Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Im Streit ist, ob das dem Kläger zustehende Übergangsgeld aus dem Nettoarbeitsentgelt zu errechnen ist, ohne Abzug eines fiktiven Lohnsteuerbetrages, der vom Arbeitslohn einbehalten werden müßte, falls der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland wohnen würde.
Der 1923 geborene Kläger ist französischer Staatsangehöriger. Er wohnt in Frankreich und arbeitet als Grenzgänger bei einer Firma in der Bundesrepublik Deutschland. Von seinem Bruttoarbeitsentgelt werden nur die Sozialversicherungsbeiträge und keine Lohnsteueranteile abgezogen.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 13. Mai 1980 als medizinische Leistung zur Rehabilitation eine stationäre Heilbehandlung von vier Wochen Dauer, die der Kläger am 15. Juli 1980 antrat. Mit einem weiteren Bescheid vom 27. August 1980 gewährte sie ab 15. Juli 1980 Übergangsgeld, bei dessen Berechnung sie von einem Regellohn von täglich 78,48 DM brutto und einem danach zustehenden Übergangsgeld von 62,78 DM (= 80 v.H. des Regellohnes) ausging. Unter Abzug der fiktiv berechneten Lohnsteuer begrenzte sie das Übergangsgeld auf 51,05 DM täglich.
Die Beklagte half dem gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch nicht ab, sondern leitete ihn an das Sozialgericht (SG) als Klage weiter. Durch Urteil vom 25. Februar 1982 hat das SG die Beklagte verurteilt, das Übergangsgeld ohne den fiktiven Lohnsteuerabzug zu berechnen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten durch Urteil vom 7. Juni 1982 zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt, nach Sinn und Zweck der §§ 1241 i.V.m. 182 Abs. 4 und 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien weder Einkünfte, die nicht im Bemessungszeitraum gezahlt worden seien, noch fiktiv zu berechnende Steuerabzüge zu berücksichtigen. Mit der Bezugnahme auf das "erzielte" Entgelt des Versicherten i.S. von § 182 Abs. 5 Satz 1 RVO wolle das Gesetz die Höhe des Übergangsgeldes an den früheren Lebensstandard ausrichten und auch eine praktikable Anknüpfungsgrundlage für die Berechnung schaffen. Da es also auf das tatsächliche, wirtschaftlich verfügbare Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit ankomme, könnten spätere, rückwirkende Veränderungen im Entgelt oder in den Abzügen nicht berücksichtigt werden. Dem Abzug fiktiv errechneter Lohnsteuern nach deutschem Recht stünde auch die weitere Zielsetzung der gesetzlichen Regelung entgegen. Im Interesse der Verwaltungsvereinfachung solle eine schnelle und endgültige Entscheidung über die Leistungshöhe auf der Grundlage des leicht festzustellenden tatsächlichen Entgelts ermöglicht werden.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Nach ihrer Ansicht führt die Betrachtungsweise der Vorinstanzen zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung ausländischer Staatsangehöriger, die als Grenzgänger im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) versicherungspflichtig beschäftigt sind. Da der Gesetzgeber die Fälle der Grenzgänger sozialversicherungsrechtlich nicht besonders erfaßt und geregelt habe, müsse diese Gesetzeslücke im Wege der Interpretation dahingehend ausgefüllt werden, daß Grenzgänger, die in der Bundesrepublik Deutschland arbeiteten, im Zuge der einheitlichen Rechtsanwendung und Gleichbehandlung aller Rehabilitanden den in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden und arbeitenden Versicherten gleichgestellt werden sollten.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 7. Juni 1982 und das Urteil des SG Speyer vom 25. Februar 1982 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. August 1980 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, die gesetzliche Regelung lasse es nach ihrem Sinn und Zweck nicht zu, der Berechnung des Übergangsgeldes ein fiktives Nettoarbeitsentgelt zugrunde zu legen. Entsprechend der Vorschrift des § 182 Abs. 5 RVO sei von dem Entgelt auszugehen, das im letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum erzielt worden sei. Der Sinn der Regelung sei, die Geldleistung nach dem im Bemessungszeitraum tatsächlich erzielten Entgelt zu bemessen. Für die Ermittlung des Nettoentgelts seien die tatsächlichen Verhältnisse während des letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraums entscheidend. Es komme nicht darauf an, welchen Steuerbetrag der Betreute dem Staat während des Bemessungszeitraums schulde, sondern welcher Betrag tatsächlich vom Lohn einbehalten worden sei.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen werden mußte (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Das dem Kläger während der ab 15. Juli 1980 durchgeführten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation zu gewährende Übergangsgeld ist nach § 1241 Abs. 1 i.V.m. § 182 Abs. 4 und 5 RVO zu berechnen. Es beträgt 80 v.H. des wegen der stationären Heilbehandlung entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn) und darf das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Die Ermittlung des Regellohnes bereitet im Falle des Klägers keine Schwierigkeiten. Die Höhe seines Übergangsgeldes hängt vielmehr davon ab, welches Nettoarbeitsentgelt, das aus dem Bruttoentgelt durch Verminderung um die gesetzlichen Abzüge zu ermitteln ist (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. SozR 2200 § 1241 Nr. 15 m.w.N.), ihm entgangen ist.
Zu den Abzügen in diesem Sinne gehört auch die Lohnsteuer, die der Arbeitgeber des Klägers allerdings nicht bei der Lohnzahlung einbehalten hat, weil der Kläger sogenannter Grenzgänger ist. Für die Steuerpflicht des Klägers gilt Art. 13 Abs. 5 Satz 1 des Abkommens vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern von Einkommen und Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern i.V.m. dem dazu ergangenen Gesetz vom 14. April 1961 (BGBl. II, 397). Danach können Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines der Vertragsstaaten wohnen und im Grenzgebiet des anderen Staates arbeiten, nur in dem Staat besteuert werden, in dem sie ansässig sind. Weil der Kläger aufgrund dieser Regelung keine Lohnsteuern in der Bundesrepublik Deutschland zahlt, setzt die Beklagte bei der Berechnung des Übergangsgeldes einen fiktiven Steuerbetrag an, den der Kläger zu zahlen hätte, wenn er im Bundesgebiet wohnen würde. Dieser Berechnungsmodus entbehrt jedoch der gesetzlichen Grundlage.
Die Höhe des Übergangsgeldes richtet sich nach der für die Berechnung des Krankengeldes maßgebenden Vorschrift des § 182 Abs. 4 und 5 RVO. Die Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) 1408/71 vom 14. Juni 1971 (ABI. vom 5. Juli 1971 - L 149 S. 2 -) enthält in Art. 20 des Titels III Kapitel 1 mit der Überschrift "Krankheit und Mutterschaft" für Grenzgänger eine Bestimmung, wonach die Leistung so zu erbringen ist, als ob der Grenzgänger im Gebiet des Staates wohnte, nach dessen Rechtsvorschriften zu verfahren ist. Für die Berechnung des streitigen Übergangsgeldes gilt indes diese Vorschrift nicht, weil es sich hierbei nicht um eine Leistung wegen Krankheit i.S. des Titels III Kapitel 1 der EWGV 1408/71 handelt. Zwar umfassen von einem Träger der Rentenversicherung zu gewährende Leistungen der medizinischen Rehabilitation, zu denen Übergangsgeld als ergänzende Leistung hinzukommt (§ 1237 b Abs. 1 Nr. 1 RVO) u.a. ärztliche Behandlungen (§ 1237 Nr. 1 RVO). Auch werden sie gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit gemindert ist. Ihr Ziel besteht aber in der Rentenversicherung darin, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern oder wiederherzustellen (§ 1236 Abs. 1 Satz 1 RVO). Deshalb betrifft das von der Beklagten zu gewährende Übergangsgeld i.S. der EWGV 1408/71 keine Leistung wegen Krankheit, sondern eine Leistung zur Vermeidung von Invalidität. Die Vorschriften der Art. 18 ff. dieser Verordnung beziehen sich nur auf Leistungen, wie sie im Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland den Krankenkassen obliegen.
Im Hinblick auf diese Einschränkung kann auch die Verweisung in § 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO auf die Regelung in § 182 Abs. 4 und 5 RVO für die Berechnung des Krankengeldes nicht dazu führen, Art. 20 EWGV 1408/71 auf das Übergangsgeld der Rentenversicherung entsprechend anzuwenden. Die Beklagte weist in ihrer Revisionsbegründung zwar darauf hin, im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sei für die Zahlung von Krankengeld für Grenzgänger im EWG-Recht eine Sonderregelung getroffen worden. Sie will aber ebenfalls Art. 20 EWGV 1408/71 weder unmittelbar noch entsprechend auf das Übergangsgeld angewendet wissen. Vielmehr erstrebt sie eine Gleichbehandlung bei der Berechnung des Krankengeldes und des Übergangsgeldes für Grenzgänger, wofür jedoch zur Zeit die gesetzliche Grundlage fehlt.
Im Recht der Sozialen Sicherheit ist für bestimmte Bereiche auch die Berücksichtigung eines fiktiven Steuerbetrages vorgesehen. So ist etwa bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes nach § 141 d Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dann, wenn ein Arbeitnehmer im Inland nicht einkommenssteuerpflichtig ist, sein Arbeitseinkommen um die Steuern zu vermindern, die im Falle der Steuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben würden. Eine derartige Regelung fehlt für die Berechnung des Übergangsgeldes i.S. des § 1241 Abs. 1 RVO. Allerdings zeigt § 141 d Abs. 2 AFG, daß das sich hier aus der fehlenden Steuerpflicht im Inland ergebende Problem dem Gesetzgeber im Prinzip bekannt ist. Da er es trotzdem unterlassen hat, für das Übergangsgeld den gleichen Berechnungsmodus wie beim Konkursausfallgeld vorzuschreiben, kann eine regelungsbedürftige und -fähige Lücke im Gesetz nicht angenommen werden, die von der Rechtsprechung auszufüllen wäre. Auch das Ergebnis einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenversicherung mit dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vom 3. April 1979 zur Berechnung des "entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts" bei Grenzgängern (wiedergegeben in "Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung", begründet von Northeim u.A., Essen, 13. Aufl. Stand 1. Januar 1983, Teil B zu § 182 RVO S. 394 f.) zeigt keine rechtliche Handhabe auf, die einen fiktiven Steuerabzug ermöglichen könnte. Vielmehr haben sich die Teilnehmer jener Besprechung, die eine solche Handhabung empfohlen haben, mehr von rein pragmatischen Gedanken und von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit leiten lassen. Die derzeitige Rechtslage betreffend die Berechnung des Übergangsgeldes für Grenzgänger sieht auch der erkennende Senat als unbefriedigend an. Er hält sich aber nicht für befugt, korrigierend einzugreifen; vielmehr muß die fällige Harmonisierung dem Gesetzgeber überlassen bleiben.
Wenn auch - mangels einer gesetzlichen Regelung - das Nettoarbeitsentgelt des Klägers nicht unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohnsteuerbetrages ermittelt werden darf, so kann jedoch neben den sonstigen Abzügen der Regellohn um denjenigen Betrag vermindert werden, mit dem das vom Kläger erzielte Arbeitseinkommen an seinem Wohnort in Frankreich besteuert wird. Vom Lohn abgezogen werden dem Kläger zwar keine - deutschen - Steuern, er unterliegt jedoch hinsichtlich dieses Arbeitseinkommens der französischen Steuerpflicht. Die Rechtsprechung hat es bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts auf die "Abzüge" im maßgeblichen Berechnungszeitraum abgestellt, damit das Übergangsgeld schnell berechnet werden kann (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1981 in SozR 2200 § 1241 Nr. 18 m.w.N.). Zu diesen Abzügen sind aber auch solche Einkommensteuern zu rechnen, die der in der Bundesrepublik Deutschland Versicherte an seinem Wohnort als Grenzgänger selbst zu entrichten hat. Das deutsch-französische Abkommen vom 21. Juli 1959 will nur Doppelbesteuerungen vermeiden, nicht dagegen den davon betroffenen Personen andere Vorteile, z.B. in der Sozialversicherung verschaffen. Bei der Feststellung der in Frankreich zu entrichtenden Steuern obliegt dem Kläger eine Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1).
Die erforderlichen, aber noch nicht getroffenen Feststellungen darüber, ob und ggf. welche Steuern auf das in der Bundesrepublik Deutschland erzielte Arbeitseinkommen vom Kläger in Frankreich in dem für das Übergangsgeld maßgeblichen Bemessungszeitraum gezahlt worden sind, wird das LSG nachzuholen haben. Dabei wird es sich unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG davon leiten lassen müssen, daß der Zweck des Übergangsgeldes darin besteht, den durch den verfügbaren Teil des Arbeitseinkommens ermöglichten Lebensstandard während der Maßnahme zur Rehabilitation zu sichern.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.5b RJ 66/82
Bundessozialgericht
Verkündet am
24. Juni 1983
Fundstellen
Haufe-Index 518377 |
BSGE, 177 |