Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 31.03.1992; Aktenzeichen L 5 Ar 65/89)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. März 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die 1936 geborene Klägerin beansprucht Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Ihr im Mai 1989 gestellter (erneuter) Rentenantrag wurde von der Beklagten nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 1. August 1989 idF des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1990 abgelehnt. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 1991 und des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 31. März 1992).

Ihre gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG erhobene Beschwerde hat die Klägerin damit begründet, sie sei im Berufungsverfahren vor dem LSG prozeßunfähig gewesen. Nach Beiziehung der Vorgänge des Amtsgerichts (AG) Neustadt/Aisch über die Anordnung von Betreuung für die Klägerin und nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie öffentliches Gesundheitswesen Medizinaldirektor Dr. U … hat der erkennende Senat die Revision zugelassen. Mit ihrer daraufhin eingelegten Revision macht die Klägerin einen absoluten Revisionsgrund nach § 551 Nr 5 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sowie das Vorliegen von EU geltend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 31. März 1992 und den Bescheid der Beklagten vom 1. August 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1990 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, Rente wegen EU ab 1. Juni 1989 zu leisten,

hilfsweise,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 31. März 1992 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die auf Verurteilung zur Zahlung von Rente wegen EU ab 1. Juni 1989 gerichtete Revision gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 31. März 1992 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend, geht allerdings ebenfalls von einer Prozeßunfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 31. März 1992 aus. Insoweit nimmt sie auf eine im Beschwerdeverfahren vorgelegte psychiatrische Stellungnahme der Medizinaldirektorin Dr. F …, Ärztin für Psychiatrie – Sozialmedizin –, vom 12. September 1994 Bezug.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Das Berufungsurteil kann keinen Bestand haben, weil es an einem wesentlichen, von der Klägerin zutreffend gerügten Verfahrensmangel leidet.

Der aufgrund der Verweisung in § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbare § 551 Nr 5 ZPO bestimmt, daß eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern sie nicht die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Hierzu gehört auch das Auftreten einer Prozeßunfähigen ohne gesetzlichen Vertreter (vgl dazu zB Thomas/Putzo, 16. Aufl, § 551 ZPO Anm 2 Nr 5). Das Urteil des LSG hätte nicht ergehen dürfen, weil die unvertretene Klägerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Berufungsverhandlung am 31. März 1992 bezogen auf den vorliegenden Rechtsstreit prozeßunfähig war (vgl § 71 Abs 6 SGG iVm § 56 Abs 1 ZPO). Dies ergibt sich insbesondere aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. U …, das dieser Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren für den erkennenden Senat erstattet hat. Unter Berücksichtigung der Verfahrensakten sowie aufgrund eigener Begutachtungen der Klägerin, die er im Februar und April 1992 sowie im Januar 1994 für das AG Neustadt/Aisch durchgeführt hat, ist er darin zu der Beurteilung gelangt, daß sich die Klägerin am 31. März 1992 in bezug auf ihr Rentenverfahren in einem die Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand und insoweit nicht in der Lage war, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dieser Auffassung hat sich die Medizinaldirektorin Dr. F … vom ärztlichen Dienst der Beklagten in ihrer psychiatrischen Stellungnahme vom 12. September 1994 angeschlossen.

Da die Entscheidung des LSG gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 5 ZPO ohne weiteres als auf der Verletzung des Gesetzes (vgl § 162 SGG) beruhend anzusehen ist, unterliegt sie der Aufhebung durch das Bundessozialgericht (BSG). Die Vorinstanz muß sich erneut mit der Sache befassen, da die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG jedenfalls eine Bejahung von EU (oder Berufsunfähigkeit) bei der Klägerin nicht zulassen. Abgesehen davon, daß sich der Sachverständige Dr. U … in seinem für den Senat erstatteten Gutachten nur mit der Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin befaßt hat, ist dieses Beweismittel im Revisionsverfahren zur Beurteilung des Rentenanspruchs der Klägerin nicht berücksichtigungsfähig, weil dem BSG insoweit eine eigene Sachverhaltsaufklärung verwehrt ist (vgl § 163 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173203

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