Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 17.02.1965) |
SG Darmstadt (Urteil vom 23.10.1963) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Februar 1965 wird als unzulässig verworfen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Februar 1965 insoweit aufgehoben, als die Anschließung des Klägers an die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 23. Oktober 1963 als unzulässig verworfen, worden ist. In diesem Umfange wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV).
Der Kläger war als Maurer beschäftigt und wegen eines Hautekzems, das er sich bei seiner beruflichen Tätigkeit zugezogen hatte, vom 23. August 1957 bis 8. September 1957 und vom 9. November 1957 bis 9. Februar 1958 arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem er vom 10. bis 14. März 1958 erneut als Maurer bei der Baufirma D. in Griesheim gearbeitet hatte und diese Stelle wegen des Hautekzems wieder aufgeben mußte, bezog er vom Arbeitsamt Groß-Gerau vom 17. bis 29. März 1958 Arbeitslosengeld. Schließlich war er am 31. März 1958 noch einmal in seinem Beruf tätig. Er arbeitete nur diesen einen Tag bei der Firma K. in Groß-Gerau, erhielt aber keinen Arbeitslohn ausgezahlt nach Angabe der Firma Kröcker, weil er eine unbrauchbare Arbeit verrichtet hatte.
Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) erkannte durch Bescheid vom 26. Oktober 1959 an, daß der Kläger an einer Hauterkrankung nach Nr. 19 der Anlage zur 5. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 26. Juli 1952 leide. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles setzte die Beklagte den 1. April 1958 fest. Die Entschädigungsleistung – eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v.H. vom 13. Juni 1958 an – berechnete die Beklagte nach einem JAV von 3.695,76 DM.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben. In dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Darmstadt hat die Beklagte die Dauerrente nach einer MdE von 25 v.H. vom 1. Juli 1960 an festgesetzt und darüber den Bescheid vom 8. Juni 1960 erteilt (§ 96 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Wegen der Grundlagen für die Berechnung des JAV und wegen der Schätzung der durch die Berufskrankheit (BK) herbeigeführten MdE ist in diesem Bescheid auf den vorangegangenen. Bescheid über die Gewährung der vorläufigen Rente vom 26. Oktober 1959 verwiesen worden.
Die Klage richtet sich nur gegen die Berechnung des JAV. In der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 1963 hat der Kläger beantragt, die beiden Bescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Dauerrente nach einem JAV von 5.580,– DM bis zum 30. Juni 1963 zu gewähren. Weiterhin hat der Kläger beantragt, die Rente nach dem am 1. Juli 1963 in Kraft getretenen Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. Juni 1963 (BGBl I 241) zu überprüfen und einen neuen Bescheid zu erteilen. Die Beklagte hat daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, den JAV auf Grund der §§ 571 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung dieses Gesetzes vom 1. Juli 1963 an neu festzusetzen. Im übrigen hat sie beantragt, die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 23. Oktober 1963 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger bis zum 30. Juni 1963 eine Rente zu gewähren, die sich aus einem JAV von 5.580,– DM errechnet. Zur Begründung ist u. a. ausgeführt: Als Unfallbetrieb komme das Bauunternehmen in Betracht, in dem der Kläger vor Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt beschäftigt gewesen sei. Das sei, da es sich am 31. März 1958 um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt habe, die Beschäftigung bei der Firma D. in Griesheim vom 10. bis 14. März 1958 gewesen. Diese Beschäftigung habe der Kläger infolge Wiederauftretens des Hautekzems aufgeben müssen. Für die Berechnung des JAV sei § 563 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative RVO aF maßgebend.
Die Rechtsmittelbelehrung dieses Urteils lautet, daß Berufung nur zulässig sei, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde (§ 150 Nr. 2 SGG).
Das Urteil des SG ist der Beklagten am 5. November 1963 und dem Kläger am 4. November 1963 zugestellt worden.
Mit der am 16. November 1963 eingelegten Berufung hat die Beklagte folgendes geltend gemacht: Am 31. März 1958 habe der Kläger zur Firma K. in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, wenn er auch wegen mangelhafter Leistung keinen Lohn für die Arbeit erhalten habe. Da an diesem Tage das Hautleiden wieder auf getreten sei und den Kläger gezwungen habe, seine bisherige berufliche Tätigkeit endgültig aufzugeben, sei in diesem Zeitpunkt auch der Versicherungsfall für die BK eingetreten. Der damalige Beschäftigungsbetrieb sei daher das Unfallunternehmen im Sinne des § 563 Abs. 2 RVO aF. Bei den der Rentenberechnung zugrunde gelegten Beträgen müßte allerdings der Verdienst berücksichtigt werden, den der Kläger vorher in der Zeit vom 10. bis 14. März 1958 erzielt habe. Der danach festzusetzende Betrag von 3.762,35 DM gelte auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des UVNG, das keine für den Kläger günstigere Regelung gebracht habe.
Der Kläger bestreitet die Zulässigkeit der Berufung und meint, der Klagantrag sei auf die Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, nämlich bis zum 30. Juni 1963, beschränkt worden, einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG habe die Beklagte nicht dargetan.
Mit dem beim Landessozialgericht (LSG) am 18. Dezember 1963 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, und hilfsweise Anschlußberufung erhoben mit dem Antrag auf Verurteilung der Beklagten, die Rente nach einem JAV von 60.642,– DM bis zum 30. Juni 1963 zu gewähren.
Das LSG hat durch Urteil vom 17. Februar 1965 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung ist u. a. ausgeführt: Die Berufung der Beklagten sei nicht ausgeschlossen, denn der Streit gehe lediglich um die Berechnung der Rente und weder um den Grad der Rente noch um in der Vergangenheit liegende Rententeile. Die Berufung sei jedoch nicht begründet. Gemäß § 563 Abs. 2 RVO aF, der für die Zeit der Berechnung des JAV bis zum 30. Juni 1963 maßgebend sei, müsse der JAV nach der 2. Alternative des Satzes 2 dieser Vorschrift ermittelt werden. Das „Unternehmen” im Sinne des § 563 RVO aF sei der Betrieb, bei dem der Kläger am 31. März 1958 gearbeitet habe. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gelte nach § 3 Abs. 2 der 4. BKVO daher der 1. April 1958. Für die Berechnung des JAV sei entscheidend, daß dem Kläger für seine Tätigkeit am 31. März 1958 Lohn „gezahlt” worden sei. Das ergebe sich aus der Versicherungskarte Nr. 7, in der ausweislich der Aufrechnungsbescheinigung vom 29. August 1958 ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt von 22,14 DM für den 31. März 1958 vermerkt sei. Die Aufrechnung eines Schadensersatzanspruchs des Arbeitgebers gegen einen Lohnanspruch des Klägers berühre nicht das Bestehen einer Lohnzahlung im Sinne des § 563 Abs. 2 letzter Satz RVO aF. Da bei der Firma Kröcker regelmäßig an sechs Wochentagen gearbeitet worden sei, hätte die Beklagte den JAV nach dem Dreihundertfachen des Arbeitsverdienstes vom 31. März 1958 berechnen müssen. Dieser Betrag übersteige den vom SG angenommenen JAV. Die Beklagte sei daher durch das erstinstanzliche Urteil nicht zu einer ungerechtfertigten Leistung verurteilt worden. Eine Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung nach dem vom Kläger im Wege der Anschließung an die Berufung beanspruchten JAV sei schon deshalb nicht möglich, weil das erstinstanzliche Urteil dem Hauptantrag des Klägers in vollem Umfang entsprochen habe und deshalb die Anschlußberufung unzulässig sei.
Für die Zeit seit dem Inkrafttreten des UVNG habe der Fall nicht entschieden werden können. Die Beklagte habe vor dem SG erklärt, daß sie den JAV auf Grund der §§ 571 ff RVO neu feststellen wolle. Das sei nicht geschehen. Überdies habe der Kläger entgegen der Behauptung der Beklagten im vorliegenden Verführen keinen Antrag auf Überprüfung der Rente nach dem neuen Recht gestellt.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 15. April 1965 zugestellt worden. Sie hat am 11. Mai 1965 gegen das Urteil Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie rügt unvollständige Behandlung der Sachanträge in dem angefochtenen Urteil und Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage insoweit abzuweisen, als mit ihr ein höherer JAV als 3.762,35 DM für die dem Kläger gewährte Rente begehrt wird,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Zum Zwecke der Zustellung an den Kläger ist das Urteil am 13. April 1965 durch eingeschriebenen Brief bei der Post aufgegeben worden. Der Kläger hat gegen das Urteil am 3. Mai 1965 Revision eingelegt und diese am 14. Mai 1965 begründet. Er rügt, das LSG hätte über die Anschlußberufung durch Sachurteil entscheiden müssen, statt sie als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen, außerdem das Berufungsurteil, soweit die Anschlußberufung als unzulässig verworfen worden ist, aufzuheben und unter Änderung des Urteils des SG Darmstadt vom 23. Oktober 1963 sowie der Bescheide der Beklagten vom 26. Oktober 1959 und 8. Juni 1960 die Beklagte zu verurteilen, Rente nach einem JAV von 6.642,– DM bis zum 30. Juni 1963 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt demgegenüber,
die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II
A
Die Revision der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist jedoch nicht statthaft, da keiner der mit ihr gerügten Verfahrensmängel vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, vgl. BSG 1, 150).
Die Beklagte rügt zunächst, in dem angefochtenen Urteil seien die Anträge der Beteiligten nicht erschhöpfend behandelt worden, hinsichtlich der Berechnung der Rente sei nicht die Zeit vom 1. Juli 1963 an in die Entscheidung einbezogen worden. Dazu bringt die Revision vor: Das LSG habe den Rentenanspruch des Klägers für die Zeit seit der Neuregelung des JAV durch das UVNG in der Schwebe gelassen, obwohl die Beklagte entsprechend ihrer Bereiterklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG die Rentenhöhe auf Grund der §§ 571 ff RVO geprüft und mit der Berufungsschrift das Ergebnis dieser Prüfung in dem Streitverfahren eingeführt habe.
Mit diesem Vorbringen will die Beklagte offenbar vor allem geltend machen, das LSG habe gegen § 123 SGG verstoßen, indem es nicht vollständig über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entschieden habe. Diese Rüge ist nicht berechtigt.
Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt hatte, die Beklagte zu verurteilen, ihm die bewilligte Dauerrente auf Grund eines JAV von 5.580,– DM bis zum 30. Juni 1963 zu gewähren, wollte nach der Bereiterklärung der Beklagten in diesem Termin zur Prüfung des JAV nach neuem Recht für die Zeit vom 1. Juli 1963 an erreichen, daß ihm die Rente in einer Mindesthöhe für eine unbegrenzte Zeit geleistet werde. Darüber, ob auf Grund des UVNG eine günstigere Renterberechnung zu erzielen war, sollte ein neuer reststellungsbescheid der Beklagten abgewartet werden. Demzufolge beschränkte sich das Klagebegehren auf den Antrag, bei der Entscheidung über die Rentenhöhe einen JAV von 5.580,– DM zu berücksichtigen. Nicht beantragt hat jedenfalls der Kläger, die Beklagte zur Erteilung eines Neufeststellungsbescheides hinsichtlich der Zeit nach dem 30. Juni 1963 zu verurteilen. Insoweit war durch die vom Kläger angenommene Erklärung der Beklagten vor dem SG für den anhängigen Rechtsstreit ein weitergehender Klagantrag erledigt worden. Hierbei war es auch im Berufungsverfahren geblieben. Aus dem Hauptantrag des Klägers, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen, und dem im Wege der Anschließung an die Berufung gestellten Antrag, den schon nach altem riecht höheren JAV (6.642,– DM) bis zum 30. Juni 1963 der Rentenberechnung zugrundezulegen, geht eindeutig hervor, daß der Kläger unter dem Gesichtspunkt des § 123 SGG keinen die spätere Zeit einschließenden Klaganspruch verfolgt hat. Beide Vorinstanzen haben daher nicht bloß teilweise über die im Streit befindlichen Ansprüche entschieden.
Ebensowenig hat das LSG seine Ermittlungspflicht verletzt (§ 103 SGG). Die Beklagte erblickt mangelnde Aufklärung des Sachverhalts darin, daß das LSG die nach dessen Meinung rechtlich erhebliche Frage, ob dem Kläger an 31. März 1958 für seine Arbeit Lohn gezahlt worden, sei, auf Grund des Inhalts einer Versicherungskarte des Klägers bejaht habe, die nicht zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden sei. Dies trifft nicht zu. Diese Versicherungskarte hat samt Aufrechnungsbescheinigung dem LSG ausweislich der Unterlagen vorgelegen.
Eine weitere Beweiserhebung war auch angesichts der schriftlichen Auskunft der Firma Kröcker vom 17. September 1958 (Bl. 33 der BG-Akten), mit der bescheinigt wird, der Kläger sei nur einen Tag bei dieser Firma beschäftigt gewesen und habe eine so schlechte Arbeit geleistet, daß dafür Lohn nicht habe gezahlt werden können, nicht veranlaßt. Vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG aus, nämlich daß eine Lohnzahlung im Sinne des § 563 Abs. 2 letzter Satz RVO aF schon vorliege, wenn der Lohnanspruch entstanden, nicht erst wenn er befriedigt worden ist, kam es entgegen der Ansicht der Beklagten für die Klärung des Sachverhalts im Berufungsverfahren nicht darauf an, ob den Kläger für die Beschäftigung am 31. März 1958 tatsächlich Lohn ausbezahlt worden war.
Die Revision der Beklagten mußte daher mangels Statthaftigkeit als unzulässig verworfen werden.
B
Die Revision des Klägers hingegen ist statthaft, da das Berufungsverfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, der ordnungsmäßig gerügt worden ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2, § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Revision beanstandet zu Recht, das LSG hätte über die Anschließung des Klägers an die Berufung der Beklagten durch Sachurteil entscheiden müssen, statt sie als unzulässig zu verwerfen. Die Auffassung des LSG, die Anschließung an die Berufung sei deshalb nicht zulässig, weil das erstinstanzliche Urteil dem Klagantrag in vollem Umfange entsprochen habe, trifft nicht zu.
Für das anerkanntermaßen auch im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit bestehende Institut der Anschließung an die gegnerische Berufung gelten, wie in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. März 1956 ausgesprochen ist (BSG 2, 229 ff), gemäß § 202 SGG in entsprechender Anwendung die Vorschriften der §§ 521 bis 522 a der Zivilprozeßordnung (ZPO). Danach ist die Anschließung an die Berufung kein eigenes Rechtsmittel, sondern lediglich ein innerhalb der gegnerischen Berufung gestellter Antrag. Ihre Zulässigkeit ist daher auch nicht an sämtliche Voraussetzungen gebunden, die für die Berufung selbst maßgebend sind. Insbesondere ist für die Anschließung an die gegnerische Berufung keine Beschwer des Berufungsbeklagten erforderlich. Hierüber besteht in Rechtsprechung und Schrifttum eine fast einhellige Meinung (vgl. RGZ 156, 242, BGH 4, 234, Brackmann, Handbuch „der Sozialversicherung, 1.–6. Aufl., Band I S. 252 a, Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., § 135, V 2 c, S. 672, Stein/Jonas/Schönke/Pohle, Komm. zur ZPO, 18. Aufl., Anm. I 1 zu § 521, Wieczorek, Komm., zur ZPO, Anm. B III a zu § 521, Baumbach/Lauterbach, Komm. zur ZPO, 28. Aufl., Anm. I B zu § 521 S. 888, Eyermann/Fröhler, Komm. zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Anm. 3 c zu § 127, a.A. das LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. Oktober 1960 in SozSich 1961, Rechtsprechung Nr. 35, Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb, Anm. 3 zu § 151 SGG, S. III/78 – 2–). Dieser herrschenden Meinung hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Ihr stehen, wie in der angeführten Revisionsentscheidung vom 1. März 1956 ausgeführt ist, keine Grundsätze des Verfahrens der Sozialgerichtsbarkeit entgegen, zumal da dieses Verfahren in stärkerem Maße, als es den Grundsätzen des Zivilprozeßrechts entspricht, die Durchsetzung der materiellen Wahrheit erstrebt, ein Ziel also, dem die durch die Anschließung an die gegnerische Berufung eröffnete Möglichkeit dient, den Prozeßstoff in vollem Umfange nachzuprüfen. Hiermit steht im Einklang daß, was ebenfalls allgemein anerkannt ist (vgl. die vorstehend angeführten Nachweisungen), die Anschließung an die Berufung auch bei vollem Obsiegen des Berufungsbeklagten in erster Instanz zu dem ausschließlichen Zweck einer Erweiterung des Klagantrags gestattet ist. Dem Rechtsinstitut der Anschließung an die gegnerische Berufung ist eigentümlich, daß sie zur Geltendmachung weitergehender Ansprüche erhoben wird. Der Kläger durfte somit sein Klagebegehren auf die Berücksichtigung eines höheren JAV richten, als ihm vom SG zuerkannt worden war.
Daß die Anschließung des Klägers an die Hauptberufung nur hilfsweise geltend gemacht worden ist, nämlich für den Fall des Erfolges der Berufung, hindert ihre Wirksamkeit nicht (vgl. RGZ 142, 311, 168, 285). Hierfür ist ohne Bedeutung, ob sich der Kläger nach Ablauf der Berufungsfrist dem Rechtsmittel der Beklagten angeschlossen hat (sog. unselbständige Anschlußberufung) oder ob dies noch während der Reist geschehen ist (sog. selbständige Anschlußberufung). Denn solange die Hauptberufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen worden ist, tritt auf Grund des Zeitpunktes der Einlegung der Anschließung keine unterschiedliche Behandlung ein (vgl. RGZ 137, 232, 233, Brackmann, aaO, S. 251, 252, Rohwer-Kahlmann, Komm. zum SGG, Landnote 14 zu § 143, Peters/Sautter/Wolff, aaO, Anm. 3 zu § 151 SGG, S. III/78 –2– u. –3–; Rosenberg, aaO, § 135, V 2 a u. b, S. 670. ff, Stein/Jonas/Schönke/Pohle, aaO, Anm. II zu § 522, Baumbach/Lauterbach, aaO, Anm. I A zu § 521). Da das LSG über die Berufung der Beklagten in der Sache entschieden hat, brauchte nicht geprüft zu werden, ob etwa wegen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen war, als der Kläger den Antrag, seine Rente nach einem höheren JAV zu berechnen, als ihm vom SG zuerkannt war, hilfsweise stellte. Das LSG hätte somit auch über diesen Antrag in der. Sache entscheiden müssen. Da es stattdessen die Anschließung als unzulässig verworfen hat, leidet das Berufungsverfahren insoweit an einem wesentlichen Mangel, der die Statthaftigkeit der Revision des Klägers begründet (vgl. BSG 1, 283, 286, 2, 229, 235).
Die Revision des Klägers, die form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, ist somit zulässig. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß eine Sachentscheidung über die Berufungsanschließung zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis geführt hätte. Zu einer abschließenden Entscheidung hierüber konnte es im Revisionsverfahren aber nicht kommen, da in dem angefochtenen Urteil zum Sachantrag des Klägers keine tatsächlichen Feststellungen getroffen worden sind und von Standpunkt des LSG, das die Anschlußberufung für unzulässig hielt, auch nicht getroffen zu werden brauchten.
Hiernach ist das Berufungsurteil in seinem Ausspruch über die Anschlußberufung aufzuheben, der Rechtsstreit muß insoweit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Im übrigen bleibt das Urteil bestehen, da die Revision der Beklagten unzulässig ist.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Unterschriften
Senatspräsident Brackmann ist durch Urlaub verhindert, das Urteil zu unterzeichnen. Demiani, Demiani, Hunger
Fundstellen