Leitsatz (redaktionell)
1. Für die freiwillig Weiterversicherten werden die gesetzlichen Krankenkassen als "Träger der sozialen Krankenversicherung" und damit als Sozialversicherung nicht als Privatversicherung tätig.
2. Das Versicherungsverhältnis bei einer freiwilligen Weiterversicherung beruht nicht - wie in der Privatversicherung - auf einem Vertrag, sondern entsteht kraft Gesetzes auf Grund der Anzeige des Berechtigten.
3. Der Anspruch auf Übergangsgeld ruht gemäß RVO § 1244a Abs 6 S 3 auch dann, wenn das während der ambulanten Behandlung vom Träger der Krankenversicherung gezahlte Krankengeld niedriger als der Anspruch auf Übergangsgeld ist.
4. Auch der Tuberkulose-Kranke, der wegen niederer Weiterversicherung nur ein für seinen Lebensunterhalt und seine besonderen Bedürfnisse nicht ausreichendes Krankengeld erhält, muß auf etwaige Ansprüche nach dem BSHG verwiesen werden.
Normenkette
RVO § 313 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 21a Abs. 6 S. 1 Buchst. a Fassung: 1959-07-23, S. 3 Fassung: 1959-07-23; RVO § 1244a Abs. 6 S. 1 Buchst. a Fassung: 1959-07-23, S. 3 Fassung: 1959-07-23; BSHG
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. März 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Dem wegen Lungentuberkulose arbeitsunfähigen Kläger gewährte die Beklagte während der Zeit vom 19. September 1962 bis 22. Februar 1963 stationäre Heilbehandlung in einem Sanatorium; bis 29. Januar 1963 wurde das Gehalt des Klägers von seinem Arbeitgeber, der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) R, weiter bezahlt, vom 30. Januar 1963 bis 22. Februar 1963 gewährte die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld in Höhe von 15,90 DM täglich. Ab 23. Februar 1963 war der Kläger weiterhin arbeitsunfähig, er wurde ambulant weiterbehandelt und erhielt von der AOK R Krankengeld in Höhe von 8,97 DM täglich; er war bei dieser AOK freiwillig nach einem Grundlohn von 13,- DM versichert, der Krankenversicherungspflicht unterlag er nicht, weil sein Einkommen (747,- DM monatlich) die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritt.
Am 15. Mai 1963 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die AOK R zu beauftragen, ihm ab 23. Februar 1963 den Unterschiedsbetrag zwischen dem Krankengeld und dem Übergangsgeld zu zahlen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 1963 unter Hinweis auf § 21 a Abs. 6 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ab; der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Mit der Klage beantragte der Kläger die Zahlung des vollen Übergangsgeldes, hilfsweise des Übergangsgeldes unter Anrechnung des Krankengeldes. Das Sozialgericht (SG) Lübeck wies die Klage ab (Urteil vom 11. März 1964): Die Beklagte habe den Antrag zu Recht abgelehnt; § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG betreffe nicht nur den Anspruch auf Krankengeld aus einer Pflichtversicherung, sondern auch aus einer freiwilligen Versicherung; da bei Pflichtversicherten der Anspruch auf Krankengeld gegenüber einem Träger der sozialen Krankenversicherung das Ruhen des Anspruchs auf Übergangsgeld gegenüber dem Rentenversicherungsträger zur Folge habe, ohne Rücksicht darauf, ob das Krankengeld höher oder niedriger sei als das Übergangsgeld, müsse dasselbe auch bei freiwillig Versicherten gelten; deshalb könne der Kläger auch nicht den Unterschiedsbetrag zwischen dem Krankengeld und dem Übergangsgeld beanspruchen. Das SG ließ die Berufung zu (§ 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das Urteil wurde dem Kläger am 25. März 1964 zugestellt.
Am 18. April 1964 legte der Kläger Sprungrevision ein, die schriftliche Einwilligungserklärung der Beklagten fügte er bei; er beantragte,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des Bescheides der Beklagten vom 10. Juni 1963 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 1963 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Übergangsgeld ohne Anrechnung des Krankengeldes,
hilfsweise,
unter Anrechnung des Krankengeldes, zu gewähren.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist begründete er die Revision am 30. Mai 1964: Die Regelung in § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG (= § 1244 a Abs. 6 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) beruhe auf der Erwägung, daß üblicherweise ein Pflichtversicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung ein so hohes Krankengeld bekomme, daß er, insbesondere auch als Tbc-Kranker, keine Not leiden könne; dies entspreche der "Lohnersatzfunktion" des Krankengeldes; bei dem Kläger liege dieser Normalfall nicht vor, der Kläger sei gegen Krankheit freiwillig versichert gewesen, er habe Beiträge geleistet, die niedriger seien als die eines Pflichtversicherten, und erhalte deshalb auch nur ein niedrigeres Krankengeld, das den wegfallenden Lohn nicht ersetze; an diesen Fall habe das Gesetz nicht gedacht, die Lücke im Gesetz sei dahin zu schließen, daß die freiwillige Krankenversicherung als "Privatversicherung" zu deuten und das Übergangsgeld trotz des Krankengeldanspruchs zu gewähren sei; es könne nicht richtig sein, daß ein arbeitsunfähiger Tbc-Kranker während der ambulanten Behandlung möglicherweise auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) angewiesen sei.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig (§§ 161, 150, 164 Abs. 1 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld während der Zeit, in der der Kläger nach Entlassung aus stationärer Heilbehandlung weiterhin arbeitsunfähig gewesen und ambulant behandelt worden ist, zutreffend nach § 21 a AVG beurteilt; diese Vorschrift ist, ebenso wie § 1244 a RVO, durch § 31 des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe vom 23. Juli 1959 (BGBl I 513) - THG - in die Rentenversicherungsgesetze eingefügt, damit Bestandteil dieser Gesetze und durch das Außerkrafttreten des THG (vgl. § 153 Abs. 2 Nr. 5 BSHG) nicht berührt worden. Nach diesen Vorschriften und nach den §§ 48 ff, 127 ff BSHG wird eine Mehrzahl von Stellen zur Gewährung von Tbc-Hilfe, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, mit dem Ergebnis verpflichtet, daß auf die erforderliche Hilfe stets ein Anspruch besteht. Zuständigkeit und Leistungen der Rentenversicherungsträger richten sich nach den §§ 21 a AVG, 1244 a RVO. Zwischen den Beteiligten ist kein Streit darüber, daß der Kläger "Versicherter" im Sinne des § 21 a Abs. 2 AVG ist; die Beklagte ist deshalb zur Gewährung der stationären Heilbehandlung und während dieser Zeit zur Gewährung von Übergangsgeld an den Kläger verpflichtet gewesen (§ 21 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 Buchst. a AVG), sie ist dieser Verpflichtung auch nachgekommen. Die anschließende ambulante Behandlung ist dem Kläger von der AOK gewährt worden; der Kläger ist bei der AOK gegen Krankheit versichert gewesen, er hat deshalb während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit von der AOK Krankenhilfe und damit auch Krankengeld zu beanspruchen gehabt (§ 182 Abs. 1 RVO). Bei dem Anspruch auf Krankengeld hat es sich um einen Anspruch gegen einen "Träger der sozialen Krankenversicherung" gehandelt. Als "Träger der sozialen Krankenversicherung" sind die Krankenkassen anzusehen, die "Träger der Krankenversicherung" im Sinne von Art. 3 §§ 1 bis 3 des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 (RGBl I 577) sind, zu ihnen gehören nach § 225 Abs. 1 RVO die Ortskrankenkassen; sie sind als "Träger der sozialen Krankenversicherung" auch für solche Versicherte tätig, die nicht mehr der Krankenversicherungspflicht unterliegen, sich aber freiwillig bei ihrer bisherigen Ortskrankenkasse nach § 313 RVO weiterversichert haben. Ob auch solche Beschäftigte, die - wie der Kläger - die Jahresarbeitsverdienstgrenze von 7.200,- DM (vgl. § 178 RVO) oder von 7.920,- DM (vgl. § 176 Abs. 1 RVO) überschreiten, zur freiwilligen Weiterversicherung nach § 313 RVO berechtigt sind und ob § 178 RVO noch in Kraft ist (vgl. hierzu Peters, Wege zur Sozialversicherung 1957, 368 ff; Aichberger, RVO, Anm. 3 zu § 178 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1964, Bd. II, 325, 326 mit weiteren Hinweisen), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da jedenfalls ein rechtswirksames Versicherungsverhältnis zwischen dem Kläger und der AOK Ratzeburg über die freiwillige Weiterversicherung zustande gekommen ist, der Kläger auf Grund dieses Versicherungsverhältnisses einen Krankengeldanspruch für die hier streitige Zeit gegen die AOK gehabt und von der AOK auch Krankengeld erhalten hat. Für die freiwillig Weiterversicherten werden die Ortskrankenkassen als "Träger der sozialen Krankenversicherung" und damit als Sozialversicherung, nicht als Privatversicherung tätig. Das Versicherungsverhältnis zwischen diesen Versicherungsträgern und den Versicherten beruht nicht - wie in der Privatversicherung - auf Vertrag; das Weiterversicherungsverhältnis, das vom Gesetz als eine Fortsetzung des Pflichtversicherungsverhältnisses angesehen wird, entsteht kraft Gesetzes auf Grund der Anzeige des Berechtigten oder der dieser Anzeige gleichstehenden Weiterzahlung der satzungsmäßigen Beiträge (vgl. § 313 Abs. 2 RVO und BSG 14, 104, 107). Auch die Rechte und Pflichten der Beteiligten ergeben sich nicht etwa aus Vertrag, sondern ebenso wie in der Pflichtversicherung aus dem Gesetz und aus der Satzung der Kasse. Solange dem Kläger als freiwillig Versichertem während der ambulanten Behandlung gegenüber der AOK Ratzeburg ein Krankengeldanspruch zugestanden hat, hat der Anspruch auf Übergangsgeld gegenüber der Beklagten nach § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG geruht; dies wäre nur dann anders gewesen, wenn die Beklagte die ambulante Heilbehandlung nach § 16 AVG selbst übernommen hätte, das aber ist unstreitig nicht der Fall gewesen. Zu Recht hat das SG auch entschieden, es komme nicht darauf an, ob der Anspruch auf Krankengeld wenigstens gleich hoch oder, wie im vorliegenden Fall, niedriger sei als der Anspruch auf Übergangsgeld. Dies ergibt sich zunächst, wie die Beklagte zutreffend ausführt, aus dem Gesetzeswortlaut; danach ruht der Anspruch auf Übergangsgeld nicht, "soweit" ein Anspruch auf Krankengeld besteht, sondern "solange" er besteht. Es ist zwar richtig, daß diese Regelung, wie der Kläger ausführt, in der Regel nicht zu einer unverhältnismäßig niedrigeren Leistung an den Tbc-Kranken führt als das Arbeitseinkommen, das er beziehen würde, wenn er nicht arbeitsunfähig wäre, weil bei Versicherungspflichtigen die Beiträge und damit auch der Anspruch auf Krankengeld "lohnbezogen" sind (§ 180 RVO). Dies gilt grundsätzlich aber auch für die freiwillig Weiterversicherten, sie bleiben im Regelfall Mitglied in der Lohnstufe oder Klasse, der sie bis zum Ausscheiden aus der Pflichtversicherung angehört haben (§ 313 Abs. 1 RVO); sie können jedoch - ausnahmsweise - bei Beginn oder während der Dauer der Weiterversicherung einerseits auch ohne ihre Zustimmung in eine höhere Stufe oder Klasse versetzt werden, wenn ihre Beiträge "in erheblichem Mißverhältnisse zu ihrem Gesamteinkommen und zu den im Krankheitsfalle zu gewährenden Kassenleistungen stehen", sie können andererseits "entsprechend ihren Einkommensverhältnissen" ihre Versetzung in eine niedere Stufe oder Klasse beantragen (§ 313 a Abs. 1 RVO); dabei deckt sich der Begriff "Einkommensverhältnisse" nicht mit dem Begriff "Einkommen", die Versetzung in eine niedere Stufe oder Klasse soll auch die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse, etwa durch finanzielle Belastungen, ermöglichen und eine weitgehende Anpassung der Lohnstufe oder Klasse an die wirtschaftlichen Verhältnisse gestatten (vgl. Schelle-Imhof, Gesetz und Recht der Krankenversicherung, Bd. IV, Ziff. 10 zu § 313 a RVO sowie BSG 7, 164, 167 und 10, 78, 80). Nimmt die Kasse von sich aus eine Herabstufung vor und zahlt der Versicherte die geringeren Beiträge in dem Bewußtsein, daß die Beiträge seinem letzten Einkommen nicht entsprechen, so kann hierin das Einverständnis des Versicherten mit der Herabstufung liegen, das den Antrag ersetzt (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl. zu § 313 a RVO). Wird aber auf Antrag oder im Einverständnis mit dem Versicherten eine solche Herabstufung vorgenommen, so geht auch das Risiko entsprechend niedrigerer Leistungen zu Lasten des Versicherten. Wer sich freiwillig niedriger gegen Krankheit versichert als bei seinem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung und auch niedriger als dies seinem Einkommen bzw. seinen Einkommensverhältnissen während der Weiterversicherung entspricht, kann dieses Risiko nicht teilweise auf einen anderen Versicherungsträger "abwälzen" und von diesem Versicherungsträger die Leistungen beanspruchen, die von dem Träger der sozialen Krankenversicherung gewährt würden, wenn er sich "einkommensgerecht" freiwillig weiterversichert hätte. Dies gilt auch insoweit, als der Anspruch auf Krankengeld, wie im Falle des § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG, zum Ruhen des Anspruchs auf Übergangsgeld gegenüber dem Rentenversicherungsträger führt, deshalb ist in einem solchen Fall auch der Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen dem Krankengeld und dem Übergangsgeld nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gerechtfertigt. Wie in den Fällen, in denen ein gegen Krankheit Versicherter überhaupt keinen Anspruch gegen einen Rentenversicherungsträger hat, weil er nicht die Voraussetzungen eines "Versicherten" im Sinne von § 21 a Abs. 2 AVG erfüllt, oder in denen ein freiwillig Versicherter in der Rentenversicherung niedrigere Beiträge leistet als vorher als Pflichtversicherter und in denen deshalb im ersten Falle nur das "beitragsgerechte" Krankengeld, im zweiten Falle nur das "beitragsgerechte" Übergangsgeld (§ 18 Abs. 2 AVG) beansprucht werden kann, muß auch der Tbc-Kranke, der wegen niederer Weiterversicherung nur ein für seinen Lebensunterhalt und seine besonderen Bedürfnisse nicht ausreichendes Krankengeld erhält, auf etwaige Ansprüche nach dem BSHG verwiesen werden; der Rentenversicherungsträger hat in diesen Fällen nicht, auch nicht teilweise, "anstelle" des Trägers der sozialen Krankenversicherung diese Leistungen zu erbringen.
Das SG hat daher im vorliegenden Fall zu Recht den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld für die Zeit ab 23. Februar 1963 verneint. Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen