Leitsatz (amtlich)

Auf das vom Beginn des Antragsmonats bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen zu gewährende Übergangsgeld werden Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht angerechnet.

Es bleibt offen, ob Arbeitsentgelt und anderes Erwerbseinkommen auf das für diese Zeit zu gewährende Übergangsgeld anzurechnen sind.

 

Normenkette

RVO § 1241 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. März 1960 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die 1902 geborene Klägerin, welche aus der Angestelltenversicherung (AnV) eine Witwenrente von monatlich 191,- DM bezieht, beantragte am 25. April 1957 Rente aus der Arbeiterrentenversicherung (ArV). Vom 5. Februar 1958 bis 5. März 1958 wurde von der Beklagten eine Kur für Herzkranke in Bad Oeynhausen durchgeführt. Nach dem Schlußbericht der Kuranstalt war die Klägerin berufs- und erwerbsunfähig. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. Juli 1958 ein Übergangsgeld für die Zeit vom 1. April 1957 an ab, weil die Witwenrente gemäß § 1241 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf das Übergangsgeld anzurechnen sei. Wegen der seit 31. Dezember 1956 bestehenden Berufsunfähigkeit bewilligte sie Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 6. März 1958 an. Auf die Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) Hamburg mit Urteil vom 26. August 1959 die Beklagte, der Klägerin einen Bescheid über die Gewährung von Übergangsgeld für die Zeit vom 1. April 1957 bis zum 4. Februar 1958 zu erteilen. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheiderteilung entfällt und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt wird, der Klägerin Übergangsgeld für die Zeit vom 1. April 1957 bis zum 4. Februar 1958 ohne Anrechnung der Witwenrente der Klägerin zu zahlen; es hat die Revision zugelassen. § 1241 Abs. 3 RVO schreibe die Anrechnung des Einkommens des Versicherten auf das Übergangsgeld nur während der Durchführung der Heilbehandlung vor, nicht aber für die Zeit vor deren Beginn.

Gegen das der Beklagten am 12. April 1960 zugestellte Urteil hat diese am 27. April 1960 Revision eingelegt und diese am 4. Juni 1960 begründet. Die Beklagte rügt Verletzung des § 1241 RVO. Nach dem Zweck des Gesetzes sei für die Zeit vor Durchführung der Heilbehandlung das Einkommen des Rentenberechtigten auf das Übergangsgeld ebenso anzurechnen wie für die Zeit während der Durchführung der Heilbehandlung. Das Übergangsgeld könne nicht als Ersatz für die sonst zu gewährende Rente angesehen werden. Der Gesetzgeber behandle Übergangsgeld und Rente verschieden. Für die Auslegung sei der Gesichtspunkt entscheidend, daß das Gesetz nicht Rentenersatz, sondern wirtschaftliche Sicherung, mindestens in Höhe des Übergangsgeldes bezwecke. Der Gesetzgeber habe die Berechnung des Übergangsgeldes vollständig von der Rentenhöhe gelöst und auf die wirtschaftlich ausreichende Sicherung des Versicherten abgestellt. Diese Auffassung stehe allerdings der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Januar 1963 teilweise entgegen. Diese Entscheidung überzeuge aber nicht; denn Doppelleistungen sollten verhindert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Hamburg vom 31. März 1960 und des SG Hamburg vom 26. August 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Der von der Beklagten für richtig gehaltenen Auslegung des § 1241 Abs. 3 RVO könne nicht zugestimmt werden. Im übrigen sei die Witwenrente mit 191,- DM keine ausreichende wirtschaftliche Sicherung. Die Gewährung des Übergangsgeldes während des Bezugs von Witwenrente sei daher nicht unbillig.

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf ein Übergangsgeld vom Beginn des Monats, in dem sie den Rentenantrag stellte, bis zum Beginn der Heilbehandlung hat, ohne daß die Witwenrente aus der AnV auf das Übergangsgeld anzurechnen wäre. Der Senat hat dies mit dem Berufungsgericht bejaht.

Nach § 1241 Abs. 3 RVO wird Übergangsgeld insoweit nicht gewährt, als der Versicherte während der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen Arbeitsentgelt, anderes Erwerbseinkommen oder eine Rente aus der ArV, der AnV oder der knappschaftlichen Rentenversicherung (knRV) bezieht. Der 4. Senat des BSG hat mit Urteil vom 24. Januar 1963 - 4 RJ 267/61 (SozR RVO § 1241 Bl. Aa 2 Nr. 2) - die Streitfrage dahin entschieden, daß auf das Übergangsgeld Renten nur für die Zeit anzurechnen sind, während welcher der Versicherungsträger Rehabilitationsmaßnahmen durchführt, daß eine solche Anrechnung jedoch nicht stattfindet für die Zeit vom Beginn des Monats der Rentenantragstellung an bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen. Der erkennende Senat hat sich im Ergebnis dieser Rechtsprechung angeschlossen. Er ist allerdings der Ansicht, daß Abs. 3 des § 1241 RVO, der die Anrechnung bestimmter Einkommen für die Zeit der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen vorschreibt, überhaupt keine Regelung für die Zeit vor dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen enthält. Bei der Fassung des § 1241 Abs. 3 RVO hat der Gesetzgeber nach Ansicht des erkennenden Senats nur eine Regelung des Normalfalles (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO), der die Zeit der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen betrifft, in seinem Blickfeld gehabt. Die Worte in § 1241 Abs. 3 RVO "während der Durchführung der Maßnahmen" sind gewissermaßen nur referierender Natur und sollen nicht zum Ausdruck bringen, daß im übrigen eine Anrechnung nicht stattzufinden habe. Dies wird bestätigt durch die Fassung des Abs. 2 des § 1241, der ganz deutlich erkennen läßt, daß nur eine Regelung für die Zeit während der Durchführung der Maßnahmen getroffen wird. Insbesondere ergibt sich dies aus Satz 1 dieses Absatzes, nach welchem die Höhe des Übergangsgeldes u. a. "von der Zahl der von dem Betreuten vor Beginn der Maßnahmen überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen" abhängig ist. Wäre bei dieser Regelung auch an die Zeit vor dem Beginn der Maßnahmen gedacht gewesen, so würde auf die Zahl der vor dem Ersten des Rentenantragsmonats von dem Betreuten unterhaltenen Familienangehörigen abgestellt worden sein. Wenn aber in Abs. 2 nur eine Regelung des Normalfalles (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO) getroffen worden ist, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß die gesamte, dem Abs. 1 folgende Regelung, also auch die des Abs. 3 nur den in § 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO geregelten Normalfall betrifft.

Man kann also weder sagen, daß der Abs. 3 auch für die Zeit vor dem Beginn der Maßnahmen gilt, noch aber, daß er die Anordnung enthält, daß in der Zeit vor dem Beginn der Maßnahmen keine Anrechnung anderen Einkommens auf das Übergangsgeld stattfinden dürfe. Es fragte sich aber, ob die Regelung des § 1241 Abs. 3 RVO nicht entsprechend auf das für die Zeit vor dem Beginn der Maßnahmen zu gewährende Übergangsgeld anzuwenden ist. Bei Abs. 2 wäre eine solche entsprechende Anwendung unbedingt erforderlich, da sonst eine Berechnung des Übergangsgeldes für die Zeit vor dem Beginn der Maßnahmen überhaupt nicht möglich wäre. Bei Abs. 3 dagegen ist eine entsprechende Anwendung nicht unbedingt erforderlich, es fragte sich aber, ob die Abwägung aller Interessen eine solche entsprechende Anwendung nicht als der Sachlage gemäß anzusehen ist. Im Grundsatz hat der erkennende Senat dies verneint, weil in der Zeit vor Beginn der Maßnahmen eine grundsätzliche andere Interessenlage gegeben ist als in der Zeit während der Durchführung der Maßnahmen. Während der Durchführung dieser Maßnahmen hat der Versicherungsträger Kosten für deren Durchführung aufzubringen, die oft nicht unerheblich sind, und diese kommen dem Versicherten zugute. Es ist daher verständlich, daß der Gesetzgeber den Versicherten während dieser Zeit auf das wirtschaftlich Notwendige beschränkt, d. h. sonstiges Einkommen auf das Übergangsgeld anrechnen läßt. Für die Zeit vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen dagegen hat der Versicherungsträger solche Kosten nicht aufzubringen und dem Versicherten kommen solche nicht zugute, so daß kein Grund ersichtlich ist, ihn während dieser Zeit auf das wirtschaftlich Notwendige zu beschränken. Es entspricht vielmehr der Sachlage, daß er, wenn er nicht mehr arbeitet, neben seinem sonstigen Einkommen das Übergangsgeld unbeschränkt erhält. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, ihm während dieser Zeit, falls er ein entsprechend hohes sonstiges Einkommen hat, die Rente und das Übergangsgeld zu versagen, zumal er grundsätzlich nur wenig Einfluß darauf hat, daß die Rehabilitationsmaßnahmen bald beginnen. Der Umstand, daß das Übergangsgeld unter Umständen höher als die dem Versicherten an sich zustehende Rente ist, kann bei diesen Überlegungen keine Rolle spielen. Denn der Rentenbezug ist während dieser Zeit bewußt ausgeschlossen, um den Versicherten nicht an ein Rentendenken zu gewöhnen, so daß die Rente auch nicht ein Maßstab für die Höhe des auszuzahlenden Übergangsgeldes sein kann. Etwas anderes könnte allerdings hinsichtlich des Arbeitsentgelts und des anderen Erwerbseinkommens gelten. Es würde dem Charakter des Übergangsgeldes als eines Ersatzes des weggefallenen Arbeitseinkommens oder anderen Erwerbseinkommens widersprechen, daß es auch dann gezahlt wird, wenn der Versicherte ausnahmsweise doch noch eine Erwerbstätigkeit ausübt. Es wäre ja auch nicht recht verständlich, wenn er Arbeitsentgelt oder anderes Erwerbseinkommen und außerdem noch das uneingeschränkte Übergangsgeld beziehen würde. Denn dann würde sein Einkommen oft sein vor der Antragstellung bezogenes Arbeitseinkommen oder anderes Erwerbseinkommen übersteigen. Das aber kann nicht dem Sinn dieser Regelung entsprechen. Dieser spezielle Grund für die Anordnung der Anrechenbarkeit in Abs. 3 hat, anders als der alle in dieser Vorschrift aufgezählten Einkommensarten betreffende, oben bereits erwähnte allgemeine Grund, auch für die Zeit vor dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen Bedeutung. Vieles spricht daher dafür, die Regelung des Abs. 3, soweit sie den Arbeitsentgelt bzw. das andere Erwerbseinkommen betrifft, auf die Zeit vor dem Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen entsprechend anzuwenden, d. h. das Arbeitsentgelt und anderes Erwerbseinkommen auf das für diese Zeit an sich zu gewährende Übergangsgeld anzurechnen. Diese Frage bedurfte jedoch keiner Entscheidung, da hier nur über die Anrechenbarkeit einer Rente zu befinden war.

Im vorliegenden Fall hat daher das Berufungsgericht zu Recht der Klägerin das ungekürzte Übergangsgeld für die Zeit vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen zugesprochen, so daß sich die Revision der Beklagten als unbegründet erweist; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375229

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