Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 16.09.1955)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. September 1955 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die in Berlin ansässige Klägerin, ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, warb für ihre Erzeugnisse, indem sie diese durch Beauftragte (Werber, Ärztebesucher) bei den in Berlin praktizierenden Ärzten empfehlen ließ. Ihre Werber Kurt R. und Paul S. hatten die Ärzte einzeln aufzusuchen und Zusammensetzung sowie Wirkungsweise der Präparate zu erklären, Probepackungen zu verteilen und später nach den damit gemachten Erfahrungen zu fragen; über die Ergebnisse ihrer Tätigkeit mußten sie der Klägerin laufend – etwa wöchentlich einmal – berichten. Die von der Klägerin mit dem Werber R. am 29. Juni 1950 getroffene Vereinbarung über die Werbetätigkeit hat folgenden Wortlaut:

  1. „Herr B. ist für die Firma Farmaryn-Gesellschaft ab 1.7.1950 freiberuflich als Ärztevertreter tätig.
  2. Er erhält pro Arbeitstag einen Pauschalbetrag von DM West 15,–.
  3. Herr B. verpflichtet sich, pro Arbeitstag mindestens sechs Besuche zu machen.
  4. Herr F. wird über seine Tätigkeit laufend Berichte anfertigen. Die Einzelheiten über die Anfertigung der Berichte werden nach Weisung der Wissenschaftlichen Abteilung der Firma Farmaryn-Gesellschaft festgelegt.
  5. Die an Herrn, R. zu zahlenden Bezüge werden verrechnet mit dem von Herrn R. der Firma Farmaryn-Gesellschaft geschuldeten Betrag, und zwar mit der Maßgabe, daß 75,– DM monatlich von den an Herrn R. zu zahlenden Bezügen einbehalten werden.
  6. Herrn R. ist gestattet, auch eine andere Firma neben der Firma Farmaryn-Gesellschaft zu vertreten, es sei denn, daß es sich um die Vertretung von Konkurrenzpräparaten handelt.
  7. Nach Beendigung der in Ziffer 5 erwarteten Berechnung bleibt eine Weiterbeschäftigung von Herrn R. vorbehalten.”

Die Vereinbarung mit dem Werber S. deren Wortfassung das Landessozialgericht (LSG.) nicht festgestellt hat, lautet ähnlich. Dieser erhielt als Vergütung je Arbeitstag: in der Zeit vom 15. August 1951 bis 14. September 1951 10,– DM und in der Zeit vom 15. September 1951 bis zum 30. November 1951 15,– DM. Die tägliche Vergütung für R. betrug: in der Zeit vom 1. Juli 1950 bis 30. September 1950 15,– DM und ab 1. Oktober 1950 20,– DM. Die Klägerin zahlte diese Sätze ohne Abzüge für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge aus. Nach den Feststellungen der beklagten Krankenkasse waren die beiden Ärztebesucher vom Finanzamt zur Einkommensteuer veranlagt und besaßen eigene Gewerbegenehmigungen. S. war nach seinen Angaben hauptberuflich und ausschließlich für die Klägerin tätig. Die Beklagte erblickte in der Tätigkeit der Ärztebesucher ein Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und gab der Klägerin mit Bescheid vom 8. Januar 1952 auf, die beiden Ärztebesucher zur Versicherung zu melden und die für sie fälligen Beiträge zu entrichten.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde vom 22. Januar 1952 machte die Klägerin geltend, die genannten Ärztebesucher seien selbstständige Gewerbetreibende, da sie eine Gewerbeerlaubnis besäßen und ihre Einkünfte selbst versteuerten. Deshalb treffe die Klägerin keine Melde- und Beitragspflicht gegenüber der Beklagten. Der Beschwerdeausschuß der Beklagten wies die Beschwerde am 10. März 1952 zurück; er beurteilte die Ärztebesucher als im Außendienst der Klägerin tätige Handlungsgehilfen.

Die Klägerin legte gegen die vom Beschwerdeausschuß getroffene Entscheidung am 28. März 1952 Beschwerde beim Sozialversicherungsamt Berlin ein. Diese ging nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Berlin über. Das SG. wies die Klage ab: Für die Frage, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliege, komme es nicht auf die dafür von den Vertragspartnern gewählte Bezeichnung an, sondern darauf, ob ein wirtschaftliches und persönliches Abhängigkeitsverhältnis zum „Auftraggeber” der Beschäftigten bestehe. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ärztebesucher von der Klägerin ergebe sich daraus, daß sie nach der Höhe ihres monatlichen Gesamteinkommens mit sonstigen Angestellten der Klägerin gleichgestellt seien. Hieran ändere sich auch nichts durch die Tatsache, daß es den Ärztebesuchern vertraglich gestattet sei, noch für eine andere Firma tätig zu sein, da die von ihnen geforderte Arbeitsleistung – bei einem Tagessoll von sechs bis acht Arztbesuchen – so groß sei, daß sie praktisch nicht imstande seien, von ihrem vertraglichen Recht, auch noch eine andere Firma zu vertreten, Gebrauch zu machen. Das den Werbern auferlegte Tagessoll und ihre Verpflichtung, nach näheren Weisungen der wissenschaftlichen Abteilung der Klägerin laufend über ihre Besuchstätigkeit zu berichten, bedinge auch die persönliche Abhängigkeit der Ärztebesucher von der Klägerin. Es handele sich also nicht um eine selbstständige Tätigkeit, sondern um eine solche abhängiger Handlungsgehilfen im Sinne des § 59 des Handelsgesetzbuches (HGB); die Beklagte habe demnach von der Klägerin für ihre Ärztebesucher zu Hecht die Zahlung von Beiträgen gefordert.

Mit der hiergegen beim LSG. Berlin eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, die Ärztebesucher seien nicht Handlungsgehilfen im Sinne des § 59 HGB, sondern Handelsvertreter nach § 84 HGB. Das ergebe sich aus ihren Gewerbeerlaubnissen. Sie könnten ihre Tätigkeit auch – entsprechend § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB – im wesentlichen frei gestalten und selbst über ihre Arbeitszeit bestimmen. Dem stehe die Festlegung von sechs bis acht Arztbesuchen täglich nicht entgegen, da jede Firma von dem für sie tätigen Vertreter die Gewähr haben müsse, daß dem gezahlten Entgelt eine etwa entsprechende Gegenleistung gegenüberstehe. Die Pflicht, der Klägerin laufend Berichte zu erstatten, ändere nichts an der grundsätzlichen Freiheit ihrer Tätigkeit; durch diese Berichte solle die Klägerin nur laufend Informationen über die Gründe etwaiger Umsatzschwankungen und über bestimmte, ihre wissenschaftliche Abteilung besonders interessierende Punkte erhalten. Die Ansicht des SG., bei einem Tagessoll von sechs bis acht Besuchen sei es den Werbern praktisch unmöglich, noch für eine andere Firma in gleicher Weise tätig zu werden, sei unrichtig, denn bei jedem Besuch könne der Werber auch für Präparate einer anderen Firma werben. Die Tätigkeit der Ärztebesucher sei daher selbständig; diese Ansicht werde durch das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16. Januar 1952 (BStBl. 52 III S. 79) bestätigt. – Die Beklagte machte geltend, die für den Umfang der Besuchs- und Berichtspflicht maßgebenden Motive änderten nichts am Bestehen dieser Pflichten. Die Belastung der Ärztebesucher durch ihre Tätigkeit für die Klägerin sei so groß, daß sie praktisch nicht mehr für andere Firmen tätig sein könnten; von einer „im wesentlichen” freien Ausübung der Tätigkeit könne keine Rede mehr sein. Das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundesfinanzhofes sei ebenso zu verstehen und sei daher nicht geeignet, die Entscheidung des SG. in Zweifel zu ziehen.

Das LSG. wies die Berufung der Klägerin unter Zulassung der Revision zurück: Die Ärztebesucher seien nicht Vertreter der Klägerin, da sie für die Klägerin weder Geschäftsabschlüsse noch die Vermittlung von Geschäften gegen Provision zu tätigen hätten. Deshalb seien sie auch nicht Handelsvertreter. Ihre Gewerbeerlaubnis und die vertragliche Bezeichnung ihrer Tätigkeit als „freiberuflich” bedingten ihre Selbständigkeit nicht. Die Werber seien nach der Art. ihrer Tätigkeit von der Klägerin wirtschaftlich abhängig. Der vorgeschriebene Besuch von mindestens sechs Ärzten täglich sei die Gegenleistung für das ihnen von der Klägerin gewährte Entgelt, dessen Zahlung nicht vom Erfolg der Besuche abhänge. Die Besuchstätigkeit sei so umfangreich, daß praktisch die ganze Arbeitskraft der Ärztebesucher der Klägerin zur Verfügung stehe; sie bezögen auch ihre wesentlichen Arbeitseinkünfte von der Klägerin. Die persönliche Abhängigkeit der Werber folge daraus, daß ihnen Art, Umfang, Zeit und Ort ihrer Tätigkeit vorgeschrieben seien. Außerdem sei ihnen eine entsprechende Verpflichtung zu Berichten auferlegt. Daraus ergebe sich, daß sie an die Weisungen der Klägerin gebunden seien. Die Freiheit der Arbeitseinteilung innerhalb des Arbeitstages sei im Hinblick auf ihre weitgehenden Verpflichtungen so gering, daß ihre Unselbständigkeit dadurch nicht beseitigt werde. Auch wenn die Ärztebesucher etwa nicht zur Lohnsteuer herangezogen würden, so vermöge dies nichts daran zu ändern, daß sie als hauptberuflich im Außendienst der Klägerin stehende Handlungsgehilfen anzusehen seien. Eine Entscheidung über die Feststellungsanträge der Beteiligten erübrige sich, da die beantragte Feststellung bereits in der Klageabweisung durch das SG. enthalten sei.

Gegen das der Klägerin am 30. September 1955 zugestellte Urteil wendet sich diese mit der am 29. Oktober 1955 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Revision. Sie beantragt,

das Urteil des SG. Berlin vom 6. Mai 1954 und die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses der Beklagten vom 25. Februar und 10. März 1952 und das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die Vertreter S. und R. keine unselbständigen Beschäftigten im Sinne des Sozialversicherungsrechts sind.

Die Klägerin rügt mit der am 28. November 1955 beim BSG. eingegangenen Revisionsbegründung, das LSG. habe die Vorschriften des § 103 SGG, des § 59 HGB sowie des § 9 des Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 (VOBl. I S. 542) verletzt. Das LSG. habe auf Grund der Nr. 3 des von der Klägerin mit dem Ärztebesucher R. geschlossenen Vertrages festgestellt, die Tätigkeit der Ärztebesucher sei so umfangreich, daß praktisch ihre ganze Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung stehe. Da die Klägerin in der Berufung die gleichlautende Feststellung des SG. ausdrücklich mit dem Hinweis beanstandet habe, es sei den Ärztebesuchern durchaus möglich, bei jedem Besuch neben den Farmaryn-Präparaten auch die Erzeugnisse anderer Firmen zu propagieren, soweit es sich nicht um ausgesprochene Konkurrenzpräparate handle, sei das LSG. gemäß § 103 SGG verpflichtet gewesen, diesen Punkt aufzuklären. Es habe die beanstandete Feststellung des SG. nicht unbesehen übernehmen dürfen, denn sein Urteil stütze sich auch auf die Feststellung, daß die vertraglich eingeräumte Möglichkeit der Werbung für eine andere Firma praktisch nicht bestanden habe. Folglich hätte es alle hierfür bedeutsamen Tatsachen aufklären müssen. Diese Aufklärung – durch die von der Klägerin bereits in der ersten Instanz angeregte Vernehmung der Ärztebesucher S. und R. – sei auch durch die schriftliche Erklärung S., er übe die Werbetätigkeit hauptberuflich und nur für die Klägerin aus, nicht entbehrlich geworden, weil die Erklärung nichts darüber besage, ob den Ärztebesuchern die Tätigkeit für eine andere Firma möglich gewesen sei oder nicht. Die Anwendung von § 59 HGB und von § 9 des oben erwähnten Berliner Gesetzes auf die Tätigkeit der Ärztebesucher sei rechtsirrig, da diese ihre Tätigkeit frei gestalten dürften, ihre Arbeitszeit selbst bestimmen könnten und steuerlich als selbständige Gewerbetreibende behandelt würden. Ihre Berichtspflicht sei ebensowenig ein Argument für ihre Unselbständigkeit wie ihre Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bestreitet den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht. Die Tätigkeit der Ärztebesucher könnte nur dann als selbständig angesehen werden, wenn sie ein eigenes wirtschaftliches Risiko zu tragen hätten; dies treffe jedoch nicht zu. Auch eine abweichende steuerrechtliche Beurteilung stehe der Annahme, daß die Werber im Sinne der Sozialversicherung unselbständig seien und der Versicherungspflicht unterlägen, nicht entgegen. Eine Verletzung von § 9 des oben angeführten Gesetzes vom 3. Dezember 1950 könne vor dem BSG. nicht gerügt werden, da diese Vorschrift nur im Bereiche des Berufungsgerichts Geltung habe und mithin nach § 162 Abs. 1 SGG nicht revisibel sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, da sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG vom LSG. zugelassen sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist; sie hatte auch Erfolg

Die Rüge der Klägerin, das LSG. habe die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 103 SGG) greift durch. Dieser Verstoß gegen das Verfahrensrecht betrifft die Feststellung des LSG., die Werber seien bei einem Pensum von sechs Besuchen täglich so in Anspruch genommen, daß damit ihre ganze Arbeitskraft allein der Klägerin zur Verfügung gestanden habe. Das LSG. hat aber keine Einzelheiten ermittelt, die eine solche Feststellung rechtfertigen könnten, hat seine Annahme vielmehr nur auf die Bestimmung in Ziffer 3 des Vertrages zwischen der Klägerin und Kurt R. und auf eine schriftliche Erklärung des Paul S. gestützt, aus der hervorgeht, daß er hauptberuflich und nur für die Klägerin als Werber tätig sei. Aus der Zahl der täglich vorgeschriebenen Besuche und der Erklärung des Werbers Paul S. war aber nicht zu entnehmen, welchen Zeitaufwand diese Besuche erforderten und in welchem Maße sie die Arbeitskraft der beiden Ärztebesucher in Anspruch nahmen.

Nach der Rechtsprechung des BSG. (Vgl. BSG. in SozR. SGG § 103 Da 2 Nr. 7) stellt es eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht dar, wenn der dem LSG. bei der Urteilsfällung vorliegende Sachverhalt unter Zugrundelegung des von ihm eingenommenen sachlich-rechtlichen Standpunktes zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht ausreichte., sondern das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen. Nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des LSG. ist es für die Frage der selbständigen oder unselbständigen Stellung der Ärztebesucher von Bedeutung, ob sie durch das mit der Klägerin vereinbarte Pensum von sechs Besuchen täglich so in Anspruch genommen wurden, daß dadurch ihre ganze Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung stand. Weder der zwischen der Klägerin und dem Ärztebesucher R. geschlossene Vertrag, noch die Erhebungen der Beklagten, noch die schriftlichen Erklärungen der beiden Ärztebesucher ließen aber einen Schluß auf das Ausmaß ihrer zeitlichen Inanspruchnahme zu. Hierfür fehlte es vor allem an einer Ermittlung der durchschnittlichen Dauer dieser Besuche. Ein sicherer Anhaltspunkt für die zur Werbung erforderliche Zeit läßt sich auch nicht aus der so unterschiedlichen Höhe des Entgelts (10,– DM bis 20,– DM) gewinnen. Dem Schluß, daß bei medizinisch nicht vorgebildeten Werbern einem Entgelt von 10,– DM bis 20,– DM täglich wohl die volle Arbeitskraft gegenüberstehen müsse, stand die vertragliche Bestimmung entgegen, nach der die Ärztebesucher neben der Klägerin auch eine andere Firma vertreten konnten, soweit es sich nicht um Konkurrenzpräparate handelte. Hiernach mußte das Vordergericht – bei Zugrundelegung seiner materiell-rechtlichen Auffassung – dem von der Klägerin in der Berufung erhobenen Einwand nachgehen, daß die Ärztebesucher die Möglichkeit gehabt hätten, gleichzeitig für eine andere Firma tätig zu sein. Es hätte also den zeitlichen Umfang der Werbetätigkeit etwa durch Anhörung der Ärztebesucher S. und R. oder durch Beweiserhebungen ermitteln müssen.

Das angefochtene Urteil beruht auch auf der unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts, da es nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen ist, daß die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das LSG. seiner Sachaufklärungspflicht genügt hätte. Die Revisionsrüge, das Berufungsgericht habe § 103 SGG verletzt, ist demnach gerechtfertigt und die Revision der Klägerin somit begründet.

Da das LSG. den Sachverhalt nicht in dem für die Entscheidung über die Klage erforderlichen Umfang und Maße geklärt hat, war dem Senat eine eigene Entscheidung in der Sache nach § 170 Abs. 2 SGG nicht möglich. Vom Fehlen konkreter Feststellungen über die zeitliche Beanspruchung der Ärztebesucher durch ihre Tätigkeit für die Klägerin abgesehen, hat das LSG. zur Frage ihrer persönlichen Abhängigkeit im wesentlichen nur ausgeführt, den Ärztebesuchern sei Art, Umfang, Zeit und Ort ihrer Tätigkeit sowie eine Berichtspflicht vorgeschrieben gewesen. Diese Merkmale können aber auch bei selbständigen Propagandisten gegeben sein, deren Geschäftsrisiko darin bestünde, daß sie bei unzulänglicher Leistung mit dem Entzug der einzelnen Werbeaufträge rechnen müßten. Das wesentliche Merkmal persönlicher Abhängigkeit ist die Verpflichtung des Arbeitnehmers, den Weisungen des Arbeitgebers zu folgen. Allein auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen kann aber noch nicht beurteilt werden, inwieweit die Klägerin gegenüber den Ärztebesuchern Weisungsbefugnisse besaß. Solche Befugnisse könnten z.B. bejaht werden, wenn die Ärztebesucher verpflichtet waren, Einzelweisungen hinsichtlich der Besuchszeit oder -reihenfolge und in Bezug auf die Art. und den Umfang ihrer Werbeausführungen zu folgen. Zu einer Feststellung hierüber wird es der Anhörung der Ärztebesucher über die Einzelheiten der Gestaltung ihrer Tätigkeit oder einer Beweisaufnahme – etwa durch Anhörung des Leiters der wissenschaftlichen Abteilung der Klägerin – bedürfen.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das LSG. auch den Gründen nachgehen müssen, die für die Veranlagung der Ärztebesucher zur Einkommensteuer und für ihre Ausstattung mit eigenen Gewerbeerlaubnissen maßgebend waren. Wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, ist es zwar an die Steuer- und gewerberechtliche Beurteilung der Werbetätigkeit durch die dafür zuständigen Behörden nicht gebunden. Die steuerrechtliche Behandlung stellt aber, wie der Senat hinsichtlich der Versicherungspflicht der sogenannten Meistersöhne dargelegt hat (vgl. BSG. Bd. 3 S. 31 [40]), einen wichtigen Anhaltspunkt für die versicherungsrechtliche Beurteilung einer Tätigkeit dar. Das gilt nicht nur in dem Sinne, daß die Lohnsteuerpflicht einen Anhalt für das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses darstellt, sondern auch in der Hinsicht, daß Gewerbesteuerpflicht und die Veranlagung zur Einkommensteuer für das Vorliegen einer – versicherungsfreien – selbständigen Tätigkeit sprechen. Auch kann sich aus den Vorgängen über die den Ärztebesuchern erteilten gewerberechtlichen Ausweise (vgl. § 44 a Abs. 1 Satz 3 und § 60 Abs. 3 der Gewerbeordnung) ergeben, ob sie bei der Antragstellung beabsichtigten, ein selbständiges Gewerbe zu betreiben oder nicht. – Ungeachtet der hiernach festzustellenden Einzelheiten bleibt für die Beurteilung der Versicherungspflicht aber immer das Gesamtbild und das Gepräge der in Betracht kommenden Tätigkeit entscheidend (vgl. RVA.E. Nr. 5515, AN. 1943 S. 106; Nr. 5572 AN. 1944 S. 242; BFH. in BStBl. 1952 III S. 79). Auch wenn die Arztwerber, wie das LSG. angenommen hat, keine Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB sind, könnten sie doch sonstige selbständige Gewerbetreibende und damit versicherungsfrei sein. – In den weiteren Verfahren würden die beiden Arztbesuchen beizuladen sein (§ 75 Abs. 2 SGG).

Die Änderung des Namens der Beklagten im Revisionsurteil beruht auf dem Selbstverwaltungs- und Krankenversicherungsangleichungsgesetz Berlin vom 26. Dezember 1957, BGBl. I S. 1883, § 6.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926603

MDR 1958, 633

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