Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung. Gutachten. Sachaufklärung
Orientierungssatz
1. Das LSG ist zwar an medizinischen Gutachten nicht gebunden, es ist auch in der Würdigung solcher Gutachten frei. Es kann aber nicht ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch Sachverständige hinweggehen und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzen; in aller Regel wird es ihm insbesondere bei komplizierten medizinischen Geschehensabläufen an einer eigenen ausreichenden medizinischen Sachkunde fehlen (vgl BSG 1955-08-25 4 RJ 120/54 = SozR Nr 2 zu § 128 SGG.
2. Das LSG muß, wenn es die abschließende eindeutige Verneinung der medizinischen Voraussetzungen eines Härteausgleichs durch diese Sachverständigen angesichts des von ihm festgestellten Sachverhalts für nicht überzeugend hält, diese auffordern, sich dazu zu äußern, ob die beim Kläger während des Wehrdienstes aufgetretenen Gesundheitsstörungen mit einer derart hinreichenden Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit als Erstsymptome einer multiplen Sklerose angesehen werden können, daß die medizinischen Voraussetzungen eines Härteausgleichs gegeben erscheinen.
Normenkette
SGG § 128; BVG § 1 Abs. 3 S. 2; SGG § 103
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 30.06.1970) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 30. Juni 1970 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der am 6. November 1911 geborene Kläger leistete von Dezember 1939 bis April 1945 Wehrdienst überwiegend bei technischen Einheiten. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland beantragte er im April 1953 Versorgung wegen einer Nervenlähmung rechts und einer Lungen-Tuberkulose (Tbc). Das Versorgungsamt (VersorgA) bezeichnete in dem Bescheid vom 25. Mai 1956 "belanglose kleine Narbe an der rechten Hohlhand" als Schädigungsfolge ohne rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), lehnte aber einen ursächlichen Zusammenhang mit schädigenden Ereignissen des Wehrdienstes für "Encephalomyelitis disseminata" und eine ältere indurierte Lungenspitzen-Tbc im Hinblick auf die Gutachten der Dres. V und H/K ab. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Vor dem Sozialgericht (SG) wies der Nervenarzt Dr. R darauf hin, daß die beim Kläger erhobenen Befunde auf eine Multiple Sklerose (MS) hindeuteten, aber keine sicheren Anhaltspunkte dafür bestünden, daß das Nervenleiden durch Kriegseinwirkungen beeinflußt worden sei. Hierauf nahm der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 10. April 1958 zurück.
Im März 1963 beantragte der Kläger, ihm wegen einer MS Versorgung im Wege des Härteausgleichs zu gewähren. Nach umfangreichen Ermittlungen über die vom Kläger behaupteten schädigenden Ereignisse und Krankheitssymptome während des Wehrdienstes verneinten die Sachverständigen Prof. Dr. J/Dr. B im Gutachten vom 27. Juli 1964 den ursächlichen Zusammenhang einer im gewissen Grade wahrscheinlichen MS - die sie jedoch in einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. Januar 1965 als hinreichend gesichert ansahen - mit wehrdienstlichen Einflüssen. Dazu führte Dr. Sch-S am 22. April 1965 aus, es bestehe zwar durchaus die Möglichkeit, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers während des Wehrdienstes um die ersten Anzeichen einer MS gehandelt habe, eine ausreichende Wahrscheinlichkeit hierfür sei aber nicht gegeben. Hierauf lehnte das VersorgA mit Bescheid vom 11. Mai 1965 eine Zugunstenentscheidung nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und gleichzeitig die Gewährung von Rente im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab. Der Widerspruch blieb wiederum ohne Erfolg (Bescheid vom 28. April 1967).
Das SG wies die Klage nach Beiladung der Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 30. September 1969 ab, nachdem die Sachverständigen Prof. Dr. B/Dr. F im Gutachten vom 16. August 1968 die Auffassung vertreten hatten, weder ein ursächlicher noch ein hinreichend enger zeitlicher Zusammenhang (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG) zwischen der MS und wehrdienstlichen Einflüssen sei genügend wahrscheinlich.
Das Landessozialgericht (LSG) hob dieses Urteil und den Bescheid vom 11. Mai 1965 (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1967) auf und verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 30. Juni 1970, den Antrag des Klägers, ihm wegen der MS Versorgung im Wege des Härteausgleichs bzw. der Kann-Versorgung zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Das LSG führte aus: Die Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 89 Abs. 2 BVG bzw. § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG sei entgegen der Ansicht des SG fehlerhaft, weil sie bedeutsame Umstände des zu beurteilenden Sachverhalts unberücksichtigt gelassen bzw. nicht richtig gewürdigt habe. § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG entspreche inhaltlich dem früheren § 89 Abs. 2 BVG. Seine Anwendung komme in Betracht, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit bestehe. In derartigen Fällen sei die Versorgung von der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) abhängig; eine solche Zustimmung liege für die MS vor (vgl. Richtlinien des BMA vom 25. April 1968 - BVBl S. 82 Nr. 35). Bei Vorliegen der dort genannten Schädigungstatbestände seien die Voraussetzungen für eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG dann als erfüllt anzusehen, wenn die Erstsymptome der MS während der Einwirkung der genannten Faktoren oder mehrere Monate (bis zu 8 Monaten) danach aufgetreten seien. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Klägers als erfüllt anzusehen. Darüber, daß der Kläger während des Krieges Noxen ausgesetzt gewesen sei, die über die normalen Belastungen des Wehrdienstes erheblich hinausgingen und die daher für die Manifestation und die Entwicklung der MS von wesentlicher Bedeutung gewesen sein können, bestehe kein Streit. Aus den schriftlichen Aussagen von Zeugen sei zu entnehmen, daß der Kläger als Angehöriger einer Heeresbaudienststelle ab Ende des Jahres 1940 zunächst in dem damaligen Generalgouvernement, ab Frühjahr 1942 in der Ukraine, danach im nördlichen Kaukasus eingesetzt gewesen sei und dann den Rückmarsch der deutschen Truppen aus Rußland mitgemacht habe. Der Kläger sei durch die Art und Umstände seines Einsatzes nicht nur psychisch, sondern vor allem auch körperlich besonders stark beansprucht worden. Die ersten Symptome der MS seien nicht erst nach dem Kriege, sondern bereits im Jahre 1942 in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit schädigenden Einflüssen im Sinne der Richtlinien des BMA vom 25. April 1968 in Erscheinung getreten. Der Nervenarzt Dr. R habe in seinem Gutachten vom 11. Dezember 1957 betont, daß die Erscheinungsformen des Krankheitsbildes einer MS - ebenso wie deren Verlauf - außerordentlich mannigfaltig seien. Dies sei auch durch die Sachverständigen Prof. Dr. J/Dr. B sowie Prof. Dr. B/Dr. F in ihren Gutachten ausdrücklich hervorgehoben worden. Danach lasse sich nicht ausschließen, daß es sich in Wirklichkeit schon bei dem angeblichen "Gelenkrheumatismus" des Klägers in Wahrheit um Erstsymptome seines Nervenleidens gehandelt habe. Auf jeden Fall seien die gesundheitlichen Störungen, die sich bei dem Kläger nach dem Lazarettaufenthalt im Frühjahr 1942 bemerkbar gemacht haben, im Hinblick auf ihre Symptomatik und bei Berücksichtigung des weiteren Verlaufs der Erkrankung als Anzeichen einer MS zu bewerten. Denn der Kläger habe im Zusammenhang mit seinem Neuantrag vom 25. März 1963 im wesentlichen gleichbleibend geltend gemacht, in Galizien zum ersten Mal Funktionsstörungen in einem Bein bemerkt zu haben; erst gegen Kriegsende sei die dadurch bedingte Behinderung erheblich stärker geworden, eine akute Verschlechterung sei dann 1947 aufgetreten. Dieses neue Vorbringen des Klägers und die Zeugenaussagen halte der Senat für glaubhaft. Für die Überzeugungsbildung des Senats seien schließlich und nicht zuletzt auch der Prüfungsvermerk des ObermedRats Dr. Sch S und die Zusammenfassung und Beurteilung in dem Gutachten von Prof. Dr. B/Dr. F vom 16. August 1968 mitbestimmend gewesen. Bereits Dr. S habe - nachdem ihm die ergänzenden Stellungnahmen des Prof. Dr. J/Dr. B vom 18. Januar und 23. März 1965 vorlagen - erklärt, die Möglichkeit, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers um die ersten Anzeichen einer MS gehandelt habe, sei durchaus gegeben.
Er halte dies aber nicht für ausreichend wahrscheinlich. Darüber hinaus hätten auch die beiden genannten Sachverständigen betont, es könne vermutet werden, daß beim Kläger die ersten Anzeichen einer MS möglicherweise schon 1942 aufgetreten seien, auf Grund verschiedener Unsicherheitsfaktoren in tatsächlicher Hinsicht sei allerdings ein hinreichend enger zeitlicher Zusammenhang zwischen kriegsbedingten Strapazen und Erstsymptomen des zentralnervösen Erkrankungsprozesses nicht nachgewiesen. Diese letzten Zweifel vermöge der Senat bei Abwägung aller Umstände nicht zu teilen. Im übrigen ließen die Ausführungen von Prof. Dr. B/Dr. F erkennen, daß auch sie eine Kann-Versorgung des Klägers nicht hätten schlechthin ausschließen wollen. Deshalb sei die Beklagte verpflichtet, den Kläger neu zu bescheiden. Dabei werde die Beklagte davon auszugehen haben, daß nach den Feststellungen des Senats ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Manifestation der MS des Klägers und seinem militärischen Einsatz als erwiesen anzusehen sei. Außerdem werde sie bei der Ausübung ihres Ermessens darüber befinden müssen, in welchem Umfange die wehrdienstlichen Einwirkungen und die nach dem Kriege beim Kläger diagnostizierte Lungen-Tbc den Verlauf der MS beeinflußt hätten und wie auf Grund dessen die versorgungsrechtlich relevante MdE zu bewerten sei.
Mit der nicht zugelassenen Revision rügt die Beklagte verfahrensrechtlich die Verletzung der §§ 103, 128, 136 Abs. 1 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und materiell-rechtlich des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG. Bei den Feststellungen des LSG handle es sich um die Beurteilung einer medizinischen Frage. Das LSG habe dabei den wesentlichen Erklärungsinhalt der zusammenfassenden Gutachterbeurteilungen verkannt. Die Gutachter seien übereinstimmend der Meinung gewesen, daß die Krankheitserscheinungen 1941/42 nicht die ersten Symptome der MS gewesen seien und daß der für eine Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG erforderliche hinreichend enge zeitliche Zusammenhang zwischen kriegsbedingten Strapazen und Erstsymptomen der MS nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen sei. Wenn das LSG, obwohl sich die Gutachter - ausgenommen Dr. R - mit dem neuen Vorbringen des Klägers ab 1963 und den Zeugenauskünften auseinandergesetzt hätten, zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt sei, dann habe es die Grenzen des Rechts freier Beweiswürdigung überschritten; es habe sich auch nicht mit den kritischen Stellungnahmen des Dr. F vom 29. November 1966 und 17. April 1967 auseinandergesetzt, die Angaben des Klägers bei Dr. K vom 13. Januar 1954 nicht berücksichtigt und damit das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht gewürdigt (§ 128 Abs. 1 SGG). Das LSG hätte nicht seine Auffassung an die Stelle der Auffassung der medizinischen Gutachter setzen dürfen. Wenn das LSG Bedenken gegen die Auffassung der Gutachter gehabt habe, dann hätte es diese zum Anlaß weiterer Beweiserhebung nehmen müssen (Verstoß gegen § 103 SGG). Es hätte insbesondere entweder einen der gehörten Fachärzte oder einen anderen Gutachter darüber befragen müssen, ob es sich bei der als Gelenkrheuma bezeichneten Krankheit des Klägers im Jahre 1941 oder den Gesundheitsstörungen im Jahre 1942 um erste Symptome der MS gehandelt habe und ob diese Gesundheitsstörungen in einem hinreichend engen zeitlichen Zusammenhang mit kriegsbedingten Strapazen aufgetreten seien. Ein Verstoß des LSG gegen § 128 SGG sei auch darin zu erblicken, daß es entgegen der Auffassung von Prof. Dr. J/Dr. B eine rheumatische Erkrankung des Klägers im Jahre 1941 verneint habe. Diesbezügliche Zweifel hätten das LSG ebenfalls zu einer weiteren medizinischen Sachaufklärung führen müssen. Das LSG habe auch nicht hinreichend eindeutig festgestellt, zu welchem Zeitpunkt die ersten Symptome der MS beim Kläger aufgetreten seien. Dadurch sei eine Prüfung des engen zeitlichen Zusammenhangs mit kriegsbedingten körperlichen Belastungen nicht möglich. Die Begründung des Urteils lasse ferner nicht erkennen, welche kriegsbedingten Belastungen - darüber bestehe ebenfalls Streit - als geeignete Einwirkungen in Betracht kämen und wann diese vorgelegen haben sollen (Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG). In materiell-rechtlicher Hinsicht habe das LSG die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG i. V. m. den Richtlinien des BMA vom 25. April 1968 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verkannt; insbesondere fehle es an dem Nachweis eines hinreichend engen zeitlichen Zusammenhangs der Erstsymptome der MS mit schädigenden Einwirkungen des Wehrdienstes.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Bremen vom 30. Juni 1970 aufzuheben und die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das LSG Bremen zurückzuverweisen.
Die Beigeladene tritt dem Antrag der Beklagten bei; sie hält die erhobenen Verfahrensrügen für begründet.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.
Das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerfrei einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Manifestation der MS des Klägers und dem militärischen Einsatz mit den dazugehörenden Belastungen des Einzelfalles als erwiesen angesehen.
II
Die vom LSG nicht zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch statthaft, weil die Beklagte wesentliche Verfahrensmängel gerügt hat, die vorliegen (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ab März 1963 Rente im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 2 BVG aF (1. Neuordnungsgesetz - NOG) und ab 1. Januar 1964 bzw. 1. Januar 1967 Kann-Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG (2. und 3. NOG) zusteht. Das LSG hat dies bejaht. Für die Frage, ob die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist, hat der Senat nicht zu prüfen, ob das LSG dabei sachlich-rechtlich hinreichend beachtet hat, daß die Bewilligung sowohl des früheren Härteausgleichs als auch der nunmehrigen Kann-Versorgung voraussetzt, daß die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit "nur" deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens Ungewißheit besteht, andere Ungewißheiten z. B. über Art, Beginn und Verlauf eines Leidens sonach nicht genügen. Jedenfalls hat das LSG im Hinblick auf den Inhalt der ihm vorliegenden Gutachten nicht zu dem Ergebnis gelangen dürfen, daß die beim Kläger während des Wehrdienstes aufgetretenen Gesundheitsstörungen" als Anzeichen einer Multiplen Sklerose zu bewerten und anzusehen" seien. Zutreffend rügt die Revision, das LSG habe § 128 SGG dadurch verletzt, daß es die Erklärungen der ärztlichen Sachverständigen unzutreffend gewürdigt bzw. sich in einer ärztlichen Frage über die Auffassung der medizinischen Gutachter hinweggesetzt habe. Die Frage, ob die 1942 beobachteten gesundheitlichen Störungen "im Hinblick auf ihre Symptomatik" nachträglich mit Sicherheit oder auch nur mit einer Wahrscheinlichkeit als die ersten Symptome einer MS angesehen werden können oder müssen, ist medizinischer Natur; gerade deshalb haben medizinische Gutachten hinzugezogen werden müssen. Das LSG ist zwar an diese Gutachten nicht gebunden, es ist auch in der Würdigung solcher Gutachten frei, es kann aber nicht ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch Sachverständige hinweggehen und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzen; in aller Regel wird es ihm insbesondere bei komplizierten medizinischen Geschehensabläufen - wie im vorliegenden Fall - an einer eigenen ausreichenden medizinischen Sachkunde fehlen (vgl. BSG SozR Nr. 2 zu § 128 SGG). Im vorliegenden Falle hat nun aber keiner der gehörten Gutachter auch nur die Wahrscheinlichkeit, daß bereits 1942 bei dem Kläger eine MS begonnen habe, eindeutig bejaht. Dr. R hat Anhaltspunkte dafür, daß die MS schon während des Krieges bestanden bzw. sich entwickelt habe, nicht gefunden. Prof. Dr. J/Dr. B haben betont, daß sich die jetzt festgestellten Funktionsstörungen nicht "bis in die Kriegszeit hinein zurückverfolgen" ließen. Dr. Sch S hat nur die Möglichkeit, aber nicht die Wahrscheinlichkeit annehmen können, daß es sich bei der Erkrankung im Wehrdienst um die ersten Anzeichen einer MS gehandelt hat. Schließlich haben auch Prof. Dr. B/Dr. F festgestellt, die bekannten Tatbestände reichten nicht aus, eine kausale Verursachung der MS durch den Kriegsdienst mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu belegen; auch "hinsichtlich des Härte-Paragraphen" (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG) seien die Voraussetzungen nicht klar genug; ein hinreichend enger zeitlicher Zusammenhang zwischen kriegsbedingten Strapazen und Erstsymptomen sei nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Das LSG hat zwar ausgeführt, daß das Gutachten des Prof. Dr. B/Dr. F und der Prüfungsvermerk des Dr. Sch-S für seine Überzeugungsbildung mitbestimmend gewesen seien. Es trifft auch zu, daß Prof. Dr. B/Dr. F die Vermutung geäußert haben, es "könnte" sich 1942 "möglicherweise" um die ersten Anzeichen einer MS gehandelt haben. Damit war aber nur eine Möglichkeit aufgezeigt und eine Vermutung geäußert worden. Diese Vermutung hat nicht durch die weiteren Ausführungen der Gutachter: "Auf Grund dieser unsicheren Faktoren könnte allenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit konstruiert werden, daß es während des Kriegsdienstes zu ersten Anzeichen der Multiplen Sklerose gekommen sei", den Charakter einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit erlangt; denn in der abschließenden Beurteilung (S. 14/15 des Gutachtens) wurde eine "genügende" bzw. "hinreichende" Wahrscheinlichkeit (zu § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG) eindeutig verneint. Das LSG hätte daher nicht zu der Auffassung gelangen dürfen, mit der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung seien die letzten Zweifel der Gutachter hinsichtlich eines hinreichend engen Zusammenhangs zwischen kriegsbedingten Strapazen und Erstsymptomen einer MS ausgeräumt. Es hätte sich auch nicht mit der nicht näher begründeten Bemerkung begnügen dürfen, die Gutachter Prof. Dr. B/Dr. F hätten erkennen lassen, daß auch sie eine Kann-Versorgung des Klägers nicht schlechthin hätten ausschließen wollen. Das LSG hätte vielmehr, wenn es die abschließende eindeutige Verneinung der medizinischen Voraussetzungen eines Härteausgleichs durch diese Sachverständigen angesichts des von ihm festgestellten Sachverhalts für nicht überzeugend hielt, diese auffordern müssen, sich dazu zu äußern, ob die beim Kläger während des Wehrdienstes aufgetretenen Gesundheitsstörungen mit einer derart hinreichenden Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit als Erstsymptome einer MS angesehen werden können, daß die medizinischen Voraussetzungen eines Härteausgleichs gegeben erscheinen. Dadurch, daß das LSG ohne weitere medizinische Sachaufklärung die 1942 aufgetretenen Gesundheitsstörungen als Anzeichen einer MS gewertet und einen engen zeitlichen Zusammenhang der MS mit schädigenden Einflüssen im Sinne der Richtlinien des BMA angenommen hat, hat es die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten und seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nicht voll erfüllt. Die somit unter Verstoß gegen die §§ 103, 128 SGG zustande gekommene Entscheidung des LSG beruht auf den von der Beklagten substantiiert gerügten Verfahrensmängeln; sie war deshalb aufzuheben. Auf die weiter erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG kam es damit nicht mehr an. Dem Senat war unter den gegebenen Umständen eine Entscheidung in der Sache selbst verwehrt. Der Rechtsstreit mußte vielmehr zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Fundstellen