Leitsatz (amtlich)
Zeiten des Bezugs einer Rente, die vor dem 1957-01-01 wieder weggefallen ist, können nicht "mit einer angerechneten Zurechnungszeit (AVG § 37) zusammenfallen" und deshalb nicht Ausfallzeiten nach AVG § 35, AVG 36 Abs 1 Nr 5 sein.
Normenkette
AVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 36 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23, § 37 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 14; RVO § 1258 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1259 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23, § 1260 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 14 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rente des Klägers, insbesondere darüber, ob bei deren Berechnung die Zeiten eines früheren Rentenbezugs als Ausfallzeiten nach §§ 35, 36 Abs. 1 Nr. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu berücksichtigen sind.
Die Beklagte gewährte dem Kläger (geboren 1897) auf seinen Antrag vom 1. Juli 1958 an das (vorzeitige) Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres und einjähriger Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 8.10.1958). Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte sie nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) ein Zehntel der bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit als Ausfallzeit (= 32 Monate). Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen diese Berechnung; er beantragte, die Zeiten vom 1. März 1931 bis 28. Februar 1934 und vom 1. November 1945 bis 31. Oktober 1950 (= 96 Monate), in denen er vor Vollendung des 55. Lebensjahres eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten wegen Berufsunfähigkeit bezogen hatte, als Ausfallzeiten zu werten. Die Klage und die Berufung des Klägers waren ohne Erfolg (Urteil des SG Detmold vom 6.5.1960, Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.2.1961). Das Landessozialgericht (LSG) verneinte die Anrechenbarkeit der fraglichen Zeiten mit der Begründung, Ausfallzeiten im Sinne des § 35 AVG seien nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG nur solche Rentenbezugszeiten, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit des § 37 AVG zusammenfielen. Da der Gesetzeswortlaut eindeutig besage, daß bei der früheren Rentengewährung bereits eine Zurechnungszeit im Sinne von § 37 AVG angerechnet gewesen sein müsse, das Gesetz den Begriff der Zurechnungszeit aber erst seit dem Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze (1.1.1957) kenne, erfasse § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG auch nur Rentenbezugszeiten seit dem 1. Januar 1957. Die früher liegenden Rentenbezugszeiten des Klägers könnten daher nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG berücksichtigt werden, sie seien auch keine Ausfallszeiten im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG.
Das LSG ließ in seinem Urteil die Revision zu. Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides zu verurteilen, ihm die oben genannten Zeiten des Rentenbezugs als Ausfallzeiten anzurechnen. In der Revisionsbegründung führte er aus, das angefochtene Urteil verletze die §§ 36, 37 AVG. Es könne nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, die Rentenbezugszeiten vor dem 1. Januar 1957 von der Anrechnung als Ausfallzeiten auszunehmen. Der Wortlaut des Gesetzes sei nicht entscheidend; maßgebend seien vielmehr Sinn und Zweck des Gesetzes. Aus dessen Grundgedanken heraus, dem Versicherten Ersatz für eine unfreiwillig und unverschuldet unterbliebene Beitragsleistung zu gewähren, müßten die vor dem 1. Januar 1957 liegenden Zeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG ebenso berücksichtigt werden, wie in den Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AVG. Der Gesetzgeber habe es offensichtlich versäumt, eine entsprechende Übergangsregelung zu treffen.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger will den nach dem Gesetz (Art. 2 § 14 AnVNG) möglichen Nachweis längerer Ausfallzeiten durch den Hinweis auf seine Rentenbezugszeiten von 1931 bis 1934 und von 1945 bis 1950 erbringen. Er kann aber, wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, nicht verlangen, daß diese vor dem 1. Januar 1957 abgeschlossenen Rentenbezugszeiten als Ausfallzeiten bei der Berechnung des Altersruhegeldes berücksichtigt werden.
Nach §§ 35, 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG sind als Ausfallzeiten und damit als bei der Rentenberechnung anrechnungsfähige Versicherungsjahre zu berücksichtigen die Zeiten des Bezugs einer Rente (aus der gesetzlichen Rentenversicherung), die mit einer angerechneten Zurechnungszeit (§ 37) zusammenfallen, wenn nach Wegfall der Rente erneut Rente wegen Berufs- oder wegen Erwerbsunfähigkeit oder wenn Altersruhegeld oder Hinterbliebenenrente zu gewähren ist. Diese Vorschrift, die im Zusammenhang mit § 37 AVG zu verstehen ist, soll bewirken, daß die durch den frühen Eintritt des ersten Versicherungsfalls bedingte und bei der ersten Rente durch Anrechnung einer Zurechnungszeit ausgeglichene Benachteiligung auch noch bei einer späteren (zweiten) Rente des Versicherten oder der Hinterbliebenen ausgeglichen wird. Deshalb wird nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG die Zeit, in der der Versicherte die frühere Rente bezogen hat, als Ausfallzeit berücksichtigt. Die Anwendung der Vorschrift setzt jedoch nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraus, daß eine Zurechnungszeit in der früheren Rente angerechnet worden ist. Das LSG schließt daraus, daß von § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG nur Rentenbezugszeiten seit dem 1. Januar 1957 erfaßt seien, weil nur bei ihnen eine Zurechnungszeit angerechnet sein könne und anderenfalls das Wort "angerechnet" überflüssig wäre. Diese - teilweise auch in der Literatur vertretene - Meinung übersieht, daß nicht nur Rentenbezugszeiten seit dem 1. Januar 1957 mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammenfallen können; es gibt vielmehr auch Renten, die vor dem 1. Januar 1957 begonnen haben und bei denen eine vor diesem Tage liegende Zeit als Zurechnungszeit anzurechnen ist, weil die Rente für die Zeit vom 1. Januar 1957 an nach neuem Recht zu berechnen ist. Hierzu gehören z. B. die reinen Knappschaftsrenten, die für die Zeit vom 1. Januar 1957 an nicht nach einer Tabelle umzustellen, sondern nach der neuen Rentenformel zu berechnen sind (Art. 2 §§ 23, 24 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes - KnVNG -). Für diese Renten gelten die Vorschriften über Ausfall- und Zurechnungszeiten auch dann, wenn diese Zeiten vor dem 1. Januar 1957 liegen (vgl. Art. 2 § 9 Abs. 1 KnVNG i. V. m. §§ 57, 58 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -). Die Zurechnungszeit wird in diesem Falle zwar nur für die Rentenberechnung nach dem 31. Dezember 1956 "angerechnet", sie liegt aber vor diesem Tage und fällt auch mit dem Bezug der früheren Rente zusammen, soweit sie vor der Vollendung des 55. Lebensjahres begonnen hat. Fällt eine auf diese Weise nach neuem Recht berechnete Rente weg, so wird bei einer späteren Rente § 37 Nr. 5 RKG, der § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG entspricht, angewandt.
Das gleiche gilt bei den am 1. Januar 1957 laufenden Renten der Wanderversicherten mit Leistungsanteilen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung - diese Renten müssen ebenfalls von diesem Tage an nach den Vorschriften des neuen Rechts berechnet ("umgestellt") werden (Art. 2 §§ 23 ff KnVNG; BSG 16, 115) - und bei den Renten der Wanderversicherten der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung unter den Voraussetzungen des Art. 2 § 30 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) bzw. Art. 2 § 29 AnVNG, d. h. wenn die Rente aus dem ersten Versicherungsfall vor der Vollendung des 55. Lebensjahres und vor dem 1. Januar 1957 begonnen hat, der Versicherungsfall aus dem zweiten Versicherungszweig aber nach diesem Tage liegt, und zwar gleichgültig, ob vor oder nach der Vollendung des 55. Lebensjahres. Auch hier ist die Gesamtleistung nach neuem Recht zu berechnen mit denselben Voraussetzungen und Folgen wie bei den reinen Knappschaftsrenten.
"Angerechnete Zurechnungszeiten", und zwar ausdrücklich und offen angerechnete, gibt es also in allen denjenigen Fällen, in denen eine Rente nach der neuen Rentenformel berechnet wird und der Versicherungsfall vor der Vollendung des 55. Lebensjahres eingetreten ist; ob das 55. Lebensjahr vor oder nach dem Inkrafttreten der Neuregelung vollendet wurde, ist dabei gleichgültig. Ist in die Berechnung der vom 1. Januar 1957 an zu zahlenden Rente nach neuem Recht eine solche Zurechnungszeit eingegangen aus Zeiten vor dem 1. Januar 1957, dann sind diese Zeiten bei jeder späteren Rente als Ausfallzeit anzurechnen, wenn in ihnen Rente bezogen worden war, auch wenn es sich damals um eine nach altem Recht festgesetzte und berechnete Rente gehandelt hatte.
Davon, daß Zeiten vor dem 1. Januar 1957, in denen eine Rente vor Vollendung des 55. Lebensjahres bezogen wurde, als angerechnete Zurechnungszeit und damit als Ausfallzeit zu bewerten sind, geht der Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (Anm. 19 zu § 1259 RVO) in weiteren Fällen aus, sei es, daß statt der nach neuem Recht berechneten und eine Zurechnungszeit berücksichtigenden Rente die höhere Vergleichsrente nach Art. 2 § 41 AnVNG gewährt worden ist, sei es, daß eine Altrente mit Bezugszeiten vor Vollendung des 55. Lebensjahres nach Art. 2 §§ 30, 31 AnVNG umgestellt worden ist, oder daß statt der umgestellten Rente die frühere Rente mit dem Sonderzuschuß nach Art. 2 § 35 AnVNG gewährt werden mußte. Ob diese Ansicht richtig ist, kann dahinstehen; auch in diesen Fällen handelt es sich um Renten, deren Festsetzung von der Neuregelung erfaßt und beeinflußt worden ist.
Ganz anders aber liegen die Verhältnisse, wenn die frühere Rente - wie beim Kläger - schon vor dem 1. Januar 1957 weggefallen ist. Diese Rente kann nicht mit einer - offen oder mittelbar - "angerechneten Zurechnungszeit" zusammengefallen sein und kann daher auch nicht als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG bewertet werden. Insoweit ist es auch nicht möglich, "längere Ausfallzeiten" im Sinne von Art. 2 § 14 AnVNG nachzuweisen.
Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1), weil die vor dem 1. Januar 1957 weggefallenen Renten vom neuen Recht in keiner Weise erfaßt worden sind; für keinen noch so geringen Zeitraum ist in ihnen eine Zurechnungszeit "angerechnet" oder berücksichtigt worden.
Weil es sich in § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG um die Fortwirkung einer vom neuen Recht erfaßten Rente bei einer späteren Rente aus demselben Versicherungsverhältnis handelt, läßt sich aus der "zeitlichen Rückwirkung" der ganz anders gearteten Tatbestände des § 36 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AVG kein Schluß auf die Auslegung der Nr. 5 dieses Absatzes ableiten.
Wie das LSG ferner zutreffend angenommen hat, können die früheren Rentenbezugszeiten des Klägers auch nicht als Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG (Zeiten der Arbeitsunfähigkeit) berücksichtigt werden. Zwar trifft hier nicht die Einschränkung zu, wie sie für die Anrechnung einer Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG besteht, und kann es sich auch um einen vor dem 1. Januar 1957 abgeschlossenen Sachverhalt handeln. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht angegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ist aber weder dem Rentenbeginn im Jahre 1931 noch demjenigen im Jahre 1945 eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit des Klägers vorausgegangen, die durch ein im Gesetz bezeichnetes Ereignis unterbrochen worden wäre. Schon aus diesem Grunde sind die Voraussetzungen für die Berücksichtigung einer Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG nicht gegeben. Im übrigen sind aber alle Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AVG längstens bis zum Eintritt des Versicherungsfalls anzurechnen, das bedeutet bis zum Eintritt des nächsten ihnen folgenden Versicherungsfalls. Nach Eintritt des Versicherungsfalles kann keine Ausfallzeit weiterlaufen, auch nicht in den Fällen, in denen der die Ausfallzeit begründende Tatbestand für die ganze Dauer des Rentenbezugs andauern muß wie die Arbeitslosigkeit (§§ 25 Abs. 2; 36 Abs. 1 Nr. 3; 36 Abs. 2 Satz 2 AVG). Zeiten des Rentenbezugs als solche sind nur dann auf die Versicherungsjahre anzurechnen, wenn sie mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammenfallen (§§ 35; 36 Abs. 1 Nr. 5; 30 Abs. 2 Satz 3 AVG). Sonst können Ausfallzeiten während des Bezugs einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nur im Zusammenhang mit einer vom Rentner aufgenommenen versicherungspflichtigen Beschäftigung erworben werden (§ 30 Abs. 2 Satz 4 AVG). Keine dieser Voraussetzungen war beim Kläger gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2324058 |
BSGE, 119 |