Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11. Mai 1994 bis zum 30. April 1995.
Die am 16. August 1950 geborene Klägerin war vom 24. Februar 1967 bis zum 3. Mai 1994 bei der Deutschen Bundespost beschäftigt. Seit dem 1. Juni 1982 war ihre wöchentliche Arbeitszeit von 33 Stunden auf 17,5 Stunden herabgesetzt. Zusätzlich zu dem 17,5 Stunden entsprechenden Tarifgehalt erhielt die Klägerin eine tarifvertraglich vereinbarte Ausgleichszulage, die in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der tatsächlichen Vergütung und der bis Mai 1982 entsprechend der Wochenarbeitszeit von 33 Stunden bezogenen Vergütung gezahlt wurde. Der Ausgleichszahlung stand die Verpflichtung der Klägerin gegenüber, ggf zusätzliche Arbeitsleistungen bis zur ursprünglichen wöchentlichen Arbeitszeit von 33 Stunden zu erbringen. Die Ausgleichszulage nahm an Tariferhöhungen nicht teil und betrug für den Kalendermonat März 1994 noch 90,22 DM. Tatsächlich leistete die Klägerin keine über die auf 17,5 Stunden herabgesetzte Wochenarbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit.
Den Antrag auf Bewilligung von Alg ab 11. Mai 1994 lehnte die BA ab, da die Klägerin die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Ihr Beschäftigungsverhältnis sei kurzzeitig und damit beitragsfrei gewesen. Sie erfülle auch nicht die Anwartschaftsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Bescheid vom 9. Juni 1994; Widerspruchsbescheid vom 17. August 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Januar 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ausgeführt, die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, da ihre Beschäftigung kurzzeitig iS von § 102 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und damit nach § 169a Abs 1 AFG in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei gewesen sei. Die Kurzzeitigkeitsgrenze bestimme sich ausschließlich nach dem zeitlichen Umfang der Beschäftigung, nicht auch nach der Höhe der Bezüge. Die Nichtberücksichtigung kurzzeitiger Beschäftigungen in der deutschen Arbeitslosenversicherung verletze europäisches Gemeinschaftsrecht nicht. Zwar habe das Bundessozialgericht ≪BSG≫ (Urteil vom 15. November 1995 – 7 RAr 106/94 –) eine mittelbare Diskriminierung iS des Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 der betroffenen Frauen für möglich gehalten, weil eine Beschäftigung unter 18, aber mindestens 15 Wochenstunden durchaus Grundlage für eine eigenständige Lebensgrundlage sein könne und deshalb den betroffenen Personen ein Schutzbedürfnis für die Arbeitslosenversicherung kaum abzusprechen sei. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe aber am 14. Dezember 1995 (Rs C-444/93) entschieden, daß eine derartige nationale Regelung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iS von Art 4 Abs 1 der Richtlinie darstelle. Der vom EuGH entschiedene Fall betreffe zwar eine geringfügige Beschäftigung iS von § 8 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV). Die Entscheidung erstrecke sich aber nicht nur beiläufig, sondern ausdrücklich auch auf die Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung. Der Senat gehe daher davon aus, daß mit dem Urteil des EuGH auch eine verbindliche Entscheidung zur Vereinbarkeit der Nichtberücksichtigung kurzzeitiger Beschäftigungen in der Arbeitslosenversicherung mit europäischem Gemeinschaftsrecht gefallen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, der Nichteintritt von Beitragspflicht von sog Kurzzeitbeschäftigten verstoße gegen Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG, weil hiervon wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen seien. Mit seiner Entscheidung habe der EuGH nicht beantwortet, ob Beschäftigte, die zwar in der Kranken- und Rentenversicherung aufgrund der Einkommens- und Stundenzahl versicherungspflichtig seien, wegen der allein in der Arbeitslosenversicherung höheren Versicherungspflichtgrenze aus dem Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen werden dürften. In den zur Vorabentscheidung herangetragenen Streitsachen sei es insbesondere um den kompletten Ausschluß der sog geringfügig Beschäftigten aus dem Bereich der sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland gegangen. Die von der Bundesregierung im Rahmen des Vorlageverfahrens vorgetragenen Gründe für einen sachgerechten Ausschluß könnten auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 1996, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. Januar 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Juni 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1994 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11. Mai 1994 bis 30. April 1995 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte geht davon aus, daß der EuGH auch die Vereinbarkeit der §§ 169a, 102 AFG mit europäischem Gemeinschaftsrecht festgestellt habe.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Der Klägerin steht Alg ab dem 11. Mai 1994 nicht zu.
Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG – unter weiteren Voraussetzungen – nur, wer die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Anwartschaftszeit hat nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre (§ 104 Abs 3 Halbsatz 1 AFG) und geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 AFG). Die Klägerin hätte die Anwartschaftszeit für den ab 11. Mai 1994 geltend gemachten Anspruch auf Alg daher nur erfüllt, wenn sie in der Zeit vom 11. Mai 1991 bis zum 10. Mai 1994 mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hätte. Das ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht der Fall.
Die Klägerin war in ihrer Beschäftigung bei der Deutschen Bundespost nicht beitragspflichtig, weil sie innerhalb der Rahmenfrist in einer kurzzeitigen Beschäftigung gestanden hat (§ 169a Abs 1 Satz 1 AFG). Hinsichtlich der Konkretisierung der Kurzzeitigkeit verweist § 169a Abs 1 Satz 1 AFG auf § 102 AFG. Hiernach ist kurzzeitig eine Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist (§ 102 Abs 1 Satz 1 AFG). Seit dem Inkrafttreten des AFG am 1. Juli 1969 ist die Kurzzeitigkeitsgrenze als reine Zeitgrenze ausgestaltet. Für das Merkmal der Kurzzeitigkeit ist die vertragliche Vereinbarung und die bei vorausschauender Betrachtung zu erwartende Inanspruchnahme maßgebend (BSG SozR 3-4100 § 102 Nr 1). Den Vorinstanzen ist deshalb darin zuzustimmen, daß bei der Feststellung des zeitlichen Arbeitsumfangs lediglich die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 17,5 Stunden, zugrunde zu legen ist, der auch die tatsächliche Handhabung entsprach. Nicht zu berücksichtigen ist die Ausgleichszulage. Das verdiente Arbeitsentgelt kann nur ausnahmsweise dann in Ansatz gebracht werden, wenn es einen Rückschluß auf tatsächlich geleistete Arbeitszeiten zuläßt (vgl BSGE 71, 4, 7 = SozR 3-4100 § 102 Nr 3). Den an die Klägerin geleisteten Ausgleichszahlungen standen nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG keine tatsächlichen Arbeitsleistungen gegenüber, so daß hierdurch eine Erhöhung der maßgebenden wöchentlichen Arbeitszeit nicht bewirkt werden konnte.
Keine Anwendung findet zugunsten der Klägerin § 169a AFG idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I S 594). Diese Regelung, die nunmehr statt der Kurzzeitigkeitsgrenze die gesamte Geringfügigkeitsregelung des § 8 SGB IV auch in der Arbeitslosenversicherung für anwendbar erklärt, ist am 1. April 1997 in Kraft getreten (Art 83 Abs 3 AFRG; vgl auch die Übergangsvorschrift in § 242y AFG). Eine Rückwirkung auf abgeschlossene Tatbestände hat der Gesetzgeber nicht angeordnet.
Dem LSG ist auch darin zuzustimmen, daß § 169a Abs 1 Satz 1 AFG iVm § 102 Abs 1 Satz 1 AFG in der bis zum 31. März 1997 geltenden Fassung nicht gegen Vorschriften des europäischen Rechts verstößt. Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG, zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vom 19. Dezember 1978 (Amtsblatt Nr 6/24) vor. Der Senat kann unterstellen, daß von der Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung wegen Kurzzeitigkeit der Beschäftigung erheblich mehr Frauen als Männer betroffen sind. Der EuGH hat nämlich – im Leitsatz und unter Nr 32 der Entscheidungsgründe – im Urteil vom 14. Dezember 1995 (Rs C-444/93 – Slg 1995, 4741 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 12) ausgeführt, daß eine nationale Regelung, die Beschäftigungen, „die der Natur der Sache nach auf regelmäßig weniger als 18 Stunden in der Woche beschränkt zu sein pflegen oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt sind”, von der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung ausnimmt, keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iS des Art 4 Abs 1 der Richtlinie darstellt. Damit hat der EuGH ersichtlich die in § 102 Abs 1 Satz 1 AFG enthaltene Legaldefinition des Begriffs der kurzzeitigen Beschäftigung aufgenommen und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die diesbezügliche nationale Regelung, also die Beitragsfreiheit bei kurzzeitiger Beschäftigung nach § 169a Abs 1 Satz 1 iVm § 102 Abs 1 Satz 1 AFG, nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstößt (so schon Beschluß des Senats vom 16. Oktober 1996 – 11 BAr 77/96 –; vgl zur Versicherungspflicht in der Krankenversicherung BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 26).
Vernünftige Zweifel an der Auslegung des hier maßgebenden Gemeinschaftsrechts, die eine Vorlagepflicht des Senats nach Art 177 Abs 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) begründen würden (EuGH Slg 1982, 3415, 3428; BVerwGE 66, 29, 38; Clausnitzer, NJW 1989, S 641 ff), bestehen nicht. Der EuGH hat seine Entscheidung im wesentlichen darauf gestützt, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Mitgliedstaaten für die Sozialpolitik zuständig seien und diese folglich bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen würden. Die von der deutschen Regierung angeführten sozial- und beschäftigungspolitischen Zwecke hätten objektiv nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun. Der deutsche Gesetzgeber habe bei der Ausübung seiner Befugnis zudem in vertretbarer Weise davon ausgehen können, daß die fraglichen Vorschriften zur Erreichung dieses Ziels erforderlich gewesen seien (EuGH Slg 1995, 4741, 4755 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 12). Gegenüber dieser auf die Zuständigkeitsregeln der Art 117 f EGVtr abstellenden Begründung sind weder von der Revision, noch von der Literatur (vgl etwa Eichenhofer, JZ 1996, 414 ff; Rombach SGb 1996, 193 ff; Bieback SGb 1996, 514 ff) durchgreifende neue Argumente vorgetragen worden, die ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren rechtfertigen könnten.
Auch soweit die Revision geltend macht, mit der Entscheidung des EuGH sei die Rechtsfrage nicht beantwortet, ob es mit Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG vereinbar ist, daß Beschäftigte zwar in der Kranken- und Rentenversicherung versicherungspflichtig sind, jedoch aus dem Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen werden, weil es in den zur Vorabentscheidung an den EuGH herangetragenen Streitsachen um den „kompletten Ausschluß” der sog geringfügig Beschäftigten aus dem Bereich der sozialen Sicherungssysteme gegangen sei (ebenso Winkler, info also 1996, 21; vgl auch den Vorlagebeschluß des SG Hamburg vom 31. Juli 1996 – 22 KR 326/94 –, ArbuR 1997, 127), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Der EuGH entscheidet nach § 177 Abs 1 EGVtr im Wege der Vorabentscheidung ua über die Auslegung dieses Vertrages. Bereits diese Funktionszuweisung erschließt, daß die Tätigkeit des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts beschränkt ist, er jedoch nicht befugt ist, den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden, also über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts oder gar des innerstaatlichen Rechts auf den konkreten Einzelfall zu befinden (st Rspr EuGH Slg 1963, 63, 81). Die dem Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren obliegende Aufgabe läßt sich also zusammenfassend dahingehend umschreiben, daß er die ihm von einem innerstaatlichen Gericht vorgelegte gemeinschaftsrechtliche Vorfrage abstrakt und generell zu klären hat (Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm zum EWG-Vertrag, 4. Aufl 1991, Anm 177 Rz 43). Dem dem Ursprungsverfahren zugrundeliegenden Lebenssachverhalt kann deshalb Bedeutung nur insoweit zukommen, als er in der Beantwortung der Rechtsfrage durch das Gericht seinen Niederschlag findet. Der EuGH hat den zeitlichen Umfang der Arbeitstätigkeit der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht in die Beantwortung der ihm gestellten Rechtsfrage einbezogen.
Dem vorstehenden Ergebnis steht das Urteil des 7. Senats des BSG vom 15. November 1995 – 7 RAr 106/94 – nicht entgegen. In dieser Entscheidung vermochte der 7. Senat nicht auszuschließen, daß die §§ 104 Abs 1 Satz 1, 169a Abs 1 Satz 1, 102 Abs 1 AFG gegen Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG verstoßen. Eine Vorlagepflicht nach § 41 Abs 2 SGG besteht für den Senat schon deshalb nicht, weil die Erwägungen des 7. Senats zur Vereinbarkeit der genannten Vorschriften mit europäischem Recht nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung gehörten (vgl BSG GS BSGE 51, 23, 25 = SozR 1500 § 42 Nr 7). Unabhängig davon wäre eine Vorlage jedenfalls nicht erforderlich, weil der erkennende Senat sich einer (später ergangenen) Entscheidung des EuGH anschließt (BSGE 37, 88, 92 = SozR 1500 § 42 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen