Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 23.01.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. Januar 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, unter welchen Umständen eine Erkrankung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann.
Der Kläger war Berufssoldat und wurde 1982 im Alter von 38 Jahren wegen einer psychischen Erkrankung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er beantragte bei der beklagten Bundesrepublik einen Ausgleich nach § 85 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst bei dem beklagten Land Versorgung nach § 80 Abs 1 SVG wegen einer als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennenden depressiven Neurose, die durch Diskriminierungen verursacht worden sei, denen er als Homosexueller bei der Bundeswehr ausgesetzt gewesen sei. Insbesondere sei er wegen seiner Homosexualität nicht mehr befördert worden. Seine Anträge wurden durch den Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes III vom 13. September 1983 und des Versorgungsamtes Hamburg vom 9. November 1983 abgelehnt. Klage (Urteil des Sozialgerichts Hamburg ≪SG≫ vom 13. Dezember 1988) und Berufung (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Hamburg vom 23. Januar 1990) hatten keinen Erfolg. Das LSG hat die unterschiedlichen Ergebnisse der zahlreichen Gutachten geschildert, die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholt worden sind; es hat aber keine Feststellung dazu getroffen, ob die Krankheit auf dienstliche Benachteiligungen zurückzuführen sei. Die vom Kläger vorgetragenen Benachteiligungen beruhten jedenfalls nicht auf wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen iS von § 81 Abs 1 3. Alternative SVG, die hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht komme. Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß Homosexuelle bei der Bundeswehr nicht anders behandelt würden, als in anderen Berufen. Die Benachteiligungen bei der Bundeswehr seien besonders belastend.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. Januar 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 1988 aufzuheben sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Hamburg vom 9. November 1983 und den Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes III vom 13. September 1983 zu ändern und unter Anerkennung einer „depressiven Neurose” als weiterer Wehrdienstbeschädigung 1. die Beklagte zu 1. zur Zahlung eines Ausgleichs vom 1. Dezember 1979 bis 30. September 1982 und 2. die Beklagte zu 2. ab 1. Oktober 1982 zur Gewährung von Beschädigtenversorgung zu verurteilen.
Die Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen, denn die Voraussetzungen der §§ 85 Abs 1 und 80 Abs 1 iVm § 81 Abs 1 SVG liegen nicht vor.
Die Anerkennung einer depressiven Neurose als Wehrdienstbeschädigung nach § 81 Abs 1 SVG wäre allerdings entgegen der Auffassung des LSG nicht schon dann ausgeschlossen, wenn Homosexuelle auch in anderen Berufen in der vom Kläger geschilderten Weise benachteiligt würden. Entscheidend ist vielmehr, daß nicht nachgewiesen werden kann, daß die vorgetragenen dienstlichen Benachteiligungen die wesentliche Ursache für die Krankheit des Klägers sind. Dies beruht, wie bei allen Krankheiten, die nicht durch eine eindeutig nachweisbare äußere Einwirkung (Unfall, Infektion, Impfung, Schockerlebnis usw) herbeigeführt worden sind, darauf, daß sich im Einzelfall praktisch nie nachweisen läßt, daß gerade berufliche Einflüsse die wesentliche Ursache waren. Das zeigt der vorliegende Fall besonders deutlich. Es sind von der Verwaltung und den Gerichten außerordentlich viele Versuche unternommen worden, eine klare ärztliche Auskunft über die Ursachenfrage zu bekommen. Da die ärztlichen Äußerungen in keiner Richtung überzeugend waren, hat das LSG die behaupteten Diskriminierungen und ihre Ursächlichkeit für die Depression unterstellt, die Wehrdiensteigentümlichkeit aber mit der Begründung verneint, in anderen Berufen gebe es gleiche Diskriminierungen. Diese Begründung trifft indessen nicht zu, weil kein Grund ersichtlich ist, daß das Gesetz für berufliche Schädigungen Entschädigung deshalb ausschließen könnte, weil solche Schädigungen auch in anderen Berufen vorkommen. Die Wehrdiensteigentümlichkeit weist darauf hin, daß es sich um Risiken handeln muß, die im Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehen, nicht aber, daß der versorgungsrechtliche Schutz für Risiken versagt wird, die ihrer Art nach auch außerhalb des Wehrdienstes auftreten können (vgl Urteil des Senats vom 30. Januar 1991 – 9/9a RV 26/89 –, Sozialrecht und Praxis 1991, 576; Wulfhorst, Jahrbuch des Sozialrechts 1992, 177, 179).
Neben möglichen beruflichen Einflüssen kommen, insbesondere bei psychischen Erkrankungen, als Ursachen nichtberufliche Einwirkungen in Betracht: Allgemeine Umwelteinflüsse, soziale Faktoren oder eine genetische Veranlagung. Wenn gleichwohl die Anerkennung einer sich langsam entwickelnden Krankheit als Wehrdienstbeschädigung nicht völlig ausgeschlossen ist, so liegt es daran, daß bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 81 Abs 1 SVG die Grundsätze heranzuziehen sind, die bei der Anerkennung von Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung angewandt werden (vgl Urteil des Senats vom 26. Februar 1992, SozR 3-3200 § 81 Nr 3 = SGb 1993, 238 mit Anm v. Schroth sowie Urteile vom 24. September 1992 – 9a RV 31/90 – und vom 5. Mai 1993 – 9/9a RV 25/92 – beide zur Veröffentlichung bestimmt). Eine Krankheit kann als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn es sich um eine Krankheit handelt, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht wird, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Ob bestimmte Einwirkungen in zahlenmäßig beachtlichem Umfang eine bestimmte Krankheit herbeiführen können, wird in der Unfallversicherung nicht durch Verwaltung und Gericht im Einzelfall ermittelt, sondern nach umfassenden Ermittlungen vom Gesetzgeber allgemein durch Verordnung festgelegt (§ 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ iVm der jeweiligen Berufskrankheiten-Verordnung ≪BKVO≫). In der BKVO hat der Verordnungsgeber nicht nur allgemeingültig entschieden, daß die dort genannten Krankheiten entschädigungsfähig sind, er hat dadurch auch normativ festgestellt, daß besondere Einwirkungen des Arbeitslebens schädigenden Charakter haben und allgemein geeignet sind, diese Krankheit hervorzurufen. Ferner ist damit geklärt, daß die Krankheit im Einzelfall wie eine Unfallfolge zu entschädigen ist, wenn der Betroffene längere Zeit den schädigenden Einwirkungen ausgesetzt war. Zudem können nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises denkbare Einwirkungen aus dem außerbetrieblichen Bereich außer Betracht bleiben, jedenfalls dann, wenn kein besonderer Anlaß für die Annahme solcher Verursachung besteht (vgl Lauterbach/Watermann, Unfallversicherung, Stand Juni 1993, § 551 Anm 10c).
Diese Grundsätze sind auf die Anerkennung von Krankheiten als Wehrdienstbeschädigung zu übertragen, denn sie tragen in sachgerechter Weise den Schwierigkeiten Rechnung, die mit dem Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Krankheit und bestimmten Einwirkungen verbunden sind. Daher hat der Gesetzgeber auch in anderen Bereichen des Versorgungsrechts auf diese Grundsätze zurückgegriffen. So hat er in § 27 Abs 4 SVG iVm § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 27 SVG hinsichtlich des Unfallruhegehalts bei Berufssoldaten auf die BKVO Bezug genommen. Auch im Beamtenversorgungsrecht werden die Krankheiten, die als Dienstunfälle gelten, durch Verordnung bestimmt, die ihrerseits auf die BKVO Bezug nimmt (§ 31 Abs 3 Beamtenversorgungsgesetz und § 1 der VO vom 20. Juni 1977, BGBl I 1004). War somit ein Soldat im Dienst Einwirkungen ausgesetzt, die im Unfallversicherungsrecht zu der Erkenntnis geführt haben, daß sie das Krankheitsrisiko in auffallender Weise erhöhen und ist die Krankheit deshalb in die BKVO aufgenommen worden, so werden diese Einwirkungen auch wehrdiensteigentümlich sein.
Auf das SVG zu übertragen ist auch der Rechtsgrundsatz des § 551 Abs 2 RVO. Danach ist eine Krankheit, die nicht in der BKVO bezeichnet ist, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, wenn neue Erkenntnisse ihre Aufnahme in die Gruppe der Berufskrankheiten grundsätzlich rechtfertigen würden. Nach § 551 Abs 2 RVO kann auch die Krankheit einer einzigen Person wie eine Berufskrankheit entschädigt werden. Grund dafür ist aber nicht, daß die Ermittlungen im Einzelfall einen ursächlichen Zusammenhang ergeben haben, sondern daß der Erkrankte als einziger den schädigenden Einwirkungen, die grundsätzlich geeignet sind, die Krankheit auszulösen, ausgesetzt war und er nur deswegen ein Einzelfall geblieben ist. Voraussetzung für die Entschädigung ist damit die Erkenntnis, daß auch jeder andere, der den schädigenden Einwirkungen ausgesetzt würde, typischerweise in gleicher Weise erkranken würde wie der bislang einzige Betroffene (BSG SozR 2200 § 551 Nr 20). Für den Bereich des SVG bedeutet das, daß eine Erkrankung, die nicht in die BKVO aufgenommen worden ist, als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann, wenn der Dienstherr wegen Gefährdung der Soldaten handeln müßte. Zum Handeln wäre er aufgerufen, wenn bekannt wird, daß bestimmte Einwirkungen zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, die Soldaten im Dienst solchen Einwirkungen in höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und medizinstatistisch nachgewiesen ist, daß die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (Urteil des Senats vom 5. Mai 1993 – 9/9a RV 25/92 – zur Veröffentlichung bestimmt).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung einer depressiven Neurose als Wehrdienstbeschädigung. Die BKVO enthält auch in ihrer neuesten Fassung vom 18. Dezember 1992 (BGBl I S 2343), die zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist, keine psychischen Erkrankungen infolge beruflicher Diskriminierung. Sie enthält überhaupt keine beruflich bedingte psychische Erkrankung. Es ist auch von keiner Seite dargelegt worden, daß medizinische Erkenntnisse vorlägen oder beschafft werden könnten, aus denen sich ergäbe, daß die psychische Erkrankung des Klägers analog § 551 Abs 2 RVO wie eine Berufskrankheit als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden könnte.
Dagegen sprechen auch die mit psychischen Erkrankungen im Entschädigungsrecht gewonnenen Erfahrungen. Grundsätzlich werden nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) alle Arten von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden entschädigt, ohne daß eine Verweisung auf die BKVO stattfindet. Wegen der Schwierigkeiten des Nachweises der Kausalität im Einzelfall gelten dort indessen die §§ 15 Abs 2 und 28 Abs 2 BEG. In diesen Vorschriften wird eine gesetzliche Vermutung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Schädigung und nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen aufgestellt, wenn die Schädigung während einer Deportation oder Freiheitsentziehung oder im unmittelbaren Anschluß daran eingetreten ist. Trotz dieser Beweiserleichterung konnten im wesentlichen nur in den Fällen entschädigungspflichtige psychische Schäden bei den Betroffenen festgestellt werden, in denen die Intensität der Verfolgungsmaßnahmen besonders schwerwiegend war (Konzentrationslager, Einzelhaft usw). Hingegen führten selbst so gravierende Einwirkungen wie die Notwendigkeit der Flucht in ein anderes Land nicht in zahlenmäßig auffallendem Umfang zu psychischen Dauerschäden (vgl Maier in Das Bundesentschädigungsgesetz, München 1981, S 412, 419 bis 421). Diese Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gewonnen wurden, sprechen dafür, daß berufliche Benachteiligungen, wie sie der Kläger schildert, nicht allgemein geeignet sind, psychische Schäden hervorzurufen. Denn die Diskriminierungen, denen der Kläger nach seinen Bekundungen ausgesetzt war, erreichten nicht annähernd eine derartige Intensität.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen