Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz, daß für Personen mit Anspruch auf Kindergeld (KGG §§ 1 - 3; KGEG § 1 Abs 1 Nr 1), die nach dem 1954-12-31 aus einer Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, diejenige Familienausgleichskasse der Träger der Kindergeldzahlung ist, die bei Fortsetzung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zuständig wäre, gilt auch dann, wenn wegen des Bezugs von kindergeldgleichen Leistungen (KGG § 3 Abs 2 Nr 6a) während des Beschäftigungsverhältnisses jene Arbeitnehmer den Anspruch auf Kindergeld nicht geltend machen konnten.
Normenkette
KGEG § 3 Fassung: 1955-12-23, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1955-12-23; KGG § 1 Fassung: 1954-11-13, § 2 Fassung: 1954-11-13, § 3 Abs. 2 Nr. 6a Fassung: 1954-11-13
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. November 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Streitig ist unter den beteiligten Familienausgleichskassen ( FAKen ) die Zuständigkeit zur Zahlung von Kindergeld an die Witwe Gertrud V, wohnhaft in R. bei W. . Diese ist Mutter von zwei ehelichen (geboren 1948 und 1951) sowie von zwei unehelichen Kindern (geboren 1957 und 1959). Die Vaterschaft für das 3. und 4. Kind ist anerkannt; der Vater selbst nicht kindergeldberechtigt. Frau V, die keine Erwerbstätigkeit mehr ausübt, wird seit Jahren vom Bezirksfürsorgeverband unterstützt. Zuvor war sie von August 1955 bis zum 30. Juni 1959 als Reinmachefrau bei dem Studentenwerk W. beschäftigt. Frau V bezog dort kindergeldgleiche Leistungen nach § 3 Abs. 2 Nr. 6a des Kindergeldgesetzes (KGG). Nach ihrem Ausscheiden beantragte sie die Zahlung von Kindergeld zunächst bei der Beklagten. Diese verneinte ihre Zuständigkeit (Bescheide vom 24.11.1959 und 19.2.1960). Daraufhin richtete Frau V ihren Kindergeld-Antrag an die FAK bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, die ihn an die Klägerin weitergab.
Die Klägerin gewährte rückwirkend ab 1. Juli 1959 Kindergeld für die beiden jüngsten Kinder an Frau V erklärte jedoch die Leistungen als vorläufige Gewährung im Sinne von § 4 Abs. 3 des Kindergeldergänzungsgesetzes (KGEG). Auf ihre Klage stellte das Sozialgericht Hamburg (Urteil vom 17. Februar 1961) fest, daß die Beklagte seit 1. Juli 1959 zuständiger Träger der Kindergeldzahlung an Frau V sei; Berufung wurde zugelassen. Das Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 14. November 1961) hob das sozialgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG sei zwar nicht vollkommen eindeutig. Nach der Grundregel des § 1 Nr. 1 KGG habe Frau V als Arbeitnehmerin Kindergeld für ihr drittes und viertes Kind zugestanden. Dieser Anspruch sei jedoch durch § 3 Abs. 2 Nr. 6a KGG ausgeschlossen gewesen. Zweifel könnten bestehen, ob § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG sich nur auf die Grundregel des § 1 KGG oder auch auf § 3 Abs. 2 KGG erstrecke. Da in § 3 Abs. 1 Nr. 2a KGEG neben dem Anspruch auf Kindergeld nach dem KGG nur die erweiterte Anspruchsgrundlage nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG, nicht aber § 2 KGEG mit der Verweisung auf die Ausschlußbestimmungen des § 3 Abs. 2 KGG erwähnt werde, deute die sprachliche Regelung indessen darauf hin, daß mit dem "Anspruch auf Kindergeld nach dem KGG" nur die grundsätzliche Regelung des § 1 KGG gemeint sei. Bei Mehrdeutigkeit einer Vorschrift müsse jedenfalls der Auslegung der Vorzug gegeben werden, die der aus der Entstehungsgeschichte erkennbaren gesetzgeberischen Absicht entspreche. Der Grundgedanke des KGG und des KGEG gehe dahin, möglichst ein Arbeitsverhältnis als fortdauernd anzunehmen und demgemäß auch die hierfür zuständige FAK als leistungspflichtig anzusehen. Dieser Gedanke komme auch in § 5 Abs. 1 KGEG, § 2 Abs. 2 Satz 2 KGG zum Ausdruck. Der Umstand, daß Frau V während ihrer Beschäftigung kein Kindergeld von der Klägerin erhielt, stehe dem nicht entgegen. Grundsätzlich solle es auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Kindergeldzahlung bleiben bzw. des Trägers, der zuständig gewesen wäre, wenn die Kindergeldzahlung nicht aus besonderen Gründen ausgeschlossen gewesen wäre. Die Beklagte sei nur für solche Personen zuständig, die nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit Verbindung zu einem Träger der Kindergeldzahlung hätten. Es entspreche dem Sinn der Gesetzesvorschrift, daß jeder Berufsgruppe die Verpflichtung obliege, für ihre ehemaligen Berufsgenossen zu sorgen, auch wenn bei diesen der Tatbestand einer Ausschlußvorschrift (§ 3 Abs. 2 KGG) erfüllt war. Die Klägerin sei daher für die Kindergeldzahlung an Frau V zuständig. Revision wurde zugelassen.
II. Die Klägerin legte form- und fristgerecht Revision ein. Das LSG habe § 3 Abs. 1 Nr. 2 a KGEG rechtsirrtümlich ausgelegt. Diese Vorschrift erfasse nur solche Fälle, bei denen die Grundvoraussetzungen nach den §§ 1, 2 KGG und § 1 Abs. 1 KGEG vorgelegen hätten und der Anspruch nicht durch andere Vorschriften ausgeschlossen gewesen sei. Der Ausschluß des ursprünglichen Anspruchs für bestimmte Kinder schlechthin durch § 3 Abs. 2 KGG sei als eine zusätzliche negative Grundvoraussetzung anzusehen. Das ergebe sich u.a. auch aus § 32 Abs. 4 KGG. Also müsse aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG der Schluß gezogen werden, daß nicht nur alle positiven Voraussetzungen des KGG seitens des Berechtigten erfüllt sein, sondern daß auch die negativ geregelten fehlen müßten. Wenn das LSG aus der Erwähnung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG in § 3 Abs. 2 Nr. 2 aaO folgere, daß hier nur die positiven Grundvoraussetzungen für den Kindergeldanspruch gemeint seien, weil sonst nahegelegen hätte, auch § 2 KGEG darin anzuführen, verkenne es, daß die Beschränkung auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG erfolgte, um nicht den Anspruch der Nichterwerbstätigen in diese Vorschrift aufnehmen zu müssen. Auch bei den nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG kindergeldberechtigten Personen dürften, wenn von einem "Anspruch auf Kindergeld" die Rede sei, die negativen Voraussetzungen nicht vorliegen. § 2 KGEG werde auch in § 1 KGEG erwähnt, weil es dort heiße "Anspruch auf Kindergeld ... haben nach diesem Gesetz ...". Werde der Anspruch auf Kindergeld nach § 2 KGEG i.V. mit § 3 Abs. 2 KGG ausgeschlossen, so hätten die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG genannten Personen keinen Anspruch auf Kindergeld. Da das LSG die Worte "nach diesem Gesetz" übersehe, verkenne es die Bedeutung des § 3 Abs. 1 Nr. 2a KGEG ("... Anspruch auf Kindergeld ... hatten"). Die Richtigkeit dieser Ansicht werde auch anderweit durch gesetzliche Regelungen bestätigt, z. B. durch § 3 Abs. 4 KGEG und § 34 a Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes. Ihr stehe auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Januar 1961 (BSG 13, 283) entgegen; denn darin sei die Zuständigkeit des bisherigen Kindergeldträgers nur bejaht worden, weil das Arbeitsverhältnis während des Krankengeldbezuges als fortbestehend fingiert worden sei. Wäre für die Kindergeldzahlung an Frau V die Klägerin zuständig, würden nicht die "Berufsgenossen" ihres früheren Arbeitgebers die Aufwendungen tragen, sondern eine fachlich anders geartete Gruppe von Unternehmern und Selbständigen (insbes. Apotheker, Zahn- und Tierärzte, Hebammen, Friseure u.a.). Der Arbeitgeber von Frau V sei gemäß § 10 Abs. 2 KGG i.V. mit § 3 Abs. 2 Nr. 6 KGG von der Beitragspflicht befreit gewesen, so daß für sie niemals ein Anspruch nach § 32 Abs. 4 KGG gegen die Klägerin habe entstehen können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 14. November 1961 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Februar 1961 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Rechtsfrage sei bereits in ihrem Sinne durch das Urteil des Senats vom 25. Januar 1961 (BSG 13, 283 ff) entschieden. Mit dem Ausscheiden aus ihrer Tätigkeit habe Frau V einen Anspruch gemäß § 32 Abs. 4 KGG gegen die Klägerin erworben. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG ergebe, habe der bisherige Kindergeldträger das Kindergeld in Erfüllung einer Fürsorgepflicht zu gewähren; folglich müsse die Klägerin ihre Zuständigkeit anerkennen.
III. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Für die Beurteilung der Frage, welche der beiden beteiligten FAKen von Gesetzes wegen Träger der Kindergeld-Zahlung ist, sind folgende Tatsachen wesentlich: Frau V erfüllte während ihrer Beschäftigung beim Studentenwerk Würzburg - einer Anstalt des öffentlichen Rechts, die mit Wirkung ab 1. November 1948 in das Mitgliederverzeichnis der Klägerin eingetragen ist - dem Gründe nach die Voraussetzungen des Anspruchs auf Kindergeld, da sie vier Kinder hat und als Arbeitnehmerin bei der mit der Klägerin verbundenen Berufsgenossenschaft nach der Reichsversicherungsordnung versichert war (§ 1 Nr. 1 KGG). Weil ihr jedoch vom Studentenwerk im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses Leistungen gewährt wurden, die dem Kindergeld nach § 4 Abs. 1 KGG entsprachen, waren ihr Anspruch gegen die Klägerin und damit deren Leistungspflicht in der Zeit von August 1955 bis Juni 1959 nicht existent (§ 3 Abs. 2 Nr. 6a KGG). Mit dem Ausscheiden von Frau V aus der Erwerbstätigkeit beim Studentenwerk Würzburg entfielen dessen bisherige kindergeldgleiche Leistungen. Da von ihr eine neue Arbeitstätigkeit nicht aufgenommen wurde, ist ihr vom 1. Juli 1959 an der Anspruch auf Kindergeld nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KGEG erwachsen. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß alsdann die Klägerin das Frau V zustehende Kindergeld nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG zu zahlen gehalten ist, weil diese nach der Grundregel des § 1 Nr. 1 KGG einen Anspruch auf Kindergeld besitzt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 25. Januar 1961 (BSG 13, 283 ff) ausführt, enthalten KGG wie KGEG den Grundgedanken, möglichst ein Arbeitsverhältnis als fortdauernd anzunehmen und demgemäß auch die für das Arbeitsverhältnis zuständige FAK als leistungspflichtig weiterhin anzusehen. Das kommt in § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift ist Träger der Kindergeldzahlung für Personen, die nach dem 31. Dezember 1954 aus einer Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, sowie für deren Witwen oder Witwer, wenn diese Personen unmittelbar vor dem Ausscheiden einen Anspruch auf Kindergeld hatten und während der Dauer eines Jahres ununterbrochen erwerbstätig waren, der Träger der Kindergeldzahlung, der zuständig wäre, wenn die zuletzt ausgeübte Tätigkeit fortgesetzt worden wäre. Dann stehe auch nicht der Umstand entgegen, daß dem Arbeitnehmer während der Beschäftigung aus besonderen Gründen kein Kindergeld gewährt worden ist; trotzdem bleibe der Träger der Kindergeldzahlung zuständig, zu dem der Betrieb gehört. Eine andere Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG läßt die Grundkonzeption der Kindergeldregelung nicht zu. Diese geht dahin, den Staat und die Steuerzahler von der Kindergeldzahlung möglichst weitgehend freizustellen, weil eine kleinere Gemeinschaft in eigener Organisation, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung diese Aufgabe lösen könne. Ohne Inanspruchnahme staatlicher Mittel soll deshalb die Selbstverwaltung der Wirtschaft die Kindergeldzahlung durchführen und die erforderlichen Gelder durch Beiträge aufbringen. Die Nordwestdeutsche Baugewerbe-Familienausgleichskasse, deren Auslagen vom Bund erstattet werden, wollte der Gesetzgeber nur für jene Restgruppe nichterwerbstätiger Berechtigter als zuständig ansehen, die überhaupt keinen Anspruch gegen einen anderen Träger der Kindergeldzahlung geltend machen können. Dieser Wille des Gesetzgebers hat in der Begründung zu dem KGEG, Bundestagsdrucksache 1539, 2. Wahlperiode 1953 S. 11 zu III und § 2 Ausdruck gefunden. § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG ist demzufolge dahin auszulegen, daß es auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Kindergeldzahlung bleiben soll. Die Beklagte ist nur für solche Personen zuständig, die nicht aufgrund einer früheren Tätigkeit Verbindung zu einem Träger der Kindergeldzahlung haben (Lauterbach/Wickenhagen, Die Kindergeldgesetzgebung, § 3 KGEG Anm. 8). Die Tatsache, daß Frau V während ihres Beschäftigungsverhältnisses von der Klägerin Kindergeld nicht erhielt, weil der Ausschlußtatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 6a KGG dem entgegenstand, widerstreitet nicht dieser Auffassung. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 KGG ("Anspruch auf Kindergeld besteht nicht für Kinder ...") scheinen zwar die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG nicht erfüllt zu sein, nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift muß es jedoch auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Kindergeldzahlung bleiben bzw. des Trägers, der zuständig gewesen wäre, wenn die Kindergeldzahlung nicht aus besonderen Gründen ausgeschlossen war. Danach genügt für die Erfüllung des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG, wenn ursprünglich allein die positiven Grundvoraussetzungen nach §§ 1, 2 KGG und 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG für den Anspruch auf Kindergeld bei dem aus der Erwerbstätigkeit Ausgeschiedenen vorgelegen haben. Die von der Klägerin vertretene Ansicht, die in § 3 Abs. 2 KGG aufgezählten Ausschlußgründe seien im Hinblick auf einen bestehenden Kindergeldanspruch nach § 1 KGG als zusätzliche negative Grundvoraussetzungen anzusehen und man könne deshalb bei Vorliegen solcher Ausschlußgründe nicht von einem Anspruch auf Kindergeld ausgehen, wie ihn § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG voraussetze, läßt sich, wie ausgeführt, mit der vom Gesetzgeber mit dieser Vorschrift beabsichtigten Regelung nicht vereinbaren. Der Grundsatz, daß für Personen mit Anspruch auf Kindergeld (§§ 1 bis 3 KGG; § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG), die nach dem 31. Dezember 1954 aus einer Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, diejenige FAK der Träger der Kindergeldzahlung ist, die bei Fortsetzung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zuständig wäre, gilt vielmehr auch dann, wenn wegen des Bezugs von kindergeldgleichen Leistungen (§ 3 Abs. 2 Nr. 6a KGG) während des Beschäftigungsverhältnisses jene Arbeitnehmer den Anspruch auf Kindergeld nicht geltend machen konnten.
IV. Die Revision war nach alledem zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 929594 |
BSGE, 95 |