Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenumwandlung. Erwerbsunfähigkeitsrente. Altersruhegeld. Ausfallzeitanrechnung
Orientierungssatz
1. Bei der Umwandlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in ein Altersruhegeld kann hierauf die Zeit der Erwerbsunfähigkeit als Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 RVO nicht angerechnet werden (vgl BSG 1968-11-22 11(12) RJ 516/67 = VdK-Mitt 1969, 77).
2. Bemüht sich ein Versicherter während des Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente nicht ernsthaft und tatkräftig um eine Beschäftigung, so geht es zu seinen Lasten, wenn das Gericht die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Rentenbeziehers nicht feststellen kann.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 21.08.1968) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 22.01.1968) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. August 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger Anspruch auf höheres Altersruhegeld hat, indem die Zeit vom 1. Juni 1965 bis zum 31. Januar 1967, in der er vor Vollendung des 65. Lebensjahres Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen hat, bei der Berechnung des Altersruhegeldes als Ausfallzeit anzurechnen ist.
Der Kläger, geboren im Februar 1902, wurde im Oktober 1964 in seinem Beschäftigungsverhältnis als Elektromonteur arbeitsunfähig. Im Januar 1965 beantragte er Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bei der ärztlichen Untersuchung im März 1965 wurde außer Veränderungen an der Wirbelsäule eine Lungenblähung und ein Bluthochdruck festgestellt. Er wurde für leichte, teilweise sitzende Tätigkeit, mindestens halbtags, fähig befunden. Am 3. Mai 1965 nahm er bei seinem bisherigen Arbeitgeber eine Bürotätigkeit auf. Er mußte sie aber schon am nächsten Tage wegen Magenbeschwerden wieder aufgeben.
Die Beklagte bewilligte zunächst Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Oktober 1964 an (Bescheid vom 20. Mai 1965).
Der Kläger wurde von Ende Mai bis Mitte Juli 1965 wegen Blutungen infolge eines Zwölffingerdarmgeschwürs stationär behandelt. Bei einer Untersuchung am 4. August 1965 diagnostizierte die Ärztin Dr. K außer den Wirbelsäulenveränderungen eine fragliche Nachblutung nach dem Zwölffingerdarmgeschwür, einen vorzeitigen Altersabbau, einen vitalen Leistungsknick und Z.B. Durchblutungsstörungen im Gehirn. Im September 1965 bestand noch ein kleines Geschwür. Im Oktober 1965 äußerte Dr. K, der Berufsunfähigkeit liege der Befund am Bewegungsapparat zugrunde; durch das blutende Zwölffingerdarmgeschwür habe sich der Gesundheitszustand des Klägers so verschlechtert, daß seit Eintritt der Erkrankung Erwerbsunfähigkeit bestehe; es sei kaum zu erwarten, daß bei dem fast 64-jährigen Kläger die Erwerbsunfähigkeit behoben werden könne. Darauf erkannte die Beklagte in dem gegen den Bescheid vom 20. Mai 1965 auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente gerichteten Klageverfahren an, daß seit Mai 1965 Erwerbsunfähigkeit vorliege. Sie bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. Mai 1965 an (Bescheid vom 3. Januar 1966).
Die Beklagte wandelte die Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit seit dem 1. Februar 1967 in Altersruhegeld um (Bescheid vom 7. Juni 1967). Dabei rechnete sie die Zeit von November 1964 bis April 1965 als Ausfallzeit und den Monat Mai 1965 als Pflichtversicherungszeit an; Zeiten danach berücksichtigte sie nicht.
Der Kläger begehrt, daß auch die Zeit von Juni 1965 bis Januar 1967 als Ausfallzeit bei der Berechnung des Altersruhegeldes angerechnet werde.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Januar 1968). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat nach Anhörung des medizinischen Sachverständigen Dr. M in der mündlichen Verhandlung am 21. August 1968 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 21. August 1968). Es ist der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Mai 1968 - 1(12) RJ 440/60 - (SozR Nr. 20 zu § 1259 RVO) gefolgt.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 1967 aufzuheben und diese zur Gewährung eines höheren Altersruhegeldes unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. Juni 1965 bis 31. Januar 1967 zu verurteilen.
Die Revision rügt zunächst eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG), indem das LSG die durch einen ärztlichen Sachverständigen vermittelte telefonische Auskunft eines Berufskollegen dieses Sachverständigen zur Abstützung der Entscheidung verwandt habe; der Hausarzt Dr. S hätte unmittelbar vor dem Prozeßgericht als sachverständiger Zeuge gehört werden müssen.
Ferner sei entgegen der Entscheidung des BSG in SozR Nr. 20 zu § 1259 RVO beim Zusammenfallen von Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit das Anhalten der Erwerbsunfähigkeit bis zum Versicherungsfall des Alters kein Indiz dafür, daß die versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Arbeitsunfähigkeit nicht nur unterbrochen, sondern beendet worden sei; denn beide Rechtsbegriffe seien verschieden. Das LSG hätte deshalb feststellen müssen, ob der Kläger vor Eintritt des Versicherungsfalles des Alters noch arbeitsunfähig gewesen sei. Der Kläger habe im Jahre 1966 eine Beschäftigung aufnehmen können.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt. Es hat festgestellt, daß der Kläger in der Zeit vom 13. Januar 1966 bis zum 16. März 1967 nicht von seinem Hausarzt Dr. S behandelt worden ist. Als Grundlage für diese Feststellung war nicht allein die telefonische Auskunft des Dr. S an den Sachverständigen Dr. M in der mündlichen Verhandlung vorhanden. Ein Sachverständiger darf zwar Zeugen über wesentliche Streitpunkte grundsätzlich nicht selbst vernehmen; denn es ist Sache des Gerichts, den Sachverhalt festzustellen, der vom Sachverständigen zu beurteilen ist, und das Gericht verstößt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es Vernehmungen verwertet, die ein Sachverständiger zu Unrecht selbständig angestellt hat (vgl. Baumbach, ZPO, 28. Aufl., Übersicht 4 vor § 402 ZPO; BGH in Lindenmaier/Möhring Nr. 2 und 3 zu § 144 ZPO). Hier lag dem LSG aber auch die eigene Erklärung des Klägers, daß er von 1966 bis 1967 bei Dr. S nicht in Behandlung gewesen sei, vor, die er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG abgegeben hat. Das LSG konnte diese Erklärung verwerten, ohne noch Dr. S selbst darüber befragen zu müssen; denn der Kläger konnte selbst bekunden, daß er nicht in ärztlicher Behandlung war. Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, daß das LSG im Urteil nur die Auskunft des Dr. S an den Sachverständigen Dr. M angeführt hat.
Im übrigen haben der Kläger und sein rechtskundiger Prozeßbevollmächtigter in der 2. Instanz, die beide in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG anwesend waren, nicht beanstandet, daß Dr. M und nicht das Gericht den behandelnden Arzt Dr. S befragt hat, sowie daß die Befragung telefonisch geschehen ist und Dr. S nicht persönlich vor dem LSG gehört worden ist. Bei diesem Verhalten könnte an einen Verzicht auf die Unmittelbarkeit einer Beweiserhebung vor dem Gericht durch Anhörung des Dr. S verdacht werden (vgl. Baumbach, aaO, Anm. 2 D zu § 295, § 355 ZPO; §§ 117, 202 SGG). Einer abschließenden Beurteilung bedarf dies jedoch nicht, weil, wie dargelegt, die Rüge der Verletzung des § 103 SGG schon aus anderem Grunde nicht durchgreift.
In der Sache selbst ist das Urteil des LSG nicht rechtswidrig.
Nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sind Ausfallzeiten Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist.
In dem angefochtenen Urteil ist angenommen, daß der Kläger seine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht "unterbrochen", sondern beendet habe, als er arbeitsunfähig und erwerbsunfähig wurde; denn er sei bis zum Eintritt des Versicherungsfalles des Alters nicht wieder erwerbsfähig geworden (vgl. auch das Urteil des BSG vom 22. November 1968 - 11(12) RJ 516/67 -). Der Kläger hingegen sieht seine Beschäftigung nur als durch Arbeitsunfähigkeit unterbrochen an, weil er trotz des ununterbrochenen Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente in der Zwischenzeit wieder arbeitsfähig geworden sei.
Es trifft zu, worauf die Revision hinweist, daß Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 RVO und Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO und damit der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. SozR Nr. 25 zu § 182 RVO) verschiedene Rechtsbegriffe sind und daß das LSG bei § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu prüfen hatte, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers durch Arbeitsunfähigkeit unterbrochen war.
Die Ausführungen des LSG, es habe nicht feststellen können, daß der Kläger seit Beginn der Erwerbsunfähigkeit im Mai 1965 bis zum Beginn des Altersruhegeldes im Februar 1967 seine "Erwerbsfähigkeit" wieder erlangt habe, bzw. nur noch berufsunfähig gewesen sei, mögen deshalb mißverständlich erscheinen, weil das LSG von "Erwerbsfähigkeit" und "Berufsunfähigkeit" und nicht von "Arbeitsunfähigkeit" gesprochen hat.
Die Entscheidung des LSG ist aber im Ergebnis nicht zu beanstanden; denn seine Feststellungen, daß der Kläger nicht wieder "erwerbsfähig" geworden ist, enthalten hier gleichzeitig die Feststellung, daß der Kläger nicht wieder arbeitsfähig geworden ist. Die Begründung des LSG dafür, daß es nicht habe feststellen können, daß der Kläger wieder "erwerbsfähig" geworden ist, beinhaltet, daß auch die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit im Jahre 1966 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht festzustellen war; denn die Tatsachen, wegen derer das LSG eine Wiedererlangung der "Erwerbsfähigkeit" nicht feststellen konnte - erhebliche Leiden auch außer dem Magenleiden, keine ärztliche Behandlung 1966 bis 1967 -, sind hier dieselben, die auch für das Bestehen und die Beseitigung einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit rechtserheblich sind.
Bei diesen Feststellungen des LSG ist eine Gesetzesverletzung nicht zu erkennen. Das LSG hat die den Zeitraum von Mai 1965 bis Januar 1967 erfassenden Berichte und Gutachten herangezogen (Dr. K vom 4. August und 12. Oktober 1965, Dr. S vom 27. September 1965) und als letzten Befund vor Eintritt des Versicherungsfalles des Alters festgestellt, daß im September 1965 noch ein Geschwür bestand. Es hat sich im Rahmen seines Beweiswürdigungsrechts gehalten, wenn es den Ausführungen des Dr. M das Geschwür müsse 1965 oder 1966 abgeheilt sein, weil der Kläger nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen sei, und der Kläger hätte wohl halbtags eine Bürotätigkeit aufnehmen können, nicht gefolgt ist. Das LSG konnte diesen Betrachtungen des Dr. M ohne Gesetzesverletzung die von Dr. K im August 1965 festgestellten anderen Leiden entgegenhalten, die die Leistungsfähigkeit des Klägers erheblich beeinträchtigten. Es konnte den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente dabei als Indiz gegen das Vorbringen des Klägers, er sei wieder arbeitsfähig geworden, bewerten. Das LSG hat nicht gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es bei der Sachlage - Befund 1965, keine ärztliche Behandlung 1966, eigenes Verhalten des Klägers, der Erwerbsunfähigkeitsrente begehrte und ununterbrochen bezog - nicht feststellen konnte, daß der Kläger bis zum Februar 1967 wieder "arbeitsfähig" geworden sei.
Der Kläger hat vor dem LSG nicht vorgetragen, daß er sich ernstlich und tatkräftig um eine Beschäftigung bemüht hätte, etwa durch Meldung beim Arbeitsamt als arbeitsuchend, was zu erwarten gewesen wäre, wenn er 1966 wieder arbeitsfähig geworden wäre. Wenn der Kläger der Meinung war, während des Bezuges einer Erwerbsunfähigkeitsrente könne er eine regelmäßige Beschäftigung nicht ausüben, so hat er damit dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente den Vorrang vor einer Beschäftigung gegeben; es geht zu seinen Lasten, wenn das LSG bei dieser Einstellung des Klägers die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht feststellen konnte (vgl. zum Grundsatz der Feststellungslast in der Sozialgerichtsbarkeit BSG 6, 70).
Die Revision ist somit nicht begründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen