Leitsatz (amtlich)
Freiwillige Beiträge, die der Versicherte während einer sonst anrechenbaren Ausfallzeit entrichtet hat, werden bei der Ermittlung seiner persönlichen Bemessungsgrundlage nicht berücksichtigt; AVG § 32 Abs 5 (= RVO § 1255 Abs 5) ist auf diese Beiträge nicht anwendbar. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsfall vor dem 1966-01-01 eingetreten ist.
Orientierungssatz
Ein Verzicht auf die Anrechnung bestimmter Beiträge bei der Berechnung der Rente ist - abgesehen von dem Fall des RVO § 1310 Abs 1 S 2 - nicht möglich, vielmehr kann der Versicherte nur auf die Rente im ganzen verzichten oder aber auf den Bezug der vollen Rente für bestimmte Zeiträume, wenn er dadurch seine Versicherungsansprüche insgesamt - etwa durch Nachentrichtung von Beiträgen - verbessern kann (vgl auch RVA in AN 1914, 554 und in EuM 21, 169 und 40, 1).
Normenkette
RVO § 1255 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; AVG § 32 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1310 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-07-27; AVG § 89 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-07-27; RVO § 1255 Abs. 7 S. 2 Fassung: 1965-06-09; AVG § 32 Abs. 7 S. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Juni 1962, das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Februar 1962 und der Bescheid der Beklagten vom 26. September 1961 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen, in dem die in der Zeit von 1948 bis 1952 entrichteten 32 freiwilligen AV-Beiträge bei der Ermittlung der für den Kläger maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nicht berücksichtigt werden.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Verfahrens in den Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Altersruhegeldes, das der Kläger vom 1. Juni 1961 an aus der Angestelltenversicherung (AnV) erhält. Dabei geht es um die Frage, wie die vom Kläger während der Zeiten seiner Arbeitslosigkeit vor 1957 freiwillig entrichteten Beiträge zu berücksichtigen sind.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hat die Beklagte bei der Berechnung der Rente (Bescheid vom 26. September 1961) u. a. 32 freiwillige Beiträge angerechnet, die der Kläger zur AnV geleistet hat, während er arbeitslos war (Zeitraum vom 30. Juni 1948 bis 30. November 1951 und 1. Februar bis 14. September 1952). Diese Beiträge (Klasse B bzw. II) hätten nach dem Recht zur Zeit ihrer Entrichtung eine Rentensteigerung bewirkt. Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sind sie für die Rentenformel bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen und setzen diese herab, weil sie niedriger sind als der Durchschnitt der Pflichtbeiträge dadurch erhält der Kläger eine niedrigere Rente, als wenn er während der Arbeitslosigkeit gar keine Beiträge entrichtet hätte, denn die Zahl der anrechenbaren Versicherungsjahre hätte sich infolge der Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit (vom Ablauf der sechsten Woche an) als Ausfallzeit nicht wesentlich geändert.
Der Kläger beansprucht eine Rente in der Höhe, wie sie ohne die 32 Beiträge festzusetzen wäre. Nach seiner Berechnung würde sich danach eine um 37,50 DM monatlich höhere Rente ergeben.
Die Klage und die Berufung des Klägers waren ohne Erfolg. Das LSG war der Auffassung, daß Ausfallzeiten nur subsidiär, also nur dann anzurechnen seien, wenn die betreffenden Zeiten nicht mit Beiträgen belegt seien. Es sei auch nicht möglich, die Beiträge nach Art. 2 § 15 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) als Beiträge der Höherversicherung anzusehen, weil sie nicht neben Ersatzzeiten, sondern neben einer Ausfallzeit entrichtet worden seien. Auch der in der mündlichen Verhandlung vom Kläger erklärte Verzicht auf die Beiträge könne zu keiner anderen Beurteilung führen; ein solcher Verzicht sei, wie der in den §§ 82 Abs. 5, 83 Abs. 3 AVG und § 74 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) ausgedrückte allgemeine Rechtsgedanke erkennen lasse, jedenfalls dann unzulässig, wenn ein Berechtigter bereits Leistungen aus den Beiträgen erhalten habe (Urteil vom 8. Juni 1962).
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und unter Abänderung des Bescheids der Beklagten diese zu verurteilen, ihm vom 1. Juni 1961 an Altersruhegeld unter Anrechnung einer Ausfallzeit von 50 Monaten an Stelle der von Juni 1948 bis September 1952 entrichteten freiwilligen Beiträge zu zahlen.
Er ist der Auffassung, freiwillige Beiträge, die sich rentenmindernd auswirkten, seien nicht zu berücksichtigen. Mindestens müßte das Recht bestehen, auf diese Beiträge zu verzichten. Die bisherigen Zahlungen von Altersruhegeld, deretwegen das LSG den Verzicht als unzulässig angesehen habe, beruhten gerade auf dem angefochtenen Bescheid und seien deshalb nicht geeignet, einen Verzicht auszuschließen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
Da der Versicherungsfall im Jahre 1961 eingetreten ist, läßt sich die Vorschrift des Art. 1 § 2 Nr. 16 Buchst. d des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RentVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476), die eine dem Antrag des Klägers entsprechende Rentenberechnung vorsieht (jetzt § 32 Abs. 7 Satz 2 AVG), mindestens nicht unmittelbar anwenden, weil das Gesetz dieser Vorschrift keine rückwirkende Kraft beigelegt hat, sondern sie erst mit dem 1. Januar 1966 in Kraft treten ließ (Art. 5 § 3 und § 10 Abs. 1 Buchst. d RentVÄndG). Auf die Ansprüche des Klägers ist daher das vor dem Inkrafttreten des RentVÄndG geltende Recht anzuwenden.
Nach dem Wortlaut seiner Vorschriften scheint es ausgeschlossen, die während der Arbeitslosigkeit des Klägers entrichteten freiwilligen Beiträge bei der Berechnung seiner persönlichen Bemessungsgrundlage außer acht zu lassen. Nach § 32 Abs. 5 AVG in der bisherigen Fassung sind nämlich die auf Grund der Berechtigung zur Weiterversicherung oder zur Selbstversicherung entrichteten Beiträge bei der Anwendung der Absätze 1 und 3 wie Pflichtbeiträge der entsprechenden Beitragsklassen zu behandeln, d. h. bei der Berechnung der persönlich Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Eine Ausnahme enthält diese Vorschrift nicht. Sie läßt sich auch nicht aus Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 AnVNG entnehmen; diese Vorschrift bezieht sich ausschließlich auf die neben Pflichtbeiträgen oder in Ersatzzeiten entrichteten freiwilligen Beiträge und läßt diese als Beiträge der Höherversicherung gelten.
Das bedeutet, daß sie nicht für die Erfüllung der Wartezeit berücksichtigt werden, daß die persönliche Bemessungsgrundlage durch sie weder erhöht noch erniedrigt wird (vgl. hierzu Elsholz-Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, Anm. 3 a zu Art. 2 § 15 ArVNG, S. 382), und daß die nun auf sie entfallenden Steigerungsbeträge der Höherversicherung von der Rentenanpassung ausgeschlossen sind. Diese umfassende Regelung läßt sich aber nicht auf die in einer sonst anzurechnenden Ausfallzeit entrichteten freiwilligen Beiträge übertragen, und zwar deswegen nicht, weil die Umwandlung dieser Beiträge in solche der Höherversicherung ihre Anrechnung auf die Wartezeit ersatzlos ausschlösse, während in den Fällen des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG die Pflichtbeiträge und die Ersatzzeiten auf die Wartezeit anzurechnen sind.
Der Kläger kann das von ihm gewünschte Ergebnis auch nicht dadurch erreichen, daß er auf die freiwilligen Beiträge "verzichtet". Ein solcher Verzicht auf die Anrechnung bestimmter Beiträge bei der Berechnung der Rente ist - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall des § 89 Abs. 1 Satz 2 AVG - nicht möglich, vielmehr kann der Versicherte nur auf die Rente im ganzen verzichten oder aber auf den Bezug der vollen Rente für bestimmte Zeiträume, wenn er dadurch seine Versicherungsansprüche insgesamt - etwa durch Nachentrichtung von Beiträgen - verbessern kann (vgl. auch RVA in AN 1914 S. 554 und in EuM Bd. 21 S. 169 und Bd. 40 S. 1). Das ist aber hier nicht der Fall.
Dem Kläger ist aber darin zuzustimmen, daß das aus dem Wortlaut des Gesetzes zu entnehmende Ergebnis dem Zweck widerspricht, den das AnVNG mit der Einführung und Bewertung der anrechenbaren Ausfallzeiten verfolgt. Zweck der sich hierauf beziehenden Vorschriften ist es, durch die Berücksichtigung der als Ausfallzeiten anrechenbaren Zeiten bei der Ermittlung der Versicherungsjahre die Rente zu erhöhen (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. I zu § 1259 RVO). Dem widerspricht es aber, wenn die Rente deswegen niedriger wird, weil der Versicherte vor 1957 in den an sich für die Anrechnung als Ausfallzeit in Betracht kommenden Zeiträumen zusätzlich freiwillige Beiträge entrichtet hat. Da dieses Ergebnis nur darauf beruht, daß die freiwilligen Beiträge bei der Errechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden, entspricht es dem Sinn der Neuregelung und dem besonderen, mit der Einführung und der Wertung der anrechenbaren Ausfallzeiten verfolgten Zweck, wenn § 32 Abs. 5 AnVNG dahin ausgelegt wird, daß er solche freiwilligen Beiträge nicht erfaßt, die während einer anrechenbaren Ausfallzeit entrichtet worden sind. Diese Auslegung erscheint dem Senat auch deshalb sinnvoll, weil sie den Versicherten die Rechte aus der Entrichtung der freiwilligen Beiträge wahrt, die vor und nach dem Neuregelungsgesetz gleich bedeutsam sind, nämlich ihre Anrechnung auf die Wartezeit, und die Wirkungen beseitigt, die infolge der Minderung der persönlichen Bemessungsgrundlage entgegen dem Sinnzusammenhang aller Vorschriften der Neuregelungsgesetze und dem damit verfolgten Zweck zu einer niedrigeren Rente führte, als wenn die Beiträge nicht entrichtet worden wären.
An dieser Auslegung der vor dem RentVÄndG geltenden Vorschriften sieht sich der Senat nicht etwa dadurch gehindert, daß dieses Gesetz eine dem durch die Auslegung gewonnenen Ergebnis entsprechende ausdrückliche Vorschrift eingeführt hat, ohne ihr rückwirkende Kraft zu verleihen. Die besondere Bestimmung über das Inkrafttreten dieser Vorschrift kann die aus dem früheren Recht zu gewinnende Auslegung nicht mehr beeinflussen, der materielle Gehalt der neuen Vorschrift bestätigt vielmehr die Richtigkeit der Auslegung. Dies hat nicht nur der erkennende Senat schon bei der Auslegung des § 25 Abs. 3 AVG entschieden (1 RA 350/61 vom 25. Mai 1965 - BSG 23, 67 = SozR RVO § 1248 Nr. 33), sondern auch der 11. Senat, als er die Vorschriften des § 9 AVG so ausgelegt hat, wie es der erst durch das RentVÄndG ohne rückwirkende Kraft eingefügte Abs. 4 des § 9 AVG vorschreibt (11/1 RA 166/62 vom 24.11.1965 - SozR RVO § 1232 Nr. 9).
Aus dem Sinnzusammenhang aller Vorschriften des AnVNG und dem besonderen Zweck, der mit der Einbeziehung der Ausfallzeiten in die anrechenbaren Versicherungsjahre verfolgt wird, schließt der Senat, daß § 32 Abs. 5 AVG auch vor dem Inkrafttreten des RentVÄndG und ungeachtet seiner Bestimmungen über das Inkrafttreten seiner einzelnen Vorschriften dahin auszulegen ist, daß die während einer sonst anrechenbaren Ausfallzeit entrichteten freiwilligen Beiträge von ihm nicht erfaßt werden. Die vom Kläger während seiner Arbeitslosigkeit entrichteten 32 freiwilligen Beiträge sind daher bei der Ermittlung seiner persönlichen Bemessungsgrundlage nicht zu berücksichtigen.
Die Urteile des LSG und des Sozialgerichts und der Bescheid der Beklagten sind daher aufzuheben; die Beklagte hat dem Kläger einen neuen Rentenbescheid zu erteilen, in dem die strittigen 32 Monate freiwilliger Beiträge bei der Berechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage nicht zu berücksichtigen sind.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Verfahrens aller sozialgerichtlichen Instanzen zu erstatten (§ 193 SGG).
Fundstellen