Leitsatz (redaktionell)
Anwendung des RVO § 1267 auf alte Versicherungsfälle:
RVO § 1267 darf nach ArVNG Art 2 § 44 von den Gerichten der SGb in schwebenden Fällen nicht angewandt werden.
Normenkette
RVO § 1267 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 44 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. September 1959 aufgehoben, insoweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und über die Kosten entschieden hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird auch das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. März 1959 insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen.
In allen Instanzen sind Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der am ... 1954 unehelich geborene Kläger beantragte am 18. Februar 1955 bei der Beklagten die Gewährung der Waisenrente aus der Versicherung des Anfang Juni 1954 durch Selbstmord verstorbenen Arbeiters H P N, seines angeblichen unehelichen Vaters. Die Beklagte hat durch Bescheid vom 31. Januar 1956 diesen Anspruch abgelehnt, da die eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter allein die Vaterschaft nicht beweise und sonstige Anhaltspunkte für diese nach ihrer Ansicht nicht vorlägen.
Das Sozialgericht (SG) in Hamburg holte zunächst ein Blutgruppengutachten des Serologen Dr. L ein, der die Blutgruppenbefunde des Klägers und der Mutter und sämtlicher drei Geschwister des angegebenen Kindesvaters auswertete; der Gutachter kam zu dem Ergebnis, es sei äußerst unwahrscheinlich, daß der verstorbene Versicherte das Gen cDE besessen habe, weil weder seine Mutter noch seine drei Geschwister dieses Gen hätten; der Kläger müsse dieses Gen jedoch von seiten des Vaters haben, weil auch seine Mutter es nicht aufweise.
Nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zog das SG dann noch ein Ähnlichkeitsgutachten des Dr. K in M vom 16. Dezember 1958 bei, der den Kläger, seine Mutter und die drei Geschwister des angeblichen Vaters persönlich atropologisch untersuchte und dem außerdem einige Lichtbilder des Verstorbenen vorlagen. Dieses Gutachten stellte eine Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaftsannahme fest; der Gutachter betonte, daß infolge der überdurchschnittlichen Ähnlichkeit des Klägers mit seiner Mutter eine genauere Klärung nicht möglich sei, daß aber die Wahrscheinlichkeit seiner Ansicht nach in Richtung einer "großen" Wahrscheinlichkeit neige.
Das SG sprach dem Kläger die Waisenrente vom 1. März 1955 an zu; das Gutachten des Dr. L schließe die Vaterschaft nicht aus; das Gutachten des Dr. K und die von der Kindesmutter gemachten glaubhaften Angaben über ihren regelmäßigen geschlechtlichen Alleinverkehr mit dem Verstorbenen vom März 1952 bis Mai 1954 sprächen demgegenüber eindeutig für die Vaterschaft.
Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil hatte die Beklagte zum Teil Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg vertritt im Gegensatz zum SG die Auffassung, daß die blutmäßige Vaterschaft des Versicherten sich nicht feststellen läßt. Bereits die von Dr. K angenommene "hohe" Wahrscheinlichkeit reicht nach Ansicht des LSG für den erforderlichen Nachweis nicht aus; hinzu kommt nach seiner Auffassung als Ergebnis des Blutgruppengutachtens und einer durch den Sachverständigen Prof. Dr. K in H vorgenommenen mathematischen Verrechnung beider Gutachten, daß die Vaterschaft des Versicherten in sehr hohem Maße unwahrscheinlich ist. Nach § 1258 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, der für die Rentengewährung die Feststellung der blutmäßigen Vaterschaft voraussetzt, sei demnach bis zum Ende des Jahres 1956 kein Anspruch gegeben. Anders liege es aber nach dem seit dem 1. Januar 1957 geltenden neuen Recht. Nach § 1267 i. V. m. § 1262 Abs. 2 Nr. 5 RVO nF reiche jetzt alternativ auch aus, daß die Unterhaltspflicht des verstorbenen Versicherten festgestellt sei. Hierbei genüge die Feststellung der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht als Zahlvater nach § 1708 i. V. m. § 1717 BGB. Das LSG hält es für zulässig, diese Unterhaltspflicht im Rentenfeststellungsverfahren festzustellen, wenn sie zu Lebzeiten des Erzeugers noch nicht geklärt ist.
Die Beiwohnung in der Empfängniszeit sieht das LSG nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorliegenden Fall als erwiesen an. Es sei auch kein Mehrverkehr der Kindesmutter nachgewiesen; ebensowenig sei die Erzeugung des Klägers durch den Versicherten offenbar unmöglich. Dann jedoch müsse die Beklagte den Rechtsnachteil tragen, der mangels Feststellbarkeit von Umständen, die die Unterhaltspflicht ausschließen, eintrete.
Das LSG wies daher die Klage für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 ab, während es die Berufung im übrigen zurückwies; es verurteilte die Beklagte zur Erstattung von 8/9 der Kosten.
Nur die Beklagte hat gegen das am 29. September 1959 zugestellte Urteil die - vom LSG zugelassene - Revision unter Antragstellung am 13. April 1959 eingelegt und am 25. November 1959 begründet.
Sie rügt in erster Linie eine unrichtige Anwendung der §§ 1267, 1262 RVO nF i. V. m. § 1717 BGB. Entgegen der Auffassung des LSG dürfe im sozialgerichtlichen Verfahren zwar die Feststellung der blutmäßigen Vaterschaft, nicht jedoch das Bestehen einer Unterhaltspflicht als Vorfrage geklärt werden.
Falls entgegen dieser Auffassung die Sozialgerichte das Bestehen der Unterhaltspflicht in derartigen Fällen selbst festzustellen hätten, rügt die Beklagte als wesentlichen Verfahrensmangel des LSG, dieses habe mit seiner Beweiswürdigung die ihm zustehenden Grenzen überschritten. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft habe das LSG bei der unterschiedlichen Beurteilung zwischen dem Blutgruppengutachten und dem erbbiologischen Gutachten ersterem den größeren Beweiswert zusprechen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es die Berufung zurückgewiesen hat, das Urteil des SG aufzuheben, soweit es vom LSG bestätigt ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt demgegenüber,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom LSG zugelassen und somit statthaft.
Die Revision ist auch sachlich begründet.
Da nur die Beklagte Revision eingelegt hat, ist allein noch die Gewährung der Waisenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 an streitig. Für diese Zeit hat das LSG auf den vorliegenden, vor Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) eingetretenen Versicherungsfall die Vorschriften des neuen Rechts (§§ 1267, 1262 Abs. 2 Nr. 5 RVO) angewandt und ist dadurch zu dem für den Kläger günstigen Ergebnis gekommen. Art. 2 § 20 ArVNG schreibt nun zwar auch für derartige alte Versicherungsfälle die Anwendung des § 1267 RVO vor, doch darf diese Vorschrift nach § 44 aaO von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in schwebenden Fällen nicht angewandt werden, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Oktober 1957 (SozR § 1293 RVO aF Nr. 4 aa 2 bis 3) dargelegt hat. Unter diesen Umständen muß der Anspruch des Klägers auch für die Zeit vom 1. Januar 1957 an unverändert nach den vorher geltenden Vorschriften beurteilt werden; dann jedoch entfällt seine Berechtigung bereits deshalb, weil, wie schon das LSG nach seinen vom Kläger nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen rechtlich einwandfrei entschieden hat, die blutsmäßige Vaterschaft des Versicherten N nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte.
Auf die Revision der Beklagten war das angefochtene Urteil daher insoweit aufzuheben, als es die Waisenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 an zugesprochen hat; die Klage war auch insoweit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen