Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob und wann eine Berufung auf die Bindungswirkung des SGG § 77 in Verbindung mit AVAVG 1927 § 177 rechtsmißbräuchlich ist.
2. Eine Pflicht zur regelmäßigen Meldung beim Arbeitsamt besteht weder nach AVAVG 1927 § 173 noch nach dem Urteil des BSG vom 1956-03--21 7 RAr 65/55 = BSGE 2, 277, wenn einem Arbeitslosen wegen Arbeitsunfähigkeit die Unterstützung entzogen worden ist, ohne daß er ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt hat.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; AVAVG § 114 Fassung: 1927-07-16, § 173 Fassung: 1927-07-16, § 177 Fassung: 1927-07-16
Tenor
Auf die Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 1957 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der 1897 geborene Kläger war früher Katastergehilfe, danach Reichsangestellter bei der Wehrmacht. Nach Entlassung aus einem Internierungslager war er vom 8. März bis zum 14. Juli 1948 als Hilfsarbeiter bei einem Bildhauer beschäftigt. Seit dem 19. Juli 1948 bezog er beim Arbeitsamt Paderborn - Nebenstelle Höxter - Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu).
Am 24. August 1955 beurteilte der Arzt der Beklagten den Kläger auf Grund einer Erwerbsminderung von 70 v.H. durch allgemeine Altersschwäche und andere Leiden als arbeitsunfähig im Sinne des § 88 Abs. 1 des Gesetzes für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Daraufhin stellte die Beklagte durch Bescheid vom 31. August 1955 die Zahlung der Alfu vom 24. August an ein. Hiergegen legte der Kläger ein Rechtsmittel nicht ein, sondern beantragte bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Ruhegeld. Mit Bescheid vom 14. April 1956 lehnte diese den Antrag ab, da der Kläger nach vertrauensärztlichem Gutachten vom 20. Februar 1956 noch nicht berufsunfähig sei.
Unter Vorlage dieses Bescheides meldete sich der Kläger am 18. April 1956 wieder arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe (Alhi). Der Vertrauensarzt der Beklagten bezeichnete ihn nach erneuter Untersuchung am 25. April 1956 noch als arbeitsfähig in seinem erlernten Beruf.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 28. April 1956 den Antrag auf Alhi auf Grund des § 141 a Abs. 1 Nr. 4 des am 1. April 1956 in Kraft getretenen Änderungsgesetzes vom 16. April 1956 ab, weil der Kläger innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung nicht mindestens zehn Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden habe.
Aus dem gleichen Grunde wurde der Widerspruch, mit dem der Kläger nunmehr Alfu vom 24. August 1955 an beantragte, durch Entscheidung vom 7. Mai 1956 zurückgewiesen. Im übrigen sei der Bescheid vom 31. August 1955 bindend geworden.
II. Mit Klage beim Sozialgericht Detmold machte der Kläger geltend, er habe angenommen, das Gutachten des Vertrauensarztes der Beklagten sei ein amtsärztliches gewesen, das allgemein verbindlich sei; denn dieser Arzt sei zugleich Amtsarzt. Im Bescheid vom 31. August 1955 sei das Gutachten auch als amtsärztliches bezeichnet worden. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Maßnahmen des Arbeitsamtes habe er es unterlassen, ein Rechtsmittel einzulegen und sich regelmäßig zu melden. Er beantragte, die Beklagte zur Zahlung von Alfu für die Zeit vom 24. August 1955 bis zum 31. März 1956 und von Alhi für die Zeit vom 1. bis zum 17. April 1956 zu verurteilen.
Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte ihm durch Änderungsbescheid vom 28. Juni 1956 Alhi vom 18. April 1956 an. In diesem Bescheid heißt es weiter wörtlich: "Der Bescheid des Arbeitsamtes vom 31.8.1955 über die Einstellung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung ist hingegen bindend geworden, da Sie trotz entsprechender Belehrung von dem zulässigen Rechtsbehelf ... keinen Gebrauch gemacht haben. Zur Vermeidung einer Härte bin ich jedoch grundsätzlich bereit, evtl. unter Verzicht auf die Rechtskraft der getroffenen Entscheidung, Ihre Angelegenheit einer Nachprüfung zu unterziehen. Voraussetzung für eine derartige Maßnahme ist es jedoch, daß Sie in der Zeit vom 24.8.1955 bis 17.4.1956 den regelmäßigen Meldungen beim Arbeitsamt nachgekommen sind." Sie bat ihn um Auskunft, ob das geschehen sei.
Der Kläger teilte ihr mit, daß er sich in der streitigen Zeit nicht gemeldet habe, zumal die Beklagte am 24. August 1955 auch seine Meldekarte geschlossen habe. Nachdem auf Grund dieses Schreibens das Sozialgericht beim Arbeitsamt angefragt hatte, ob es trotzdem aus Billigkeitsgründen dem Kläger die Alhi bewilligen wolle, da er "sich durch das Schließen seiner Meldekarte in einem entschuldbaren Irrtum über die Pflicht zur regelmäßigen Meldung befand", erklärte die Beklagte dem Gericht gegenüber mit Schriftsatz vom 25. Juli 1956, sie sehe sich "nunmehr außerstande, auf die Rechtskraft der Entscheidung vom 31.8.1955 zu verzichten". Einer vom Sozialgericht angeregten vergleichsweisen Regelung stehe § 114 AVAVG entgegen, wonach Unterstützung für die Tage nicht gewährt werden darf, für die der Arbeitslose die vorgeschriebenen Meldungen ohne genügende Entschuldigung unterläßt. Zu einer nachträglichen Entschuldigung sehe sie sich außerstande.
Mit Urteil vom 14. Dezember 1956 wies das Sozialgericht die Klage ab, da der Verwaltungsakt vom 31. August 1955 gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden sei.
III. Seine Berufung hiergegen begründete der Kläger mit dem Hinweis, ein Arbeitsunfähiger sei nicht zur Meldung verpflichtet. Diesen Fall betreffe auch die Rechtsmittelbelehrung nicht.
Mit Urteil vom 5. Juni 1957 verurteilte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juli 1956 die Beklagte, dem Kläger vom 24. August 1955 bis zum 17. April 1956 Alfu "bzw." Alhi in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Streitgegenstand sei allein noch der Bescheid vom 23. Juli 1956. Er sei zwar in einem Schriftsatz an das Gericht enthalten, aber dennoch als Verwaltungsakt mit Zugang an den Kläger wirksam und gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Die Berufung der Beklagten auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 31. August 1955 verstoße gegen die Funktion des § 77 SGG, der den Kläger nicht daran hindern wolle, zu Unrecht abgelehnte Ansprüche erneut geltend zu machen, wenn er seinerzeit im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Handlungen der Arbeitsverwaltung ein Rechtsmittel nicht eingelegt habe. Infolge dieses mißbräuchlichen Verhaltens müsse sich die Beklagte so behandeln lassen, als ob der Bescheid vom 31. August 1955 nicht ergangen sei. Dann sei aber die Unterstützung nicht entzogen und deshalb fortzuzahlen gewesen. Auch die Arbeitsfähigkeit müsse damit als fortbestehend angesehen werden. Der Bezug der Unterstützung werde durch § 114 AVAVG nicht gehindert. Für den Kläger seien Meldungen nicht vorgeschrieben gewesen, da er weder Unterstützung bezogen noch ein Rechtsmittelverfahren betrieben habe. Darüber hinaus sei die Unterlassung der Meldungen entschuldigt.
Revision ist zugelassen worden.
IV. Gegen das am 3. August 1957 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 30. August Revision ein und beantragte, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. In der Revisionsbegründung vom 23. September 1957 rügt sie Verletzungen der §§ 54, 77, 103, 130 SGG, des § 3 des Anhangs zur Militärregierungsverordnung Nr. 117, des Art. I § 141 a des Änderungsgesetzes vom 16. April 1956 und der §§ 88, 114, 173 AVAVG. Sie macht geltend, die Behörde sei nicht verpflichtet, einen bindend gewordenen Bescheid zurückzunehmen, auch wenn sie sich überzeugt habe, daß die früher verneinten sachlichen Voraussetzungen vorgelegen haben. Es stehe jedoch nicht einwandfrei fest, ob der Kläger damals arbeitsfähig gewesen sei. Deshalb sei die Berufung auf die Bindungswirkung nicht rechtsmißbräuchlich. Das Landessozialgericht hätte nicht ohne nähere Prüfung darauf schließen dürfen, daß der Kläger damals arbeitsfähig gewesen sei. Hierdurch sei § 103 SGG verletzt. Das Landessozialgericht habe auch nicht die Meldeversäumnis als entschuldigt anerkennen dürfen, da die Freistellung von der Meldepflicht im Ermessen des Arbeitsamts liege. Außerdem sei die Klageart verkannt. Es komme nur eine Aufhebungsklage - verbunden mit einer Verpflichtungsklage - in Betracht.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, daß die Berufung auf die Bindungswirkung des § 77 SGG durch die Beklagte einen Rechtsmißbrauch darstellt.
V. Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. Das Landessozialgericht durfte ohne weitere Feststellungen die Beklagte nicht zur Leistung verurteilen.
Es geht bei der Beurteilung der Sachlage von der Mitteilung der Beklagten im Schriftsatz vom 23. Juli 1956 aus, den es als den "allein noch streitigen" Verwaltungsakt ansieht. Ungeachtet sonstiger Formvorschriften muß der Verwaltungsakt dem Betroffenen bekanntgemacht werden (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 6. Aufl., Bd. 1 S. 195), da er empfangsbedürftig ist. Er kann auch durch eine andere als die erlassende Behörde bekanntgegeben werden, sofern dies nur amtlich geschieht (so Wolff, Verwaltungsrecht, 2. Auf 1., Bd. 1 S. 238). Diese Voraussetzung sieht das Landessozialgericht dadurch als erfüllt an, daß der Schriftsatz vom 23. Juli 1956 gemäß § 108 SGG von Amts wegen dem Kläger mitzuteilen war.
Zweifelhaft ist jedoch, ob die Beklagte mit ihrer Schriftsatzerklärung überhaupt einen Verwaltungsakt setzen wollte. Sie hatte während des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht mit Bescheid vom 28. Juni 1956 dem Kläger mitgeteilt, daß sie nunmehr die Voraussetzung der mindestens zehnwöchigen Beschäftigung gemäß § 141 a Abs. 1 Nr. 4 AVAVG durch die Beschäftigung vom 8. März bis zum 14. Juli 1948 als erfüllt ansehe und ihm deshalb vom 18. April 1956 an Alhi gewähre. Insoweit stellte sie ihn also klaglos. Des weiteren hatte sie sich hierin aber, wie schon oben erwähnt, darauf berufen, daß der Bescheid vom 31. August 1955 über die Einstellung der Alfu bindend geworden sei, da der Kläger trotz entsprechender Belehrung von dem Rechtsbehelf keinen Gebrauch gemacht habe. Wenn sie sich gleichwohl "zur Vermeidung einer Härte" zu einer Nachprüfung für die Zeit vom 24. August 1955 bis zum 17. April 1956 bereit erklärte, zugleich aber daran die Voraussetzung knüpfte, daß der Kläger während dieser Zeit den regelmäßigen Meldungen nachgekommen sei, so kann aus dieser Mitteilung an das Sozialgericht nicht entnommen werden, daß die Beklagte damit einen neuen Verwaltungsakt setzen wollte. Es handelte sich lediglich um die Ankündigung weiterer Ermittlungen. Im Gegensatz zur Ansicht des Landessozialgerichts ist deshalb von dem Bescheid vom 28. Juni 1956 auszugehen, in dem die Beklagte sich auf die bindende Wirkung des Bescheides vom 31. August 1955 berief.
VI. Der Auffassung des Landessozialgerichts, daß die Berufung auf die Bindungswirkung im vorliegenden Falle rechtsmißbräuchlich sei, kann ohne nähere Feststellungen nicht gefolgt werden. Der Sinn des § 77 SGG ist es, wie sich aus der Begründung (Bundestagsdrucksache, 1. Wahlperiode 1949, Nr. 4357 zu § 26) ergibt, im Interesse der Versicherten und Versorgungsberechtigten, ebenso aber auch der Leistungspflichtigen, dem Bescheid der Versicherungsträger und Versorgungsbehörden endgültige Wirkung beizulegen, da sie nicht mehr wie bisher erstinstanzliche Wirkung haben, sondern nach neuem Recht nur noch als Verwaltungsakte anzusehen sind. Damit wird für die Sozialgerichtsbarkeit eine andere Regelung geschaffen, als sie im allgemeinen Verwaltungsrecht im Grundsatz gilt. Hier besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern gegebenenfalls sogar die Pflicht, einen fehlerhaften Verwaltungsakt zurückzunehmen (vgl. dazu Haueisen, Die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte im Sozialrecht, Die Ortskrankenkasse, 1956 S. 189 [190]), während nach § 77 SGG auch fehlerhafte Verwaltungsakte nicht rücknehmbar, also bindend sind, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Für die Arbeitslosenversicherung schreibt nun § 177 AVAVG vor, daß die Unterstützung von Amts wegen zu entziehen ist, "sobald die Voraussetzungen zum Bezuge nicht mehr vorliegen....". Auf Grund des ärztlichen Gutachtens vom 24. August 1955 war deshalb die Beklagte nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Alfu - für sie gilt § 177 AVAVG gemäß Art. III der Militärregierungsverordnung Nr. 117 ebenfalls - zu entziehen, wenn sie dieses Gutachten als zutreffend ansah. Der Entziehungsbescheid vom 31. August 1955 ist bindend geworden, da der Kläger trotz Rechtsmittelbelehrung von dem zulässigen Rechtsbehelf keinen Gebrauch gemacht hat. Dies ist unter den Beteiligten auch unstreitig.
Die Frage, ob die Berufung hierauf rechtsmißbräuchlich ist, hat sich daraus ergeben, daß der Kläger durch das Gutachten des Vertrauensarztes der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und nachfolgend durch das Gutachten desselben Arztes des Arbeitsamts, der ihn am 24. August 1955 für arbeitsunfähig erklärt hatte, nunmehr als noch arbeitsfähig im erlernten Beruf bezeichnet wurde und hieraus die Annahme entstanden ist, das Gutachten vom 24. August 1955 sei unrichtig und die Beklagte hätte sich darauf nicht berufen dürfen.
Nach der von der Wissenschaft auf Grund der §§ 138, 157, 226, 242, 826 BGB entwickelten Lehre vom Rechtsmißbrauch besteht eine Pflicht zu sozialangemessener Rechtsausübung. Der Inhalt jeden Rechts ist durch seine rechtsethische und soziale Funktion bestimmt und begrenzt. Funktionswidrige Ausübung ist nicht mehr durch den Inhalt des Rechts gedeckt, sie ist nur noch scheinbar Gebrauch des Rechts, in Wirklichkeit aber Rechtsmißbrauch (vgl. dazu Haueisen, Unzulässige Rechtsausübung und öffentlich-rechtliche Ausschlußfristen, NJW. 1957 S. 729). Diese Lehre betrifft in erster Linie das materielle Recht, aber sie wird auch darüber hinaus als anwendbar anzusehen sein. Zutreffend führt Haueisen (S. 730) - im Rahmen seiner Untersuchung - aus, die Bindungswirkung nach § 77 SGG könne nicht dahin verstanden werden, "daß damit auch die Rücknahme eines fehlerhaften Bescheides zu Gunsten des Betroffenen grundsätzlich verboten sein soll". Dies wird jedenfalls in den Fällen angenommen werden müssen, wo die Bindungswirkung nach § 77 zweiter Halbsatz SGG nur eine relative ist, da die absolute hier ohnehin durch § 177 AVAVG eingeschränkt ist. Wenn der Beklagten durch diese Vorschrift das Recht eingeräumt wird, begünstigende Verwaltungsakte aufzuheben, so wird daraus auch die Verpflichtung entnommen werden können, die Aufhebung rückgängig zu machen, wenn sich die nach § 177 AVAVG getroffene Entscheidung als offensichtlich unrichtig darstellt.
Durch die Untersuchung des Vertrauensarztes der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die nachfolgende erneute Untersuchung seitens des Arztes des Arbeitsamts mußten aber Zweifel daran auftreten, ob das Untersuchungsergebnis vom 24. August 1955 und der darauf beruhende Entziehungsbescheid vom 31 August 1955 zutreffend gewesen sind. Das hätte bereits die Beklagte dazu bestimmen müssen, von sich aus eine entsprechende Klärung herbeizuführen. Ohne diese wäre nicht auszuschließen, daß die Berufung auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 31. August 1955 rechtsmißbräuchlich und damit unzulässig ist. Überdies könnte auch ein Verstoß gegen die Sozialstaatsklausel des Art. 20 Abs. 1 GG vorliegen, wonach das Recht sozial angemessen auszuüben ist.
Diese Frage hätte ohne zeitraubende Erörterungen allein schon durch Befragung des Arztes des Arbeitsamts geklärt werden können. Die Umstände deuten darauf hin, daß die Untersuchung vom 24. August 1955 sich auf die Arbeitsfähigkeit für Stellen des allgemeinen Arbeitsmarktes bezog, während die neuerliche auf den Beruf abstellte. Das kann schon daraus entnommen werden, daß hier Arbeitsfähigkeit für körperliche Arbeiten verneint worden ist. Wenn die Beklagte nachträglich mit Bescheid vom 28. Juni 1956 die Alhi gewährte, sich damit also hinsichtlich der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit dem zweiten ärztlichen Gutachten anschloß, so hätte es nahegelegen, entsprechende Feststellungen für die Vergangenheit zu treffen, zumal es sich beim Kläger hauptsächlich um Alterserscheinungen handelt, bei denen eine wesentliche Besserung im allgemeinen nicht zu erwarten sein dürfte.
Da das Landessozialgericht von sich aus ohne die gebotenen Feststellungen lediglich Schlußfolgerungen zog, hat die Beklagte zu Recht eine Verletzung des § 103 SGG gerügt.
VII. Soweit die Beklagte geltend macht, der Bewilligung für die rückliegende Zeit habe auch § 114 AVAVG entgegengestanden, da der Kläger sich nach Bekanntgabe des Bescheides vom 31. August 1955 nicht mehr regelmäßig beim Arbeitsamt gemeldet habe, kann sie damit nicht gehört werden. Nach § 173 AVAVG hat sich beim Arbeitsamt regelmäßig nur der Empfänger von Unterstützung oder der Arbeitslose zu melden, der nur deswegen Unterstützung nicht erhält, weil gegen ihn eine Sperrfrist verhängt worden oder die Wartezeit noch nicht abgelaufen ist. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 21. März 1956 (BSG. 2 S. 277) weiter festgestellt, daß der Meldepflicht der Arbeitslose auch während eines Rechtsmittelverfahrens unterliegt. Darüber hinaus aber besteht eine solche Pflicht nicht. Für den Kläger war sie nicht gegeben, weil er ein Rechtsmittel nicht eingelegt hatte. Im übrigen hatte die Beklagte seine Meldekarte geschlossen und damit zum Ausdruck gebracht, daß der Kläger aus ihrer Betreuung ausgeschieden sei. Dieser hat geltend gemacht, er habe ein Rechtsmittel deshalb nicht eingelegt, weil er das als "amtsärztlich" bezeichnete Gutachten vom 24. August 1955 als auch für andere Behörden verbindlich angesehen habe. Er nahm also an, daß ihm auf Grund dieses Gutachtens Ruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gewährt werden würde. Diese Auffassung, die dem Kläger auch als Grund für einen etwaigen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte dienen können, war von seinem Standpunkt aus keineswegs völlig abwegig. Sie hätte jedenfalls auch die Grundlage für eine nachträgliche Entschuldigung nach § 114 AVAVG abgeben können, wenn die Beklagte sich auf die Nichtmeldung stützen wollte. Aber weder nach § 173 AVAVG und dem oben erwähnten Urteil noch nach einer sonstigen Rechtsvorschrift wird die regelmäßige Meldung für Fälle wie den vorliegenden gefordert, so daß die Frage der nachträglichen Entschuldigung nicht zu erörtern ist.
Soweit aus den Worten in der Begründung des Berufungsurteils "In diesem Falle wären die Meldeversäumnisse des Klägers entschuldigt" etwa herausgelesen werden könnte, daß das Landessozialgericht selbst die Entschuldigung aussprechen wollte, würde dem das oben erwähnte Urteil des Bundessozialgerichts entgegenstehen. Darin ist ausgesprochen, daß die Freistellung eines Empfängers von Alu von der Meldepflicht im Ermessen des Arbeitsamts liegt und im sozialgerichtlichen Verfahren nur geprüft werden kann, ob und inwieweit ein Ermessensfehler vorliegt, das Gericht aber nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen kann.
VIII. Zutreffend rügt die Beklagte, daß das Landessozialgericht die Klageart verkannt hat. Es handelte sich hier nicht um eine Aufhebungs- und Leistungsklage, sondern um eine Aufhebungs- und Verpflichtungsklage. Das Landessozialgericht konnte nach Sach- und Rechtslage die Beklagte nicht zu einer Leistung, sondern unter Aufhebung des ersten Urteils gegebenenfalls zum Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes verurteilen (vgl. dazu auch Urteil des 1. Senats vom 27.3.1957 - BSG. 5 S. 60 [64]). Im übrigen leidet auch der Tenor des angefochtenen Urteils an Klarheit, da er nicht einwandfrei festsetzt, bis zu welchem Zeitpunkt Alfu und von wann ab Alhi zu zahlen gewesen wäre.
IX. Auf Grund aller dieser Erwägungen mußte das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Landessozialgericht wird zunächst Feststellungen, wie sie oben unter VII. dargelegt sind, treffen müssen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen