Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Ausländer. Entwicklungshelfer. Ehegatten. Aufenthaltsberechtigung. Aufenthaltserlaubnis– Aufenthaltsbefugnis. Auslandsaufenthalt
Leitsatz (amtlich)
Ausländische Ehegatten deutscher Entwicklungshelfer haben auch ohne den Besitz eines deutschen Aufenthaltstitels Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn sie sich mit ihrem Ehegatten im Ausland aufhalten.
Normenkette
BErzGG § 1 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1992-01-21
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. März 1994 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) für die Zeit vom 14. Juni bis 18. November 1992.
Die Klägerin ist japanische Staatsangehörige. Seit Oktober 1990 ist sie mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet, der als Entwicklungshelfer tätig ist. Während der hier streitigen Zeit befand sie sich zusammen mit ihrem Ehemann in N.. Wegen der Geburt ihrer Tochter H. am 14. Juni 1992 beantragte die Klägerin im August 1992 die Gewährung von Erzg. Im Verlauf eines kurzfristigen Aufenthaltes in Deutschland wurde ihr von der Stadt L. am 19.11.1992 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Danach meldete sich die Klägerin wieder ab und lebte weiter mit ihrem Ehegatten an dessen Einsatzort als Entwicklungshelfer in N.. Der Beklagte gewährte Erzg ab dem 19. November 1992 bis zum Ablauf der gesetzlichen Bezugszeit (Bescheid vom 28. Dezember 1992). Für die vorangegangene Zeit lehnte er die Gewährung von Erzg ab, weil die Klägerin noch nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung iS von § 1 Abs. 1 Satz 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) gewesen sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten durch Gerichtsbescheid vom 21. September 1993 verurteilt, der Klägerin schon seit dem Tag der Geburt ihrer Tochter Erzg zu gewähren. Die Klägerin benötige als Ehefrau eines Entwicklungshelfers keinen Aufenthaltstitel iS von § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 22. März 1994 zurückgewiesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 1 BErzGG. Zur Begründung macht er geltend, § 1 Abs. 2 Nr. 4 BErzGG befreie nur den deutschen Entwicklungshelfer und seinen deutschen Ehegatten, der mit ihm im Entwicklungsland lebe, vom Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland. Ausländische Ehepartner deutscher Entwicklungshelfer im Ausland würden von dieser Regelung nicht erfaßt. Sie könnten deshalb Erzg nur beanspruchen, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis seien.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erzg auch für die Zeit vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Sie zählt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 iVm Abs. 2 Satz 2 BErzGG (in der hier maßgebenden Neufassung des BErzGG vom 21. Januar 1992, BGBl I 68) zum anspruchsberechtigten Personenkreis, da sie als Ehefrau eines Entwicklungshelfers (iS des § 1 des Entwicklungshelfergesetzes ≪EhfG≫) mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Nach den Feststellungen des LSG erfüllte sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 BErzGG. Vom Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Geltungsbereich des BErzGG war sie befreit (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BErzGG). Ihrem Anspruch auf Erzg steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht entgegen, daß sie als Ausländerin während des streitigen Zeitraums nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis (Aufenthaltstitel nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG in der oa Fassung) war.
Das Erfordernis eines Aufenthaltstitels iS von § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG aF (§ 1 Abs. 1a BErzGG idF des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, BGBl I 944) gilt, wie das LSG zutreffend entschieden hat, für ausländische Ehegatten eines Entwicklungshelfers iS von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BErzGG nicht, wenn sie sich mit diesem zusammen im Ausland aufhalten. Die in der letztgenannten Vorschrift enthaltene Bezugnahme auf § 1 EhfG stellt klar, daß der Entwicklungshelfer selbst Deutscher iS des Art. 116 Grundgesetz oder Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft sein muß (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 EhfG). § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 iVm Satz 2 BErzGG begründet dagegen für alle mit einem Entwicklungshelfer in einem Haushalt lebende Ehegatten einen Anspruch auf Erzg, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit. § 1 Abs. 2 BErzGG entbindet Entwicklungshelfer und deren Ehegatten ausdrücklich von § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG, also vom Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich des BErzGG, und zugleich stillschweigend auch von § 1 Abs. 1 Satz 2, also vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels. Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 BErzGG enthält insofern eine unbeabsichtigte Lücke, die durch die Entstehungsgeschichte zu erklären ist: Der Anspruch eines Entwicklungshelfers auf Erzg ergab sich nach der ursprünglichen Fassung des BErzGG (vom 6. Dezember 1985, BGBl I 2154) nur aus einer in § 1 Abs. 2 BErzGG enthaltenen Verweisung auf § 1 Nr. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Erst durch das Bundeserziehungsgeld-Änderungsgesetz ≪BErzGGÄndG≫ (vom 30. Juni 1989, BGBl I 1297) wurde in § 1 Abs. 2 Nr. 4 BErzGG für Entwicklungshelfer und ihre mit ihnen in einem Haushalt lebenden Ehegatten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BErzGG) eine eigenständige Anspruchsgrundlage eingefügt. Die Änderung wurde damit begründet, daß die bisherige Verweisung auf das BKGG durch eine ausdrückliche Regelung ersetzt werden solle (BT-Drucks 11/4687, S 6 zu Nr. 1 Buchst b). Die Einfügung des Satzes 2 in den § 1 Abs. 1 ebenfalls durch das BErzGG-ÄndG war in dieser Phase des Gesetzgebungsverfahrens noch nicht beabsichtigt. Sie erfolgte erst auf Veranlassung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BT-Drucks 11/4767), der die für Entwicklungshelfer beabsichtigte Änderung nicht nochmals aufgegriffen hat. Deswegen wurde in § 1 Abs. 2 BErzGG die Zitierung des Abs. 1 Nr. 1 weder in „Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1” berichtigt noch erwogen, ob daneben auch der neu geschaffene Satz 2 zu nennen war.
Die Freistellung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels ergibt sich, wie das SG zutreffend dargelegt hat, schon aus der Tatsache, daß Ausländer eine der in § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG aF aufgeführten Formen der Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Ausländergesetz (idF des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990, BGBl I 1354) nur für die Einreise oder den Aufenthalt im Bundesgebiet benötigen. § 1 Abs. 2 Nr. 4 iVm Abs. 2 Satz 2 BErzGG setzt bei Entwicklungshelfern und den mit ihnen in einem Haushalt lebenden Ehegatten jedoch einen Aufenthalt oder Wohnsitz im Bundesgebiet gerade nicht voraus.
§ 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG aF erfaßt zwar alle Ausländer, die sich im Inland aufhalten, auch Asylberechtigte, die einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben (BSGE 70, 197, 202 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7, Urteil vom 24. März 1992, 14b/4 REg 11/91). Das Erfordernis eines Aufenthaltstitels scheidet jedoch in den Fällen als Anknüpfungspunkt aus, in denen der Ausländer auch für einen dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet keiner Aufenthaltsgenehmigung bedarf (BSGE 70, 197, 205/206 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7).
Das Erfordernis eines Aufenthaltstitels iS von § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG aF ist allein Ausdruck des Vorbehalts des berechtigten Aufenthalts im Bundesgebiet, der als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung auch schon vor der durch das BErzGG-ÄndG (vom 30. Juni 1989, BGBl I 1297) erfolgten Einfügung des Satzes 2 in den § 1 Abs. 1 BErzGG aus dem Zusammenhang des BErzGG abzuleiten war. Das BErzGG enthielt schon vor dieser Rechtsänderung die Voraussetzung, daß sich der Erziehende rechtlich erlaubt und nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck im Bundesgebiet aufhält. Insoweit enthält die durch das BErzGGÄndG für Ausländer eingeführte Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG eine Ergänzung zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Einfügung des Satzes 2 in den § 1 Abs. 1 BErzGG allein, den Anspruch eines Ausländers auf Erzg von einem rechtlich gesicherten Aufenthalt abhängig zu machen (BSGE 70, 197, 200 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7 und a.a.O., Nrn 10 und 12 sowie Begründung zum BErzGG-ÄndG, BT-Drucks 11/4776, S 2). Auf die rechtliche Sicherung des Aufenthalts kann es zwangsläufig dann nicht ankommen, wenn der Anspruch auf Erzg von vornherein nicht vom Aufenthalt in Deutschland abhängt, sondern auch bei einem Aufenthalt im Ausland besteht, wie dies bei einem Entwicklungshelfer und seinem mit ihm in einem Haushalt lebenden Ehegatten der Fall ist (aA: Richtlinien des Bundesministeriums für Familie und Senioren zur Durchführung des BErzGG, Stand: 1. September 1993, S 16, Anm. 2.2, 4. Abs, ohne Begründung).
§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 iVm Satz 2 BErzGG läßt nicht erkennen, daß der Anspruch des Ehegatten eines Entwicklungshelfers auf Erzg dann, wenn es sich um einen Ausländer handelt, davon abhängt, daß dieser sich zuvor schon berechtigt in Deutschland aufgehalten hat, um – wie die Revision annimmt – die vom BErzGG vorausgesetzte soziale Bindung gegenüber Deutschland zu dokumentieren. Eine derartige Bindung nimmt das Gesetz bei deutschen Staatsangehörigen und Ausländern, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, der ein Recht zum dauerhaften Aufenthalt verbrieft, regelmäßig an, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Bei bestimmten Personengruppen sind hierfür zusätzliche Voraussetzungen erforderlich, wie der Senat zu den Angehörigen eines NATO-Truppenmitglieds entschieden hat (Urteil vom 3. November 1993, 14b REg 5/93). Bei Entwicklungshelfern und den mit ihnen zusammenlebenden Ehegatten unterstellt das Gesetz das Bestehen einer derartigen Bindung auch dann, wenn sie sich im Ausland aufhalten, da der Auslandsaufenthalt zwangsläufig zum Berufsbild des Entwicklungshelfers gehört. Dieser bleibt, wie aus den §§ 6 ff EhfG deutlich wird, während seines Auslandsaufenthaltes in das deutsche Sozialleistungssystem integriert. Der hieraus resultierende Schutz wird ausdrücklich auf die unterhaltsberechtigten Ehegatten des Entwicklungshelfers und seine unterhaltsberechtigten Kinder ausgedehnt, ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit (§§ 4 Abs. 2, 6 Abs. 1, 7 und 10 Abs. 1 EhfG). Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers (vgl BT-Drucks 7/4393 I S 9). Dabei sind für den Status als Angehöriger nicht die Verhältnisse bei Abschluß des Entwicklungshelfervertrages maßgebend, sondern diejenigen beim Leistungsbezug bzw beim Eintritt eines Versicherungsfalles. Insoweit genügt es jedenfalls, daß die Klägerin schon vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes an mit einem deutschen Entwicklungshelfer verheiratet war und mit ihm im Entwicklungsgebiet in einem gemeinsamen Haushalt lebte.
Bei dem hier betroffenen Personenkreis kann auch der Tatsache, daß er wegen des fehlenden Aufenthaltstitels im Inland keine Erwerbstätigkeit ausüben kann, keine Bedeutung zukommen. Die Rechtsprechung (BSG SozR 3–7833 § 1 Nrn 1 und 2) hat zwar § 1 Abs. 1 Nr. 4 BErzGG die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung entnommen, daß dem Betroffenen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit während des Leistungszeitraums möglich gewesen wäre. Bei einem Ausländer steht daher auch die fehlende Arbeitserlaubnis (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz) der Anspruchsberechtigung regelmäßig entgegen. Auf den mit einem Entwicklungshelfer im Entwicklungsgebiet in einem Haushalt lebenden Ehegatten läßt sich dies von vornherein nicht übertragen, da bei ihm die Aufgabe oder Einschränkung einer Erwerbstätigkeit im Inland wegen der Betreuung eines Kindes zwangsläufig keine Rolle spielt. Von daher geht auch die Argumentation der Revision ins Leere, die Klägerin könne ohne Arbeitserlaubnis die vom BErzGG vorausgesetzte Wahlfreiheit zwischen der Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit und deren Aufgabe zwecks verstärkter Zuwendung zum Kind nicht wahrnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Breith. 1996, 133 |
SozSi 1997, 78 |