Leitsatz (amtlich)
1. Ein Urteil, dessen Urteilsformel so unbestimmt ist, daß nicht zu erkennen ist, welcher Teil des geltend gemachten Anspruchs abgewiesen und in welchem Umfang der Klage entsprochen worden ist, ist wirkungslos, wenn sich dies auch den Urteilsgründen nicht entnehmen läßt. Dieser Umstand ist jedenfalls bei einer zulässigen Berufung von Amts wegen im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen und muß grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils führen.
2. In Wahrnehmung der dem LSG gemäß § 159 Abs 1 Nr 2 SGG eingeräumten Befugnis kann das BSG die Sache an das SG zurückverweisen (Anschluß an BSG 1981-03-12 11 RLw 1/80 = HVGBG RdSchr VB 125/81).
Leitsatz (redaktionell)
Das Urteil eines Sozialgerichts, in dem die BA verurteilt wird, eines von zwei Wiederholungssemestern zu fördern, ist unwirksam, wenn nicht zu erkennen ist, auf welches der beiden Wiederholungssemester sich die Verurteilung bezieht.
Normenkette
SGG § 131 Fassung: 1967-08-03, § 159 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 170 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 31.01.1980; Aktenzeichen L 9 Ar 53/79) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 04.04.1979; Aktenzeichen S 27 Ar 134/78) |
Tatbestand
Der Kläger nahm in der Zeit vom 3. Februar 1975 bis 28. Januar 1977 an einem Techniker-Lehrgang an einer Fachschule teil. Die Beklagte gewährte ihm hierfür Unterhaltsgeld (Uhg) und Leistungen gemäß § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der Kläger bestand die Abschlußprüfung nicht. Ihm wurde auferlegt, das dritte und vierte Semester in der Zeit vom 1. Februar bis 6. Juli 1977 und vom 22. August 1977 bis 31. Januar 1978 zu wiederholen. Der Kläger finanzierte die Wiederholung selbst, nachdem die Beklagte ihre Förderung abgelehnt hatte. Er bestand am 28. Januar 1978 die Prüfung. Im März 1978 beantragte er die nachträgliche Zahlung des Uhg für den Zeitraum vom 1. Februar 1977 bis 28. Januar 1978. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 30. März 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1978 mit der Begründung ab, die notwendige Wiederholung eines Teiles der Maßnahme werde nur gefördert, wenn der zu wiederholende Teil insgesamt nicht länger als 6 Monate dauere. Deshalb könnten Leistungen nach dem AFG nicht bewilligt werden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 4. April 1979 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, "ein Wiederholungssemester des Klägers zu fördern". Im übrigen hat es die Klage, die auf Förderung beider Wiederholungssemester gerichtet war, abgewiesen. Es hat im wesentlichen hierzu ausgeführt, dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch stehe, soweit er über die Förderung eines Wiederholungssemesters hinausgehe, § 41 Abs 4 AFG entgegen. Jedoch ergebe sich aus dieser Vorschrift auch die Pflicht der Beklagten, die Wiederholung eines der jeweils 6 Monate dauernden Semester zu fördern.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 31. Januar 1980 die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, das SG sei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, die Beklagte sei verpflichtet, unter Außerachtlassung des vom Kläger selbst finanzierten ersten Teils der Wiederholungsmaßnahme (drittes Semester) jedenfalls ein Wiederholungssemester, nämlich das vierte Semester, zu fördern.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 41 Abs 4 AFG. Sie ist der Auffassung, das LSG gehe unzutreffend davon aus, im vorliegenden Fall hätten zwei eigenständige Maßnahmenteile wiederholt werden müssen. Der Studienablauf an den Fachschulen des Landes Nordrhein-Westfalen sei nicht mehr in Semester, sondern in Anlehnung an die allgemeinbildenden Schulen in Schuljahre unterteilt. Der Kläger habe also nicht zwei selbständige Teile, sondern einen Teil (ein Schuljahr) wiederholen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980
sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 4. April 1979 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Urteile können keinen Bestand haben. Das LSG hätte das Urteil des SG aufheben müssen. Dieses Urteil ist wirkungslos. Es ist so unbestimmt, daß nicht zu erkennen ist, welcher Teil des geltend gemachten Anspruchs abgewiesen und in welchem Umfang der Klage entsprochen worden ist. Das Urteil kann daher keine Rechtswirkungen erzeugen. Dieser Umstand ist von Amts wegen im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen und muß dazu führen, daß das angefochtene Urteil aufgehoben wird (BGHZ 5, 240; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, 25. Nachtrag, § 136 Anm 4; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 136 Anm 5; Baumbach-Hartmann, Zivilprozeßordnung, 37. Aufl, § 313 Anm 5; Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 11. Aufl, § 313 Anm III). Dies hat das LSG nicht beachtet.
