Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Prozeßbeteiligter darf eine Rechtsmittelfrist voll ausnutzen und kann sich auf eine normale Laufzeit von Postsendungen verlassen, wobei allenfalls geringe, jedoch nicht außergewöhnliche Verzögerungen eingerechnet werden müssen.

2. Bei Telegrammen als der postalisch gegenüber normalen Postsendungen wesentlich schnelleren Übermittlungsart darf, wenn nicht erkennbar, besondere, für eine ungewöhnliche Verzögerung sprechende Gründen vorliegen, ein Beteiligter damit rechnen, daß die Zustellung nach einigen Stunden erfolgt.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Juni 1974 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger fristgerecht Widerspruch gegen einen Beitrags- und gegen einen Strafbescheid der Beklagten eingelegt hat und ob ihm gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Der Kläger ist Rechtsanwalt und Notar in Hildesheim. Er ist Mitglied der Beklagten. Da der Kläger den Lohnnachweis für das Jahr 1970 nicht eingereicht hatte, schätzte die Beklagte das Brutto-Entgelt und setzte den Beitrag für das Kalenderjahr 1970 mit Bescheid vom 29. April 1971 auf 632,48 DM fest. Mit dem Strafbescheid vom 4. Mai 1971 setzte sie eine Ordnungsstrafe in Höhe von 1.280,- DM gegen den Kläger fest. Gegen den Beitragsbescheid legte der Kläger mit einem am 7. Juni 1971 aufgegebenen und laut Eingangsstempel am 8. Juni 1971 bei der Beklagten eingegangenen Telegramm Widerspruch ein. Gegen den bei dem Kläger am 6. Mai 1971 eingegangenen Ordnungsstrafbescheid erhob er mit Schriftsatz vom 5. Juni 1971, der am Dienstag, dem 8. Juni 1971 bei der Beklagten einging, Widerspruch. Die Beklagte wies beide Widersprüche zurück (Bescheid vom 28. September 1971). Der Widerspruch gegen den Beitragsbescheid sei unzulässig, weil er nicht binnen eines Monats nach seiner Bekanntgabe erhoben worden sei, der Widerspruch gegen den Strafbescheid sei unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat die form- und fristgerecht erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 15. September 1972). Der Kläger habe die Widerspruchsfrist gegen den Beitragsbescheid versäumt, er sei der Auflage, diesen Bescheid zur Einsichtnahme zu übersenden, nicht nachgekommen, und es sei davon auszugehen, daß dieser Bescheid dem Kläger spätestens am Montag, dem 3. Mai 1971, zugegangen sei. Der Ordnungsstrafbescheid sei weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 18. Juni 1974). Es hat zur Begründung u. a. ausgeführt, der Beitragsbescheid vom 29. April 1971 sei bindend geworden. Es sei als bewiesen anzusehen, daß dieser Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Der Bescheid sei dem Kläger zwar nicht wie notwendig förmlich, d. h. mindestens mit eingeschriebenem Brief zugestellt worden. Dieser Mangel sei aber nach § 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) geheilt. Der Zeitpunkt des Zuganges lasse sich nicht nur durch eine Erklärung des Klägers, sondern auch durch die Vorlage des Bescheides beweisen, sofern der Kläger einen Eingangsstempel habe anbringen lassen. Der Kläger habe während des gesamten Verfahrens keinerlei Erklärungen darüber abgegeben, wann ihm der Bescheid zugegangen sei und sei weder der Auflage des SG noch der des Berichterstatters des LSG nachgekommen, den Beitragsbescheid einzureichen, noch habe er die Auflage des Senatsvorsitzenden in der Ladungsverfügung vom 5. Juni 1974, den Bescheid in der mündlichen Verhandlung vorzulegen, erfüllt. Nach Empfang der Terminsladung habe er sich mit Schriftsatz vom 12. Juni 1974 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und sich in der mündlichen Verhandlung, nachdem der Senatsvorsitzende die Aufhebung des Termines wegen der nicht erfolgten Vorlage des Bescheides abgelehnt gehabt habe, durch seinen Sohn vertreten lassen, der mit der Sach- und Rechtslage nicht vertraut gewesen sei und auch die Handakten nicht zur Verfügung gehabt habe. Aus dem Verhalten des Klägers sei zu schließen, daß der Beitragsbescheid vom 29. April 1971 einen Eingangsstempel trage, der dessen Zugang bis spätestens 5. Mai 1971 ausweise, so daß der am Dienstag, dem 8. Juni 1971, bei der Beklagten eingegangene Widerspruch verspätet gewesen sei. Auch der Ordnungsstrafbescheid vom 4. Mai 1971 sei, was die Beklagte und das SG übersehen hätten, bindend geworden. Nach seinem eigenen Vorbringen im Widerspruchsschreiben vom 5. Juni 1971 sei ihm dieser Bescheid am 6. Mai 1971 zugegangen. Der Mangel der förmlichen Zustellung sei damit nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt. Die Widerspruchsfrist habe daher am Montag, dem 7. Juni 1971, geendet; der Widerspruch sei jedoch erst am 8. Juni 1971 bei der Beklagten, also verspätet, eingegangen. Das sei von Amts wegen zu berücksichtigen.

Dem Kläger könne auch gegen die Versäumung der Widerspruchsfristen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Eines ausdrücklichen Antrags hätte es insoweit zwar nicht bedurft, die sachlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung lägen jedoch nicht vor. Es sei weder glaubhaft noch rechtfertige es die Wiedereinsetzung, daß der Kläger wegen seines hohen Alters (damals 72 Jahre) und seiner Spezialisierung auf das Bürgerliche Recht und Kommunalrecht die Bedeutung der Widerspruchsfrist nicht erkannt habe. In der Rechtsmittelbelehrung sei er darüber belehrt worden, er habe daher die Widerspruchsfristen schuldhaft versäumt.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Dennoch hat der Kläger dieses Rechtsmittel in rechter Form und Frist eingelegt. Er trägt zur Begründung u. a. vor, das LSG habe seine Aufklärungspflicht verletzt. Während das SG festgestellt habe, der Beitragsbescheid vom 29. April 1971 sei ihm mittels Briefdrucksache übermittelt worden, habe das LSG festgestellt, dieser Bescheid sei ihm durch einfachen Brief übermittelt worden. Briefdrucksachen würden jedoch nicht so zuverlässig befördert wie ordnungsgemäße Briefe. Zum Zeitpunkt des Einganges des Widerspruches hätte festgestellt werden müssen, wann das Telegramm abgegangen und wann es beim Postamt der Beklagten eingegangen sei und ob das Telegramm beispielsweise vom Zustellpostamt zugesprochen worden sei, womit die Frist hätte gewahrt sein können. Ferner hätte festgestellt werden müssen, ob sich am Gebäude der Beklagten ein Nachtbriefkasten befunden habe, auf dessen Vorhandensein sich der Kläger habe verlassen können. Der Bescheid selbst sei offenbar bei ihm unrichtig abgelegt, jedenfalls zur Zeit nicht zu finden. Bezüglich des Ordnungsstrafbescheides sei nicht aufgeklärt, wie es möglich gewesen sei, daß der am 5. Juni 1971 vom Kläger abgesandte Widerspruch erst am Dienstag, dem 8. Juni 1971 und nicht schon rechtzeitig am Montag, dem 7. Juni 1971, bei der Beklagten eingegangen sei. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, daß der Mangel der förmlichen Zustellung nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt sei. Insoweit hätte der Zeitpunkt des Erhaltes nachgewiesen werden müssen. Im übrigen seien nach § 63 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) alle Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt werde, zuzustellen. Wenn das LSG habe feststellen wollen, der Beitragsbescheid habe einen Eingangsstempel spätestens vom 5. Mai 1971 getragen, so hätte der Kläger über den Verbleib der Urkunde vernommen werden müssen, wobei ihm in der Ladung hätte aufgegeben werden müssen, nach dem Verbleib der Urkunde sorgfältig zu forschen (§ 426 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Nach § 450 ZPO hätte ein Beweisbeschluß erlassen werden müssen und der Kläger zu der Vernehmung unter Mitteilung des Beweisbeschlusses persönlich durch Zustellung von Amts wegen geladen werden müssen. Die Verfügung des LSG vom 14. Juni 1974, mit der ihm mitgeteilt worden sei, es sei nicht möglich, den Termin vom 18. Juni 1974 aufzuheben, es würde vielmehr gebeten, den Termin wahrzunehmen, damit der Kläger Fragen des Gerichts beantworten könne, sei ihm erst am 19. Juni 1974 vorgelegt worden, weil er sich entsprechend der voraufgegangenen Mitteilung des Gerichts mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und daher über seine Zeit anderweitig verfügt gehabt habe. Auch bezüglich des Ordnungsstrafbescheides habe das LSG nicht aufgeklärt, wann das unstreitig am 7. Juni 1971 abgesandte Telegramm der Beklagten wirklich zugegangen sei. Ausführungen des Klägers in dieser Richtung hätte es während des Verfahrens nicht bedurft, weil weder die Beklagte noch das SG eine Fristversäumnis bezüglich des Widerspruchs gegen den Ordnungsstrafbescheid festgestellt gehabt hätten. Ohne eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht wäre das LSG jedoch zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung gelangt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Niedersachsen vom 18. Juni 1974 und des SG Hildesheim vom 15. September 1972 sowie den Widerspruchsbescheid vom 28. September 1971 und die Bescheide der Beklagten vom 29. April und 4. Mai 1971 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie vermag einen Verfahrensmangel nicht zu erkennen. Im übrigen seien die vom Kläger vorgebrachten Rügen nicht hinreichend substantiiert.

 

Entscheidungsgründe

Die von dem LSG nicht zugelassene Revision ist statthaft, weil der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens rügt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung, die nach Art. III des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974 - BGBl I, 1625 - auf den vorliegenden Fall noch anzuwenden ist).

Zu Recht rügt der Kläger, das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift liegt vor, wenn das LSG, ausgehend von seiner Rechtsauffassung und nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Ermittlungsergebnis, sich zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt fühlen müssen (BSG 2, 84, 87; SozR Nrn. 7 und 40 zu § 103 SGG). Das ist hier der Fall.

Das LSG hat sowohl den Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 29. April 1971 als auch denjenigen gegen den Ordnungsstrafbescheid vom 4. Mai 1971 als verspätet angesehen und dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfristen gewährt, so daß es eine Sachentscheidung über beide Bescheide nicht getroffen hat. Maßgebend für die Feststellung der Fristversäumnis war für das LSG in beiden Fällen einerseits, da eine förmliche Zustellung nicht erfolgt war, der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuganges der Bescheide und andererseits der Eingang der Widersprüche bei der Beklagten.

Bezüglich des Beitragsbescheides liegt weder ein Absendungsnachweis noch ein Absendungsvermerk vor und der Kläger hat diesen Bescheid trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt und auch keine Erklärung über dessen Zugang abgegeben. Es kann dahinstehen, ob das LSG sein Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten hat, wenn es aus dem Verhalten des Klägers geschlossen hat, der Bescheid trage einen Eingangsstempel des Klägers, der den Zugang bis spätestens 5. Mai 1971 ausweise, ohne den Kläger selbst gehört zu haben. Denn auch bei einem sich daraus ergebenden Fristablauf am 7. Juni 1971 reicht die Feststellung, das Widerspruchstelegramm sei am 7. Juni 1971 aufgegeben und trage den Eingangsstempel der Beklagten vom 8. Juni 1971, nicht aus, um dem Kläger auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen. Das LSG hat den Montag, den 7. Juni 1971, als den letzten Tag der Widerspruchsfrist angesehen und einen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG nicht für erforderlich gehalten. Der Kläger rügt zu Recht, daß es keine Feststellungen über den Zeitpunkt der Aufgabe des Telegramms in Hildesheim, dessen Ankunft in Hamburg und seine weitere postalische Behandlung getroffen hat. Nach herrschender Rechtsauffassung darf ein Prozeßbeteiligter eine Rechtsmittelfrist voll ausnutzen und kann sich auf normale Laufzeiten von Postsendungen verlassen, wobei allenfalls geringe, jedoch nicht außergewöhnliche Verzögerungen eingerechnet werden müssen (BSG 1, 227, 232; 7, 98, 102; SozR Nrn. 17 und 36 zu § 67 SGG; BGHZ 9, 118, 119 ff; BGH in NJW 1963, 296, 297; BAG in AP Nr. 30 zu § 233 ZPO; BFH in BB 1971, 990; BVerwG in Verw. Rechtspr. Bd. 21, 368; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand November 1974, § 67 SGG Anm. 7 a S. 221). So hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine unverschuldete Fristversäumnis angenommen, als ein Telegramm am letzten Tag der Frist um 16.44 Uhr aufgegeben worden war (DStR 1968, 544), nicht dagegen bei einem am letzten Tag aufgegebenen Eilbrief, vielmehr in diesem Fall einen telegrafischen Fristverlängerungsantrag für notwendig gehalten (BB 1969, 783). Bei Telegrammen als der postalisch gegenüber normalen Postsendungen wesentlich schnelleren Übermittlungsart darf, wenn nicht erkennbar besondere, für eine ungewöhnliche Verzögerung sprechende Gründe vorliegen, ein Beteiligter damit rechnen, daß die Zustellung nach einigen Stunden erfolgt. Wenn der Kläger daher das Telegramm, worauf die Zeitangabe "04 18" hindeutet, in den frühen Morgenstunden des 7. Juni 1971 in Hildesheim aufgegeben hat, so durfte er, falls keine entgegenstehenden Gründe erkennbar waren, damit rechnen, daß das Telegramm noch am selben und nicht erst am folgenden Tag bei der Beklagten eingehen werde, zumal er darauf vertrauen durfte, daß die Beklagte geeignete Vorkehrungen getroffen hatte, um die Zustellung von fristwahrenden Schriftstücken auch nach Dienstschluß zu ermöglichen, etwa durch einen Nachtbriefkasten (BVerwG in DVBl 1964 S. 283; BAG aaO; BFH in BB 1971 S. 990).

Hinsichtlich des Widerspruchs gegen den Ordnungsstrafbescheid vom 4. Mai 1971 hat das LSG zwar zutreffend anhand der eigenen Angaben des Klägers in seinem Widerspruchsschreiben vom 5. Juni 1971 festgestellt, daß dieser Bescheid ihm am 6. Mai 1971 zugegangen ist und die Widerspruchsfrist daher ebenfalls am Montag, den 7. Juni 1971, ablief. Auch insoweit rügt der Kläger aber zu Recht, das LSG habe es unterlassen, weitere Feststellungen über die Laufzeit des nach seiner Behauptung am 5. Juni 1971 aufgegebenen Schriftsatzes zu treffen. Zwar trägt dieser den Eingangsstempel der Beklagten vom 8. Juni 1971, der Briefumschlag ist jedoch nicht vorhanden, so daß aus dem Poststempel nicht entnommen werden kann, wann das Schreiben zur Post gegeben worden ist und möglicher weise eine von dem Kläger nicht zu vertretende Verzögerung bei der Postzustellung vorliegt, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würde. Insoweit weist der Kläger mit Recht darauf hin, daß er keinen Anlaß gehabt habe, sich zu diesem Sachverhalt gegenüber dem SG und dem LSG zu äußern, weil weder die Beklagte noch das SG auf diese Fristversäumnis hingewiesen und keine Rechtsfolgen daran geknüpft hätten, ihm dieser Sachverhalt also nicht bekannt gewesen sei. Mangels weiterer Beweismöglichkeiten hätte das LSG den Kläger daher zu einer entsprechenden Äußerung auffordern und ggf. selbst anhören müssen. Zwar gelten im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften über die Parteivernehmung (§§ 445-455 ZPO) nicht. Der Sachvortrag des Klägers ist jedoch in geeigneten Fällen, soweit er glaubhaft ist, zu berücksichtigen (BSG in SozR Nrn. 1 und 2 zu § 445 ZPO).

Aus der an den Kläger gerichteten Aufforderung des LSG vom 14. Juni 1974 ergibt sich, daß das LSG auch die Absicht hatte, den Kläger selbst anzuhören und ihm Fragen zu stellen. Diese "Bitte, den Termin wahrzunehmen" war jedoch angesichts des Hinweises in der Terminladung, es könne auch in seiner Abwesenheit entschieden werden und der Antwort des Klägers, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden und wegen der kurzen Zeit bis zum Termin ungeeignet, eine ordnungsgemäße Anhörung des Klägers sicherzustellen. Es hätte vielmehr der rechtzeitigen Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers bedurft (§ 111 Abs. 1 SGG).

Der Kläger trägt vor, bei Vermeidung der gerügten Mängel wäre das LSG zu einer für ihn günstigeren Entscheidung gelangt. Er bringt damit hinreichend deutlich zum Ausdruck, das Gericht wäre dann in eine Sachprüfung der angefochtenen Bescheide eingetreten und hätte diese als rechtswidrig aufgehoben. Die vorgebrachten Rügen sind daher auch im Sinne von § 164 Abs. 2 SGG hinreichend substantiiert (BSG in SozR Nr. 28 zu § 164 SGG).

Die Revision ist auch begründet, denn es ist nicht auszuschließen, daß das LSG, wenn es in dem oben genannten Sinne verfahren wäre, dem Kläger mindestens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und dann sachlich, möglicherweise auch im Sinne des Klägers entschieden hätte.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659123

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