte die rückwirkende Tariferhöhung für den Zeitraum, für den sie vorgenommen war, berücksichtigt hat. Ihre Entscheidung steht also auch insoweit mit dem Gesetz in Einklang. Gleichwohl könnten die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig sein, wenn sie über die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für die Vergangenheit hier ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Dauerverwaltungsakte sind nämlich, wenn eine wesentliche Änderung eintritt, nicht stets für die Vergangenheit aufzuheben, sondern nur in der Regel. Bei atypischen Fallgestaltungen räumt die Sollvorschrift des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X den Behörden und Versicherungsträgern ein Ermessen ein, ob und in welchem Umfang sie den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben oder nicht (vgl BSGE 59, 111, 114 f). Die vom LSG bisher getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob ein atypischer Fall vorliegt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 11. Januar 1989 - 10 RKg 12/87 - zur Veröffentlichung bestimmt) kann im Falle des hier anwendbaren § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X eine Atypik insbesondere dann gegeben sein, wenn der Kindergeldberechtigte die Leistung gutgläubig angenommen und gutgläubig verbraucht hat. Dies wird möglicherweise anzunehmen sein, wenn der Kläger von der rückwirkenden Tariferhöhung bis zum Verbrauch des Kindergeldes nichts erfahren haben sollte oder wenn er das von der Ausbildungsfirma gezahlte Fahrgeld wegen der seinem Sohn monatlich entstehenden Fahrtkosten als Fahrtkostenerstattung angesehen haben sollte. Allerdings darf die Atypik nicht allein darin gesehen werden, daß die Ausbildungsvergütung erst aufgrund einer rückwirkenden Tariferhöhung den Grenzwert des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG überschritten hat. Tariferhöhungen werden häufig auch für einen bereits zurückliegenden Zeitraum vereinbart. Wie die Regelung in § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X zeigt, hatte der Gesetzgeber gerade auch solche Veränderungen für die Vergangenheit im Auge.
Da auch die Rechtmäßigkeit der Rückforderung des gezahlten Kindergeldes davon abhängt, ob die Beklagte die Bewilligung aufheben durfte (vgl § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X), konnte der Senat auch insoweit noch keine abschließende Entscheidung treffen.
Das LSG wird die noch notwendigen Tatsachenfeststellungen nachholen müssen. Es wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen