Leitsatz (redaktionell)
1. Die Fristvorschrift des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 erfordert nicht, daß die Versorgungsbehörde innerhalb von 5 Jahren, vom Tage der "unrichtigen Entscheidung" an, die Neuregelung nach KOV-VfG § 42 zu treffen hat, sie besagt vielmehr nur, daß die "erneute Prüfung von Amts wegen" vor Ablauf von 5 Jahren seit der unrichtigen Entscheidung "eingeleitet" sein muß.
2. Wenn die Voraussetzungen des KOV-VfG § 42 Abs 1 gegeben und die Fristen des KOV-VfG § 43 Abs 1 und 2 eingehalten sind, ist der Bescheid mit dem die Versorgungsbehörde erneut entscheidet, auch dann rechtmäßig, wenn sie den Bescheid zu Unrecht auf KOV-VfG § 41 gestützt hat (vergleiche BSG 1960-06-15 11 RV 892/60).
3. Die Verpflichtung zur "Neuregelung" bezieht sich auf die Zukunft und die Vergangenheit.
4. KOVVfG § 42 gilt erst vom 1955-04-01; für die Zeit vorher sind die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts ergänzend heranzuziehen.
Normenkette
KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02, § 42 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, § 43 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, Abs. 2 S. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Januar 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Landesversicherungsanstalt (LVA) B... Abt. Beschädigtenversorgung, erkannte mit Bescheid vom 13. Oktober 1948 auf Grund eines Gutachtens des Facharztes für innere Medizin Dr. W... vom 28. Juni 1948 bei dem Kläger "Zustand nach Mittelohr- und Warzenfortsatzoperation chronische Mittelohreiterung links und Schwerhörigkeit beiderseits" als Schädigungsfolgen nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 an; sie gewährte dem Kläger jedoch zunächst keine Rente, da er durch die "Kriegsleiden" nur um 20 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Mit Bescheid vom 31. Oktober 1949 bewilligte die LVA dem Kläger wegen "chronischer Mittelohrknochenvereiterung, Schwindelgefühl, Zustand nach abgeklungenem Eiweißmangelschaden ohne Folgen, ausgeheiltem Herzmuskelschaden" eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. ab 29. April 1948. Diesem Bescheid lagen ein weiteres Gutachten des Dr. W... vom 25. April 1949 sowie ein Zusatzgutachten des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. R... zugrunde. In dem Gutachten des Dr. W... ist unter "eigener Vorgeschichte" erwähnt: "Vor Diensteintritt nie ernstlich krank gewesen, nach Diensteintritt im Jahre 1944 rechtsseitige Mittelohrentzündung mit Radikaloperation"; in dem Gutachten des Dr. R... heißt es "zur Vorgeschichte": "1936 erstmalig wegen Mittelohrentzündung beiderseits behandelt, eine Operation damals nicht in Erwägung gezogen, 1944 während des Wehrdienstes akute Verschlimmerung des Ohrenleidens rechts und das Ohr daraufhin im Reservelazarett M... operiert".
Mit Schreiben vom 28. September 1950 teilte die Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis G... der LVA mit, daß der Kläger bereits im Jahre 1936 in der Universitätsklinik G... wegen einer chronischen Mittelohreiterung rechts operiert worden sei. Auf Ersuchen der LVA vom 13. Dezember 1950 erstatteten die Ärzte der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in G..., Prof. Dr. F... und Oberarzt Dr. St... im Februar 1951 im Anschluß an eine stationäre Behandlung und Operation des Klägers ein neues Gutachten; sie führten darin aus, der Kläger sei bereits mit 16 Jahren wegen Ohrenlaufens rechts drei- bis viermal ambulant in der Klinik behandelt und im Jahre 1936 am rechten Ohr radikal operiert worden, im Jahre 1943 sei ihm dringend eine Nachoperation angeraten worden, die er gegen ärztlichen Rat abgelehnt habe, damals sei auch eine Mittelohrknocheneiterung links festgestellt worden. In der Beurteilung der Ärzte heißt es, es handele sich bei dem Leiden des Klägers um eine schicksalhaft verlaufene beiderseitige Mittelohrknochenvereiterung, das Leiden sei durch den Wehrdienst nicht beeinflußt worden. Im Oktober 1951 begehrte der Kläger Rentenerhöhung, weil sich sein Ohrenleiden verschlimmert habe. Das Versorgungsamt (VersorgA) Braunschweig stellte mit "Benachrichtigung" vom 24. März 1953 die Versorgungsbezüge des Klägers nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) "vorläufig" fest; es lehnte mit Bescheid vom 25. September 1953 den Verschlimmerungsantrag des Klägers ab. Mit einem weiteren Bescheid vom 1. März 1955 setzte das VersorgA "vorbehaltlich einer späteren verfahrensrechtlichen Nachprüfung" unter Anerkennung einer chronischen Mittelohreiterung im Sinne einmaliger Verschlimmerung als Schädigungsfolge und Übernahme des Grades der MdE von 40 v.H. die Versorgungsbezüge des Klägers nach dem BVG fest. Den Widerspruch gegen die Bescheide vom 25. September 1953 und vom 1. März 1955 wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) mit Bescheid vom 23. Juni 1955 zurück; in diesem Bescheid ist auf die Ausführungen zur Vorgeschichte in dem Gutachten der Universitätsklinik G..., besonders auf die Radikaloperation des rechten Ohres im Jahre 1936, Bezug genommen und auch erwähnt, daß eine Nachprüfung der Versorgungsangelegenheit des Klägers nach dem "Verfahrensgesetz für die Kriegsopferversorgung" erfolgen werde. Das VersorgA verfügte am 28. Juni 1955, daß eine Überprüfung von Amts wegen nach § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerWVG) eingeleitet und gegebenenfalls neu entschieden werden solle Der Kläger erhob Klage beim Sozialgericht (SG) Braunschweiger begehrte die Abänderung der Bescheide vom 25. September 1953 und 23. Juni 1955, Anerkennung der Radikaloperationen rechts und links als Schädigungsfolge und Rente nach einer MdE um mehr als 50 v.H. Das VersorgA erließ mit Zustimmung des LVersorgA während des Klageverfahrens am 21. September 1956 einen "Teilberichtigungs- und Rückforderungsbescheid"; es hob die früheren Bescheide, soweit darin "Zustand nach Mittelohr- und Warzenfortsatzoperation rechts, chronische Mittelohreiterung links, Schwerhörigkeit beiderseits, Schwindelgefühl" als Schädigungsfolge festgestellt (anerkannt) und dem Kläger eine Rente bewilligt worden war, auf, weil die früheren Bescheide insoweit tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien; es forderte ferner von dem Kläger 2.277,- DM als zu "Unrecht empfangene Leistungen" für die Zeit vom April 1948 bis November 1956 zurück. Das VersorgA stützte den Bescheid auf die §§ 41, 47 Abs. 3 VerwVG. Das SG holte ein Gutachten des Prof. Dr. M... von der Hals-, Nasen- und Ohrenabteilung des Städtischen Krankenhauses N... ein. Prof. Dr. M... vertrat die Auffassung, der krankhafte Prozeß am rechten Ohr des Klägers sei nicht auf den Wehrdienst zurückzuführen; die chronische Mittelohreiterung links könne durch die von dem Kläger angegebene Fleckfiebererkrankung ausgelöst worden sein, es sei aber auch denkbar, daß sie einen schon vorher bestandenen Zustand verschlimmert habe. Der Privatdozent Dr. St... von der G... Universitätsklinik vertrat demgegenüber die Auffassung, es sei nicht wahrscheinlich, daß eine Fleckfiebererkrankung das Ohrenleiden beeinflußt habe.
Der Kläger beantragte nunmehr, den "Teilberichtigungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 21. September 1956 aufzuheben", im übrigen nahm er die Klage zurück.
Das SG Braunschweig wies die Klage mit Urteil vom 17. Oktober 1957 ab. Es führte aus, die früheren Bescheide seien zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtig; der angefochtene "Teilberichtigungsbescheid" sei daher nach § 41 VerwVG rechtmäßig.
Der Kläger legte Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen ein, er beantragte, das Urteil des SG Braunschweig vom 17. Oktober 1957 "und die dazu ergangenen Bescheide" sowie den "Teilberichtigungs- und Rückforderungsbescheid" vom 21. September 1956 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 1. Oktober 1951 Rente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. zu gewähren. Der Beklagte trug vor, der angefochtene Bescheid sei auch nach § 42 VerwVG rechtmäßig. Das LSG holte ein weiteres Gutachten ein; darin vertrat der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. S... vom Versorgungskrankenhaus Bad P... die Auffassung, das Ohrenleiden des Klägers, das sich schon in seiner Jugend gezeigt habe, habe einen schicksalhaften Verlauf genommen, es sei durch den Wehrdienst weder hervorgerufen noch verschlimmert worden, auch eine Verschlimmerung durch eine Fleckfiebererkrankung sei praktisch auszuschließen.
Das LSG wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 28. Januar 1960 zurück. Es führte aus, der angefochtene "Berichtigungs- und Rückforderungsbescheid" sei nach §§ 42, 47 VerwVG rechtmäßig. Der Kläger habe bei den früheren ärztlichen Untersuchungen entweder verschwiegen, daß sein Ohrenleiden bereits vor dem Dienstantritt bestanden habe oder jedenfalls verschwiegen, daß er bereits 1936 am rechten Ohr operiert worden sei, er habe auch wiederholt wahrheitswidrig angegeben, daß er während des Kriegsdienstes im Jahre 1944 am rechten Ohr operiert worden sei; dadurch seien die Gutachter getäuscht worden, sie hätten einen unrichtigen Sachverhalt beurteilt; dies habe zu der Anerkennung und Rentenbewilligung in den früheren Bescheiden geführt. Das VersorgA sei daher berechtigt gewesen, den Rentenanspruch des Klägers zu überprüfen und darüber erneut zu entscheiden. Nach dem Ergebnis der erneuten Prüfung sei es nicht wahrscheinlich, daß das Ohrenleiden des Klägers durch Einflüsse des Kriegsdienstes hervorgerufen oder verschlimmert worden sei. Der Bescheid vom 21. September 1956 sei daher rechtmäßig. Auch die Rückforderung sei nach § 47 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VerwVG begründet.
Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil des LSG wurde dem Kläger am 15. Februar 1960 zugestellt. Der Kläger legte am 14. März 1960 Revision ein und beantragte,
1. unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 28. Januar 1960 und des Urteils des SG Braunschweig vom 17. Oktober 1957 den Teilberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 21. September 1956 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1955 und des Bescheides vom 25. September 1953 sowie in Abänderung des Bescheides vom 1. März 1955 zu verurteilen, dem Kläger wegen der anerkannt gewesenen Schädigungsfolgen ab 1. Oktober 1951 Rente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. zu zahlen;
2. hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen zurückzuverweisen.
Der Kläger begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 16. Mai 1960. Er führte aus, das LSG habe die Vorschriften der §§ 42 und 43, 47 VerwVG nicht richtig angewandt; eine "erneute Prüfung" sei nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage der Entscheidung an nicht mehr zulässig gewesen (§§ 42, 43 Abs. 2 VerwVG). Diese Frist sei zur Zeit der Einleitung des "Berichtigungsverfahrens" im Juni 1955 bereits abgelaufen gewesen; das LSG habe zu Unrecht angenommen, der Beginn der Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG sei nicht schon durch den ersten Anerkennungsbescheid vom 13. Oktober 1948, spätestens durch den Bewilligungsbescheid vom 31. Oktober 1949, vielmehr erst durch den Umanerkennungsbescheid vom 1. März 1955 in Lauf gesetzt worden. Das LSG habe auch mit der Feststellung, der Kläger habe Tatsachen, die für die frühere Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen, die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen, überschritten und damit § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG).
Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG), sie ist jedoch nicht begründet.
Angefochten ist der Bescheid des Beklagten vom 21. September 1956 ("Teilberichtigungs- und Rückforderungsbescheid"). In diesem Bescheid hat der Beklagte die früheren Bescheide, soweit er darin das Leiden des Klägers "Zustand nach Mittelohr- und Warzenfortsatzoperation rechts, chronische Mittelohreiterung links, Schwerhörigkeit beiderseits, Schwindelgefühl" als Schädigungsfolge festgestellt (anerkannt) hat, zurückgenommen, er hat ferner festgestellt, diese Leiden seien keine Schädigungsfolgen, er hat schließlich Versorgungsbezüge, die er dem Kläger für die Zeit vom 24. April 1948 bis zum 30. November 1956 gewährt hat, als zu "Unrecht empfangene Leistungen" zurückgefordert. Der Beklagte hat in dem Bescheid erwähnt, der Kläger habe Tatsachen, die für die früheren Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen; er habe insbesondere verschwiegen, daß er bereits im Jahre 1936 operiert worden sei, und er habe falsch angegeben, daß er im Jahre 1944 im Lazarett operiert worden sei.
Das LSG hat diesen Bescheid im Ergebnis zu Recht für rechtmäßig gehalten.
Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG ist nur noch der Bescheid vom 21. September 1956 gewesen. Soweit der Kläger die Bescheide vom 25. September 1953 und vom 1. März 1955 (Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1955) angefochten hat, hat er die Klage vor dem SG zurückgenommen. Diese Bescheide sind daher für die Beteiligten bindend geworden (§§ 77 SGG, 24 Abs. 2 VerwVG); der Kläger hat mit dem Begehren, diese Bescheide aufzuheben, schon deshalb keinen Erfolg haben können; das LSG hat verkannt, daß insoweit der Rechtsstreit zur Hauptsache erledigt gewesen ist (§ 102 Satz 2 SGG); der Beklagte hat diese Bescheide nur zurücknehmen dürfen, wenn er "durch Gesetz" hierzu ermächtigt ist. Soweit es sich um die Rücknahme des Bescheides vom 1. März 1955 (Umanerkennungsbescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1955 gefunden hat) handelt, ist der Bescheid des Beklagten vom 21. September 1956 rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG vorgelegen haben und wenn die Fristen des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 VerwVG (in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Neuordnungsgesetzes vom 21. Juni 1960, BGBl S. 433 ff aF) eingehalten sind. In diesem Falle ist der Beklagte nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen, erneut zu entscheiden. Er hat den Versorgungsfall im vollen Umfange neu regeln müssen; er hat ihn so prüfen müssen, wie wenn ein Sachverhalt zum ersten Male der Beurteilung der Versorgungsverwaltung unterliegt. Die Verpflichtung zur "Neuregelung" nach § 42 VerwVG bezieht sich nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf die Vergangenheit, sie umfaßt auch die Rücknahme rechtswidriger Bescheide, soweit diese Rücknahme Voraussetzung der "Neuregelung" ist. Dabei sind die Voraussetzungen, unter denen die Versorgungsverwaltung nach § 42 VerwVG den Fall neu regeln muß, grundsätzlich andere als die, unter denen sie nach § 41 VerwVG frühere Bescheide zurücknehmen darf. Wenn die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 VerwVG gegeben und die Fristen des § 43 Abs. 1 und 2 VerwVG aF eingehalten sind, ist der Bescheid, mit dem die Versorgungsverwaltung erneut entscheidet, auch dann rechtmäßig, wenn sie den Bescheid zu Unrecht auf § 41 VerwVG gestützt hat (vgl. Urt. des BSG vom 15. Juni 1960, 11 RV 892/60).
§ 42 VerwVG bietet zwar keine Rechtsgrundlage für die Rücknahme der früheren Bescheide, soweit der Kläger auf Grund dieser Bescheide Leistungen für die Zeit vor April 1955 erhalten hat; die Rücknahme eines Bescheides nach § 42 VerwVG wirkt nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwVG (1. April 1955) zurück (vgl. Urt. des BSG vom 26. August 1960, SozR Nr. 9 zu § 41 VerwVG). Auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG, für die eine dem § 42 VerwVG entsprechende Vorschrift fehlt, ist die Versorgungsverwaltung aber nach den ergänzend heranzuziehenden Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts verpflichtet, den Bescheid, den der Begünstigte durch unwahre Angaben oder durch Verschweigen von rechtserheblichen Tatsachen herbeigeführt hat, zurückzunehmen und neu zu entscheiden (vgl. auch insoweit Urt. des BSG vom 15. Dezember 1960, 11 RV 892/60, mit weiteren Hinweisen); sie darf auch in diesem Falle das Verfahren "wiederaufnehmen" und den Sachverhalt neu prüfen; es kommt in diesem Falle nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erwiesen haben (Ziff. 26 der SVA Nr. 11).
Das Vorbringen der Revision, die "Neuregelung" nach § 42 VerwVG sei nicht zulässig gewesen, weil zur Zeit der Einleitung des "Berichtigungsverfahrens" im Juni 1955 bereits fünf Jahre seit den "unrichtigen Entscheidungen" verstrichen seien (§ 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF), trifft nicht zu. Es kann im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben, ob es für den Beginn der Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF auf diese "Entscheidungen" ankommt, oder ob die Frist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF, wie das LSG angenommen hat (ebenso Sauerwein, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung 2. Aufl. Erl. 5 zu § 43 aF), erst durch den letzten Bescheid, "der den Mangel trägt", hier also durch den BVG-Bescheid vom 1. März 1955, in Lauf gesetzt worden ist. Der Beklagte hat zwar bereits mit Bescheid vom 18. Oktober 1948 das Ohrenleiden des Klägers nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften als Schädigungsfolge festgestellt und er hat dem Kläger schon mit Bescheid vom 31. Oktober 1949 wegen dieses Ohrenleidens eine Rente bewilligt; auch gegenüber diesen Bescheiden ist aber die Frist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF gewahrt. Diese Tristvorschrift erfordert nicht, daß die Versorgungsbehörde innerhalb von fünf Jahren, vom Tage der "unrichtigen Entscheidung" an, die Neuregelung nach § 42 VerwVG zu treffen hat, sie besagt vielmehr nur, daß die "erneute Prüfung von Amts wegen" vor Ablauf von fünf Jahren seit der unrichtigen Entscheidung "eingeleitet" sein muß. Im vorliegenden Falle hat die Versorgungsbehörde, nachdem sie durch das Schreiben der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis G... vom 28. September 1950 erfahren hat, daß der Kläger schon im Jahre 1936 in der Universitätsklinik in G... am rechten Ohr radikal operiert worden ist - und nachdem sie damit von dem "Anfechtungsgrund" Kenntnis erlangt hatte-, bereits am 19. Oktober 1950 den Ohrenfacharzt Dr. Sch... in B... unter besonderem Hinweis auf das Schreiben der AOK beauftragt, ein neues Gutachten darüber zu erstatten, ob die Ohrenbefunde des Klägers als "Wehrdienstbeschädigung" anzusehen seien. Die Versorgungsbehörde ist damit auf jeden Fall rechtzeitig im Sinne der Fristvorschriften des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 VerwVG aF "tätig" geworden. Es ist unerheblich, daß die Versorgungsbehörde später noch weitere Ermittlungen vorgenommen hat und daß sie erst im September 1956 die Neuregelung nach § 42 VerwVG getroffen hat (vgl. insoweit auch Urteil des BSG vom 15. Dezember 1960 - 11 RV 892/60 -). Die Versorgungsbehörde hat danach die Fristen, von denen § 43 VerwVG aF die Neuregelung nach § 42 VerwVG abhängig gemacht hat, bereits vor dem Inkrafttreten des VerwVG gewahrt gehabt. Die Versorgungsbehörde hat auch in den späteren Bescheiden vom 25. September 1953, vom 1. März 1955 und vom 25. Juni 1955 zum Ausdruck gebracht, daß sie sich auf Grund des Umstands, daß der zu beurteilende Sachverhalt anders sei, als ihn der Kläger vor der "Erstanerkennung" dargestellt habe, die endgültige Entscheidung über die "Anerkennung" des Ohrenleidens vorbehalten. Wenn die Versorgungsbehörde - möglicherweise zu Unrecht - der Auffassung gewesen ist, sie habe vor dem - bereits seit 1951 erwarteten - Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung keine geeignete Rechtsgrundlage zur Beseitigung der "unrichtigen Anerkennung" gehabt, so ist dies ohne Bedeutung; der Kläger kann sich jedenfalls nicht darauf berufen, daß die Versorgungsbehörde möglicherweise schon früher, etwa auf Grund der Ziffer 26 der SVA Nr. 11 oder auf Grund der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts, die "unrichtige Anerkennung" hätte zurücknehmen können und müssen (vgl. insoweit auch Urteil des BSG vom 15. Dezember 1960 - 11 RV 48/60 -).
Es bleibt danach zu prüfen, ob das LSG ausreichende Unterlagen gehabt hat, um feststellen zu können, der Kläger habe Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen. Dies ist der Fall. Die Revisionsrügen, die der Kläger in bezug auf diese Feststellung geltend macht, greifen nicht durch. Der Kläger hat bei den ärztlichen Untersuchungen, die der Anerkennung des Ohrenleidens als Schädigungsfolge und der Rentenbewilligung vorangegangen sind, jedenfalls verschwiegen, daß er bereits im Jahre 1936 wegen chronischer Mittelohrentzündung rechts auf dem rechten Ohr radikal operiert worden ist, und er hat falsch angegeben, daß er im Jahre 1944 während des Kriegsdienstes im Lazarett M... operiert worden ist. Das LSG hat zutreffend festgestellt, daß der Kläger diese Umstände "wissentlich" verschwiegen bzw. falsch angegeben habe; es hat auch zutreffend angenommen, der Kläger sei nicht im Unklaren darüber gewesen, daß die Tatsachen, die er verschwiegen bzw. falsch angegeben habe, für die Beurteilung des Versorgungsanspruchs von wesentlicher Bedeutung gewesen seien. Das LSG ist auch der Behauptung des Klägers nachgegangen, sein Verhalten sei auf "Zustände der Desorientierung" und auf mangelnde Verständigungsmöglichkeit zurückzuführen, es hat diese Behauptung als widerlegt ansehen dürfen. Das LSG hat auch annehmen dürfen, das Verhalten des Klägers habe dazu geführt, daß die Versorgungsbehörde bei der Beurteilung des Sachverhalts in den früheren Bescheiden auf einen falschen Weg geführt worden ist. Das trifft schon deshalb zu, weil sie dadurch gehindert gewesen ist, die noch vorhandenen Unterlagen der G... Klinik über die Behandlung und Operation des Klägers im Jahre 1936, die für die Beurteilung des Versorgungsanspruchs von wesentlicher Bedeutung gewesen sind, heranzuziehen und auszuwerten. Das LSG hat, wenn es festgestellt hat, der Kläger habe Tatsachen, die für die frühere Entscheidung von Bedeutung gewesen sind, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen, jedenfalls nicht die Grenzen seines Rechts, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen, überschritten; es hat danach § 128 SGG nicht verletzt.
Bei der neuen Entscheidung ist es nach § 1 Abs. 3 und 4 BVG darauf angekommen, ob es nach der neuen Sachdarstellung des Klägers wahrscheinlich ist, daß sein Ohrenleiden durch den Wehrdienst hervorgerufen oder verschlimmert worden ist. Das LSG hat diese Frage eingehend geprüft, es hat sie auf Grund der Gutachten der Ärzte der G... Universitätsklinik und des Gutachtens des Facharztes Dr. S... zu Recht verneint. Das LSG hat dem Gutachten des Prof. Dr. M..., der angenommen hat, es sei "bestenfalls" zu einer Verschlimmerung des linken Ohres durch eine wehrdienstbedingte Fleckfiebererkrankung des Klägers gekommen, keine Bedeutung zumessen müssen; es hat festgestellt, der Kläger habe nicht an einer Fleckfiebererkrankung gelitten; diese Feststellung ist für das Bundessozialgericht bindend, da zulässige und begründete Revisionsrügen gegen sie nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG).
Das LSG hat deshalb im Ergebnis den angefochtenen Bescheid zu Recht für rechtmäßig gehalten, soweit die neue Entscheidung, die der Beklagte in diesem Bescheid getroffen hat, zur Aufhebung der früheren Bescheide und zur Feststellung geführt hat, das Ohrenleiden sei keine Schädigungsfolge.
Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als das LSG die Rückforderung des Betrages von 2.277,-- DM für rechtmäßig gehalten hat. Nach § 47 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a VerwVG ist der Empfänger zur Rückerstattung verpflichtet, wenn er die Versorgungsbezüge deshalb zu Unrecht empfangen hat, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung wesentlich sind, wissentlich nicht angegeben oder verschwiegen hat; § 47 Abs. 3 VerwVG ergreift alle am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Rückforderungsfälle (BSG 6, 11).
Die Revision des Klägers ist hiernach im vollen Umfange als unbegründet zurückzuweisen. Es bleibt dem Beklagten überlassen, zu prüfen, ob von der Ermächtigung des § 47 Abs. 4 VerwVG Gebrauch zu machen ist; nach dieser Vorschrift kann von der Rückforderung ua dann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn sie für den Betroffenen eine besondere Härte bedeutet (vgl. auch Schönleiter/Hennig, VerwVG 1957 Anm. 11 zu § 47 S. 138, 159).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen