Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Versicherungsschutzes auf einem Umweg, den ein Beschäftigter zurücklegt, um vor Schichtbeginn in einer Gaststätte seine Mittagsmahlzeit einzunehmen, zu der für ihn als familiär Alleinstehenden der Arbeitgeber einen Kostenzuschuß leistet.
Normenkette
RVO § 543 Fassung: 1942-03-09, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger macht Entschädigungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) für die Folgen eines Unfalls geltend, der ihm am 14. Oktober 1961 zustieß. Der Kläger ist als Werkschutzmann bei der Firma "B" in Duisburg-Wanheim beschäftigt. Von seiner in Duisburg-Hochfeld gelegenen Wohnung fuhr er regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit. Er brauchte dazu auf dem 5,5 km langen Weg ungefähr eine halbe Stunde. Am Unfalltag verließ er seine Wohnung kurz nach 12.00 Uhr; seine Arbeitsschicht begann um 13.00 Uhr. Er war deshalb so zeitig von zu Hause aufgebrochen, weil er vor Arbeitsbeginn noch in einer Gaststätte zu Mittag essen wollte. Das Gasthaus lag unweit von seiner Arbeitsstätte entfernt, aber abseits von dem direkten Weg dorthin. Von diesem Weg bog er daher ab, erreichte jedoch die Gaststätte nicht, da er kurz vorher mit dem Fahrrad stürzte und sich erheblich verletzte. Er wollte in dieser bestimmten Gaststätte essen, weil er dort ein verbilligtes Essen erhalten konnte. Die Firma "B" leistete zu einer warmen Mahlzeit pro Tag einen Kostenzuschuß für ihre alleinstehenden Arbeitnehmer. Zu diesem begünstigten Personenkreis gehörte der Kläger, der von seiner Ehefrau getrennt lebte.
Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) lehnte durch Bescheid vom 24. Mai 1962 den Entschädigungsanspruch mit folgender Begründung ab: Der Kläger habe nicht nach § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden. Der Unfall sei eingetreten, als der Kläger zum Mittagessen unterwegs gewesen sei. Zu diesem Weg sei er nicht durch Umstände veranlaßt worden, die mit seiner versicherten Tätigkeit zusammenhingen.
Die Klage hiergegen ist durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 25. Februar 1964 abgewiesen worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 25. Mai 1965 zurückgewiesen und zur Begründung dem wesentlichen Inhalt nach ausgeführt: Der Kläger sei auf einer Abzweigung von der unmittelbaren Wegeverbindung zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte verunglückt. Es sei unerheblich, ob der Unfall auf einem Um- oder einem Abweg von dem direkten Weg zur Arbeit eingetreten sei; denn es habe kein betriebsbezogener Grund dafür bestanden, daß der Kläger die Unfallstelle hätte passieren müssen. Der um etwa 800 m weitere Weg zur Arbeitsstätte sei auch nicht etwa wegen besserer Beschaffenheit und geringerer Verkehrsdichte dem direkten Weg vorzuziehen gewesen. Den längeren Weg habe der Kläger in der Absicht gewählt, eine Gaststätte aufzusuchen, in der er sein Mittagessen habe einnehmen wollen. Hierzu hätten ihn keine betrieblichen Gründe veranlaßt, zumal da das Essen nicht wie die während einer Mittagspause eingenommene Mahlzeit der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft habe dienen sollen. Vor Beginn der Arbeitsschicht hätte der Kläger an beliebiger Stelle essen können. Der für den Versicherungsschutz erforderliche innere Zusammenhang werde auch nicht dadurch begründet, daß der Kläger in der Gaststätte, zu der er sich habe begeben wollen, ein durch Zuschüsse seines Arbeitgebers verbilligtes Mittagessen hätte bekommen können. Bei diesen Kostenzuschüssen habe es sich um eine soziale Vergünstigung gehandelt, deren Nutzung im Belieben der begünstigten Belegschaftsmitglieder gestanden habe. Die Gewährung der Zuschüsse sei nicht geeignet gewesen, eine so enge Bindung der Arbeitnehmer an den Betrieb zu bewirken, daß die Wahrnehmung der Preisvergünstigung im betrieblichen Interesse gelegen habe, und zwar um so weniger, als in den Genuß dieser Vergünstigung nicht sämtliche Betriebsangehörigen gekommen seien. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Betriebsangehörigen habe bei der Begrenzung der Zuschußbewilligung auf einen bestimmten Personenkreis, nämlich auf familiär alleinstehende Betriebsangehörige, nicht in der Absicht des Unternehmens gelegen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist dem Kläger am 15. Juli 1965 zugestellt worden. Er hat gegen das Urteil am 13. August 1965 Revision eingelegt und sie am 28. August 1965 wie folgt begründet: Entscheidend sei, daß der Kläger den zum Unfall führenden Weg zurückgelegt habe, um sich durch das Mittagessen für seinen bevorstehenden achtstündigen Wachdienst zu stärken. Dadurch sei der ursächliche Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit gegeben. In der Natur seines Arbeitsverhältnisses habe es gelegen, daß der Kläger die zum "Durchhalten" im Betrieb erforderliche warme Mahlzeit vor Schichtbeginn habe einnehmen wollen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten vom 24. Mai 1962 die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 14. Oktober 1961 als Arbeitsunfall anzuerkennen und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus: Die Revision verkenne, daß grundsätzlich jede Nahrungsaufnahme eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit sei. Allgemeine Voraussetzungen dafür, daß man überhaupt arbeitsfähig sei, z.B. daß man eine Wohnung habe, Kleidung besitze, regelmäßig esse, hätten mit der versicherten Tätigkeit nichts zu tun. Nur dann, wenn der Weg zur Einnahme des Mittagessens während einer Unterbrechung der Arbeitszeit zurückgelegt werde und die Einnahme der Mahlzeit dazu diene, die Arbeitskraft des Versicherten für den restlichen Teil der Arbeitsschicht zu erhalten bzw. wiederherzustellen, könne der Versicherungsschutz für einen solchen Weg bejaht werden. Es müßten Umstände gegeben sein, die den Versicherten im betrieblichen Interesse zwängen, das Essen unterwegs einzunehmen, um den Weg für versichert halten zu können. Das sei hier nicht der Fall. Im übrigen sei der Weg zur Arbeitsstätte noch gar nicht angetreten gewesen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig. Sie hatte aber keinen Erfolg.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Kläger verunglückt, als er mit seinem Fahrrad unterwegs war, um vor Antritt seiner Arbeitsschicht in einer Gaststätte zu Mittag zu essen und sich anschließend zur Arbeitsstätte zu begeben. Dieser Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der Unfall eintrat, nachdem der Kläger von seinem üblichen und direkten Weg zur Arbeitsstätte abgebogen war, weil die Gastwirtschaft, die er aufsuchen wollte, abseits von diesem direkten Wege lag. Die Entscheidung über den geltend gemachten Entschädigungsanspruch hängt daher davon ab, ob der Kläger auch auf dem weiteren Weg zur Arbeit unter Versicherungsschutz nach § 543 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 - aF - stand. Dies ist in Übereinstimmung mit dem LSG zu verneinen.
Da sich der Kläger für das Zurücklegen des von der Wohnung bis zur Arbeitsstätte insgesamt etwa 6,3 km betragenden Weges rd. eine Stunde Zeit genommen hatte, entspricht es der natürlichen Anschauung, daß das Endziel dieses Weges von Anfang an die Arbeitsstätte war und daß die Abzweigung von dem direkten Weg dorthin, die ohne den Unfall zunächst zur Gaststätte geführt hätte, unter dem Gesichtspunkt des Umwegs zu betrachten ist. Der vorliegende Sachverhalt bietet jedenfalls keinen ausreichenden Anhalt dafür, den Weg bis zur Gaststätte als einen selbständigen Wegteil zu behandeln (vgl. BSG 22, 60 = SozR Nr. 54 zu § 543 RVO aF).
Der zum Unfall führende Umweg, der die unmittelbare, etwa 5,5 km lange Wegeverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte des Klägers um ungefähr 800 m verlängert hätte, ist nicht als eine nur kleine, unbedeutende, dem Versicherungsschutz unschädliche Abweichung von dem üblichen Verbindungsweg zur Arbeitsstätte zu werten. Auch die Revision hat nicht behauptet, daß der Umweg örtlich gesehen nur in einer unwesentlichen Verlängerung des üblichen Weges zur Arbeitsstätte bestanden hätte. Es sind aber auch sonst keine Gründe ersichtlich, welche die Erheblichkeit der Verlängerung des gesamten Weges von der Wohnung bis zur Arbeitsstätte am Unfalltag in Frage stellen könnten. Umstände, welche es dem Kläger im Interesse eines schnellen und sicheren Erreichens der Arbeitsstätte nahegelegt hätten, den gewählten weiteren Weg einzuschlagen, sind nicht vorhanden und von der Revision auch nicht geltend gemacht. Insoweit hat das LSG unwidersprochen festgestellt, daß der eingeschlagene Weg weder mit Rücksicht auf die Verkehrsdichte noch wegen der Beschaffenheit der als Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte überhaupt in Betracht kommenden Wege dem kürzesten von ihnen vorzuziehen sei (vgl. BSG 4, 219, 222). Trotz der Erheblichkeit des Umweges könnte jedoch ausnahmsweise der nach § 543 RVO aF erforderliche ursächliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben sein, wenn die Wegstrecke, die zunächst zur Gaststätte führen sollte, wesentlich der Zurücklegung des Weges nach der Arbeitsstätte und nicht privaten Zwecken diente. Dieser Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
Das LSG hat mit Recht angenommen, daß der Beweggrund für die Wahl des Umweges über die Gaststätte ausschließlich dem persönlichen unversicherten Lebensbereich des Klägers zuzurechnen sei. Hierbei ist es zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Einnahme des Essens allgemein um eine private Beschäftigung handelt und der Versicherungsschutz auf Wegen, welche ein Beschäftigter zum Zwecke der Einnahme einer Mahlzeit zurücklegt, nur gegeben sein kann, wenn diese wesentlich der Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Arbeitskraft dient (BSG in SozR Nr. 26 zu § 543 RVO aF). Allerdings hat das LSG hierbei die Grenzen des Versicherungsschutzes zu eng gezogen, indem es diesen Schutz auf Wege beschränkt sieht, die während einer Arbeitspause zur Nahrungsaufnahme zurückgelegt werden. Nach der Auffassung des erkennenden Senats kann auch ein Weg, der zur Einnahme des Essens vor Beginn der Arbeitsschicht zurückgelegt wird, unter den angeführten Voraussetzungen versichert sein. In Fällen dieser Art bedarf es freilich einer besonders sorgfältigen Prüfung, ob der für den Versicherungsschutz erforderliche ursächliche Zusammenhang eines solchen Weges mit der versicherten Tätigkeit gegeben ist. Der vorliegende Sachverhalt läßt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, keine ausreichenden Umstände erkennen, aus denen die Annahme dieses Zusammenhanges zu rechtfertigen ist. Es war die private Angelegenheit des Klägers, sich am Unfalltag in der beabsichtigten Weise mit dem Mittagessen zu versorgen; es war ihm nach Lage des Falles möglich, sich an beliebiger Stelle vor Antritt seiner Arbeitsschicht so zu stärken, daß er diese hätte durchhalten können. Daher kommt auch dem Umstand, daß der Kläger das Betriebsgelände von 13.00 Uhr an für die nächsten acht Stunden nicht hätte verlassen dürfen und in dieser Zeit mangels Gelegenheit im Betrieb kein warmes Essen hätte erhalten können, keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beurteilung der streitigen Zusammenhangsfrage zu.
Mit zutreffender Begründung hat das LSG auch verneint, daß der Kläger auf dem Wege zu der Gaststätte deshalb versichert gewesen sei, weil er dort ein auf Kosten seines Arbeitgebers verbilligtes Mittagessen hätte erhalten können. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, daß betriebliche Vergünstigungen sozialer Art, zu denen Kostenzuschüsse des Arbeitgebers zu den Mahlzeiten der Betriebsangehörigen gehören, der Steigerung deren betrieblichen Zugehörigkeitsgefühls dienen können. Dieser Zweck hätte im vorliegenden Fall aber, wie das LSG ohne Rechtsirrtum dargelegt hat, schon deshalb nicht verwirklicht werden können, weil die Vergünstigung nur einem Teil der Betriebsangehörigen, nämlich den familiär Alleinstehenden, zugute kommen sollte. Da nicht sämtliche Betriebsangehörigen in den Genuß der Essensverbilligung kommen konnten, ist auch nicht die Annahme begründet, daß es dem Unternehmer bei der Gewährung der Zuschüsse um die Steigerung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit seiner Beschäftigten gegangen sei. Der dem begrenzten Kreis von Betriebsangehörigen des Beschäftigungsunternehmens des Klägers (ledige, verwitwete, geschiedene und getrennt lebende Personen) zugedachte betriebliche Kostenzuschuß zum Essen ist offensichtlich lediglich als Ausgleich privater Belange der Begünstigten gewährt worden. Dies reicht jedoch nicht aus, um einen inneren Zusammenhang der Einnahme eines solchen verbilligten Mittagessens mit der versicherten Tätigkeit zu begründen. Da sonstige Gesichtspunkte, welche die Annahme eines rechtlich wesentlichen Zusammenhangs des beabsichtigten Gaststättenbesuchs des Klägers am Unfalltag mit seiner versicherten Tätigkeit rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich und auch von der Revision nicht geltend gemacht sind, ist der Kläger auf einem Weg verunglückt, auf dem er nicht unter Versicherungsschutz nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO aF stand.
Die Revision ist somit unbegründet und mußte daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen