Leitsatz (amtlich)
1. Bei Ersatzstreitigkeiten zwischen Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts richtet sich der Beschwerdewert (SGG § 149) nach dem Gesamtbetrag des Beschwerdegegenstands. Betrifft die Beschwerde mehrere Ansprüche, so werden diese zusammengerechnet.
2. Die Ersatzforderung einer Krankenkasse, die Leistungen für einen nicht bei ihr Versicherten erbracht hat, gegen die zuständige Krankenkasse verjährt in entsprechender Anwendung des RVO § 223 Abs 1 in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung.
Leitsatz (redaktionell)
Es gilt der Grundsatz, daß ein Versicherungsträger in der Frage der Verjährung nicht schlechter gestellt werden darf, wenn er von einem anderen Versicherungsträger anstelle des Versicherten in Anspruch genommen wird.
Normenkette
RVO § 223 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 149 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 5 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. November 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrte im April 1960 von der Beklagten Ersatz von Leistungen, die sie in den Jahren 1957 bis 1959 für die Versicherte B in Höhe von 1.422,08 DM und in den Jahren 1956 bis 1959 für die Versicherte R. in Höhe von 212,80 DM erbracht hatte, nachdem sich herausgestellt hatte, daß diese beiden Frauen nicht bei der Klägerin, sondern nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung - RVO - bei der Beklagten versichert waren. Die Beklagte erstattete die Aufwendungen, soweit sie nach dem März 1958 erbracht worden sind; im übrigen machte sie Verjährung geltend. Daraufhin hat die Klägerin zwei Klagen auf Ersatz ihrer Aufwendungen erhoben, und zwar über 1422,08 DM im Falle B und über 212,80 DM im Falle R. Das Sozialgericht (SG) hat beide Streitsachen miteinander verbunden und die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil der Ersatzanspruch der Klägerin sich im Umfang und im Ausmaß auf die Ansprüche der Versicherten gegen die Beklagte beschränke, so daß die Ansprüche in entsprechender Anwendung von § 223 Abs. 1 RVO in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung verjährt seien. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.
Sie trägt vor: Wenn eine Krankenkasse die einer anderen Kasse obliegende gesetzliche Leistung erbracht habe, so bestehe ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen nach den Grundsätzen der öffentlichen Geschäftsführung ohne Auftrag; hiernach seien die §§ 677 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - entsprechend anzuwenden. Dabei spiele keine Rolle, daß ein fremdes Geschäft in der Meinung besorgt worden sei, es handele sich um ein eigenes. Für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag betrage die Verjährungsfrist aber 30 Jahre. Auch wenn man die Anspruchsgrundlage und die anzuwendenden Verjährungsvorschriften auseinanderhalten wolle und für die Verjährung die RVO maßgebend sei, so müsse § 29 Abs. 3 RVO angewendet werden (4 Jahre Verjährungsfrist); denn Kassenleistungen im Sinne des § 223 RVO seien nur die unmittelbaren Ansprüche der Berechtigten. Wenn jedoch die entsprechende Anwendung der §§ 677 ff BGB auch zur Anwendung von 687 Abs. 2 BGB führen müsse, so wären die Ansprüche auf §§ 812 ff BGB gestützt; Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterlägen aber ebenfalls nicht der kurzen Verjährung.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 14. November 1962 und des SG Speyer vom 29. September 1960 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. April 1960 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.634,88 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Bei einer zugelassenen Revision ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung zulässig war (vgl. BSG 2, 225). Bedenken könnten insoweit bestehen, als ursprünglich in zwei Klagen zwei Ansprüche auf Ersatz geltend gemacht worden sind, von denen der eine (R.) nur einen Streitwert von 212,80 DM hatte, mithin die Grenze des § 149 SGG (500 DM) nicht erreicht. Maßgebend ist aber, daß das SG beide Klagen miteinander verbunden und damit insgesamt über Forderungen in Höhe von 1634,88 DM in einem Urteil entschieden hat. Bei Ersatzstreitigkeiten zwischen Versicherungsträgern ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung (§ 149 SGG) der Gesamtwert des mit der Berufung verfolgten Anspruchs maßgebend. Das Gesetz stellt es hier, ähnlich wie bei der Streitwertberechnung im Zivilprozeß, auf den gesamten Streitwert ab. Die Zulässigkeit der Berufung ist daher davon abhängig, ob insgesamt ein Streitwert bzw. ein Beschwerdewert in der genannten Höhe erreicht ist, so daß man nicht mehr von einer Bagatellstreitigkeit sprechen kann. Wie sich dieser Wert berechnet, ob eine einheitliche Summe vorliegt oder ob mehrere Beträge zusammengezählt werden, ist hier ohne Belang. Über § 202 SGG ist insoweit § 5 ZPO anzuwenden (ebenso Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sgb, § 149 Anm. 2; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, § 149 Anm. 3; Mellwitz, Sozialgerichtsgesetz, Ergänzungsband § 149 Anm. 3). Der Fall unterscheidet sich insoweit von den Streitigkeiten, in denen es sich um die Zulässigkeit der Berufung nach §§ 144 bis 148 SGG und im Falle des § 149 SGG um die Rückerstattung oder Leistungen handelt. In diesen letztgenannten Fällen wird der Beschwerdewert durch den angefochtenen Bescheid beschränkt; mehrere Ansprüche dürfen nicht zusammengerechnet werden, um die Zulässigkeit der Berufung zu begründen (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 1964, SozR SGG § 144 Nr. 26). Im vorliegenden Fall ist somit, nachdem die Klägerin in der ersten Instanz in vollem Umfang unterlegen ist, Streitwert der Berufung die gesamte Summe von 1634,88 DM.
Da die Versicherten B und R nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bei der Beklagten und nicht bei der Klägerin versichert waren, hatte diese keine Verpflichtungen, die streitigen Leistungen zu erbringen, und deshalb einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte (vgl. BSG 6 S. 197). Dieser Anspruch wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Entscheidung hängt nur davon ab, welche Verjährungsfrist hier anzuwenden ist. Eine ausdrückliche Regelung enthält die RVO für diesen Fall nicht. § 223 Abs. 1 RVO bestimmt zwar, daß Ansprüche aus Kassenleistungen in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung verjähren. Diese Vorschrift betrifft aber den vorliegenden Fall nicht unmittelbar, da nicht Forderungen auf Kassenleistungen, sondern Ersatzansprüche für gewährte Kassenleistungen geltend gemacht werden.
Die Vorschrift muß jedoch entsprechend angewandt werden. Das Reichsversicherungsamt hat in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5377 (AN 1940, 249) ausgesprochen, daß für die Verjährung des Anspruchs auf Kostenersatz nach § 313 b Abs. 2 RVO § 223 Abs. 1 RVO entsprechend gelte. Begründet ist dies damit, daß § 29 Abs. 3 RVO als allgemeine Vorschrift nur in Betracht komme, wenn es sich um Tatbestände handele, die nicht unter eine Sondervorschrift fielen. § 223 Abs. 1 RVO regele jedoch die Verjährung von Ansprüchen auf Kassenleistungen und nach der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5028 (AN 1936, 325) auch Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht gewährter Kassenleistungen. Der Ersatzanspruch einer Krankenkasse nach § 313 b Abs. 2 RVO müsse hinsichtlich der Verjährung einem Anspruch des Versicherten auf Kassenleistungen oder einem Anspruch der Kasse gegen den Versicherten auf Erstattung zu Unrecht gewährter Kassenleistungen gleichgestellt werden. Der Ausgleichsanspruch stehe nach Grund und Höhe mit der Gewährung bestimmter Kassenleistungen in untrennbarem Zusammenhang. Es wäre daher nicht verständlich, wenn eine Krankenkasse zwar dem Versicherten nach zwei Jahren die Einrede der Verjährung nach § 223 Abs. 1 RVO entgegenhalten könnte, hinsichtlich eines Erstattungsanspruchs der hier streitigen Art gegenüber einer anderen Krankenkasse aber gemäß § 29 Abs. 3 RVO erst nach vier Jahren die Verjährung geltend machen könnte. Bei einem Ausgleich zwischen Krankenkassen gelte mithin gleichfalls die kürzere Verjährungsfrist des § 223 Abs. 1 RVO.
Diese Grundsätze müssen auch für den vorliegenden Fall gelten, daß eine Krankenkasse gegen eine andere einen im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ersatzanspruch geltend macht. Entscheidend ist, daß wie im Falle des § 313 b Abs. 2 RVO eine Krankenkasse eingetreten ist, die im Endergebnis nicht aufzukommen und daher einen Ersatzanspruch gegen die leistungspflichtige Kasse hat. Auch hier trifft die Erwägung zu, daß ein Versicherungsträger in der Frage der Verjährung nicht schlechter gestellt werden darf, wenn er von einem anderen Versicherungsträger anstelle des Versicherten in Anspruch genommen wird. Auf die vorliegenden Ansprüche ist daher die Verjährungsfrist des § 223 Abs. 1 RVO, nämlich zwei Jahre nach der Entstehung anzuwenden. Da die Klägerin ihre Ansprüche gegen die beklagte Krankenkasse erst im April 1960 geltend gemacht hat, sind die vor April 1958 entstandenen Ansprüche verjährt. Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen