Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 26. September 1996 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 24. November 1993 zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird insoweit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Bei der Klägerin ist von der Beklagten – durch angenommenes Teilanerkenntnis während des Berufungsverfahrens – ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Das Begehren der Klägerin auf einen höheren GdB von mindestens 50 hatte im Berufungsverfahren nur teilweise Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, den GdB mit 40 festzustellen und die Berufung im übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26. September 1996).
Diese Entscheidung hat das LSG nach mündlicher Verhandlung getroffen, der folgende Ereignisse vorausgegangen waren: Die Beteiligten waren zur mündlichen Verhandlung zunächst auf den 26. September 1996 um 11.30 Uhr geladen worden. Auf Antrag der Klägerin wurde dieser Termin auf 14.00 Uhr verlegt. Am 17. September 1996 teilte die Klägerin dem LSG dann mit, es werde auf mündliche Verhandlung verzichtet und beantragt, nach Aktenlage zu entscheiden.
Das LSG hat am 26. September 1996 bereits vor der anberaumten Terminstunde mündlich verhandelt und entschieden. Dazu heißt es in den Entscheidungsgründen: „Das Gericht hat am vorgesehenen Sitzungstag mit Zustimmung des Vertreters der Beklagten zu einem früheren Zeitpunkt als der ursprünglich anberaumten Terminstunde in Abwesenheit der Klägerin nach mündlicher Verhandlung entschieden, da diese schriftlich auf mündliche Verhandlung verzichtet hatte und die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bzw nach Aktenlage nicht einverstanden war”.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und macht geltend, daß sie in der mündlichen Verhandlung nicht nach den Vorschriften der Gesetze vertreten gewesen sei (§ 202 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 551 Nr 5 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫).
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Landessozialgerichts Bremen vom 26. September 1996 und des Sozialgerichts Bremen vom 24. November 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1991 und des Teilanerkenntnisses vom 29. November 1994 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, bei der Klägerin einen GdB von 50 festzustellen,
hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 26. September 1996 insoweit aufzuheben, als die Berufung der Klägerin erfolglos geblieben ist, und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Das LSG hat die mündliche Verhandlung zu einem anderen als dem in der Ladung bestimmten Zeitpunkt in Abwesenheit der Klägerin und ihres Bevollmächtigten durchgeführt. Dadurch ist der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 62 SGG iVm § 153 SGG). Daran ändert der Verzicht der Klägerin auf mündliche Verhandlung ebensowenig wie ihr zuvor gestellter schriftlicher Antrag, nach Aktenlage zu entscheiden. Denn der Verzicht hat lediglich zur Folge, daß das Gericht – sofern auch die anderen Beteiligten damit einverstanden sind – nach § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden kann. Dazu ist es hier nicht gekommen, weil die Beklagte sich mit diesem Verfahren nicht einverstanden erklärt hat. Nach Aktenlage (§ 126 SGG) hatte das LSG hier schon deshalb nicht entscheiden können, weil die Terminstunde 14.00 Uhr, zu der die Klägerin rechtzeitig und formgerecht geladen war, noch gar nicht erreicht war. Erst zu diesem Zeitpunkt hätte ihr Nichterscheinen als notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung nach Aktenlage festgestellt werden können.
Darüber hinaus war die Klägerin iS des § 202 SGG iVm § 551 Nr 5 ZPO „nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten”. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, daß über § 202 SGG die absoluten Revisionsgründe des § 551 ZPO auch im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gelten, weil das SGG insoweit keine Vorschriften enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten die entsprechende Anwendung des § 551 ZPO nicht ausschließen. Unter den in § 551 Nr 5 ZPO genannten absoluten Revisionsgrund fällt die Ladung auf einen falschen Termin oder das Vorziehen der Terminstunde ohne Änderung der Ladung, wenn ein Beteiligter selbst oder sein Bevollmächtigter nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat (vgl Urteil vom 28. März 1984 – 9a RV 55/83 – SozSich 1984, 289; Urteil vom 15. Oktober 1986 – 5b RJ 48/85 – SozSich 1987, 156; Urteil vom 10. Dezember 1992 – 11 RAr 81/92 – HV-Info 1993, 903; Urteil vom 28. Januar 1993 – 2 RU 45/92 – HV-Info 1993, 905; Urteil vom 9. April 1997 – 9 RV 17/96 – ZfS 1997, 206; vgl auch BFHE 125, 282 und BVerwGE 66, 311). Dabei kommt es auf einen etwaigen Ursachenzusammenhang zwischen Nichtteilnahme und der fehlerhaften Ladung bzw unterbliebenen Änderung der Ladung nicht an. Im übrigen wäre dieser Ursachenzusammenhang hier auch gegeben. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist nämlich trotz des zuvor erklärten Verzichts auf eine mündliche Verhandlung zur angesetzten Terminstunde am 26. September 1996 um 14.00 Uhr im Gerichtssaal erschienen.
Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem vom LSG begangenen Verfahrensfehler. Nach § 551 ZPO ist bei einem absoluten Revisionsgrund die Entscheidung als „stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen”, dh die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung wird unwiderleglich vermutet, ohne daß es dazu Ausführungen in der Revisionsbegründung bedürfte.
Der Senat mußte den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen, denn beim Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ist eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts grundsätzlich ausgeschlossen. § 170 Abs 1 Satz 2 SGG gilt nicht (BSGE 63, 43, 45 = SozR 2200 § 368a Nr 21). Von diesem Grundsatz läßt die Rechtsprechung zwar Ausnahmen für den Fall zu, daß ein Erfolg der Klage unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht kommt (BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12; Urteil vom 6. März 1996 – 9 RVg 3/94 –, unveröffentlicht; vgl dagegen Urteil vom 22. September 1993 – 12 RK 93/92 –, BB 1994, 1014). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen