Orientierungssatz
Bei der Frist für die Einreichung der Anträge auf Wintergeld nach AFG § 81 Abs 3 handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, die nur durch Eingang der Anträge beim ArbA gewahrt werden kann und gegen die es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt.
Eine unterschiedliche Behandlung derjenigen, die ausdrücklich noch einmal vor Fristablauf einen Hinweis erhalten haben und derjenigen, bei denen dies versäumt wurde, stellt keinen Verstoß gegen GG Art 3 dar.
Normenkette
AFG § 81 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1972-05-19; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; BGB § 130 Abs. 3 Fassung: 1896-08-18, Abs. 1 S. 1 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18. Februar 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Anträge auf Gewährung von Wintergeld, die nach Ablauf der Ausschlußfrist des § 81 Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gestellt werden, unter bestimmten Voraussetzungen noch berücksichtigt werden können.
Im Förderungszeitraum 1972/73 hatten Arbeitnehmer des Klägers an verschiedenen Tagen mit Anspruch auf Wintergeld gearbeitet. Die Anträge für die Arbeitstage in den Monaten Februar und März 1973 gingen beim Arbeitsamt erst am 20. und 29. Juni 1973 ein. Diese Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, daß der Kläger die in § 81 Abs. 3 AFG i. V. m. § 75 Abs. 2 Nr. 1 AFG bis 15. Juni 1973 begrenzte Ausschlußfrist für die Einreichung von Anträgen auf Wintergeld versäumt habe (Bescheid vom 18. Juli 1973).
Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. September 1973, Urteil vom 18. Februar 1974).
Das Sozialgericht (SG) hat die Auffassung vertreten, daß es sich bei der Frist des § 81 Abs. 3 AFG um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handele, deren Einhaltung tatbestandliche Voraussetzung für den Anspruch sei. Eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist sei nicht gegeben. Das SG beruft sich hierbei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu einer entsprechenden Vorschrift im Rahmen der Regelung des Schlechtwettergeldes (BSGE 22, 258; SozR Nr. 3 zu § 143 l AVAVG). Das SG ist ferner der Auffassung, daß sich der Kläger nicht auf einen Erlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 9. August 1973 berufen kann, in dem eine Anweisung an die Arbeitsämter gegeben wird, sich nicht auf den Fristenablauf zu berufen, wenn die Baubetriebe auf den Ablauf der Frist für Wintergeld am 15. Juni 1973 nicht hingewiesen worden seien. Diesem Erlaß fehle die Rechtsgrundlage. Im übrigen sei der Kläger tatsächlich mit Schreiben vom 16. Mai 1973 auf den Fristablauf aufmerksam gemacht worden. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das Urteil des SG hat der Kläger unter Beifügung einer schriftlichen Zustimmung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Er rügt die unrichtige Anwendung des § 81 Abs. 3 AFG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18. Februar 1974 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18. Juli 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1973 ihm antragsgemäß Wintergeld für die in der Zeit vom 1. Februar 1973 bis 15. März 1973 angefallenen Arbeitsstunden zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG entschieden, daß es sich bei der Antragsfrist nach § 81 Abs. 3 AFG um eine Ausschlußfrist handelt, deren Wahrung Anspruchsvoraussetzung für die begehrte Leistung ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Gründe, die Veranlassung geben könnten, den Wortlaut anders zu deuten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere berechtigt der Umstand, daß die Mittel für die Gewährung von Wintergeld durch Umlage von den Baubetrieben aufgebracht werden (§ 186 a AFG) - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu der Annahme, daß hier etwas anderes gemeint sein könnte. Der Sinn der Ausschlußfrist, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Überblick über den Umfang der zu gewährenden Leistungen zu vermitteln (vgl. hierzu die Motive in BT-Drucks. V/2291, S. 77 zu § 79 Abs. 3 des Entwurfs), bleibt unberührt von der Art, wie die Mittel für die Gewährung von Wintergeld aufgebracht werden.
Unzutreffend ist auch die Auffassung des Klägers, die Frist sei nicht anzuwenden, weil in der Praxis das Wintergeld von den Arbeitgebern vorgelegt werden müßte und es sich deshalb bei den Wintergeldanträgen um Erstattungsanträge und nicht um Leistungsanträge handele. Der Kläger übersieht dabei, daß es sich bei den Ansprüchen auf Wintergeld um solche der Arbeitnehmer handelt (§ 80 Abs. 1 AFG), die nicht beim Arbeitgeber, sondern beim Arbeitsamt durch den Bauunternehmer lediglich als Treuhänder der Arbeitnehmer geltend zu machen sind (§ 80 Abs. 1 und 3 AFG; vgl. für den gleichgelagerten Fall beim Schlechtwettergeld: §§ 85, 88 AFG und die Rechtsprechung des BSG Urteil vom 15. Juli 1971 - 7 RAr 30/68 - SozR Nr. 5 zu § 143 l AVAVG; Urteil vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 80/74 - zur Veröffentlichung bestimmt). Für die Einhaltung der Ausschlußfrist nach § 81 Abs. 3 in Verbindung mit § 75 Abs. 2 Nr. 1 AFG kommt es deshalb allein entscheidend darauf an, wann die Anträge auf Wintergeld beim Arbeitsamt eingegangen sind.
Die somit dem Anspruch entgegenstehende Versäumung der Ausschlußfrist kann auch nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt werden. Der Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung ist nur gegen die Versäumung von verfahrensrechtlichen Fristen gegeben, nicht aber gegen die Versäumung von Fristen, welche materielle Anspruchsvoraussetzungen darstellen (vgl. BSGE 22, 258 und SozR Nr. 3 zu § 143 l AVAVG, beide zu dem im Wortlaut ähnlichen § 143 l Abs. 2 AVAVG).
Auch ein sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch, aufgrund dessen der Kläger verlangen könnte, so gestellt zu werden, als wenn er die Frist eingehalten hätte, scheidet aus. Die Beklagte hat ihre Betreuungspflichten nicht verletzt. Es kann hier dahinstehen, ob für eine Betreuung der Bauunternehmer im Jahre 1973 besonderer Anlaß etwa deshalb bestand, weil durch das zweite Änderungsgesetz zum AFG vom 19. Mai 1972 (BGBl I S. 791) die produktive Winterbauförderung neu geregelt und das Wintergeld als selbständige Leistung erstmalig für das Jahr 1973 eingeführt und die Frist für die Anträge - abweichend vom bisherigen Recht und von den Antragsfristen für die Gewährung von Schlechtwettergeld (30. Juni) - auf den 15. Juni festgesetzt worden war. Die Beklagte hat jedenfalls nach den Feststellungen des SG dem Kläger ausdrücklich einen solchen Hinweis gegeben.
Dieser ausdrückliche Hinweis schließt es auch aus, die Berufung auf die Ausschlußfrist als Rechtsmißbrauch anzusehen.
Die Berufung auf Ausschlußfristen kann allerdings im Einzelfall rechtsmißbräuchlich sein, etwa, wenn die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen zweifelsfrei vorhanden sind und die Anwendung der Frist ihrer Funktion in dem betreffenden Rechtssystem nicht entsprechen würde (BSGE 14, 246, 250; ferner BSGE 22, 257, 260). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da die Funktion der Ausschlußfrist, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Überblick über die gewährenden Leistungen zu vermitteln, die Einhaltung der Ausschlußfrist erfordert. In solchen Fällen kann allenfalls dann ein Rechtsmißbrauch angenommen werden, wenn die Einhaltung der Ausschlußfrist für die Verwaltung von geringer Bedeutung ist und ganz erhebliche, langfristig wirksame Interessen des Bürgers auf dem Spiel stehen (so z. B. BSG Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 118/70 - SozEntsch X/E Art. 2 § 5 ANVNG Nr. 1). Auch diese Voraussetzungen fehlen, da es sich um eine einmalige Zahlung von Wintergeld für einen kurzen Zeitraum handelt.
Der Auffassung der Revision, die Ausschlußfrist sei deshalb nicht anzuwenden, weil die Beklagte Anträge, die bis zum 2. Juni 1973 eingegangen waren, dann noch berücksichtigt habe, wenn der betreffende Bauunternehmer nicht vor Ablauf des 15. Juni 1973 auf die Frist für die Stellung von Wintergeldanträgen noch einmal ausdrücklich hingewiesen worden ist (Erlaß des Präsidenten der BA vom 9. August 1973 III a 5 - 7081), ist ebenfalls nicht zuzustimmen. Mit diesem Zugeständnis trägt die Beklagte lediglich dem Umstand Rechnung, daß sie in diesen Fällen möglicherweise eine ihr obliegende Betreuungspflicht verletzt hat und im Wege eines sozialrechtlichen Schadensersatzanspruchs (vgl. das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 88/75 -) ohnehin Leistungen hätte gewähren müssen. Die Berücksichtigung dieser Fälle stellt den Sinn der Ausschlußfrist grundsätzlich nicht in Frage. Schließlich ist auch der Vortrag der Revision, eine unterschiedliche Behandlung der Bauunternehmer, die einen besonderen Hinweis auf den Fristablauf erhalten hätten und derjenigen bei denen dies nicht geschehen sei, verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz (GG), unbegründet. Insoweit handelt es sich nämlich um ungleiche Sachverhalte, weil denjenigen die nicht benachrichtigt wurden, ein sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Betreuungspflicht zusteht, dem Kläger aber nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen