Leitsatz (amtlich)
Auch in der Rentenversicherung liegen mehrere selbständige Ansprüche vor, wenn die überlebende Witwe des Verstorbenen als dessen Rechtsnachfolgerin rückständige Versichertenrente und außerdem ihren eigenen Anspruch auf Witwenrente geltend macht; die Zulässigkeit der Berufung ist auch hier für jeden Anspruch gesondert zu prüfen. Daß beide Ansprüche auf dasselbe Versicherungsverhältnis gestützt werden, führt nicht zur Identität des Streitgegenstandes.
Normenkette
SGG § 146 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der am 2. Oktober 1903 in M geborene und am 10. Mai 1970 in Düsseldorf gestorbene frühere Ehemann der Klägerin mit den nach §§ 15 und 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) anrechenbaren Versicherungs- und Beschäftigungszeiten sowie mit Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Wartezeit erfüllt hat und ihm deshalb für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis zum Ablauf des Sterbemonats (31. Mai 1970) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugestanden hat, die jetzt von der Klägerin als Rechtsnachfolgerin geltend gemacht wird, und ob diese jetzt nach seinem Tode eine Witwenrente beanspruchen kann. M hatte von 1920 bis 1938 zur Tschechoslowakei und vorher und nachher zu Ungarn gehört und ist jetzt ein Bestandteil der UdSSR. Der Versicherte war dort vom 1. Juli 1924 an im väterlichen Betrieb tätig gewesen (Ziegelei, Beton- und Röhrenwerk, Bauunternehmung und Heilbad).
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hatte das erste Verfahren S 22 An 173/69 (nach dem Tode des Versicherten S 22 An 114/71), in dem es um die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ging, mit dem späteren Verfahren S 22 An 155/71, das die Witwenrente betraf, zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Durch Urteil vom 22. Oktober 1974 verurteilte es die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. November 1969, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 31. Mai 1970 zu zahlen, und in Abänderung ihres Ablehnungsbescheides vom 15. November 1971, in welchem lediglich 37 Monate anrechnungsfähige Ersatz- und Versicherungszeiten anerkannt waren, vom 1. Juli 1970 an Witwenrente zu gewähren. Es ging davon aus, daß die Zeit vom 1. Juli 1924 bis 31. Dezember 1927 als eine nach § 16 FRG anrechenbare Beschäftigungszeit glaubhaft gemacht sei. Zusammen mit anderen Versicherungszeiten von 1944 bis 1947 sei damit die gesetzliche Wartezeit von 60 Monaten erfüllt. In der Rechtsmittelbelehrung hieß es, das Urteil könne mit der Berufung angefochten werden, soweit es die Witwenrente betreffe, im übrigen nur, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel gerügt werde, § 150 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein. Durch Urteil vom 5. Juni 1975 verwarf das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung als unzulässig, soweit sie die Versichertenrente betraf (§ 146 SGG). Im übrigen wies es die Klage auf Zahlung von Hinterbliebenenrente in Abänderung des angefochtenen Urteils ab, weil nicht glaubhaft gemacht sei, daß der Versicherte während seiner Tätigkeit im väterlichen Betrieb jemals in einem "Beschäftigungsverhältnis" gestanden habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter voller Aufhebung des Urteils des SG Düsseldorf vom 22. Oktober 1974 die Klage auch hinsichtlich der Versichertenrente abzuweisen.
Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 146 SGG und des § 23 Abs. 3 AVG.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
da das LSG die prozessuale Lage richtig beurteilt habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, das LSG habe im Rahmen des erhobenen Witwenrentenanspruchs zu Recht u. a. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 AVG überprüft und sie mit zutreffenden Gründen verneint. Von denselben Voraussetzungen aber sei der erhobene Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes abhängig gewesen. Beide Ansprüche würden auf dasselbe Versicherungsverhältnis gestützt. Damit liege eine Identität des Streitgegenstandes vor, so daß für eine Anwendung des § 146 SGG kein Raum sei.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Sie widerspricht der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen kein Anlaß besteht. So hat u. a. der 8. Senat in seinem Urteil 8 RU 188/74 vom 19. August 1975, SozR 1500 § 144 Nr. 4, erneut für die Unfallversicherung ausgeführt, daß auf denselben Arbeitsunfall eines Versicherten gestützte Ansprüche auf Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Hinterbliebenenrente materiell-rechtlich und prozessual selbständige Ansprüche sind und hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung nicht als Einheit behandelt werden können. Für die Rentenversicherung kann nichts anderes gelten, wie für diesen Versicherungszweig bereits in BSGE 10, 264 ausgesprochen worden ist. Identität des Streitgegenstandes liegt nur vor, wenn der zur Begründung der Klage vorgetragene Sachverhalt und die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen übereinstimmen. Es genügt daher nicht, wenn verschiedene Ansprüche eine wesentliche und gemeinsame Anspruchsvoraussetzung haben (hier die Erfüllung der Wartezeit). Entscheidend sind vielmehr die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen. Regelmäßig ergibt sich der Streitgegenstand somit in erster Linie aus dem Antrag, vgl. Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 82 Rd. Nr. 3. Dabei handelt es sich im vorliegenden Fall aber einmal um eine Versichertenrente und zum anderen um eine abgeleitete Witwenrente. Mit Recht sind somit die Vorinstanzen von verschiedenen Ansprüchen ausgegangen, für welche die Zulassung der Berufung und ihre Zulässigkeit jeweils gesondert geprüft werden müssen. Unergiebig hierfür ist in diesem Zusammenhang die zu § 96 SGG ergangene und von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG; sie betrifft andere Probleme.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen