Leitsatz (redaktionell)
Hilflos iS des BVG § 35 aF und nF ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Beschädigte der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird, es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß. Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist keine rein medizinische, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem Falle unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft werden.
Normenkette
BVG § 35 Fassung: 1957-07-01, § 35 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 22. Januar 1960 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Juli 1955 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts N vom 7. Juli 1954 und den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Bayern - Außenstelle N - vom 15. November 1954 wird in vollem Umfange abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger leistete vom April 1942 bis Mai 1945 Wehrdienst und erkrankte in den Jahren 1942/43 an Wunddiphterie (infizierte Blasenwunde an der rechten Fußsohle) mit postdiphterischen Lähmungserscheinungen, an Blinddarmentzündung mit Bauchfelleiterung und an Magenbluten. Während einer Lazarettbehandlung wurde im November 1942 anläßlich einer Augenuntersuchung eine Netzhautablösung rechts festgestellt, die im Reservelazarett E eine Operation des rechten Auges notwendig machte. Nach der Entlassung aus dem Wehrdienst erfolgte im Januar 1946 eine Röntgenuntersuchung des Klägers im Allmeinen Städtischen Krankenhaus N; bei der Thoraxdurchleuchtung wurde im linken Lungenoberfeld "eine Gruppe streifig fleckiger Schatten" festgestellt, ohne daß dies - infolge Stromsperre - durch eine Thoraxaufnahme bestätigt werden konnte.
Am 19. Dezember 1950 beantragte der Kläger die Gewährung von Versorgung. Die Versorgungsbehörde veranlaßte daraufhin fachärztliche Untersuchungen und Begutachtungen durch den Augenarzt Dr. Sch in F (Gutachten vom 15. Oktober 1952), den Neurologen Dr. Sch in F (Gutachten vom 4. Juni 1952) und den Internisten Dr. L in N (Gutachten vom 3. Juni 1952). Dabei stellte Dr. L eine exudative Lungentuberkulose in beiden O mit Verdacht auf Kavernenbildung rechts fest, nahm dafür als ursächlich eine Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 100 v. H.; ausgedehnte Bauchdecken-Narbenbildungen wurden, da durch eine nicht rechtzeitig im Wehrdienst erkannte Appendizitis mit Peritonitis verursacht, ebenfalls als Schädigungsfolge - ohne wesentliche MdE - angesehen, für Folgen einer Polyneuritis infolge Wunddiphterie als Schädigungsfolge wurde eine MdE von 10 v. H. angenommen; für die Netzhautablösung mit nachfolgender Erblindung des rechten Auges wurde auf Grund der Lazarettunterlagen ein Ursachenzusammenhang mit wehrdienstlichen Einflüssen durch den Gutachter Dr. Sch verneint. Mit Bescheid vom 20. Januar 1953 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) N beim Kläger
"1. Lungentuberkulose,
2. ausgedehnte Bauchnarbenbildung nach Blinddarmoperation,
3. geringe Resterscheinungen nach postdiphterischer Lähmung 1942"
sämtlich hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen
im Sinne des § 1 BVG, als Schädigungsfolgen an und gewährte vom 1. Dezember 1950 an Versorgungsbezüge nach einer MdE um 100 v. H.
Soweit mit dem Bescheid vom 20. Januar 1953 die Anerkennung der Netzhautablösung mit Erblindung des rechten Auges als Schädigungsfolge abgelehnt worden war, legte der Kläger Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA) N ein und beantragte die Anerkennung des Verlustes der Sehkraft auf dem rechten Auge als Schädigungsfolge. Darüber hinaus beantragte er am 25. Februar 1954, nachdem wegen der tuberkulösen Erkrankung in der Zeit vom 15. April 1953 bis 4. Januar 1954 eine Behandlung in der Heilstätte P durchgeführt worden war, die Gewährung von Pflegezulage, weil er arbeitsunfähig sei, Liegekuren zu Hause durchführen müsse und auf die Pflege seiner Ehefrau angewiesen sei. Er überreichte dazu eine ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Lungenkrankheiten Dr. K in I vom 27. Januar 1954, mit der wegen doppelseitiger Lungentuberkulose und rechtsseitigem Pneumothorax die Gewährung einer Pflegezulage befürwortet wurde. Das VersorgA lehnte, gestützt auf das versorgungsärztliche Gutachten (nach Hausbesuch) des Internisten Dr. B in N vom 23. Juni 1954, den Antrag auf Bewilligung einer Pflegezulage mit Bescheid vom 7. Juli 1954 ab, weil die Voraussetzungen des § 35 BVG nicht gegeben seien. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. November 1954).
Das Sozialgericht (SG) Nürnberg, auf das die zum OVA gegen den Bescheid vom 20. Januar 1953 eingelegte Berufung als Klage übergegangen und bei dem gegen die Bescheide vom 7. Juli und 15. November 1954 ebenfalls Klage erhoben worden ist, hat mit Urteil vom 1. Dezember 1954 die Klage gegen den Bescheid vom 20. Januar 1953 abgewiesen. Mit Urteil vom 19. Juli 1955 hat es unter Aufhebung der Bescheide vom 7. Juli 1954 und 15. November 1954 den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. Februar 1954 an eine Pflegezulage von monatlich DM 60,- zu gewähren. Das Urteil vom 1. Dezember 1954 ist rechtskräftig geworden. Gegen das Urteil vom 19. Juli 1955 hat der Beklagte unter Bezugnahme auf eine von ihm vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H in N vom 19. August 1955 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) in München eingelegt. Dieses hat mit Urteil vom 22. Januar 1960 das Urteil des SG vom 19. Juli 1955 insoweit abgeändert, als es dem Kläger auch über den 31. Dezember 1956 hinaus eine Pflegezulage zugesprochen hat; im übrigen hat es die Berufung des Beklagten zurück- und die Klage abgewiesen. Der erwerbsunfähige Kläger sei nach längerer stationärer Behandlung mit einem rechtsseitigen Pneumothorax aus der Heilstätte entlassen worden und habe, wie aus den beigezogenen Ruhegeldakten ersichtlich sei, in der Zeit vom Januar bis Juli 1954 dreimal, später etwa zweimal im Monat die Lungenfachärztin Dr. K aufsuchen müssen, um für eine Nachfüllung des Pneumothorax zu sorgen. Nach den Pneumothoraxfüllungen sei er dann jeweils einige Tage bettlägerig gewesen. Deshalb sei davon auszugehen, daß der Kläger im ersten Halbjahr 1954 acht bis zehn Tage, in der Folgezeit fünf bis sechs Tage im Monat bettlägerig gewesen sei. Das reiche aus, um für diesen Zeitraum die Pflegebedürftigkeit zu bejahen. Überdies habe die Ehefrau des Klägers nach ihrer glaubhaften Aussage in dieser Zeit ständig zur Hilfeleistung bereit sein müssen, weil wiederkehrende Schwindelanfälle und Zustände von Atemnot ein rasches Eingreifen erforderlich gemacht hätten. Hinzu komme weiter, daß der Kläger damals auf seinen Wegen eine Begleitperson benötigt habe. Unter diesen Umständen stehe für die Zeit bis 31. Dezember 1956 Pflegezulage zu, auch wenn der Kläger nach seinen - gegenüber dem Regierungsmedizinalrat Dr. D gemachten - eigenen Angaben die meisten Verrichtungen des täglichen Lebens habe selbständig bewerkstelligen können. Dem stehe auch die Aufnahme einer beaufsichtigenden Tätigkeit im Dienste der Stadtverwaltung G am 1. Juli 1955 nicht entgegen, denn diese Tätigkeit habe sich auf einige Stunden an drei bis vier Tagen in der Woche beschränkt. Letztlich, so hat das LSG ausgeführt, sei es in seiner Überzeugung, daß der Kläger von der Antragstellung bis Ende 1956 (Auflösung des Pneumothorax) pflegebedürftig gewesen sei, durch das Gutachten des Lungenfacharztes Dr. M vom 11. September 1958 bestärkt worden, nach dem die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegezulage im Hinblick auf die Stabilisierung der Lungentuberkulose "nicht mehr" bestünden. Seit der erfolgten Auflassung des Pneumothorax (Anfang 1957) bestehe im Gegensatz zu der Zeit vom 1. Februar 1954 bis 31. Dezember 1956 keine Pflegebedürftigkeit mehr, so daß vom 1. Januar 1957 an die Pflegezulage in Wegfall kommen müsse. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 5. März 1960 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 30. März 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 1. April 1960, Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 7. Juni 1960 - am 4. Juni 1960 eingegangenen Revisionsbegründung rügt er die unrichtige Anwendung des § 35 BVG, weil nach den eigenen Feststellungen des LSG der Kläger auch in der Zeit vom 1. Februar 1954 bis 31. Dezember 1956 nicht so hilflos gewesen sei, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege habe bestehen können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben, soweit seine Berufung als unbegründet zurückgewiesen worden sei, und unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 19. Juli 1955 die Klage in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, es stehe entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht im Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats.
Auf die Schriftsätze des Beklagten vom 30. März und 3. Juni 1960 sowie auf die des Klägers vom 18. Juli, 19. August und 31. August 1960 wird verwiesen.
Die Beteiligten haben sich gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist vom Beklagten form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG) und daher zulässig. Sie ist auch begründet.
Das LSG hat zutreffend einen Berufungsausschließungsgrund, insbesondere im Sinne des hier anwendbaren § 148 Nr. 3 SGG in der bis zum Inkrafttreten des 2. Änderungsgesetzes zum SGG geltenden Fassung - § 148 Nr. 3 SGG aF - (vgl. BSG im SozR SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 2 und 3) nicht angenommen und die Berufung gegen das Urteil des SG als zulässig angesehen. Denn das Urteil des SG betraf nicht die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG aF, sondern die Erstfeststellung der Pflegezulage. Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich hinsichtlich dieser - hier allein im Streit stehenden - Pflegezulage deshalb um eine (im ablehnenden Sinne ergangene) Erstfeststellung, weil frühere Bescheide der Verwaltungsbehörde sich auf andere Versorgungsleistungen (Rente) bezogen hatten. Von einer Neufeststellung im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG aF mit der Wirkung des Berufungsausschlusses kann aber nur die Rede sein, wenn eine Vergleichsgrundlage für eine "Änderung der Verhältnisse" vorhanden ist, wenn also eine frühere Feststellung gleichartiger Bezüge vorausgegangen ist. Es handelt sich somit nicht um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse, wenn ein Anspruch auf Gewährung der Pflegezulage streitig ist und dem - wie vorliegend - mit der Klage angefochtenen Bescheid ein anderer Bescheid, durch den über die Gewährung einer Pflegezulage - bejahend oder verneinend - erkennbar entschieden worden ist, nicht vorausgegangen ist (vgl. BSG 3, 271, 274; 8, 97). Soweit der Beklagte vorträgt, für die Bevollmächtigte des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren, Frau M, habe ein Vollmacht damals nicht vorgelegen, deshalb habe das SG, da Frau M den Klageerhebungsschriftsatz vom 22. November 1954 - ohne Vollmacht - unterzeichnet habe, ein prozeßabweisendes Urteil erlassen und das LSG habe unter Aufhebung des Ersturteils eine Zurückverweisung aussprechen müssen, ist auf die Akten des SG zu verweisen; sie enthalten (Bl. 13) eine vom Kläger unter dem 9. August 1954 unterschriebene, auf die Vertreter des VdK, Landesverband Bayern e. V., P K, A. M, H. P und M lautende Vollmacht.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger, der wegen seiner als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen - mit der Lungen-Tbc als Hauptleiden - erwerbsunfähig ist, eine Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG zusteht. Diese Vorschrift ist durch das am 1. Juni 1960 in Kraft getretene Erste Neuordnungsgesetz (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) neugefaßt worden. Das Revisionsgericht hat nicht allein das Recht anzuwenden, das im Zeitpunkt des Erlasses des Berufungsurteils galt; vielmehr ist das angefochtene Urteil grundsätzlich auf der Grundlage des bei der Verkündung des Urteils des Revisionsgerichts geltenden Rechts zu prüfen, sofern es das streitige Rechtsverhältnis erfaßt (BSG im SozR BVG § 57 Bl. Ca 2 Nr. 6; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb, § 162 Anm. 5 g - III/80 - 54/3 -). Der Senat hatte daher im vorliegenden Falle den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Pflegezulage sowohl nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG aF als auch nach der neuen Fassung dieser Vorschrift zu prüfen. Nach der vor Inkrafttreten des 1. NOG geltenden Fassung des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt, ist hilflos, wer nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Nach der neuen Fassung dieser Vorschrift muß der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos sein, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 35 BVG aF liegt Hilflosigkeit vor, "wenn der Beschädigte für die gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf; es ist nicht notwendig, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird, es genügt, daß sie jederzeit bereit sein muß. Hilflosigkeit liegt dagegen nicht vor, wenn der Beschädigte nur für einzelne Verrichtungen einer Hilfe bedarf". Die Neufassung des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG durch das 1. NOG entspricht also inhaltlich der zu der früheren Fassung ergangenen Verwaltungsvorschrift. Der Zweck des § 35 BVG, einem hilflosen Beschädigten eine Pflegezulage zu gewähren, um die Nachteile dafür auszugleichen, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, ist derselbe geblieben. Verfolgen hiernach die verschiedenen Fassungen derselben Vorschrift des Gesetzes ein einheitliches Ziel, so ist daraus grundsätzlich zu folgern, daß der Gesetzgeber mit der neuen Fassung nur zum Ausdruck bringen wollte, wie diese Vorschrift schon in der ursprünglichen Fassung auszulegen war. Daß die Neufassung des § 35 BVG durch das 1. NOG nur eine Auslegung der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift darstellt, geht auch daraus hervor, daß nunmehr lediglich ein Teil der Verwaltungsvorschrift zu § 35 BVG aF neu in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen worden ist und damit die Auslegung, die der Vorschrift ohnehin schon durch die Verwaltung gegeben worden ist, allgemein-verbindliche Gesetzeskraft erlangt hat (vgl. hierzu auch die Auslegung der verschiedenen Fassungen des § 30 BVG in BSG 13, 20, 22). Durch die Neufassung des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG auf Grund des 1. NOG hat sich hiernach in den sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nichts geändert (vgl. Urteil des 10. Senats des BSG vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58).
Das LSG ist in dem angefochtenen Urteil - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des ehemaligen Reichsversorgungsgerichts - zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger in der Zeit von der Antragstellung an (1. Februar 1954) bis zum 31. Dezember 1956 hilflos im Sinne des § 35 BVG gewesen ist. Es hat die Hilflosigkeit aus folgenden von ihm getroffenen Feststellungen hergeleitet: Der Kläger sei wegen seines Lungenleidens über einen langen Zeitraum stationär behandelt und mit einem rechtsseitigen Pneumothorax aus der Heilstätte entlassen worden. Vom Januar bis Juli 1954 habe er monatlich dreimal, später etwa zweimal seine behandelnde Ärztin zur Nachfüllung des Pneumothorax aufsuchen müssen, im Anschluß an diese Besuche sei er jeweils einige Tage bettlägerig krank gewesen. Daraus ergebe sich, daß der Kläger im ersten Halbjahr 1954 acht bis zehn Tage, in der Folgezeit fünf bis sechs Tage im Monat bettlägerig gewesen sei. Darüber hinaus habe die Ehefrau ständig zur Hilfeleistung bereit sein müssen, denn wiederkehrende Schwindelanfälle und Zustände von Atemnot hätten ein rasches Eingreifen erforderlich gemacht. Schließlich habe der Kläger auf seinen Wegen auch eine Begleitperson benötigt. Die meisten - gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens habe er allerdings selbst und ohne fremde Hilfe vornehmen können, vom 1. Juni 1955 an habe er bei der Stadtverwaltung G eine beaufsichtigende Tätigkeit ausgeübt, die sich auf einige Stunden an drei oder vier Tagen der Woche beschränkt habe.
An die Feststellungen des LSG ist der Senat nach § 163 SGG gebunden, da sie von dem Beklagten nicht mit Revisionsrügen angegriffen worden sind. Es war somit zu prüfen, ob nach den Feststellungen des LSG die Voraussetzungen für eine Hilflosigkeit im Sinne des § 35, die in der alten und neuen Fassung dieser Vorschrift dieselben geblieben sind, erfüllt sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist hilflos im Sinne des § 35 BVG derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird, es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (BSG 8, 97, 99). Bei der Entscheidung über die Frage, ob Hilflosigkeit vorliegt, kommt es danach allein auf den Leidenszustand des Beschädigten und die hierdurch bedingte persönliche Wartung und Pflege an, während die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung im weiteren Sinne unberücksichtigt bleiben muß (BSG 8, 97, 99; 12, 20, 22). Die Pflegezulage ist mithin auf den höchstpersönlichen Lebensbereich des Beschädigten abzustellen, sie wird nicht auch schon wegen "Hilfsbedürftigkeit" des Beschädigten, sondern nur wegen "Hilflosigkeit" gewährt (BSG 3, 217, 222). Ob ein Zustand der Hilflosigkeit im vorstehenden Sinne besteht, ist keine rein medizinische, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem Falle unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft werden.
Nach den Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Februar 1954 bis 1956 an einer schweren Lungen-Tbc gelitten hat, wegen der nach Abschluß einer stationären Behandlung eine Nachbehandlung (durch regelmäßige Pneumothoraxnachfüllungen) bis zum Ende des Jahres 1956 erforderlich gewesen und der Kläger erwerbsunfähig gewesen ist. Die Schwere eines Leidens ist jedoch ebensowenig entscheidend für die Gewährung einer Pflegezulage wie die Tatsache der Erwerbsunfähigkeit; es kommt vielmehr entscheidend allein darauf an, ob der Beschädigte für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf. Dies war nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall, denn der Kläger hat in der in Frage stehenden Zeit "die meisten Verrichtungen des täglichen Lebens selbständig bewerkstelligen können". Das ergibt sich auch aus der dieser Feststellung zugrundeliegenden ärztlichen Stellungnahme des Dr. D in N, dem der Kläger anläßlich eines Besuches in seiner Wohnung am 24. Januar 1955 erklärt hat, lediglich beim Anziehen der Schuhe müsse ihm seine Ehefrau behilflich sein, alle übrigen Verrichtungen des täglichen Lebens (Ankleiden, Waschen, Rasieren, Essen usw.) könne er selbständig und ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe verrichten. Das Anziehen der Schuhe, bei dem der Kläger der Hilfe seiner Ehefrau bedurft hat, ist jedoch lediglich eine einzelne Verrichtung aus dem großen Kreis der täglich wiederkehrenden notwendigen Verrichtungen, die allein nicht geeignet ist, eine Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG darzutun.
Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, daß der Kläger im ersten Halbjahr 1954 acht bis zehn Tage, in der Folgezeit bis Ende 1956 fünf bis sechs Tage im Monat, und zwar immer im Anschluß an die Pneumothoraxnachfüllungen, bettlägerig gewesen ist. Daß und in welcher Hinsicht er bei dieser nur zeitweisen Ruhe- und Schonbedürftigkeit im Anschluß an die Pneumothoraxnachfüllungen besonderer Hilfeleistungen und insbesondere einer besonderen Pflege bedurft hätte, hat das LSG nicht dargetan; eine Feststellung dahingehend, daß an diesen mit Bettlägerigkeit verbundenen Schon- und Ruhetagen die regelmäßig wiederkehrenden und notwendigen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens (Ankleiden, Waschen, Rasieren, Essen usw.) vom Kläger nicht selbst hätten geleistet werden können, hat es nicht getroffen. Deshalb kann es sich, selbst wenn an diesen Tagen die Ehefrau des Klägers diesem durch die Bettlägerigkeit bedingte vermehrte Hilfe hätte leisten müssen, allenfalls um eine Hilfsbedürftigkeit, nicht aber um eine Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG gehandelt haben. Dasselbe gilt für die Feststellung, wiederkehrende Schwindelanfälle und Zustände von Atemnot hätten, wenn sie aufgetreten seien, ein rasches Eingreifen erfordert, so daß die Ehefrau ständig zur Hilfeleistung habe bereit sein müssen. Auch hier hat es sich lediglich um einen - im übrigen nicht ständigen - Zustand der Hilfsbedürftigkeit des Klägers, nicht aber um einen solchen der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit gehandelt. Schließlich ist auch die vom LSG festgestellte Tatsache, daß der Kläger auf seinen Wegen eine Begleitperson benötigt habe, nicht anders zu beurteilen; bei dieser notwendigen Begleitung hat es sich ebenfalls nicht um einen Akt der Pflege wegen bestehender Hilflosigkeit, sondern um eine Hilfeleistung wegen einer allenfalls bestehenden Hilfsbedürftigkeit gehandelt. Im übrigen kann dem LSG auch insoweit nicht gefolgt werden, als es sich zur Stützung seiner Auffassung noch auf das Gutachten des Dr. M vom 11. September 1958 bezieht und ausführt, nach Dr. M seien im Hinblick auf die Stabilisierung der Tbc die Voraussetzungen zur Gewährung der Pflegezulage "nicht mehr" gegeben. Dr. M ist bei diesem "nicht mehr" nicht von dem früheren, tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Zustand des Klägers ausgegangen, sondern von der durch das Urteil des SG geschaffenen Sachlage. Denn Dr. M hat hierzu ausgeführt: "Die Voraussetzungen zur Pflegezulage, die damals auf Grund der erheblichen Beschwerden bei den Pneumothoraxnachfüllungen durch Gerichtsentscheid gewährt wurde, bestehen nicht mehr".
Nach allem hat das LSG, als es dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 1954 bis 31. Dezember 1956 eine Pflegezulage zugesprochen hat, den Begriff der Hilflosigkeit des § 35 BVG unrichtig angewandt. Die Revision des Beklagten ist somit sowohl nach der alten als auch nach der neuen Fassung dieser Vorschrift gerechtfertigt. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben werden. Da die vom LSG getroffenen und mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger im Sinne des § 35 BVG hilflos ist bzw. gewesen ist, ausreichen, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die eine Pflegezulage zusprechenden Urteile des SG und des LSG mußten aufgehoben werden; die Klage gegen den Bescheid des VersorgA N vom 7. Juli 1954 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1954 war in vollem Umfange abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen