Leitsatz (amtlich)

Gilt ein Kalendermonat nach RVO § 1262 Abs 2 aF für die Erfüllung der Wartezeit als voller Beitragsmonat, weil er - wenn auch nur teilweise - mit Beitragszeiten belegt ist, so werden Wochenbeiträge (Beitragsmarken), die auf den gleichen Monat entfallen, auf die Wartezeit nicht angerechnet.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Bereiterklärung zur wirksamen Nachentrichtung freiwilliger Beiträge liegt nicht vor, wenn die für die Entgegennahme der Erklärung zuständige Stelle weder aus den Worten noch aus dem sonstigen Verhalten des Versicherten, beziehungsweise seines Beauftragten die Bereitschaft der späteren Nachentrichtung entnehmen kann, der Wille zur Nachentrichtung also nicht "erkennbar in Erscheinung getreten ist." Die in RVO § 1242 nF in Bezug genommene Versicherungsfälle.

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs. 2 Fassung: 1945-03-17, § 1250 Fassung: 1957-02-23, § 1242 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 8 Fassung: 1957-02-23, § 44 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Invalidenrente. Für sie waren nach den vorliegenden Quittungskarten Nr. 1 bis Nr. 3 in den Jahren 1941 bis 1952 durch Verwendung von Beitragsmarken insgesamt 229, zum Teil freiwillige Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden, davon vier Beiträge für die vier Kalenderwochen vom 1. bis zum 28. Juni 1942. Außerdem wurden für sie nach einer Arbeitgeberbescheinigung in der Quittungskarte Nr. 1 im Wege des Lohnabzugsverfahrens Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 29. Juni bis 31. Dezember 1942 geleistet. Schließlich entrichtete die Klägerin, nachdem sie sich am 18. Mai 1953 wegen verschiedener Leiden in ärztliche Behandlung begeben hatte, in der am 20. Mai 1953 ausgestellten Quittungskarte Nr. 4 weitere 22 freiwillige Wochenbeiträge. Ihr Rentenantrag vom 28. Mai 1953 wurde von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA.) abschlägig beschieden, auch ihre Klage und Berufung blieben erfolglos.

Das Berufungsgericht geht im Anschluss an eine gutachtliche Stellungnahme des beratenden Arztes der LVA. und in Übereinstimmung mit dieser davon aus, die Klägerin sei jedenfalls seit Beginn der ärztlichen Behandlung (18. Mai 1953) invalide. Für die Erfüllung der Wartezeit kämen daher gemäß § 1443 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. allein die vor diesem Zeitpunkt entrichteten, in den Quittungskarten Nr. 1 bis Nr. 3 enthaltenen "256 Wochenbeiträge" in Betracht. Diese ergäben jedoch, auf Beitragsmonate umgerechnet (§ 1262 Abs. 3 RVO a.F.), nur 59 Monate, reichten also zur Erfüllung der Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht aus. - Die Vorschrift des § 1444 RVO a.F., nach der die Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen unter bestimmten Voraussetzungen der tatsächlichen Beitragsleistung gleichsteht - was zur Folge haben kann, dass auch Beiträge, die erst nach Eintritt der Invalidität geleistet werden, auf die Wartezeit anzurechnen sind -, sei im vorliegenden Fall schon deswegen nicht anwendbar, weil es an einer Bereiterklärung im Sinne dieser Vorschrift fehle. Der Ehemann der Klägerin sei zwar, wie die Beweisaufnahme ergeben habe, noch zu einer Zeit, als die Klägerin nicht invalide gewesen sei, nämlich einige Wochen vor dem letzten Kartenumtausch (20. Mai 1953), auf dem zuständigen Versicherungsamt erschienen, um die alte Karte gegen eine neue einzutauschen und dabei zugleich die später beanstandeten 22 Beitragsmarken in die neue Karte einzukleben. Bei dieser Vorsprache, die im übrigen wegen des starken Publikumsandranges nur von kurzer Dauer gewesen sei, habe er jedoch dem diensthabenden Verwaltungsangestellten - durch Hochhalten der vollgeklebten Karte - lediglich zu erkennen gegeben, dass er die alte Quittungskarte umtauschen wolle. Zur Entrichtung von Beitragen habe er sich damals weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten bereiterklärt.

Gegen diese rechtliche Würdigung des Beweisergebnisses richtet sich die - vom Landessozialgericht zugelassene - Revision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, dem Verhalten ihres Ehemannes vor dem Versicherungsamt sei schlüssig zu entnehmen, dass er die alte Quittungskarte zum Zwecke der alsbaldigen Verwendung weiterer Beitragsmarken habe umtauschen wollen, zumal er, wie auch das Berufungsgericht unterstelle, die später beanstandeten Marken damals bereits bei sich gehabt habe.

Die Revision ist nicht begründet.

Soweit die Klägerin Rente für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) - 1. Januar 1957 - verlangt, ist ihr Rentenanspruch - sowohl was die Anrechnung der erst 1953 geleisteten Beiträge betrifft, als auch hinsichtlich der Umrechnung der früheren Wochenbeiträge in Beitragsmonate - noch nach altem Recht zu beurteilen, da die Übergangsvorschriften des ArVNG weder der neuen Bestimmung über die Sachentrichtung freiwilliger Beiträge (§ 1419 RVO) noch der Neuregelung der Umrechnung von Wochenbeiträgen (§ 1250 Abs. 2 RVO) Rückwirkung beilegen (Art. 2 §§ 5 ff. ArVNG).

Das angefochtene Urteil unterliegt zunächst insofern keinen rechtlichen Bedenken, als es die Klägerin jedenfalls seit dem 18. Mai 1953, dem Beginn der ärztlichen Behandlung, für invalide hält. Da nach Eintritt der Invalidität grundsätzlich keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet werden dürfen (§ 1443 RVO a.F.), sind die von der Klägerin nach dem 18. Mai 1953 geleisteten freiwilligen Wochenbeiträge (22) unwirksam und damit von der Anrechnung auf die Wartezeit ausgeschlossen, sofern sie nicht ausnahmsweise auf Grund des § 1444 RVO a.F. noch wirksam nachentrichtet werden konnten. Das ist indessen mit dem Berufungsgericht zu verneinen. Nach § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. steht der Entrichtung der Beiträge im Sinne des § 1443 RVO a.F. die Bereiterklärung des Versicherten zur Nachentrichtung gegenüber einer zuständigen Stelle gleich, wenn die Beiträge demnächst in angemessener Frist nachentrichtet werden. Eine wirksame Nachentrichtung freiwilliger Beiträge setzt mithin voraus, dass der Versicherte sich rechtzeitig, d.h. vor Eintritt der Invalidität, einer zuständigen Stelle gegenüber zur Nachentrichtung bereiterklärt hat. Welche Anforderungen im einzelnen an eine solche Erklärung zu stellen sind, wird im Gesetz nicht gesagt, bedarf hier auch keiner näheren Untersuchung. Eine Bereiterklärung in diesem Sinne liegt jedenfalls nicht vor, wenn die für die Entgegennahme der Erklärung zuständige Stelle weder aus den Worten noch aus dem sonstigen Verhalten des Versicherten bzw. seines Beauftragten die Bereitschaft zur späteren Entrichtung der Beiträge entnehmen kann, der Wille zur Nachentrichtung also nicht "erkennbar in die Erscheinung getreten ist" (EuM. Bd. 40, 219 [221]).

Nach den auf Grund der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichtes hat der Ehemann der Klägerin, der unbedenklich als ihr Vertreter angesehen werden kann (vgl. auch § 73 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), zwar noch zu einer Zeit, als die Klägerin nicht invalide war, auf dem nach § 1444 RVO a.F. zuständigen Versicherungsamt vorgesprochen, bei dieser Gelegenheit aber keine Erklärungen abgegeben, aus denen der diensthabende Verwaltungsangestellte die Bereitschaft zu alsbaldiger oder späterer Beitragsentrichtung hätte entnehmen können. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision bietet auch das sonstige Verhalten des Ehemanns der Klägerin keine Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Bereiterklärung; insbesondere kann, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, aus dem Hochhalten einer mit Beitragsmarken beklebten Quittungskarte - inmitten eines überfüllten Amtszimmers - allenfalls auf die Absicht zum Umtausch der Karte, dagegen - für sich allein - nicht auf den Willen zur Entrichtung von Beiträgen geschlossen werden. Wenn die Revision insoweit eine Berücksichtigung des Umstandes vermisst, dass der Ehemann der Klägerin bei seinem Erscheinen auf dem Versicherung samt Beitragsmarken zum sofortigen Einkleben in die neu auszustellende Quittungskarte bereitgehalten habe, so übersieht sie, dass dieser Umstand für Außenstehende, namentlich den Angestellten des Versicherungsamts, nicht erkennbar war und deshalb keinen "Erklärungswert" besaß. Hat hiernach das Berufungsgericht mit Recht angenommen, dass eine Bereiterklärung zur Entrichtung der erwähnten 22 freiwilligen Wochenbeiträge vor Eintritt der Invalidität der Klägerin nicht vorliegt, so müssen diese Beiträge, weil unwirksam entrichtet, für die Erfüllung der Wartezeit unberücksichtigt bleiben.

Der Senat hat weiter erwogen, ob die Klägerin die Wartezeit nicht auch ohne jene 22 Beiträge erfüllt hat, diese Frage jedoch ebenfalls verneint. Dem Berufungsgericht kann freilich darin nicht gefolgt werden, dass die Klägerin in den von ihr vorgelegten Quittungskarten Nr. 1 bis Nr. 3 ausschließlich Wochenbeiträge (256) entrichtet habe. Diese im Bereich der rechtlichen Würdigung liegende Annahme wird durch die tatsächlichen Feststellungen widerlegt, die das Berufungsgericht selbst im Wege der Bezugnahme auf die Rentenakten der beklagten LVA. getroffen hat. Aus der Arbeitgeberbescheinigung in der Quittungskarte Nr. 1 ergibt sich nämlich, dass die Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 1942 (dem Tage, an dem die Zweite Lohnabzugsverordnung vom 24. April 1942 in Kraft trat) bis zum 31. Dezember 1942 nicht Wochenbeiträge in Form von Beitragsmarken entrichtet, sondern - als versicherungspflichtig Beschäftigte - Beitragsmonate im Sinne des § 1262 RVO a.F., d.h. Lohnabzugszeiten, zurückgelegt hat. Für die voll mit Beitragszeiten belegten Monate Juli bis Dezember 1942 hätten ihr daher sechs Beitragsmonate und für den teilweise mit Beitragszeiten belegten Juni 1942 (29. und 30. Juni) ein weiterer Beitragsmonat, insgesamt also sieben Beitragsmonate angerechnet werden müssen (§ 1262 Abs. 2 RVO a.F.). Dadurch wird indessen für die Klägerin im Ergebnis nichts gewonnen, da infolge Anrechnung des Monats Juni 1942 als voller Beitragsmonat (§ 1262 Abs. 2 RVO a.F.) die von der Klägerin in den ersten vier Juniwochen (1. bis 28. Juni 1942) noch in Form von Beitragsmarken entrichteten vier Wochenbeiträge für die Erfüllung der Wartezeit ausscheiden. Zwar schreibt § 1262 RVO in der Fassung, die er durch die Erste Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 erhalten und bis zum Inkrafttreten des ArVNG behalten hat, im Gegensatz zu der früheren Vorschrift des § 1262 Abs. 3 RVO (Fassung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937) nicht mehr vor, dass für jede Kalenderwoche nur ein Beitrag gilt. Diese Vorschrift erübrigte sich indessen nach der Änderung des § 1262 RVO durch die Erste Vereinfachungsverordnung schon deswegen, weil fortan nicht mehr die Zahl der entrichteten Wochenbeiträge für die Erfüllung der Wartezeit maßgebend war, sondern die Dauer der zurückgelegten Beitragszeiten, bei denen es, anders als bei Wochenbeiträgen, schon begrifflich ausgeschlossen ist, dass mehrere auf denselben Zeitabschnitt entfallen. Der Wegfall der früheren, inzwischen überflüssig gewordenen Vorschrift des § 1262 Abs. 3 RVO i.d.F. des Jahres 1937 bedeutete mithin nicht die Preisgabe des Grundsatzes, dass für die Erfüllung der Wartezeit der Ablauf einer bestimmten, gesetzlich festgelegten Zeitspanne erforderlich ist, die nicht durch mehrfache Entrichtung von Beiträgen für den gleichen Zeitraum willkürlich verkürzt werden darf. Nur so kann auch der mit der Wartezeit verfolgte Zweck erreicht werden, durch Ausschaltung der schlechtesten Risiken, zu denen in der Regel diejenigen gehören, bei denen der Versicherungsfall innerhalb der Wartezeit eintritt, das Wagnis der Rentenversicherung in tragbaren Grenzen zu halten (vgl. Verbandskomm. zur RVO, 6. Aufl. 1953, Vorb. vor §§ 1245 ff., 2a). Im vorliegenden Fall müssen deshalb die von der Klägerin für die ersten vier Juniwochen des Jahres 1942 entrichteten Wochenbeiträge unberücksichtigt bleiben, da der Monat Juni 1942 bereits nach § 1262 Abs. 2 RVO a.F. als ein voller Beitragsmonat auf die Wartezeit anzurechnen ist. Die Klägerin hat somit, abgesehen von den unwirksamen Beiträgen der Quittungskarte Nr. 4 und den auf die Zeit vom 29. Juni bis 31. Dezember 1942 entfallenden sieben Beitragsmonaten, nur 225 Wochenbeiträge aufzuweisen, die nach § 1262 Abs. 3 RVO a.F. als weitere 52 Beitragsmonate gelten. Da hiermit die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht erfüllt wird, ist das klagabweisende Urteil des Berufungsgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der Rentenanspruch der Klägerin ist schließlich auch nach dem am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen neuen Rentenrecht nicht begründet. Die in § 1249 RVO n.F. in Bezug genommene Vorschrift des § 1250 RVO n.F., wonach früher geleistete Wochenbeiträge - im Gegensatz zum bisherigen Recht (§ 1262 Abs. 3 RVO a.F.) - auch dann auf volle Kalendermonate aufzurunden sind, wenn bei der Umrechnung in Versicherungszeiten ein Rest von weniger als vier Wochenbeiträgen zurückbleibt (§ 1250 Abs. 2 Satz 2 RVO n.F.), gilt zwar nach Art. 2 §§ 8, 44 ArVNG mit Rücksicht auf die erwähnte Bezugnahme auch für den vorliegenden, bereits im Jahre 1953 eingetretenen Versicherungsfall. Die neue Vorschrift kommt jedoch der Klägerin nicht zugute; denn die von ihr wirksam entrichteten 225 Wochenbeiträge sind nach § 1250 Abs. 2 Satz 1 RVO n.F. in 52 Kalendermonate umzurechnen, ohne dass ein Rest von weniger als vier Wochenbeiträgen verbleibt. Da die Klägerin außerdem nur noch eine Versicherungszeit von sieben Monaten - durch Abführung von Pflichtbeiträgen im Lohnabzugsvorfahren - zurückgelegt hat (§ 1250 Abs. 3 RVO n.F.), ergibt sich für sie insgesamt eine Versicherungszeit von 59 Kalendermonaten, die zur Erfüllung der Wartezeit nicht ausreicht (§ 1246 Abs. 3 RVO n.F.). Der Klägerin steht somit auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 kein Rentenanspruch zu. Ihre Revision ist deshalb im vollen Umfange zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340702

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