Leitsatz (amtlich)
Erkrankt ein früherer Arbeitnehmer innerhalb der Dreiwochenfrist des RVO § 214 nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und bezieht er während seiner Krankheit nur Krankengeld ohne Berücksichtigung der bisherigen Kinderzuschläge, so hat er Anspruch auf Kindergeld für die Zeit des Krankengeldbezuges. Zuständig für die Gewährung des Kindergeldes ist der Versicherungsträger der gesetzlichen Unfallversicherung des Beschäftigungsverhältnisses auch dann, wenn der Arbeitnehmer während des Beschäftigungsverhältnisses wegen Bezugs von Kinderzuschlägen kein Kindergeld erhalten hatte.
Normenkette
RVO § 214 Fassung: 1924-12-15; KGEG §§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 1; KGG § 2 Abs. 2 Fassung: 1954-11-13, § 3 Abs. 2 Nr. 2
Tenor
Auf die Sprungrevision wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. März 1958 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 100.-- DM zu zahlen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Polsterer Rolf B... war vom 28. August bis zum 4. Oktober 1956 bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt. Er war anschließend vom 5. Oktober 1956 bis zum 18. Februar 1957 arbeitsunfähig erkrankt und bezog während dieser Zeit ein Krankengeld von 4.84 DM täglich von der Bundesbahnbetriebskrankenkasse. Am 29. Dezember 1956 beantragte er bei der Klägerin Gewährung von Kindergeld für sein drittes Kind. Da die Klägerin der Auffassung war, die Beklagte sei leistungspflichtig, leitete sie den Antrag an diese weiter. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 31. Januar 1957 mit der Begründung ab, B... habe während seiner Beschäftigung bei der Bundesbahn keinen Anspruch auf Kindergeld gehabt, weil er tarifliche Kinderzuschläge zum Lohn erhalten habe; infolgedessen könne er auch während des Bezuges von Krankengeld kein Kindergeld erhalten. Gegen diesen Bescheid erhob B... Klage. Im Laufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) erklärte sich die inzwischen beigeladene jetzige Klägerin bereit, den streitigen Kindergeldbetrag im Wege der vorläufigen Fürsorge zu zahlen. Sie trat mit Einverständnis der übrigen Beteiligten in das Verfahren ein und beantragte Feststellung, daß die Beklagte zur Zahlung des Kindergeldes zuständig sei, sowie Verurteilung zur Erstattung des von ihr ausgelegten Betrages von 100.-- DM. Dagegen schied B... als Kläger aus.
Mit Urteil vom 26. März 1958 gab das SG der Klage statt. Es stellte fest, daß die Beklagte für die Kindergeldzahlung zuständig sei, verurteilte sie zur Erstattung der 100.-- DM und erlegte ihr die Kosten des Verfahrens auf; außerdem ließ es die Berufung zu. Zur Begründung führte es aus, B... habe zwar während seiner Beschäftigung bei der Bundesbahn keinen Anspruch auf Kindergeld gehabt, weil er mit seinem Lohn tarifliche Kinderzuschläge in einer mindestens dem Kindergeld entsprechenden Höhe erhalten habe. Die Kinderzulage sei mit dem Zeitpunkt der Entlassung bei der Bundesbahn weggefallen. Damit entfalle jedoch nicht der Anspruch auf Kindergeld; dieser bleibe vielmehr nach den allgemeinen Bestimmungen erhalten. Es bestehe daher für eine öffentliche Dienststelle, die sonst Kindergeld wegen der Gewährung von tariflichen Kinderzuschlägen nicht zu zahlen brauche, im vorliegenden Falle die Verpflichtung, Kindergeld zu gewähren. B... habe als Bediensteter im öffentlichen Dienst während der Zeit, in der er Kinderzulage bezogen habe, in der Beklagten einen Leistungspflichtigen gehabt für den Fall, der durch seine Erwerbslosigkeit und Krankheit bei ihm eingetreten sei.
Gegen das am 25. Oktober 1958 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 11. November 1958 Sprungrevision ein, begründete ihr Rechtsmittel am gleichen Tage und fügte die Einwilligungserklärung der Klägerin in die Übergehung des Berufungsverfahrens bei.
Sie meint, auch wenn nach § 2 Abs. 2 des Kindergeldgesetzes (KGG) B... als Erwerbsloser einem Arbeitnehmer gleichstehe, seien die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs gegen sie nicht gegeben. Denn der zuletzt zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bleibe nur dann Träger der Kindergeldzahlung nach dem Ausscheiden eines Erwerbstätigen, wenn dieser schon während seiner Beschäftigung einen Kindergeldanspruch gehabt habe. B... gehöre für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst bis zur Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu den in § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Kindergeldergänzungsgesetzes (KGEG) genannten "anderen Personen"; für diese sei die Klägerin zuständig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Lüneburg vom 26. März 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beschränkt ihren Klageanspruch auf die Leistungsklage und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels bestehen keine Bedenken. Die Berufung war nach § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, weil es sich um einen Erstattungsstreit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts über einen Betrag von weniger als 300 DM gehandelt hat. Das SG hat aber die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und begründet und innerhalb der Revisionsfrist die Einwilligungserklärung der Klägerin vorgelegt, so daß die Voraussetzungen des § 161 SGG erfüllt sind.
Sachlich erweist sich jedoch die Sprungrevision außer bezüglich der Kostenentscheidung als unbegründet, weil das SG zutreffend angenommen hat, die Beklagte sei für die Kindergeldzahlung an B... zuständig und die Klägerin sei deshalb berechtigt, den verauslagten Betrag von 100 DM von der Beklagten zu fordern.
Während seiner Beschäftigung bei der Bundesbahn hatte B... keinen Anspruch auf Kindergeld (§ 2 Abs. 1 KGEG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 KGG). Er fällt zwar unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KGEG, weil er als Arbeitnehmer bei einem anderen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung als einer Berufsgenossenschaft versichert war. Doch hatte er Anspruch auf Kinderzuschläge, die den allgemeinen tariflichen Bestimmungen des Bundes und der Länder über Kinderzuschläge entsprechen (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 KGG, § 2 Abs. 1 KGEG). Diese Kinderzuschläge schlossen den Bezug von Kindergeld aus. Mit dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis erlosch allerdings B... Anspruch auf tarifliche Kinderzuschläge. B... galt jedoch nach § 5 Abs. 1 KGEG, § 2 Abs. 2 Satz 2 KGG weiterhin als Arbeitnehmer für den Bezug von Kindergeld. Denn er gehörte zu den Personen, die bei Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen des § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Krankengeld bezogen, und war damit für die Dauer des Bezuges von Krankengeld den Arbeitnehmern gleichgestellt (Satz 2 aaO). Dadurch hatte er Anspruch auf Kindergeld, weil § 3 Abs. 2 Nr. 2 KGG für ihn nicht mehr anwendbar war; denn er erhielt keine Kinderzuschläge mehr. Nach den von der Revision nicht angegriffenen und somit für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) bezog B. während seiner Krankheit ein tägliches Krankengeld von 4,84 DM, aber keine Kinderzuschläge. Dies entspricht auch dem damals maßgebenden Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn vom 22. Februar 1954, nach dem B. keinen Anspruch auf Kinderzuschlag während der Krankheit hatte, sondern nur Krankengeld bezog, übrigens nur gemäß seinem Grundlohn ohne Kinderzuschläge.
Das B. zustehende Kindergeld hat die Beklagte zu zahlen, wie das SG zutreffend angenommen hat.
Nach § 5 Abs. 1 KGEG, § 2 Abs. 2 Satz 2 KGG gilt B. noch als Arbeitnehmer, und zwar desjenigen Betriebs, bei dem er zuletzt beschäftigt war. Damit ist auch der Träger der Kindergeldzahlung zuständig, zu dem der Betrieb gehört (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KGEG). Der Umstand, daß B. während der Beschäftigung kein Kindergeld erhielt, steht dem nicht entgegen. Die Beklagte meint allerdings, weil B. während seiner Beschäftigung kein Kindergeld erhalten habe, sei sie nicht zuständig, sondern nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 KGEG die Klägerin. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Der Grundgedanke des KGG und des KGEG ist der, möglichst ein Arbeitsverhältnis als fortdauernd anzunehmen und demgemäß auch die für das Arbeitsverhältnis zuständige Familienausgleichskasse als leistungspflichtig anzusehen. Dieser Gedanke kommt auch in § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG zum Ausdruck. Hiernach ist Träger der Kindergeldzahlung für Personen, die nach dem 31. Dezember 1954 aus einer Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, sowie für deren Witwen und Witwer, wenn diese Personen unmittelbar vor dem Ausscheiden einen Anspruch auf Kindergeld hatten und während der Dauer eines Jahres ununterbrochen erwerbstätig waren, der Träger der Kindergeldzahlung, der zuständig wäre, wenn die zuletzt ausgeübte Tätigkeit fortgesetzt worden wäre. Zwar ist diese Vorschrift hier nicht anwendbar, sie läßt aber ebenfalls erkennen, daß es grundsätzlich auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Kindergeldzahlung bleiben soll. Die Klägerin ist nur für solche Personen zuständig, die nicht auf Grund ihrer jetzigen oder früheren Tätigkeit Verbindung zu einem Träger der Kindergeldzahlung haben. Da jedoch im Falle des § 2 Abs. 2 Satz 2 KGG das Arbeitsverhältnis als fortbestehend angenommen werden muß, ist die Beklagte zur Zahlung des Kindergeldes während der Zeit der Krankheit des B. verpflichtet (ebenso Sixtus/Haep, § 2 Abs. 2 KGG Anm. 5; Lauterbach/Wickenhagen, § 3 KGEG Anm. 8, die ihre Auffassung damit begründen, daß jede Berufsgruppe die Verpflichtung habe, für ihre ehemaligen Berufsgenossen zu sorgen). Dieser Auffassung steht auch nicht entgegen, daß die Beklagte im allgemeinen kein Kindergeld zu zahlen hat, weil die Arbeiter und Angestellten der Bundesbahn Kinderzuschläge beziehen. Denn Träger der Kindergeldzahlung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGEG der Träger der Unfallversicherung; die Errichtung einer Familienausgleichskasse wie in § 15 KGG ist hier nicht vorgesehen.
Die Beklagte ist daher verpflichtet, an B. Kindergeld für die Zeit seiner Erkrankung zu zahlen, so daß das SG sie im Ergebnis zu Recht verurteilt hat, der Klägerin den verauslagten Betrag von 100.-- DM zu erstatten. Die Revision ist also in der Hauptsache nicht begründet (ihren anfänglichen Feststellungsantrag hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten, so daß darüber nicht mehr zu entscheiden war).
Dagegen mußte die Kostenentscheidung des SG abgeändert werden, weil nach § 193 Abs. 4 SGG Aufwendungen von Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht zu erstatten sind, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um Streitigkeiten dieser Stellen untereinander handelt (ebenso BSG Beschluß vom 13. Dezember 1960 - 2 RU 77/58 -). Demgemäß war auszusprechen, daß für das gesamte Verfahren keine Kosten zu erstatten sind.
Fundstellen