Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Beschluss vom 01.04.1997) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 1. April 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 38 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Bei dem 1989 an akutem Herz-Kreislauf-Versagen verstorbenen Ehemann der Klägerin war als Schädigungsfolge ua eine „Lungentuberkulose mit Verschlimmerung einer chronischen Bronchitis” anerkannt, seit 1971 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. März 1990 ab, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren. Den dagegen verspätet eingelegten Widerspruch wertete er als Antrag auf eine Zugunstenentscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), den er ebenfalls ablehnte (Bescheid vom 29. Januar 1993; Widerspruchsbescheid vom 9. August 1993).
Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 24. April 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Beschluß vom 1. April 1997 zurückgewiesen: Das Todesleiden lasse sich nicht mit Sicherheit feststellen. Bei dem Beschädigten seien wenige Tage vor seinem Tode im Krankenhaus eine globale respiratorische Insuffizienz bei exzessiver Lungen- und Lebermetastasierung und Verdacht auf primäres Blasenkarzinom, eine bekannte chronische Emphysembronchitis und ein Zustand nach rechtsseitiger Lungentuberkulose diagnostiziert worden. Aufgrund welches dieser Leiden der Tod eingetreten sei, lasse sich auch nach den erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten nicht feststellen. Dem „Ermittlungsbegehren der Klägerin” auf ergänzende Sachverständigengutachten zur Frage des Todesleidens unter Berücksichtigung bis dahin nicht zugänglicher Thorax-Röntgenaufnahmen aus den Jahren 1977 bis 1985 ist das LSG nicht gefolgt, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin sich einer stetigen Verlaufskontrolle der Lungentuberkulose unterzogen habe, negative Veränderungen bis 1989 jedenfalls nicht mehr aufgetreten seien.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 38 BVG, des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 62 SGG). Das LSG hätte die Todesursache weiter aufklären müssen. Auf den – dem Gericht wenige Tage vor dessen Entscheidung zugeleiteten – Röntgenaufnahmen seien bereits die als Metastasen gedeuteten Veränderungen des Röntgenbildes von 1989 vorhanden gewesen. Bestätige sich dies nach sachverständiger medizinischer Einschätzung, so komme als Todesleiden nicht mehr eine Metastasierung der Lunge in Betracht, sondern nur noch eine auf das anerkannte Schädigungsleiden zurückzuführende pulmonale Insuffizienz.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 1. April 1997, das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 24. April 1996 und den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 1993 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheides vom 2. März 1990 der Klägerin ab 1. Oktober 1989 Witwenrente nach § 38 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist in dem Sinne begründet, daß der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Klägerin rügt zu Recht, das LSG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt, weil es der Frage nicht weiter nachgegangen sei, ob die auf Röntgenaufnahmen der Jahre 1977 bis 1985 sichtbaren Veränderungen an der Lunge des verstorbenen Beschädigten denen entsprächen, die auf der Aufnahme des Todesjahres 1989 als exzessive Lungenmetastasen eines Tumorleidens gedeutet worden seien, das über eine pulmonale Insuffizienz den Tod verursacht habe. Nach den im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Beweisen war offengeblieben, ob der Ehemann der Klägerin, wie für den Anspruch auf Witwenrente in § 38 Abs 1 Satz 1 BVG vorausgesetzt, an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Diese Unsicherheit über die Schädigungsfolgen als Todesleiden hätte durch eine weitere Beweiserhebung – möglicherweise mit einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis – beseitigt werden können. Denn die Diagnose einer Metastasierung im Lungengewebe war nach der zunächst allein zugänglichen Röntgenaufnahme aus dem Jahre 1989 wahrscheinlich, sie war aber histologisch nicht gesichert. Zeigen die kurz vor Ende des Berufungsverfahrens aufgefundenen Röntgenaufnahmen der Jahre 1977 bis 1985, wie von der Klägerin behauptet, bereits dieselben Veränderungen, die auf den Röntgenaufnahmen des Todesjahres als Lungenmetastasen gedeutet worden sind, so könnte sich die bisherige Beurteilung als falsch erweisen. Die bis dahin angenommene Metastasierung des Lungengewebes würde als mögliches Todesleiden ausscheiden und der Tod des Ehemannes der Klägerin könnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl BSG SozR 3-3100 § 38 Nr 2) auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen sein.
Die danach erforderlichen weiteren Ermittlungen wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren durchzuführen haben.
Dem LSG bleibt es auch vorbehalten, über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen