Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verletzung des Sozialgeheimnisses. Offenbarung des Leistungsbezugs bei Dritten. fehlende Einwilligung des Leistungsbeziehers
Leitsatz (amtlich)
Der Bezug von Arbeitslosengeld II ist ein Sozialdatum, dessen Offenbarung durch das Jobcenter nur zulässig ist, wenn der Leistungsbezieher eingewilligt hat oder eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis vorliegt.
Normenkette
SGB I § 35 Abs. 1 S. 1, § 37 S. 3; SGB X § 67 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 67a Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 2 Buchst. b, § 67b Abs. 1 S. 1, § 67d Abs. 1, § 69 Abs. 1 Nr. 1, § 20; SGB 2 §§ 50, § 50 ff., §§ 57, § 57 ff.
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2010 wird aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Januar 2010 wird geändert. Es wird festgestellt, dass der Beklagte durch sein Schreiben vom 12. Februar 2008 an den Haus- und Grundbesitzerverein e.V. E und seine Telefonanrufe vom 29. Februar, 3. März und 17. März 2008 beim Haus- und Grundbesitzerverein e.V. E sowie durch sein Telefongespräch vom 19. März 2008 mit dem Ehemann der früheren Vermieterin W F unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart hat.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten sind datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der im Jahr 1957 geborene Kläger zu 1 und die im Jahr 1966 geborene Klägerin zu 2, die verheiratet sind, bewohnten mit ihren in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindern A. (geboren im Jahr 1993) und L. (geboren im Jahr 1997) sowie weiteren Familienangehörigen ein Haus in V. im Landkreis E Mit Schreiben vom 26.7.2007 kündigte die Vermieterin F., vertreten durch den Haus- und Grundbesitzerverein e.V. E (im Folgenden: Haus- und Grundbesitzerverein E.), mit Ablauf des 30.4.2008 das Mietverhältnis. Das Konto mit der von den Klägern selbst hinterlegten Mietkaution betrug zu diesem Zeitpunkt 2611,78 Euro. Am 9.12.2007 unterzeichneten die Kläger einen Mietvertrag für ein Haus in B. im Landkreis B ab 15.2.2008 mit einer Mietkaution in Höhe von 1700 Euro. Die Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters - im Folgenden ebenfalls: Beklagter - bewilligte den Klägern ab 15.2.2008 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Antrag der Kläger, darlehensweise die Mietkaution für das Haus in B. zu übernehmen, wurde abgelehnt, weil die Mietkaution für das Haus in V. zur Begleichung der neuen Kaution eingesetzt werden könne (Bescheid vom 29.1.2008). Zur Begründung ihres Widerspruchs wiesen die Kläger darauf hin, dass ihnen die hinterlegte Mietkaution für das Haus in V. voraussichtlich erst mit Ablauf der sechsmonatigen Prüfungsfrist der Vermieterin und daher weit nach Fälligkeit der Mietkaution für das Haus in B. zur Verfügung stehe. Mit Schreiben vom 12.2.2008 wandte sich der Beklagte wegen der Auszahlung der Kaution an den Haus- und Grundbesitzerverein E. unter dem Betreff "Leistungen nach dem SGB II im Mietverhältnis …" mit Angabe der bisherigen Adresse und des Namens der Kläger und bat ua um Mitteilung des Auszahlungstermins, der Höhe der Kaution und der Gründe hierfür. In der Folgezeit telefonierten Bedienstete der Beklagten am 29.2., 3.3. und 17.3.2008 mit dem Haus- und Grundbesitzerverein E. und erkundigte sich nach dem Sachstand.
Die Kläger beantragten am 28.2.2008 bei dem Beklagten außerdem je einen Schrank für A. und L., weil diese über keine Schränke verfügten, da in dem Haus in V. Einbauschränke gewesen seien. Am 19.3.2008 telefonierte der Beklagte mit dem Ehemann der früheren Vermieterin, der mitteilte, das Haus in V. sei mit Einbauschränken ausgestattet gewesen und die Mietkaution sei abzüglich offener Kosten am 14.3.2008 an die Kläger in Höhe von ca 2000 Euro in bar ausgezahlt worden. Wenige Tage später bewilligte der Beklagte Leistungen zur Anschaffung eines Kleiderschranks für A. und L. Auf die Mitteilung der Kläger, die direkte Kontaktaufnahme mit der früheren Vermieterin sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenklich und ehrverletzend, ging der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 1.4.2008 wegen der Mietkaution nicht ein.
Im Rahmen ihrer am 29.4.2008 erhobenen und auf die Bewilligung einer Mietkaution gerichteten Klage haben die Kläger ua die Verletzung ihres Sozialdatenschutzes durch das Schreiben des Beklagten vom 12.2.2008 geltend gemacht. Erst durch dieses Schreiben habe die Vermieterin von ihrem SGB II-Leistungsbezug erfahren und sie - die Kläger - seien nunmehr dem Hohn und Spott der Familie der ehemaligen Vermieterin ausgesetzt. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.1.2010). Das Landessozialgericht (LSG) hat die auf Feststellung einer unbefugten Offenbarung von Sozialgeheimnissen durch den Beklagten beschränkte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13.10.2010). Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf das Urteil des SG im Wesentlichen ausgeführt: Die Feststellungsklage sei nach § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Es bestehe ein Feststellungsinteresse, weil seitens der Kläger zu befürchten sei, dass der Beklagte bei weiteren Umzügen der Kläger sich ohne deren Zustimmung an die Vermieter wende. Die Feststellungsklage sei jedoch nicht begründet. Der Beklagte habe durch seine Schreiben und den nachfolgenden Telefongesprächen mit dem Haus- und Grundbesitzerverein E. sowie dem Telefongespräch mit dem Ehemann der früheren Vermieterin nicht unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart, sondern bei anderen Personen oder Stellen iS des § 67a Abs 2 Satz 2 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) Sozialdaten erhoben. Der Beklagte habe befugt gehandelt, weil er sich erst nach dem Widerspruch der Kläger an den Haus- und Grundbesitzerverein E. gewandt habe. Selbst wenn der Beklagte sich zunächst an die Kläger mit dem Ersuchen gewandt hätte, eine Bescheinigung des Vermieters über die Auszahlung der Kaution vorzulegen, wäre der Beklagte nicht umhin gekommen, wegen der Schränke sich unmittelbar an die Vermieterin zu wenden. Zwar hätte der Beklagte wegen der Schränke auch eine Inaugenscheinnahme des Hauses in V. durchführen können, da die Kläger zur Zeit der Antragstellung jedoch schon ausgezogen gewesen wären, sei eine Datenerhebung bei der früheren Vermieterin unumgänglich gewesen. Dass die Kläger eine Bescheinigung wegen der Schränke hätten vorlegen können, hätten diese weder behauptet noch gebe es Anhaltspunkte dafür, zumal das Verhältnis zu den Vermietern nach Angaben der Kläger "gespannt" gewesen sei.
Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 35 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) und ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Beklagte habe nicht im Wege der Amtsermittlung ohne ihre vorherige Zustimmung Daten bei Dritten mit der Folge erheben dürfen, dass Sozialdaten wie ihr Bezug von Leistungen nach dem SGB II offenbart würden. Eine Rechtsgrundlage für die umstrittene Offenbarung ihrer Sozialdaten sei nicht ersichtlich. Sie hätten zu keinem Zeitpunkt eine Mitwirkung nach §§ 60 ff SGB I verweigert. Aus ihrem Widerspruch folge keine Rechtfertigung, insbesondere sei es nicht iS des § 67a Abs 1 SGB X erforderlich gewesen, wegen der Abwicklung der Kaution den Vermieter zu kontaktieren. Auch hinsichtlich der Schränke sei keine direkte Kontaktaufnahme mit der früheren Vermieterin notwendig gewesen, die dahingehende Aussage des LSG lasse sich nicht anhand des Beteiligtenvortrags oder der Verwaltungsakten belegen. Es habe keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit ihrer - der Kläger - Angaben gegeben. Es sei nicht erkennbar, dass der Beklagte sich die gewünschten Informationen allein durch die direkte Kontaktaufnahme mit der früheren Vermieterin habe besorgen können.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2010 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Januar 2010 abzuändern und festzustellen, dass der Beklagte durch sein Schreiben vom 12. Februar 2008 an den und seine Telefonanrufe vom 29. Februar, 3. März und 17. März 2008 beim Haus- und Grundbesitzerverein e.V. E sowie durch sein Telefongespräch am 19. März 2008 mit dem Ehemann der früheren Vermieterin W F unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart hat.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, das des SG ist zu ändern und es ist festzustellen, dass das beklagte Jobcenter bzw seine Rechtsvorgängerin durch das Schreiben vom 12.2.2008 an den Haus- und Grundbesitzerverein E. und die Telefonanrufe vom 29.2., 3.3. und 17.3.2008 beim Haus- und Grundbesitzerverein E. sowie durch das Telefongespräch am 19.3.2008 mit dem Ehemann der früheren Vermieterin der Kläger unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart hat.
I. Die von den Klägern erhobene Feststellungsklage ist zulässig.
Mit einer Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Es muss nicht das gesamte Rechtsverhältnis umstritten sein. Es genügt, dass - wie vorliegend - die Feststellung einzelner Rechte und Pflichten begehrt wird, weil umstritten ist, ob das Rechtsverhältnis "so oder anders" besteht (stRspr: BSG vom 11.12.1956 - 1 RA 109/55 - BSGE 4, 184, 185; BSG vom 20.11.2001 - B 1 KR 31/00 R - SozR 3-5915 § 3 Nr 1; BSG vom 25.10.1978 - 1 RJ 32/78 - BSGE 47, 118 = SozR 1200 § 35 Nr 1: Feststellungen der Geheimhaltungspflicht; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 55 RdNr 4).
Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Das "berechtigte Interesse" iS des § 55 Abs 1 SGG geht weiter als das rechtliche Interesse in § 256 Zivilprozessordnung (stRspr: BSG vom 16.7.1958 - 6 RH 89/55 - BSGE 8, 1; BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 18/00 R - SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 64), und es genügt jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 55 RdNr 12; Keller in Meyer/Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 15a; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IV RdNr 96). Das berechtigte Interesse folgt vorliegend - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - aus der möglichen Wiederholungsgefahr, dass der Beklagte wiederum unter Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Wahrung ihres Sozialgeheimnisses Briefe schreibt oder Telefongespräche führt, wenn sie ggf erneut umziehen müssen oder ähnliche Sachverhalte zu klären sind.
Der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage (stRspr: BSG vom 27.1.1977 - 12/8 REh 1/75 - BSGE 43, 148, 150 = SozR 2200 § 1385 Nr 3; BSG vom 5.10.2006 - B 10 LW 4/05 R - SozR 4-1500 § 55 Nr 9) steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage vorliegend nicht entgegen. Denn sie zielt auf eine Feststellung ab, die nicht durch einen Verwaltungsakt geregelt wurde oder geregelt werden kann, und durch die begehrte gerichtliche Entscheidung sind die zwischen den Beteiligten umstrittenen Rechtsverletzungen auch für vergleichbare Situationen in der Zukunft geklärt (im Ergebnis ebenso: BSG vom 25.10.1978 - 1 RJ 32/78 - BSGE 47, 118 = SozR 1200 § 35 Nr 1).
II. Die Feststellungsklage ist begründet.
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 35 Abs 1 Satz 1 SGB I, der lautet: "Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs 1 SGB X) von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis)." Die Vorschrift gilt ebenso wie für alle anderen Sozialleistungsbereiche auch für das SGB II (§ 37 Satz 1, 2 SGB I). Hiergegen hat der Beklagte verstoßen, indem er durch sein Schreiben vom 12.2.2008 und seine Telefonanrufe vom 29.2., 3.3. und 17.3.2008 mit dem Haus- und Grundbesitzerverein E. sowie durch sein Telefongespräch am 19.3.2008 mit dem Ehemann der früheren Vermieterin den SGB II-Leistungsbezug der Kläger bekannt gegeben hat.
Das beklagte Jobcenter und seine Rechtsvorgängerin sind bzw waren Leistungsträger iS des § 35 Abs 1 Satz 1, § 12, § 19a SGB I.
Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Kläger ist ein Sozialdatum iS des § 35 Abs 1 Satz 1 SGB I, § 67 Abs 1 Satz 1 SGB X, weil dies eine Einzelangabe über ihre persönlichen Verhältnisse ist, die vom Beklagten verarbeitet und genutzt wird (vgl nur: Bundesverwaltungsgericht vom 23.6.1994 - 5 C 16.92 - BVerwGE 96, 147: Angabe "Sozialleistung" auf Überweisungsträger).
Der Beklagte hat dieses Sozialdatum der Kläger auch verarbeitet iS des § 35 SGB I. Verarbeiten ist ua das Übermitteln von Sozialdaten, wobei das Übermitteln jede Bekanntgabe von Sozialdaten umfasst, gleichgültig ob sie gespeichert wurden oder nicht (§ 67 Abs 6 Satz 1, 2 Nr 3 SGB X). Das Sozialdatum "SGB II-Leistungsbezug der Kläger" wurde von dem Beklagten durch sein Schreiben vom 17.2.2008 an den Haus- und Grundbesitzerverein E. wegen der Auszahlung der Kaution und durch seine nachfolgenden Telefonanrufe bei dem Haus- und Grundbesitzerverein in dieser Sache sowie durch sein Telefongespräch am 19.3.2008 mit dem Ehemann der früheren Vermieterin wegen der Schränke und der Mietkaution den jeweiligen Adressaten bzw Gesprächspartnern bekannt gegeben und damit übermittelt.
Hierbei handelte der Beklagte unbefugt. Denn die Verarbeitung von Sozialdaten ist nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene eingewilligt hat (§ 67b Abs 1 Satz 1 SGB X). Die Norm ist ein typisches "Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" (Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 67a RdNr 3; Rombach in Hauck/Noftz, SGB X, Loseblatt, Stand Dezember 2011, § 67a RdNr 1 ff; Stähler in Krahmer, Sozialdatenschutz nach dem SGB I und X, 3. Aufl 2011, § 67b SGB X RdNr 5). Beide Erlaubnistatbestände sind jedoch nicht erfüllt.
Dass die Kläger in die genannten Übermittlungen ihrer Sozialdaten eingewilligt haben, hat das LSG nicht festgestellt. Der Beklagte hat keine dahingehenden Aufklärungsrügen erhoben.
Eine gesetzliche Befugnis des Beklagten zur Offenbarung des SGB II-Leistungsbezugs der Kläger gegenüber dem Haus- und Grundbesitzerverein E. als Vertreter der früheren Vermieterin und dem Ehemann der früheren Vermieterin ist nicht gegeben. Dies gilt sowohl für den vom LSG angeführten § 67a Abs 2 SGB X (dazu 1.) als auch für die speziellen Regelungen zur Übermittlung von Sozialdaten nach §§ 67d, 69 SGB X (dazu 2.) sowie für die bereichsspezifischen Datenschutzvorschriften in §§ 50 ff SGB II (dazu 3.) und die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Dritter nach §§ 57 ff SGB II (dazu 4.).
Dass eine Offenbarungsbefugnis nicht aus den (allgemeinen) Vorschriften zur Amtsermittlung hergeleitet werden kann, hat das LSG zu Recht festgestellt, weil die Regelungen über den Datenschutz in § 35 SGB I, §§ 67 ff SGB X denen über die Amtsermittlung in §§ 20 f SGB X gemäß § 37 Satz 3 SGB I vorgehen (BSG vom 15.2.2005 - B 2 U 3/04 R - BSGE 94, 149 = SozR 4-2700 § 63 Nr 2 RdNr 8; vgl zur Literatur nur Bieresborn in von Wulffen, SGB X, § 67a RdNr 6; Didong in Juris Praxiskommentar, SGB I, 2005, § 37 RdNr 14). Der Beklagte hat sich einer solchen Offenbarungsbefugnis auch nicht berühmt.
1. Soweit das LSG eine Offenbarungsbefugnis nach § 67a Abs 2 Satz 2 Nr 2 Buchst b SGB X angenommen hat, kann dem nicht gefolgt werden. Das LSG hat das Offenbaren als befugt angesehen, weil es der Erhebung weiterer Sozialdaten gedient habe. Der Beklagte habe zur Erfüllung seiner Aufgaben bei anderen Personen oder Quellen als den Klägern die Informationen über die Auszahlung der Kaution für das Haus in V. und dessen Ausstattung mit Einbauschränken einholen dürfen. Denn die Kläger hätten zu diesem Zeitpunkt Widerspruch eingelegt und die Sache sei eilbedürftig gewesen. Auch eine Inaugenscheinnahme des Hauses in V. im Hinblick auf die Einbauschränke wäre wegen des schon durchgeführten Umzugs der Kläger ohne Datenerhebung gegenüber der früheren Vermieterin F. ausgeschieden.
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Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob und inwieweit § 67a Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB X eine Befugnis zum Offenbaren von Sozialdaten enthält, wenn nur durch ein solches Offenbaren die nach der Vorschrift zulässige Datenerhebung bei anderen Personen und Stellen möglich ist, sind zumindest die Voraussetzungen der Vorschrift für eine Datenerhebung nicht erfüllt. § 67a Abs 2 SGB X lautet: "Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie nur erhoben werden |
1. |
bei den in § 35 SGB I oder in § 69 Abs 2 genannten Stellen, wenn … |
2. |
bei anderen Personen oder Stellen, wenn |
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a) |
eine Rechtsvorschrift die Erhebung bei ihnen zulässt oder die Übermittlung an die erhebende Stelle ausdrücklich vorschreibt oder |
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b) |
aa) |
die Aufgabe nach diesem Gesetzbuch ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich machen oder |
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bb) |
die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde |
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und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden." |
Schon aus dem Wortlaut der Norm folgt der Vorrang der Datenerhebung beim Betroffenen und eine Datenerhebung bei anderen Personen und Stellen als Ausnahme (vgl "nur" in Satz 2). Hintergrund für die Regelung ist das sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergebende Prinzip, dass der Betroffene "Herr seiner Daten" bleiben soll und entsprechend dem Grundsatz der Transparenz in der Regel keine Datenerhebung und -übermittlung hinter seinem Rücken erfolgen soll (BVerfGE 65, 1, 43 f; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, § 67a RdNr 6 f; Rombach in Hauck/Noftz, SGB X, § 67a RdNr 64 ff; vgl auch die vorliegend einschlägige Pflicht, den Betroffenen über eine Datenerhebung bei einer nicht in § 35 SGB I genannten Stelle im Regelfall zu unterrichten nach § 67a Abs 5 SGB X). Die Vorschrift korrespondiert mit den Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach §§ 60 ff SGB I, §§ 56 ff SGB II (vgl zur Vorlage von Kontoauszügen: BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2; Hinweise des Deutschen Vereins zur Datenübermittlung bei Beratungsleistungen ≪SGB II und SGB XII≫, NDV 2011, 204 ff).
a) Eine Datenerhebung nach § 67a Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB X bei einer der in § 35 SGB I oder in § 69 Abs 2 SGB X genannten Stellen, zu denen insbesondere Leistungsträger nach dem SGB, andere öffentliche Stellen, die Leistung erbringen, usw gehören, liegt nicht vor.
b) Eine Rechtsvorschrift, die eine Datenerhebung bei anderen Personen oder Stellen zulässt oder die Übermittlung von ihnen vorschreibt (§ 67a Abs 2 Satz 2 Nr 2 Buchst a SGB X), ist in Bezug auf den Haus- und Grundbesitzerverein E. oder den Ehemann der früheren Vermieterin nicht gegeben (zum Nichtvorliegen der bereichsspezifischen Regelungen des SGB II siehe unter 3. und 4.).
c) Auch die Voraussetzungen des § 67a Abs 2 Satz 2 Nr 2 Buchst b SGB X, auf die das LSG abgestellt hat, mit den zwei Alternativen - Art der Aufgabe bzw Datenerhebung und unverhältnismäßiger Aufwand - sowie deren gemeinsamen weiteren Voraussetzung, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden, sind nicht erfüllt. Denn jedenfalls die zuletzt genannte gemeinsame Voraussetzung ist nicht gegeben, so dass offenbleiben kann, ob die Ermittlungen überhaupt erforderlich waren.
Das LSG ist auf die Voraussetzung, keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung von schutzwürdigen Interessen der Kläger, in seiner Entscheidung nicht eingegangen und nach den vom LSG im Übrigen getroffenen Feststellungen kann ihr Vorliegen nicht bejaht werden. Sie erfordert eine Abwägung zwischen den Interessen der Kläger an der Geheimhaltung ihrer Sozialdaten und den Interessen des Beklagten an einer direkten Ermittlung ohne Beteiligung der Kläger (vgl Bieresborn in von Wulffen, SGB X, § 67a RdNr 8; Stähler in Krahmer, Sozialdatenschutz, § 67a SGB X RdNr 8.3). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Interessen nicht gleichwertig nebeneinander stehen, sondern keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Kläger vorliegen dürfen.
Dass keine Anhaltspunkte für eine solche Beeinträchtigung gegeben sind, muss nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt verneint werden. Denn die Kläger haben nach den Feststellungen des LSG schon im Widerspruchsverfahren die direkte Kontaktaufnahme mit der früheren Vermieterin und das damit einhergehende Offenbaren ihres SGB II-Leistungsbezugs als ehrverletzend bezeichnet (vgl insofern Rombach in Hauck/Noftz, SGB X, § 67a RdNr 102; Schoch, ZfSH/SGB 2005, 67, 69). Als Gründe für das Verhalten des Beklagten hat das LSG das anhängige Widerspruchsverfahren und die Eilbedürftigkeit der Sache angeführt. Beides vermag aber das Offenbaren des grundsätzlich geheim zu haltenden Sozialdatums "SGB II-Leistungsbezug der Kläger" gegenüber Außenstehenden nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Denn auch während eines Widerspruchsverfahrens sind die allgemeinen Regelungen über die vorrangige Datenerhebung beim Betroffenen (§ 67a Abs 2 Satz 1 SGB X) und zB dessen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff SGB I nicht aufgehoben.
Angesichts des zeitlichen Verlaufs mit dem Schreiben an den Haus- und Grundbesitzerverein E. am 12.2.2008 und dem letztlich erst zu den gewünschten Informationen führenden Telefongespräch mit dem Ehemann der früheren Vermieterin am 19.3.2008 ist eine besondere Eilbedürftigkeit, die ein Absehen von der Datenerhebung beim Betroffenen (§ 67a Abs 2 Satz 1 SGB X) und ein Zurückstellen ihrer schutzwürdigen Interessen an der Geheimhaltung ihres SGB II-Leistungsbezugs rechtfertigen würde, nicht zu erkennen. Nichts anderes folgt aus dem von den Klägern am 27.2.2008 beim SG gestellten Antrag, den Beklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Mietkaution darlehensweise zu übernehmen, der durch Beschluss vom 13.3.2008 - S 12 AS 998/08 ER - abgelehnt wurde. Denn das Schreiben war schon vorher abgesandt worden und der letzte Telefonanruf erfolgte danach.
Dies gilt auch für den am 19.3.2008 getätigten Telefonanruf beim Ehemann der früheren Vermieterin wegen der am 28.2.2008 von den Klägern für ihre Kinder A. und L. beantragten Schränke. Schon die Reaktionszeit der Behörde von ca drei Wochen spricht gegen eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache aus deren Sicht, die ein Absehen von der gesetzlich angeordneten vorrangigen Datenerhebung beim Betroffenen (§ 67a Abs 2 Satz 1 SGB X) unter Preisgabe geheim zu haltender Sozialdaten zu rechtfertigen vermag.
2. Die Voraussetzungen der gesetzlichen Offenbarungsbefugnis zur Übermittlung von Sozialdaten nach § 67d SGB X, von denen nur eine Übermittlung für die Erfüllung sozialer Aufgaben nach § 69 SGB X in Betracht kommt, sind nicht gegeben.
§ 69 SGB X dient dem Datenaustausch der Leistungsträger iS des § 35 SGB I untereinander (vgl BT-Drucks 8/4022 S 84). Adressat der Übermittlung können aber auch nicht öffentliche Stellen sein, wenn die Übermittlung zur Aufgabenerfüllung seitens des Leistungsträgers erforderlich ist (vgl BT-Drucks 8/4022 S 87; Rombach in Hauck/Noftz, SGB X, § 69 RdNr 6c).
Nach der vorliegend allein in Frage kommenden Befugnis nach § 69 Abs 1 Nr 1 SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten zulässig, soweit sie erforderlich ist, für die Erfüllung der Zwecke, für die sie erhoben worden sind, oder für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe der übermittelnden Stelle. Die Übermittlung für Aufgaben eines Dritten, der eine Stelle iS des § 35 SGB I ist, scheidet aus.
Grundvoraussetzung für die beiden verbleibenden Alternativen ist, dass die Datenübermittlung erforderlich ist. Durch das "soweit" im Einleitungssatz von § 69 Abs 1 SGB X als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird die Erforderlichkeit weiter eingeschränkt (BT-Drucks 8/4022 S 84) und angesichts des Grundsatzes der Datenerhebung beim Betroffenen (§ 67a Abs 2 Satz 1 SGB X) bedarf die Datenübermittlung an Dritte, die keine Stelle iS des § 35 SGB I sind, der besonderen Rechtfertigung (vgl Höfer in Krahmer, Sozialdatenschutz, § 69 RdNr 5.3).
Ausgehend von diesem Maßstab war die Erhebung der Daten über die Mietkaution bei dem Haus- und Grundbesitzerverein E. und die Schränke bei dem Ehemann der früheren Vermieterin nicht erforderlich. Auch insofern kann offenbleiben, ob die begehrten Leistungen überhaupt hätten abgelehnt werden dürfen. Jedenfalls hätten Ermittlungen insoweit zunächst bei den Betroffenen erfolgen müssen.
Das Offenbaren gegenüber dem Haus- und Grundbesitzerverein E. war nicht deswegen erforderlich, weil die Kläger persönlich zum Auszahlungstermin der Kaution nur ungenaue Angaben machen konnten. Das LSG hat vielmehr zu Recht auf die Möglichkeit hingewiesen, der Beklagte habe die Kläger um eine Bescheinigung des Vermieters über den Zeitpunkt und die Höhe der auszuzahlenden Kaution bitten können. Aus den Ausführungen des LSG, die Kläger hätten weder behauptet noch gebe es Anhaltspunkte dafür, dass sie eine entsprechende Bescheinigung hätten vorlegen können, zumal das Verhältnis zu den Vermietern nach Angaben der Kläger "gespannt" gewesen sei, folgt nichts anderes, so dass die insofern erhobenen Rügen der Kläger dahingestellt bleiben können. Denn der Vorrang der Datenerhebung beim Betroffenen ist angesichts der vom LSG selbst erkannten Möglichkeit, eine Bescheinigung bei den Klägern anzufordern, von Amts wegen zu prüfen und wird durch unterstellte Schwierigkeiten nicht ohne Weiteres aufgehoben. Im Übrigen hätte der Beklagte nach dem Scheitern eines entsprechenden Versuchs der Datenerhebung bei den Klägern immer noch und ggf in Verbindung mit einer Einwilligung der Kläger den von ihm sofort beschrittenen, letztlich erfolglosen Weg der Datenerhebung bei dem Haus- und Grundbesitzerverein E. beschreiten können.
Gegen einen unverhältnismäßigen Aufwand des Beklagten im Falle einer Datenerhebung bei den Klägern spricht, dass der Beklagte nicht nur das Schreiben an den Haus- und Grundbesitzerverein E. gesandt, sondern auch noch drei Telefongespräche geführt hat. Von daher überzeugt auch die Begründung des SG, auf dessen Urteil das LSG Bezug nimmt, nicht, dass diese "Methode" die "einfachste und schnellste" war. Im Übrigen ist nicht alles, was geeignet und zweckmäßig ist, erforderlich, sondern nur das, was notwendig ist, um die gestellte Aufgabe rechtmäßig, vollständig und in angemessener Zeit erfüllen zu können.
Das Offenbaren des Sozialdatums "SGB II-Leistungsbezug der Kläger" gegenüber dem Ehemann der früheren Vermieterin ist nicht gerechtfertigt, selbst wenn der Beklagte zum Zwecke der Amtsermittlung eine Augenscheinseinnahme durchführen wollte. Denn er hätte sich zunächst entsprechend dem Grundsatz der Datenerhebung beim Betroffenen (§ 67a Abs 2 Satz 1 SGB X) durch eine Augenscheinseinnahme und Datenerhebung bei den Klägern in deren (neuem) Haus in B. davon informieren können, ob Bedarf an den beantragten Schränken besteht oder nicht. War ein solches Vorgehen aus Sicht des Beklagten nicht ausreichend, um über die beantragte Leistung zu entscheiden, so hätte er vor einer Kontaktaufnahme mit dem Dritten eine Einwilligung der Kläger einholen müssen und bei deren Weigerung die Leistung ggf wegen fehlender Aufklärungsmöglichkeiten ablehnen können. Die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen rechtfertigt auch dann, wenn ohne die für erforderlich gehaltene Datenerhebung Beweislosigkeit eintritt, keinen Eingriff in den Datenschutz.
3. Die bereichspezifischen Datenschutzvorschriften in §§ 50 ff SGB II in der Anfang des Jahres 2008 geltenden Fassung aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) scheiden als Offenbarungsbefugnis ebenfalls aus. Denn diese Vorschriften regeln nur die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung vor allem zwischen den verschiedenen Trägern der Grundsicherung und ihren Einrichtungen sowie mit der Wahrnehmung von Aufgaben betrauten Dritten, nicht aber gegenüber anderen Dritten wie einem Haus- und Grundbesitzerverein oder einer Vermieterin bzw deren Ehemann.
4. Aus den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Dritter nach §§ 57 ff SGB II kann keine gesetzliche Befugnis des Beklagten zur Offenbarung des SGB II-Leistungsbezugs der Kläger gegenüber dem Haus- und Grundbesitzerverein E. als Vertreter der früheren Vermieterin und dem Ehemann der früheren Vermieterin hergeleitet werden. Denn nach diesen Normen besteht keine allgemeine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht von Vermietern von Leistungsberechtigten nach dem SGB II gegenüber dem Beklagten, und die speziellen Voraussetzungen der allenfalls in Betracht kommenden Auskunftspflicht nach § 60 Abs 2 SGB II wegen der Mietkaution sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen.
Eine Entscheidung über die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2954889 |
BSGE 2012, 75 |
DB 2012, 18 |