Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

Das Gericht überschreitet die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung, wenn es Tatsachen, die in einem Gutachten erwähnt sind, die sich aber weder bei der ärztlichen Untersuchung noch bei der Auswertung ärztlicher Unterlagen ergeben haben (nichtmedizinische Tatsachen), ohne weiteres als festgestellt ansieht, obwohl der Kläger diese Tatsachen bestreitet und dem Gericht die Beweismittel zur Verfügung stehen, die zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet sind (vgl BSG 1960-10-18 11 RV 1280/59 = SozR Nr 59 zu § 128 SGG).

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2, § 128 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 24.09.1959)

SG Regensburg (Entscheidung vom 08.09.1955)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 24. September 1959 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der ... 1916 geborene Kläger erlitt im Alter von vier Jahren einen Verkehrsunfall, bei dem das linke Bein verstümmelt wurde. Am 22. Februar 1944 zog er sich während eines Fliegeralarms in Regensburg bei dem Versuch, die zugefrorene Tür eines Einzelbunkers gewaltsam zu öffnen, Verletzungen am verstümmelten linken Unterschenkel zu. Mit Bescheid vom 13. Juli 1944 erkannte das Versorgungsamt Regensburg Narbenwunden am linken Unterschenkel und am Fußrücken als Personenschaden an, gewährte jedoch keine Versorgung, da eine Versehrtheit durch die Verletzung nicht eingetreten sei.

Am 25. Juni 1952 beantragte der Kläger Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit der Behauptung, infolge des anerkannten Personenschadens habe im Jahre 1951 der linke Unterschenkel amputiert werden müssen. Nach Beiziehung der Krankenpapiere des Evangelischen Krankenhauses Regensburg über eine stationäre Behandlung in der Zeit vom 4. Februar bis 10. März 1950 wegen einer Magenoperation und in der Zeit vom 25. Oktober bis 26. November 1951 wegen der Unterschenkelamputation links lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 22. Januar 1953 ab, weil zwischen der Schädigung vom 22. Februar 1944 und der Amputation des Unterschenkels links kein ursächlicher Zusammenhang bestehe, die Amputation vielmehr Folge des Verkehrsunfalles in der Kindheit sei.

Auf die Klage (Berufung alten Rechts) hat das Sozialgericht (SG) auf Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein ärztliches Zeugnis des Dr. V vom 16. Juni 1954 beigezogen, der die Auffassung vertrat, daß der Zustand des linken Unterschenkels durch die Verletzung im Jahre 1944 infolge chronisch wiederkehrender Geschwüre so verschlimmert worden sei, daß die Amputation angeraten erschien, um einer befürchteten bösartigen Entartung zuvorzukommen. Nach Einholung von ärztlichen Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. W und des Chefarztes des Evangelischen Krankenhauses R. Dr. R, die beide den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem anerkannten Personenschaden und der Absetzung des linken Unterschenkels verneinten, hat das SG die Klage mit Urteil vom 8. September 1955 abgewiesen.

Nachdem im Berufungsverfahren das Landessozialgericht (LSG) auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von Dr. W eingeholt hatte, der sich im wesentlichen auf seine frühere Stellungnahme bezog, hat es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Regensburg vom 8. September 1955 mit Urteil vom 24. September 1959 zurückgewiesen.

Es hat ausgeführt, schon die Sachverständigen im Jahre 1944 seien zu dem Ergebnis gekommen, daß die nach dem Unfall aus der Kindheit bestehende Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des linken Beines durch den Personenschaden vom Februar 1944 nicht weiter beeinträchtigt worden sei. Auf Grund der Gutachten von Dr. W und Dr. B sei es zu der Überzeugung gelangt, daß nicht der anerkannte Personenschaden, sondern der Unfall vom Jahre 1920 und die Weiterentwicklung seiner Folgen die Amputation des linken Unterschenkels im Interesse des Klägers angezeigt erscheinen ließ. Insofern folge es den Feststellungen und Schlußfolgerungen dieser beiden Sachverständigen. Die anläßlich des Fliegeralarms erlittenen Wunden am linken Unterschenkel und Fuß seien bereits am 13. Juli 1944 vernarbt gewesen und wären sicher auch vernarbt geblieben, wenn nicht andere Umstände, hauptsächlich die verminderte Durchblutung und die trophischen Störungen, den Aufbruch der Narben später wieder verursacht hätten. Aus dem von der AOK Regensburg eingeholten Auszug vom 27. Oktober 1954 ergebe sich, daß nur im Jahre 1944 und 1945 ein Geschwür am Fuß erwähnt werde. Auch Dr. R habe bestätigt, daß der Kläger bei seiner Einweisung zum Zwecke der Amputation in das Evangelische Krankenhaus Regensburg am 25. September 1951 keine Geschwüre am linken Unterschenkel gehabt habe. Ebenso sei in den Krankenblättern aus dem Jahre 1950 ein Geschwür am linken Bein nicht verzeichnet. Die Amputation sei aus sozialen und orthopädisch fundierten sowie präventiven Gründen erfolgt. Wenn Dr. V und Dr. Z (Schreiben vom 28. August 1959) die Ansicht vertreten hätten, daß die Unterschenkelamputation links zum überwiegenden Teil Folge der Unfallverletzung aus dem Jahre 1944 sei, so werde dies durch das Gutachten von Dr. Richter sowie die Krankenblätter und Krankenkassenauskünfte widerlegt.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Der Kläger hat gegen das am 25. November 1959 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1959, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 23. Dezember 1959, Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen LSG vom 24. September 1959 und des SG Regensburg vom 8. September 1955 sowie der diesem Urteil zugrunde liegenden Vorentscheidungen den Beklagten zu verurteilen, die beim Kläger erfolgte Amputation des linken Unterschenkels als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen und ab 1. Juni 1952 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30. v.H. zu berenten;

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen und den Beklagten ferner zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Nachdem sein früherer Prozeßbevollmächtigter die Prozeßvertretung niedergelegt hat, hat der Kläger innerhalb der bis zum 25. Februar 1960 verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 15. Januar 1960 um die Bewilligung des Armenrechts gebeten, das ihm mit Beschluß vom 13. April 1961 und 28. April 1961 unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D bewilligt worden ist. Der Bewilligungsbeschluß ist am 3. Mai 1961 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Mai 1961, beim BSG eingegangen am 30. Mai 1961, beantragt der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist unter Hinweis auf die Dauer des Verfahrens wegen der Bewilligung des Armenrechts.

Gleichzeitig begründet der Kläger die Revision und rügt, das LSG habe die §§ 103, 106 und 128 SGG verletzt. Er ist der Ansicht, daß sich das LSG nicht auf die Gutachten von Dr. W und Dr. R und den von diesen getroffenen Feststellungen und Schlußfolgerungen habe stützen dürfen. Beide Gutachten seien bereits in der 1. Instanz erstellt worden. Der Kläger habe in der Berufungsbegründung vorgetragen, daß diese Gutachten von nicht zutreffenden Tatsachen ausgingen. Gleichwohl sei das LSG auf diese aus den Akten selbst ersichtlichen Fehler nicht eingegangen. Es habe unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) die angebotenen Beweise nicht erhoben und unter Zugrundelegung von Gutachten, die sich auf einen unzutreffenden Sachverhalt stützen, entschieden.

Dr. W stützte in seinem Gutachten vom 23. März 1955 seine Auffassung allein darauf, daß der Personenschaden vom Februar 1944 eine Krankenhausbehandlung nicht erforderlich gemacht habe. Dieser Ausgangspunkt sei unzutreffend und werde aus den Beiakten widerlegt. Nach dem Auszug der AOK vom 27. Oktober 1954 (Bl. 14 R der Akten des SG) habe sich der Kläger vom 19. Juli bis 16. September 1944 im Hilfskrankenhaus Klerikalseminar Regensburg befunden. Einweisung und Zugangsmeldung sowie Abgangsmeldung mit den Feststellungen, daß die Behandlung wegen Unterschenkelgeschwürs links erfolgt sei, befänden sich in den vom LSG beigezogenen alten Versorgungsakten (dort Bl. 16 - Bl. 19). Das LSG müsse diese Tatsache gekannt haben, denn es habe sich bei der Anfrage an die Deutsche Dienststelle in Berlin ausdrücklich auf diesen Lazarettaufenthalt bezogen. Ähnlich wie Dr. K stellte Dr. R in seinem Gutachten vom 29. Juli 1955 es ausdrücklich darauf ab, daß bereits am 13. Juli 1944 die durch den Fliegerangriff erlittenen Wunden wieder vernarbt gewesen seien. Er ziehe daraus den Schluß, daß sie sicher auch vernarbt geblieben wären, wenn nicht andere Umstände den Aufbruch verursacht hätten. Aus den Unterlagen der AOK ergebe sich jedoch, daß die Wunden nicht zu dem von Dr. R angenommenen Zeitpunkt abgeheilt gewesen seien, vielmehr sei nach diesen Bescheinigungen der Kläger vom 15. Mai 1945 bis 30. Juni 1945 und in der Zeit vom 28. Juli bis 23. September 1951 wegen der Geschwüre behandelt worden. Der Kläger habe dem LSG außerdem Beweis dafür angeboten, daß bei ihm - entgegen der Eintragung im Krankenblatt des Evangelischen Krankenhauses - ein Geschwür am linken Unterschenkel vor der Amputation vorhanden gewesen sei.

Ein weiterer wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG sei darin zu sehen, daß das LSG es offensichtlich für erforderlich gehalten habe, den behandelnden Arzt Dr. Sch zu hören, so daß es am 28. Juli 1959 bei diesem Arzt wegen der Erkrankung des Klägers angefragt und ihn am 10. September 1959 gemahnt habe, jedoch dann entschieden habe, ohne dessen Auskunft abzuwarten. Ferner habe das LSG Unterlagen, nämlich Wehrstammbuch und Wehrpaß des Klägers, angefordert, diese seien aber erst am 1. Oktober 1959 beim LSG eingegangen, so daß es auch diese Beweismittel bei der Urteilsfindung nicht mehr habe verwerten können.

Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen. Er ist der Auffassung, daß die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen.

Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 164 Abs. 1, 166 Abs. 1 SGG). Der Kläger hat zwar die bis zum 25. Februar 1960 verlängerte Frist zur Begründung der Revision versäumt, weil er erst mit Schriftsatz vom 29. Mai, eingegangen am 30. Mai 1961, die Revision begründet hat. Dem Kläger war jedoch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift ist die Wiedereinsetzung dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, sofern der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 67 Abs. 1 und 2 SGG). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hat - nachdem sein früherer Prozeßbevollmächtigter das Mandat niedergelegt hatte - rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, unter Beifügung eines Armutszeugnisses um die Bewilligung des Armenrechts und die Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten (s. dazu BSG in SozR SGG § 164 Bl. Da 4 Nr. 15) und innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung des Armenrechts und die Beiordnung seines jetzigen Prozeßbevollmächtigten den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt sowie gleichzeitig die versäumte Rechtshandlung, nämlich die Revisionsbegründung, nachgeholt. Der Kläger trägt auch kein Verschulden an der Versäumnis, denn es lag nach der rechtzeitigen Stellung des Armenrechtsantrages nicht in seiner Hand, die Entscheidung über die Bewilligung des Armenrechts noch so frühzeitig zu erreichen, daß die Begründung der Revision bis zu deren Fristablauf erfolgen konnte.

Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Revision rechtzeitig begründet worden. Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens mit Erfolg gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG - BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Die Statthaftigkeit der Revision wird vom Kläger aus einer Verletzung des §§ 103, 106, 128 SGG durch das LSG hergeleitet. Die Verletzung des § 128 SGG sieht der Kläger darin, daß sich das LSG bei seiner Feststellung, die Amputation des linken Unterschenkels sei nicht auf die Folgen des anerkannten Personenschadens von Februar 1944, sondern auf den frühkindlichen Unfall im Jahre 1920 und andere Umstände zurückzuführen, auf die Gutachten der Dres. E und W gestützt habe, die in ihrem Gutachten von einer Sachlage ausgegangen seien, die von ihm bestritten und nicht erwiesen sei sowie dem bisherigen Beweisergebnis widerspreche. Dies sei insofern der Fall, als Dr. W und Dr. P bei ihrer Beurteilung davon ausgegangen seien, daß die durch den Unfall im Februar 1944 entstandenen Verletzungen am linken Unterschenkel und Fuß spätestens am 13. Juli 1944 vernarbt gewesen und auch vernarbt geblieben wären, wenn nicht die verminderte Durchblutung und die trophischen Störungen den Aufbruch der Narben später verursacht hätten, und daß die Geschwüre und die Verletzung keinen Krankenhausaufenthalt erforderlich gemacht hätten. Diese Rüge greift durch.

Nach § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es hat in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel in Bezug auf die freie richterliche Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn das Gericht die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten, insbesondere gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze des täglichen Lebens verstoßen hat (BSG 2, 236). Eine Überschreitung dieser Grenzen ist auch dann gegeben, wenn das Gericht seine Überzeugung aus Gutachten gewinnt, die von einem nachweisbar oder nachgewiesen unrichtigen Sachverhalt oder von einem für die Entscheidung in wesentlichen Punkten unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sind; dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht Tatsachen, die in einem Gutachten erwähnt sind, die sich aber weder bei der ärztlichen Untersuchung noch bei der Auswertung ärztlicher Unterlagen ergeben haben (nichtmedizinische Tatsachen), ohne weiteres als festgestellt ansieht, obwohl der Kläger diese Tatsachen bestreitet und dem Gericht die Beweismittel zur Verfügung stehen, die zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet sind (BSG in SozR § 128 Bl. Da 24 Nr. 59). Aus dem Krankenblatt des Hilfskrankenhauses Klerikalseminar Regensburg (Bl. 19 der vom LSG beigezogenen Akten des Versorgungsamts Regensburg - Az.: 218/B) sowie dem Einweisungsschein vom 19. Juli 1944 (Bl. 16 der genannten Akten) und dem Zugangs- und Abgangsschein (Bl. 17 u. 18 der Akten) ergibt sich, daß der Kläger wegen vorhandener Unterschenkelgeschwüre in der Zeit vom 19. Juli bis 16. September 1944 durch das Versorgungsamt eingewiesen und dort behandelt worden ist. Demgegenüber führt Dr. W in seinem im Termin vom 23. März 1955 (Bl. 26 der Akten des SG) vor dem SG abgegebenen Gutachten (insbesondere Bl. 26 R der SG-Akte) aus, daß "eine Krankenhausbehandlung infolge des Schadens (am linken Unterschenkel) nicht stattgefunden habe", sondern eine ambulante Behandlung erfolgt sei. Hieraus zieht er den Schluß, daß eine schwere Verletzung am linken Fuß nicht vorgelegen haben könne, da sonst eine Krankenhausbehandlung auf längere Zeit nötig gewesen wäre. Auf Grund dieser Annahme schließt Dr. W, daß die bei dem Fliegerangriff im Jahre 1944 gesetzte Wunde später nicht zu einer solchen Verschlechterung geführt haben könne, welche die Amputation des linken Unterschenkels erforderlich gemacht hätte. Der vom SG weiter gehörte Sachverständige, Chefarzt Dr. K, geht in seinem Gutachten vom 29. Juli 1955 (Bl. 29 SG-Akten, insbesondere Bl. 29 R) davon aus, daß am 13. Juli 1944 die anläßlich des Fliegerangriffs erlittenen Wunden am linken Unterschenkel und Fuß bereits wieder vernarbt gewesen seien und sicherlich auch vernarbt geblieben wären, wenn nicht die von ihm dann angenommenen anderen Umstände einen Aufbruch der Narben verursacht hätten. Bei seiner Schlußfolgerung bezieht er sich nochmals ausdrücklich auf das Datum des 13. Juli 1944 hinsichtlich der endgültigen Vernarbung der Wunden am linken Unterschenkel und folgert sodann, daß vom Fliegerangriff unabhängige Einwirkungen endogener Art die Amputation des linken Unterschenkels erforderlich gemacht hätten. Demgegenüber ergibt sich jedoch aus dem Arbeitsunfähigkeitsnachweis der AOK Regensburg-Stadt (Bl. 14 R der SG-Akte), daß der Kläger vom 24. Februar bis 8. Oktober 1944 und vom 15. Mai bis 30. Juni 1955 wegen der Geschwüre arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Der Kläger hat auf diese Unstimmigkeiten bereits im Berufungsverfahren (s. Schriftsätze vom 16. Dezember 1955 und 25. November 1956) hingewiesen, ohne daß das LSG in seinen Urteilsgründen sich mit diesen Unstimmigkeiten zwischen den ärztlichen Annahmen und den in jenen Urkunden erwähnten Tatsachen auseinandergesetzt hat. Den Gutachten der Ärzte Dr. W und Dr. R, denen das LSG uneingeschränkt gefolgt ist, liegt demnach ein nicht erwiesener und dem sonstigen Beweisergebnis widersprechender Sachverhalt zugrunde, auf den sich beide Gutachter in ihren Schlußfolgerungen erkennbar gestützt haben. Wenn auch das LSG bei der Angabe der Gründe, aus denen es seine Überzeugung herleitet, nicht immer auf jedes Vorbringen im einzelnen einzugehen braucht, so muß doch den Gründen in irgendeiner Form zu entnehmen sein, daß es sich mit dem Vorbringen der Beteiligten bei der Urteilsfindung auseinandergesetzt hat. Da der Kläger zudem diese Unrichtigkeiten gerügt hatte, und die Mängel der Gutachten sich eindeutig aus dem Inhalt der Akten des SG und der beigezogenen Akten des Versorgungsamts ergaben, mußte das LSG den nicht erwiesenen und dem sonstigen Akteninhalt widersprechenden Ausgangspunkt der Gutachten beider Ärzte erkennen und durfte somit diese Gutachten nicht als geeignete Erkenntnisquellen zur Beurteilung der Frage ansehen, ob die Unterschenkelamputation links bei dem Kläger durch die Folgen der Verletzung bei dem Fliegerangriff im Jahre 1944 erforderlich war. Wenn es dennoch die Gutachten vom 23. März und 29. Juli 1955 zur Grundlage des Urteils machte, überschritt es damit die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung im Sinne des § 128 Abs. 1 SGG.

Damit leidet auch das Verfahren an dem von dem Kläger ordnungsgemäß gerügten Mangel, so daß die Revision gem. § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist. Die Revision ist auch begründet, denn das Urteil beruht auf diesem Mangel. Es ist bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung nicht ausgeschlossen, daß das LSG zu einer anderen, dem Kläger positiven Entscheidung gekommen wäre. Das Urteil war demzufolge aufzuheben. Mangels geeigneter Feststellungen konnte der Senat selbst nicht entscheiden, so daß die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Da bereits die Rüge der Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG durch das LSG gerechtfertigt war, bedurfte es keiner weiteren Prüfung, ob auch die anderen vom Kläger vorgetragenen Verfahrensfehler vorgelegen haben.

Die Entscheidung über die Kosten war dem abschließenden Urteil vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2603760

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge