Entscheidungsstichwort (Thema)
geringfügige Beschäftigung. regelmäßig. gelegentlich. Versicherungspflicht. Beitragspflicht
Leitsatz (amtlich)
- Die Geringfügigkeit nach Nr 1 des § 8 Abs 1 SGB IV unterscheidet sich von der nach Nr 2 dieser Vorschrift dadurch, daß die Beschäftigung bei Nr 1 regelmäßig und bei Nr 2 nur gelegentlich ausgeübt wird (Bestätigung von BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 3).
- Eine vierstündige Beschäftigung als Raumpflegerin alle zwei Wochen wird regelmäßig ausgeübt und kann zusammen mit einer anderen geringfügigen regelmäßigen Beschäftigung Versicherungs- und Beitragspflicht begründen.
Normenkette
SGB IV § 8 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 7; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1, §§ 168, 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 1228 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.09.1993; Aktenzeichen L 4 Kr 1281/92) |
SG Ulm (Urteil vom 11.06.1992; Aktenzeichen S 6 Kr 1056/91) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. September 1993 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben der Beigeladenen zu 2) die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Raumpflegerin G.… T.… war seit August 1987 zehn Stunden wöchentlich in der Gaststätte des Klägers zu 1) beschäftigt und erhielt ein monatliches Arbeitsentgelt von 400 DM. Ab dem 1. Februar 1988 arbeitete sie darüber hinaus jeden zweiten Mittwoch vier Stunden in der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers zu 2) und wurde mit 12 DM je Stunde (= durchschnittlich 104 DM im Monat) entlohnt. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Über andere Einkünfte verfügte die Beschäftigte nicht.
Nachdem die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Ulm von den Beschäftigungen erfahren hatte, stellte sie mit Bescheiden vom 12. März 1991 (Widerspruchsbescheiden vom 19. Juli 1991) gegenüber den beiden Arbeitgebern fest, daß die Beschäftigte ab 1. Februar 1988 in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung versicherungspflichtig sei. Die beiden für sich genommen geringfügigen Beschäftigungen seien zusammenzurechnen und überschritten dann die Geringfügigkeitsgrenze. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1990 setzte die AOK gegenüber dem Kläger zu 1) eine Beitragsforderung in Höhe von 4.724,80 DM und gegenüber dem Kläger zu 2) in Höhe von 1.275,04 DM fest.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen diese Bescheide erhobenen Klagen verbunden sowie die Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg (Beigeladene zu 1) und die Beschäftigte (Beigeladene zu 2) beigeladen. Mit Urteil vom 11. Juni 1992 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich die Beitragsforderung der AOK gegen den Kläger zu 1) auf 4.291,20 DM und gegen den Kläger zu 2) auf 1.191,99 DM verringert (Urteil vom 10. September 1993). Jede der Beschäftigungen sei iS des § 8 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) geringfügig, weil sie die dortigen Grenzen regelmäßig sowohl hinsichtlich der zeitlichen Inanspruchnahme als auch hinsichtlich des Arbeitsentgelts eingehalten habe. Durch die nach § 8 Abs 2 SGB IV gebotene Zusammenrechnung werde die Geringfügigkeitsgrenze jedoch überschritten. Unerheblich sei dabei, daß die Beschäftigung in der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers zu 2) weniger als fünfzig Arbeitstage innerhalb eines Jahres umfasse, was möglicherweise zusätzlich die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV erfülle. Seien die Geringfügigkeitsmerkmale sowohl nach Nr 1 als auch nach Nr 2 des § 8 SGB IV gegeben, so sei nach dem Typus der Beschäftigung zu entscheiden, welcher Vorschrift sie eher zugeordnet werden müsse. Typischer Anwendungsbereich der Nr 2 seien saisonale Aushilfstätigkeiten, zu denen die Putztätigkeit in vierzehntägigem Abstand nicht gehöre; die Beschäftigung sei vielmehr kontinuierlich während des ganzen Jahres ausgeübt worden. Die demnach zu Recht erhobenen Beitragsnachforderungen müßten jedoch ermäßigt werden, weil die AOK auf die Beigeladene zu 2) zu Unrecht den erhöhten Beitragssatz für Mitglieder ohne sechswöchigen Anspruch auf Entgeltfortzahlung angewandt habe.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 8 SGB IV. Die Putztätigkeit alle zwei Wochen beim Kläger zu 2) sei von Mal zu Mal vereinbart worden und werde deshalb von § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV erfaßt. Für die Einordnung gelte eine vorausschauende Betrachtungsweise, so daß aus der tatsächlichen Ausübung nicht auf die Regelmäßigkeit geschlossen werden dürfe. § 8 Abs 2 SGB IV erlaube eine Zusammenrechnung nur bei jeweils gleichgearteten geringfügigen Beschäftigungen nach § 8 Abs 1 Nr 1 oder nach Nr 2 SGB IV.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 10. September 1993 abzuändern und das Urteil des SG vom 11. Juni 1992 sowie die Bescheide vom 12. März 1991 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Juli 1991 in vollem Umfang aufzuheben.
Als Rechtsnachfolgerin der AOK Ulm beantragt die jetzige Beklagte,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
Die AOK hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht festgestellt, daß die Beigeladene zu 2) vom 1. Februar 1988 bis zum 31. Dezember 1990 in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig war und daß die Kläger in dem vom LSG bestätigten Umfang Beiträge zu entrichten haben. Soweit das LSG die Bescheide aufgehoben hat, ist das Berufungsurteil mangels Revision der Beklagten rechtskräftig, so daß die Herabsetzung der Beiträge nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Auch die Revision hat sich nicht gegen die vom LSG ermittelte Beitragshöhe gewandt, so daß der Senat insoweit auf die Ausführungen des Berufungsurteils Bezug nimmt. Die Ansicht der Revision, bei Fehlern in der Beitragsberechnung seien Beitragsbescheide grundsätzlich vollständig aufzuheben, steht mit der Rechtsprechung des Senats nicht im Einklang (BSGE 64, 100 = SozR 2200 § 180 Nr 44).
Die Versicherungs- und Beitragspflicht ergibt sich aus der nach § 8 Abs 2 SGB IV gebotenen Zusammenrechnung der beiden geringfügigen Beschäftigungen. Es handelt sich in beiden Fällen um Beschäftigungen iS des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV, so daß von der Art der Beschäftigungen her keine Bedenken gegen die Zusammenrechnung bestehen.
Die beiden Tätigkeiten der Beigeladenen zu 2) erfüllten die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung nach § 7 SGB IV, was von der Revision nicht in Zweifel gezogen wird. Wegen der Entgeltlichkeit waren damit grundsätzlich auch die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nach dem bis zum 31. Dezember 1988 geltenden § 165 Abs 1 Nr 1, Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und nach dem vom 1. Januar 1989 an geltenden § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sowie in der Rentenversicherung nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO (heute: § 1 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫) erfüllt.
Beide Beschäftigungen waren jedoch für sich genommen wegen Geringfügigkeit jeweils versicherungsfrei. Als Ausnahme von der grundsätzlichen Versicherungspflicht bestimmen für den genannten Beschäftigungszeitraum der Beigeladenen zu 2) § 168 RVO und § 7 SGB V für die Krankenversicherung sowie § 1228 Abs 1 Nr 4 RVO (ab 1. Januar 1992: § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI) für die Rentenversicherung, daß geringfügige Beschäftigungen iS des § 8 SGB IV versicherungsfrei sind. Eine geringfügige Beschäftigung liegt nach § 8 Abs 1 SGB IV vor, wenn die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat einen bestimmten Betrag nicht übersteigt (Nr 1), oder wenn die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, daß die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt die in Nr 1 genannten Grenzen übersteigt (Nr 2). Seit dem 1. Januar 1985 beträgt die Entgeltgrenze ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, bei höherem Arbeitsentgelt ein Sechstel des Gesamteinkommens. Mangels anderer Einkünfte der Beigeladenen zu 2) ist die auf das Gesamteinkommen bezogene Entgeltgrenze für die Entscheidung unerheblich. Die andere Entgeltgrenze betrug iVm der jeweiligen Sozialversicherungs-Bezugsgrößen-Verordnung (vom 7. Dezember 1987, BGBl I 2530; vom 7. Dezember 1988, BGBl I 2222; vom 7. Dezember 1989, BGBl I 2168) im Beschäftigungszeitraum 440 DM für das Jahr 1988, 450 DM für das Jahr 1989 und 470 DM für das Jahr 1990.
Jede der beiden von der Beigeladenen zu 2) ausgeübten Beschäftigungen war iS der Nr 1 des § 8 Abs 1 SGB IV geringfügig. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 3) ist den beiden Regelungen der Nr 1 und Nr 2 des § 8 Abs 1 SGB IV im Zusammenhang zu entnehmen, daß es bei ihrer Anwendung zunächst darauf ankommt, ob eine Beschäftigung regelmäßig (dann gilt Nr 1) oder nicht regelmäßig – also nur gelegentlich – (dann gilt Nr 2) ausgeübt wird. Denn die Nr 1 kann neben regelmäßigen nicht auch gelegentliche Beschäftigungen erfassen; sonst würde das Merkmal “berufsmäßig” in Nr 2 des § 8 Abs 1 SGB IV leerlaufen. Damit hat der Senat an die früheren Regelungen in § 168 Abs 2 Buchst a und b, § 1228 Abs 2 Buchst a und b RVO in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung angeknüpft, die nach der Gesetzesbegründung durch § 8 SGB IV lediglich in überarbeiteter und vereinfachter Form zusammengefaßt werden sollten (BT-Drucks 7/4122 S 31; vgl auch BSGE 55, 1 = SozR 2200 § 168 Nr 7). In den Entscheidungen zu den früheren Vorschriften war das Bundessozialgericht (BSG) davon ausgegangen, daß regelmäßig ausgeübte Beschäftigungen nicht am Beschäftigungsumfang einer bestimmten Anzahl von Arbeitstagen pro Jahr (zunächst 50, später 75, dann wieder 50), sondern ausschließlich am erzielten Entgelt zu messen waren, da es eine Obergrenze der wöchentlichen Inanspruchnahme nicht gab (BSG SozR 2200 § 165 Nr 36; BSG SozR 2200 § 168 Nr 6). Bei gelegentlichen Tätigkeiten kam es auf die berufsmäßige Ausübung an, für die ua der Umfang der wöchentlichen Inanspruchnahme über einen längeren Zeitraum als Indiz angesehen wurde (vgl BSGE 32, 268 = SozR Nr 6 zu § 1228; SozR Nr 11 zu § 168 RVO; SozR Nr 11 zu § 1228 RVO; BSG SozR 2200 § 168 Nr 3). Die Revision hat keine Gründe aufgezeigt, die Anlaß geben, die bisherige Auffassung zur Abgrenzung der Nr 1 gegenüber der Nr 2 des § 8 Abs 1 SGB IV aufzugeben.
Nach den Feststellungen des LSG hat die Beigeladene zu 2) wöchentlich zehn Stunden in der Gastwirtschaft und jeden zweiten Mittwoch vier Stunden in der Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet. Die ständige Wiederholung über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren kennzeichnet jede dieser Beschäftigungen als regelmäßig iS der Nr 1 des § 8 Abs 1 SGB IV. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Arbeitseinsätze in der Anwaltskanzlei im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses von vornherein feststanden oder von Mal zu Mal vereinbart wurden; der Senat kann daher offenlassen, ob die entsprechende Behauptung des Klägers zu 2) auch deshalb unbeachtlich ist, weil es sich um neues tatsächliches Vorbringen im Revisionsverfahren handelt. Denn das Merkmal der Regelmäßigkeit ist auch dann erfüllt, wenn der Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereitsteht, ohne verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 3 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 165 Nr 36 und aaO § 168 Nr 6). Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Versicherungspflicht sei vorausschauend zu beurteilen. Denn die grundsätzliche Bereitschaft zur weiteren regelmäßigen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegt in diesen Fällen bereits beim ersten Arbeitseinsatz vor, was allerdings häufig erst durch die nachfolgende Handhabung eindeutig nachzuweisen ist.
Durch die auch nach Auffassung der Kläger in § 8 Abs 2 SGB IV angeordnete Zusammenrechnung zweier gleichartiger geringfügiger Beschäftigungen überschritt das Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 2) in Höhe von rund 500 DM im Monat (400 DM monatlich in der Gaststätte und alle zwei Wochen 48 DM in der Rechtsanwaltskanzlei) die in den Jahren 1988, 1989 und 1990 geltende Geringfügigkeitsgrenze von höchstens 470 DM im Monat. Auf die nur geringfügige zeitliche Inanspruchnahme von weniger als 15 Stunden pro Woche kommt es nicht an, denn eine Beschäftigung ist nur dann versicherungsfrei, wenn sie beide Geringfügigkeitsgrenzen (Zeitgrenze und Entgeltgrenze) einhält. Der Gesetzeswortlaut macht die Geringfügigkeit von zwei Voraussetzungen abhängig, die beide erfüllt sein müssen. Die angefochtenen Bescheide stellen damit zutreffend die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 2) fest und verpflichten die Kläger zu Recht zur Beitragszahlung. Die Revision kann demnach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
NZA 1997, 736 |
Breith. 1995, 921 |