Ob dies auch dann gilt, wenn die Berufung unzulässig ist und der Berufungskläger keinen wesentlichen Mangel des Verfahrens gemäß § 150 Nr 2 SGG gerügt hat (siehe Urteil des Senats vom 21. März 1978 - 7/12/7 RAr 41/76 in SozR 1500 § 150 Nr 11), kann dahingestellt bleiben. Hier ist die Berufung zumindest hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Ansprüche zulässig. Das Klagebegehren war sinngemäß darauf gerichtet, die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger alle Förderungsleistungen zu gewähren, die ihm wegen der Teilnahme an den Wiederholungssemestern zugestanden hätten. In Betracht kommen daher Ansprüche auf Erstattung von Kosten gemäß § 45 AFG und die Gewährung von Uhg gemäß § 44 AFG. Hinsichtlich des Anspruchs auf Uhg sind Berufungsausschließungsgründe nach den hier allein einschlägigen §§ 144 Abs 1 und 147 SGG nicht gegeben. Der Uhg-Anspruch ist ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen. Die Einzelleistungen werden zu verschiedenen Zeiten gewährt. Hierbei ist nicht entscheidend, daß die Leistung für einen abgelaufenen Zeitraum, also in einem Betrag, verlangt wird (BSG SozR Nr 12 zu § 381 RVO). Der streitbefangene Anspruch in der Berufung überschreitet auch einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten). Die Beklagte wendet sich dagegen, daß sie Leistungen für ein Wiederholungssemester erbringen soll, das nach den Feststellungen des SG sechs Monate gedauert hat. Schließlich betrifft die Berufung insoweit weder Höhe noch Beginn der Leistung, sondern wird darum geführt, ob der Kläger überhaupt für ein Semester einen Anspruch auf Uhg hat.
Eine sachliche Entscheidung über die Berufung war dem LSG indes deshalb verwehrt, weil nicht festzustellen ist, in welchem Umfang das SG der Klage entsprochen hat und somit überhaupt keine Grundlage für die sachliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils besteht. Die Urteilsformel des SG läßt nur erkennen, daß der Kläger "Anspruch auf Förderung" eines der beiden Wiederholungssemester hat. Welches dieser Semester dies sein soll, geht hieraus nicht hervor. Dies läßt sich auch nicht unter Heranziehung der Urteilsgründe ermitteln, wie das LSG anscheinend meint. Sie enthalten nichts dazu, ob der Kläger einen "Anspruch auf Förderung" des zu wiederholenden dritten oder vierten Semesters hat. Vielmehr heißt es dort nur, die Beklagte sei gemäß § 41 Abs 4 AFG verpflichtet, eines der jeweils sechs Monate dauernden Semester zu fördern. Damit steht nicht fest, in welchem Umfang das SG der Klage stattgegeben und wie weit es sie abgewiesen hat. Das Urteil kann also keine materiell-rechtlichen Rechtswirkungen erzeugen. Ob dies auch gilt, wenn für jedes Semester dieselben Leistungen in derselben Höhe zu erbringen wären, mag dahingestellt bleiben. Den tatsächlichen Feststellungen des LSG läßt sich nicht entnehmen, in welchem Umfang der Kläger in jedem Semester an der Maßnahme teilgenommen hat. Es kann also durchaus sein, daß die Leistungen für die einzelnen Semester eine unterschiedliche Höhe haben.
Aus dem gleichen Grunde wäre der Senat auch an einer Entscheidung gehindert, wenn er der Ansicht wäre, der Kläger hätte überhaupt keinen Anspruch auf Leistungen für die Teilnahme an einem der beiden Semester, ganz gleich, ob es sich um das zu wiederholende dritte oder vierte handelt. Wie bereits ausgeführt, sind Streitgegenstand neben dem Anspruch auf Uhg auch Ansprüche auf Erstattung von Kosten gemäß § 45 AFG. Nach der Rechtsprechung des Senats liegen nicht nur im Verhältnis von Uhg zu den Kostenerstattungsansprüchen gemäß § 45 AFG selbständige prozessuale Ansprüche vor. Vielmehr gilt dies auch im Verhältnis der einzelnen in § 45 AFG genannten Ansprüche untereinander. Die dort geregelte Kostenerstattung betrifft nicht einen einheitlichen Anspruch, sondern regelt zusammengefaßt eine Reihe einzelner Ansprüche, die jeweils selbständig sind (vgl BSGE 39, 119, 120 = SozR 4100 § 45 Nr 4; Urteil des Senats vom 17. Februar 1981 - 7 RAr 105/79 - zur Veröffentlichung bestimmt). Hinsichtlich jedes einzelnen auf Erstattung solcher Kosten gerichteten Anspruchs müssen deshalb in jeder Lage des Verfahrens die Prozeßvoraussetzungen gegeben sein. Daran ändert sich auch nichts, wenn - wie hier - insoweit eine Verurteilung dem Grunde nach begehrt wird. Auch für den Erlaß eines Grundurteils müssen bei einer Klagenhäufung sämtliche Prozeßvoraussetzungen für jeden selbständigen Anspruch vorliegen (vgl BSG SozR 1500 § 130 Nr 2 und vorstehend genanntes Urteil des Senats vom 17. Februar 1981). Da das SG die Berufung nicht zugelassen und die Beklagte einen wesentlichen Mangel des Verfahrens des SG nicht gerügt hat, durfte das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus in der Sache nur entscheiden, wenn die Berufung nicht nach den §§ 144 ff SGG ausgeschlossen war. Zwar kommt ein Ausschluß der Berufung gemäß § 147 SGG nicht in Betracht, weil nicht nur um die Höhe, sondern um den Grund des einzelnen Anspruchs gestritten wird (BSGE 39, 119, 120 = SozR 4100 § 45 Nr 4). Es läßt sich jedoch weder den Feststellungen des LSG noch dem Inhalt der Akten eindeutig entnehmen, ob die Berufung hinsichtlich jeden Anspruchs zulässig wäre oder ob sie deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich um Ansprüche auf einmalige Leistungen oder auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten) handelt (§ 144 Abs 1 SGG). Das läßt sich anhand der Bescheinigung des Maßnahmeträgers vom 2. Februar 1977 nur dahin beantworten, daß es sich bei der Erstattung der Aufnahmegebühr in Höhe von 30,-- DM, die bei der Anmeldung zu zahlen ist, und bei der Erstattung der Prüfungsgebühr in Höhe von 200,-- DM, die bei Beginn des vierten Semesters zu zahlen ist, um Ansprüche auf einmalige Leistungen handelt. Da jedoch aus dem Urteil des SG nicht zu erkennen ist, für welches Semester die Beklagte Leistungen zu erbringen hat, kann auch insoweit keine Entscheidung getroffen werden. Ein Sach- oder Prozeßurteil über das Rechtsmittel der Beklagten ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Da es dem LSG wegen der Unwirksamkeit des erstinstanzlichen Urteils hiernach nicht möglich ist, über die Berufung der Beklagten eine abschließende Entscheidung zu treffen, verbleibt ihm nur die Zurückverweisung der Sache an das SG. Es erscheint unter diesen Umständen geboten, in Wahrnehmung der dem LSG nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG eingeräumten Befugnis auch das Urteil des SG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen (vgl auch BSG, Urteil vom 12. März 1981 - 11 RLw 1/80 -).
Das SG wird bei seiner neuen Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß bei einem Grundurteil gemäß § 130 SGG sämtliche Voraussetzungen für jede Leistung geprüft und festgestellt sein müssen und nicht nur das Vorliegen einzelner Anspruchsvoraussetzungen bejaht werden darf (vgl BSG SozR Nr 2 zu § 130 SGG). Außerdem muß es zumindest als wahrscheinlich angesehen werden, daß jeder Anspruch, der dem Grunde nach zugesprochen wird, wenigstens in einer Mindesthöhe gegeben ist (vgl BSG SozR Nrn 3 und 4 zu § 130 SGG).
Das SG wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen