Leitsatz (amtlich)

Kann ein Beschädigter wegen einer wesentlichen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen in seinem Umschulungsberuf (Ausweichberuf) nicht in eine höhere Laufbahn aufsteigen, so ist gleichwohl zur Ermittlung des Einkommensverlustes für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs das Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört hätte (Altberuf) heranzuziehen, wenn der Umschulungsberuf (Neuberuf) trotz der eingetretenen Leidensverschlimmerung voll ausgeübt werden kann.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1964-02-21; BVG§30Abs3u4DV § 2 Fassung: 1964-07-30; BVG§30Abs3u4DV § 2 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

1.

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. April 1971 und des Sozialgerichts Regensburg vom 22. September 1970 aufgehoben.

2.

Die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts R vom 3. März 1967 idF des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts B vom 22. Mai 1968 wird abgewiesen.

3.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der 1920 geborene Kläger, der den Beruf eines Friseurs erlernt hat, bezog u.a. wegen Verlustes des rechten Beines, schwerer Reizleitungsstörung im Herzmuskel und Ausgleichsstörung des vegetativen Nervensystems - letzteres i.S. der Verschlimmerung - Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 v.H. ab 1. Juli 1956; durch Zugunstenbescheid vom 11. August 1965 gewährte das Versorgungsamt dem Kläger Rente nach einer MdE von 100 v.H. ab 1. Januar 1964, weil er durch Schädigungsfolgen verhindert war, sich der Aufstiegsprüfung für den gehobenen Dienst zu unterziehen (§ 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Der Kläger war zunächst Angestellter des öffentlichen Dienstes, legte die Verwaltungsprüfung für den mittleren Dienst mit der Gesamtnote "sehr gut" und mit der Platzziffer 4 unter 38 Prüflingen ab und wurde am 1. Januar 1957 als Kreisobersekretär zum Amtsvormund und Leiter des Kreisjugendamtes ernannt sowie am 1. April 1959 zum Kreishauptsekretär befördert. Er macht geltend, daß er wegen einer wesentlichen Zunahme der Herzbeschwerden die Vorbereitungen für die Aufstiegsprüfung habe abbrechen müssen. Deshalb könne er nicht zum Amtmann befördert werden, obgleich er die Stelle eines Amtmannes innehabe. Seinen Antrag vom 30. September/1. Oktober 1964 auf Berufsschadensausgleich lehnte das Versorgungsamt Regensburg mit Bescheid vom 16. September 1966 ab, weil der Kläger nach der Verwundung Verwaltungsangestellter geworden sei. Ohne die Schädigung wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach Friseur, weshalb er heute zumindest einen gleichwertigen Beruf habe. Auf den Widerspruch erteilte das Versorgungsamt den Abhilfebescheid vom 3. März 1967, wonach es dem Kläger Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung des Endgehaltes der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gewährte. Dabei ging es davon aus, daß das Durchschnittseinkommen für "selbständig Tätige mit Volksschulbildung und abgelegter Meisterprüfung" zugrunde zu legen sei. Auf den erneuten Widerspruch des Klägers erteilte das Landesversorgungsamt Bayern den Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1968, worin es einen Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 11 des BBesG ablehnte, weil der Kläger ohne die Schädigung wahrscheinlich selbständiger Friseurmeister geworden wäre und deshalb in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG einzustufen sei. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Regensburg mit Urteil vom 22. September 1970 den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1965 Berufsschadensausgleich nach dem Endgehalt der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. April 1971 die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Kläger sei zwar seit dem 1. Juli 1968 Kreisamtsinspektor und damit in der höchsten Beförderungsstufe des mittleren Dienstes; die Schädigungsfolgen hätten aber dem Kläger den Übergang zum gehobenen Dienst verwehrt, obwohl er die persönlichen Voraussetzungen, insbesondere auf intellektuellem Gebiet, für den gehobenen Dienst besitze. Er habe zwar an einem Fernlehrgang der Bayerischen Verwaltungsschule zunächst teilgenommen, sich 1956 aber vom Kurs wieder abgemeldet, da ihm die weitere Teilnahme "aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen sowie aus dienstlicher Überlastung nicht mehr möglich" gewesen sei. Den Schädigungsfolgen, insbesondere auch der nach Aufnahme des Verwaltungsdienstes eingetretenen Verschlimmerung im Herzbefund komme eine wesentliche Bedeutung für den verhinderten weiteren Aufstieg im Beruf zu. Der Beklagte habe insoweit eine zumindest gleichwertige Ursache durch die Schädigungsfolgen anerkannt. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Juli 1970 - 10 RV 189/68 - könne zwar der derzeitige Beruf grundsätzlich nicht zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG herangezogen werden, doch gelte dies nach diesem Urteil dann nicht, wenn der Beschädigte während seines neugewählten Berufs eine Leidensverschlimmerung erfahren habe, die ein wesentliches Hindernis für den weiteren Fortschritt in seinem neuen Beruf gewesen sei. Wenn diese Ausführungen das Urteil des 10. Senats auch nicht trügen, so sei doch eine solche Erweiterung des von diesem Senat ausgesprochenen Grundsatzes geboten.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte, das LSG habe § 30 Abs. 3 und 4 BVG und § 2 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) unzutreffend angewandt. Zwar hätte der Kläger ohne die mit Wirkung vom 1. Juli 1956 anerkannte weitere Verschlimmerung der Schädigungsfolgen den erstrebten Aufstieg im Verwaltungsberuf erreicht. Da er aber im früheren Beruf die Tätigkeit eines selbständigen Gewerbetreibenden mit abgelegter Meisterprüfung erreicht hätte, sei das Endgehalt der Besoldungsgruppe A 9 des BBesG nach § 5 Abs. 1 DVO allein Vergleichsmaßstab für einen Einkommensverlust. Das Berufungsgericht sehe in der Verschlimmerung des Versorgungsleidens ein neues Schadensereignis und gehe daher von dem erst nach der Verwundung ergriffenen Umschulungsberuf aus. Dabei stütze sich das Berufungsgericht aber zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 8. Juli 1970 - 10 RV 189/68 -. Denn der vom LSG zitierte Satz sei darin nicht enthalten. Maßgeblich für die "Einstufung" sei die Berufsgruppe, der der Versorgungsberechtigte "ohne die Schädigung" wahrscheinlich im Zeitpunkt der Antragstellung angehört hätte. Was unter "Schädigung" zu verstehen sei, ergebe sich aus § 1 BVG; § 2 DVO verwende den gleichen Begriff. Auszuscheiden seien alle Berufe, die der Kläger ohne die Schädigung nicht ergriffen hätte. Dazu gehöre unstreitig der Beamtenberuf, den der Kläger jetzt ausübe.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen LSG vom 7. April 1971 und des SG Regensburg vom 22. September 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Urteil sei zuzustimmen. Die Auffassung des LSG widerspreche nicht der zitierten Entscheidung des BSG vom 8. Juli 1970.

Die mit Beiladungsbeschluß des LSG vom 12. Mai 1971 beigeladene Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, hat sich mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1971, beim BSG eingegangen am 29. Oktober 1971, der Rechtsauffassung des Beklagten angeschlossen, jedoch keinen Antrag gestellt. Sie hat u.a. ausgeführt, ein anderer als der vor der Schädigung ausgeübte Beruf könne zur Einkommensermittlung nur dann ausnahmsweise herangezogen werden, wenn festgestellt werde, daß der Beschädigte diesen anderen Beruf auch ohne die Schädigung wahrscheinlich ergriffen hätte. Für einen solchen Berufswechsel ergäben sich hier jedoch keine Anhaltspunkte. Der Kläger wäre ohne die Verwundung wie sein Vater als selbständiger Friseurmeister tätig geworden. Wolle man dem LSG folgen, so würde der Kläger bessergestellt, als er ohne die Schädigung stünde. Auch wenn beim Kläger nachträglich zusätzliche Schädigungsfolgen anerkannt worden seien, so sei es doch nicht möglich, im Ausweichberuf einen verhinderten Aufstieg leistungserhöhend zu berücksichtigen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugestimmt.

Die Revision des Beklagten ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden und auch in der Sache begründet.

Auszugehen ist von der Vorschrift des § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - aF -), wonach Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe ist, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Diese Vorschrift ist durch das 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) nicht geändert worden. Weiterhin ist § 2 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I 574 - DVO aF -) zu beachten, der bestimmt, daß das Durchschnittseinkommen ermittelt wird, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich a) unselbständig in der privaten Wirtschaft tätig wäre nach § 3, b) im öffentlichen Dienst tätig wäre nach § 4, c) selbständig tätig wäre nach § 5. Das gilt auch, wenn der Beschädigte die nach Satz 1 in Betracht kommende Tätigkeit ausübt. Ein durch die Schädigung verhinderter Aufstieg im Beruf ist zu berücksichtigen. Die DVO idF vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194 - DVO nF -) hat diese Vorschrift in § 2 Abs. 1 DVO unverändert und in Abs. 3 ohne wesentliche Änderung übernommen.

Hieraus ergibt sich zunächst, daß beim Berufsschadensausgleich grundsätzlich darauf abgestellt wird - eine Ausnahme bildet nur § 6 DVO, der hier nicht in Betracht kommt -, welche Tätigkeit der Beschädigte "ohne die Schädigung" wahrscheinlich erreicht hätte. Die beiden letzten Sätze in § 2 DVO aF bzw. Abs. 3 in § 2 DVO nF stellen klar, daß Berufsschadensausgleich auch dann gewährt wird, wenn die wahrscheinlich erreichte Tätigkeit trotz der Schädigung tatsächlich ausgeübt wird, die Schädigungsfolgen aber im Einzelfall zu einem geringeren Einkommen führen, etwa dadurch, daß durch die Schädigung ein Aufstieg im Beruf verhindert worden ist.

Zu der hier streitigen Frage hat der 10. Senat des BSG im Urteil vom 8. Juli 1970 - 10 RV 189/68 - entschieden, daß für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs das tatsächliche Einkommen nur dann dem Durchschnittseinkommen aus dem "derzeitigen Beruf" gegenüberzustellen ist, wenn der Beschädigte auch ohne die Schädigung diesen Beruf ausgeübt hätte. Dazu hat der 10. Senat u.a. ausgeführt, das Wort "Berufsschadensausgleich" besage schon, daß ein beruflicher (wirtschaftlicher) Schaden ausgeglichen, also ein Schadenersatz gewährt werden solle; insoweit stelle § 30 Abs. 3 und 4 BVG die nähere Ausgestaltung des in § 1 Abs. 1 BVG enthaltenen Grundsatzes dar, wonach ein Beschädigter wegen der gesundheitlichen "und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung" Versorgung erhalte. Beim Berufsschadensausgleich wie bei einem Schadenersatzanspruch könne der durch die Schädigung eingetretene wirtschaftliche Schaden allein aus der Gegenüberstellung desjenigen Zustandes, der ohne die Schädigung vorhanden wäre, mit demjenigen ermittelt werden, der durch die Schädigung bedingt sei. Diesen Grundsatz bringe auch § 30 Abs. 4 BVG zum Ausdruck, wenn er vorsehe, daß das derzeitige Einkommen dem Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe gegenüberzustellen sei, das der Beschädigte "ohne die Schädigung ... voraussichtlich erhalten würde". Grundsätzlich sei somit von demjenigen Beruf auszugehen, den der Beschädigte vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses ausgeübt habe, weil in aller Regel angenommen werden könne, daß der Beschädigte ohne die Schädigung in diesem Beruf weiter tätig gewesen wäre. Allerdings lasse das Gesetz auch die Möglichkeit offen, einen anderen Beruf zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens heranzuziehen, wenn festgestellt werden könne, daß der Beschädigte diesen - anderen - Beruf ohne die Schädigung ergriffen hätte. Der nach Eintritt der Schädigung ausgeübte "derzeitige" Beruf müsse dann herangezogen werden, wenn der Beschädigte diesen "derzeitigen Beruf" auch ohne die Schädigung voraussichtlich ausgeübt hätte. Damit schieden bei der Betrachtung diejenigen Berufe aus, die ein Beschädigter ohne die Schädigung nicht ergriffen hätte und denen er sich gerade wegen seiner Schädigung zugewandt habe.

Da sich nicht nur das LSG, sondern auch die Beteiligten auf dieses Urteil bezogen haben, wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Urteilsgründe dieser Entscheidung verwiesen. Das LSG hat diesem Urteil im Ergebnis zugestimmt, jedoch die Auffassung vertreten, daß dieser Grundsatz dann nicht gelten könne, wenn der Beschädigte durch eine weitere Schädigungsfolge oder durch eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen in diesem Beruf einen Einkommensverlust erleide. Dies sei auch deshalb geboten, weil die wesentliche Verschlimmerung einer Schädigungsfolge im tatsächlichen Bereich ein neues Schadensereignis darstelle, dessen Wirkungen - also das Schadensausmaß - nach denjenigen Umständen zu beurteilen sei, die im Zeitpunkt seines Wirksamwerdens vorgelegen hätten. Was die Erwerbstätigkeit des Geschädigten angehe, so komme hierbei nicht mehr der alte, sondern der neue Beruf in Betracht.

Der Auffassung des LSG kann jedoch in dieser allgemeinen Form nicht gefolgt werden. Der erkennende Senat stimmt der zitierten Entscheidung des 10. Senats im Grundsatz zu. Das bedeutet, daß es durchaus Fälle geben kann, in denen auch eine Behinderung in dem neuen Beruf einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich begründen kann; so z.B. in all den Fällen, in denen das Einkommen im Umschulungsberuf niedriger ist als in dem ohne die Schädigung wahrscheinlich erreichten Beruf. Ferner ist die Frage des Vorwärtskommens in dem neuen Beruf unter Umständen in den Fällen von Bedeutung, in denen es wahrscheinlich zu machen ist, daß der Beschädigte ohne die Schädigung auch diesen "anderen Beruf" ergriffen hätte. Schließlich kann es auf eine Behinderung im Umschulungsberuf noch dann ankommen, wenn der Beschädigte wegen der Schädigungsfolgen auch den Umschulungsberuf, sei es als bald nach Abschluß der Umschulungsmaßnahmen oder wegen einer später eintretenden Verschlimmerung, nicht mehr ausüben kann. Denn wenn er wegen der Schädigungsfolgen weder die wahrscheinlich erreichte noch diejenige Tätigkeit verrichten kann, auf die er mit Rücksicht auf die Schädigungsfolgen umgeschult worden ist, so hat er ohne Zweifel einen Berufsschaden im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG erlitten. Ob im letztgenannten Falle als Vergleich nur das Einkommen der ohne die Schädigung wahrscheinlich erreichten Berufsgruppe oder das Einkommen, das der Beschädigte in dem neuen Beruf tatsächlich erreicht hat, heranzuziehen ist, kann hier unentschieden bleiben. Denn im vorliegenden Fall kann der Kläger seinen Umschulungsberuf trotz der bei ihm festgestellten 100 %-igen Erwerbsunfähigkeit weiter ausüben. Er begnügt sich nur nicht mit der von ihm im Umschulungsberuf erreichten Position, sondern macht geltend, er wäre in diesem Beruf ohne die Schädigungsfolgen noch weiter aufgestiegen. Solche weitergehenden hypothetischen Minderverdienste sind im Rahmen des § 30 Abs. 3 und 4 BVG jedoch nicht zu entschädigen. Vielmehr hat der 10. Senat insoweit mit Recht betont, daß der Beruf des Beschädigten, den er auf Grund seiner Umschulung ausübt, nicht zur Grundlage der Ermittlung des Durchschnittseinkommens herangezogen werden kann, weil beim Berufsschadensausgleich wie bei einem Schadensersatzanspruch der durch die Schädigungsfolgen verursachte wirtschaftliche Schaden allein aus der Gegenüberstellung desjenigen Zustandes, der ohne die Schädigung vorhanden wäre, mit demjenigen ermittelt werden kann, der durch die Schädigung eingetreten ist.

Wenn der Umschulungsberuf sonach bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs grundsätzlich überhaupt nicht berücksichtigt werden kann, so muß dasselbe im Regelfall auch für eine nachträglich eintretende Verschlimmerung der Schädigungsfolgen gelten. Eine solche Verschlimmerung ist zwar - wie das LSG zu Recht angedeutet hat - bei der Frage der Gewährung von Berufsschadensausgleich nicht schlechthin unbeachtlich. Vielmehr kann sie für die nach § 30 Abs. 4 BVG vorzunehmende Prüfung bedeutsam sein, ob der Beschädigte aus diesem Grunde etwa den erlernten oder angestrebten Beruf nicht mehr oder nur noch unter Hinnahme eines Einkommensverlustes ausüben kann und deshalb zu ermitteln ist, welches höhere Durchschnittseinkommen er in der Berufsgruppe erzielt hätte, der er ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört haben würde. Diese Verschlimmerung kann sich darüber hinaus auch auf den neuen (Umschulungs-) Beruf auswirken, jedoch nur insoweit, als sie dort zu einem Mindereinkommen führt, das nach § 30 Abs. 4 BVG dem höheren Durchschnittseinkommen der wahrscheinlich erreichten Berufsgruppe gegenüberzustellen ist. Nur von diesem letzteren Durchschnittseinkommen - d.h. von dem Einkommen, das in dem ohne die Schädigung erreichten Beruf erzielt worden wäre - ist bei Ermittlung des Einkommensverlustes nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG - auch im Falle einer Verschlimmerung des Leidens - auszugehen. Jedenfalls muß dies dann gelten, wenn die eingetretene Verschlimmerung den Beschädigten nicht zur Aufgabe des Umschulungsberufs zwingt, sondern - wie hier - sich bei der praktischen Berufsausübung so unwesentlich auswirkt, daß sie den Beschädigten nicht daran hindert, nicht nur seine Berufstätigkeit voll auszuüben, sondern auch bis zur höchsten Beförderungsstufe der eingeschlagenen Beamtenlaufbahn emporzusteigen. In diesen Fällen verbleibt es bei dem Grundsatz, daß ein Berufsschadensausgleich nicht zusteht, solange für die ohne die Schädigung wahrscheinlich erreichte und hier maßgebende Tätigkeit ein erheblich niedrigeres Durchschnittseinkommen gilt als dasjenige, das sich bei Zugrundelegung des für die "Aufstiegsposition" in Betracht kommenden Durchschnittseinkommens ergäbe. Denn dann kann man nicht mehr von einem durch die Schädigungsfolgen verursachten Berufsschaden i.S. des § 30 Abs. 3 und 4 BVG sprechen.

Wollte man anders verfahren, so würde der Beschädigte besser gestellt, als wenn er gar keine Schädigung erlitten hätte. Man würde damit den Sinn des Berufsschadensausgleichs in das Gegenteil verkehren. Dabei muß ganz allgemein bedacht werden, daß die Behauptung, man hätte in dem neuen (Umschulungs-) Beruf ohne die Schädigung eine wesentlich höhere Position erreicht, als sie im erlernten, angestrebten und ohne die Schädigung wahrscheinlich erreichten Beruf jemals erzielt worden wäre, in aller Regel schon deshalb mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit vorgebracht werden könnte, weil die Schwerbeschädigten eben nicht gesund und voll erwerbsfähig sind und deshalb die Behauptung, man sei bei der beruflichen Weiterbildung, die neben einer normalen Berufsausübung ganz besondere Anforderungen an Gesundheit und unbeeinträchtigte Schaffenskraft stellt, entscheidend behindert, ohne weiteres einleuchtend erscheint. Das gilt im besonderen Maße, wenn die schädigungsbedingte MdE - wie hier - 100 v.H. beträgt. Wollte man diesen an sich verständlichen Bestrebungen entgegen dem hinreichend eindeutigen Gesetzeswortlaut durch die Gewährung eines entsprechend höheren Berufsschadensausgleichs Rechnung tragen, so würde zugunsten der Schwerbeschädigten unterstellt, daß sie in dem ihnen anfänglich fremden und nur ersatzweise eingeschlagenen Umschulungsberuf - im Gegensatz zu der großen Zahl ihrer dort tätigen gesunden Berufskollegen - ausgesprochene Spitzenstellungen erreicht hätten, ohne daß sie genötigt wären, die tatsächliche Erreichung dieser Position jemals zu beweisen. So hat der Kläger auch im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des LSG den Fernlehrgang der Bayerischen Verwaltungsschule 1956 deshalb abgebrochen, weil ihm die weitere Teilnahme "aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen sowie aus dienstlicher Überlastung nicht mehr möglich" gewesen sei. Die gesundheitlichen Hinderungsgründe stellen hiernach nur einen von drei Faktoren dar, wobei bemerkt werden muß, daß eine dienstliche Überlastung oder "persönliche Gründe" auch nichtbeschädigte Verwaltungsbedienstete von der Teilnahme an einem Fernlehrgang abhalten können. Auf diesen Umstand war allerdings im vorliegenden Fall nicht näher einzugehen, weil es hier jedenfalls unstreitig ist, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen an einem weiteren beruflichen Aufstieg verhindert worden ist. Dafür ist aber seine schädigungsbedingte MdE erhöht worden. Im übrigen kann es nicht im Sinne des Gesetzgebers gelegen haben, Berufsschadensausgleich auch ohne Vorliegen eines echten Berufsschadens i.S. des § 30 Abs. 4 BVG zuzubilligen. Dies ergibt sich auch nicht etwa aus dem Wortlaut von Gesetz und Verordnung, sondern entspricht dem Sinn und Zweck des Berufsschadensausgleichs mit hinreichender Deutlichkeit.

Nach alledem kann der Kläger die Zugrundelegung eines höheren Durchschnittseinkommens (nach Besoldungsgruppe A 11 anstatt A 9) nicht mit der Begründung begehren, er sei in seinem wegen der Schädigungsfolgen ergriffenen Umschulungsberuf als Beamter (Kreisamtsinspektor) wegen einer Verschlimmerung seiner Schädigungsfolgen an einem noch weiteren Aufstieg, und zwar in den gehobenen Dienst, gehindert worden.

Da nach dem unangegriffen festgestellten Sachverhalt des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen einen anderen Beruf als den eines (selbständigen) Friseurmeisters ausüben würde und hierfür unstreitig die vom Beklagten bereits angewandte Besoldungsgruppe A 9 BBesG in Betracht kommt, waren das angefochtene Urteil des LSG, das auf einer Verletzung des § 30 Abs. 4 BVG und des § 2 DVO (1964 und 1968) beruht, sowie die dem gleichen sachlich-rechtlichen Mangel unterliegende erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669172

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